Mittwoch, 13. Januar 2010

Reinhart Koselleck

Ich vermisse Reinhart Kosellecks Stimme. Der Historiker in Bielefeld ist viel zu früh gestorben. Heute in der FAZ ein bemerkenswertes Interview mit ihm, das im November 2005 geführt wurde.Nicht nur lesenswert, was Kriegs- und Krisenerfahrungen betrifft.  Nicht nur beeindruckend der zwei Regeln des Historikers wegen, die auch für Journalisten und Meinungshabende gelten: davon ausgehen, daß immer alles anders war als gesagt. Und: daß alles immer anders ist als gedacht.
Was man heute im Streit um Erinnerung, Polen und Frau Steinbach vermißt, sind die ruhigen Worte, mit dem Koselleck die ganze Erinnerung anmahnt.
"Und ich denke, daß man die eigenen Vertriebenen so zu erinnern verpflichtet ist, wie man die eigenen Toten zu erinnern verpflichtet ist, wenn man seine moralische Integrität wahren will. Ich kann nicht einfach darauf verzichten,das zu erinnern.Welche Form das einnehmen soll, ist natürlich debattierbar." "Trauer um die Toten (darf) nicht politisch quantifizierbar sein", "das ist ein Element der Selbstwahrung, der eigenen Persönlichkeit, der Familie oder der Gruppe, in der man lebte. Und das sollte man sich nicht ausreden lassen. Aber wenn man heute darüber spricht, da ist man ein Revisionist, Revanchist und ich weiß nicht, was einem noch alles angehängt wird."
"Weil es nicht normal ist, darüber zu reden, kommen diese hypertrophen Vertriebenenforderungen auf, die natürlich de facto sinnlos sind, aber auch im moralischen und argumentativen Zusammenhang nicht das Gewicht haben würden, wenn es selbstverständlich wäre, diese Ostgebiete in unserer Erinnerung zu pflegen, samt den Toten. Aber da das tabuiert ist, haben die natürlich den Freiraum, genau darüber sich zu beschweren. Das ist das Problem. Wenn man darüber frei reden darf, dann können die mitreden."
Seine Kritik, resümiert Koselleck, am selektiven Totengedenken der Deutschen mit einer "Hierarchie der Toten", sei verpufft - "da hab ich rundum verloren."
 Das ist ein weiterer Grund, diese Stimme zu vermissen.

3 Kommentare:

  1. Wenn man sich letztes Jahr das öffentlich-rechtliche Fernsehprogramm angeschaut hat, konnte man allerdings den Eindruck gewinnen, die ARD wäre nur noch in den Ostgebieten unterwegs. Und wenn sie dann mal aus Schlesien, Pommern, Böhmen oder Mähren zurückkam, wurde erstmal ausgiebig in Dresden halt gemacht.
    Ein Tabu gibt es da außerhalb linker Deppenzirkel schon lange nicht mehr. Freilich haben es die Vertriebenenverbände geschafft, sich ein wirklich unangenehmes Markenimage zuzulegen.
    Das prägt natürlich die Rezeption von deren Stellungnahmen.

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  2. Hochgeschätzte Frau Stephan,
    Sie nach Lektüre Ihrer Bücher in den 90ern hier (und bei der Achse des Guten) wiederzutreffen und Ihre Beiträge, die ich bisher dort mitbekam, zu lesen, freut mich – intellektuell, sprachlich, inhaltlich.
    Hier aber möchte ich widersprechen. Es sind nicht alle Schicksale gleich, nicht alles Leid gleich.
    Ein Deutscher, der 1945 getötet wurde, sich 39 über die fette polnische Weihnachtsgans freute und keinen Gedanken daran verschwendete, wie sie wohl auf seinen Tisch kam, 40 ein paar Flaschen französischen Rotweins bekam, 43 günstig aus der Wohnung nebenan eine Anrichte erstand, während die Nachbarn in Rauch aufgingen, der wie die meisten 40 glücklich mit dem Regime war, der 41 fleißig die Fähnchen auf der Rußlandkarte absteckte – nun, einem solchen kann man hinterher rufen: So 'was kommt von so 'was. Ich will den hier Tod durch Luftangriff nicht bagatellisieren, ich will auch nicht sagen, daß eine Gans, etwas Wein, eine Anrichte und innere Begeisterung fürs Regime den Tod rechtfertigen, aber ich will sagen, daß dieser Tod von anderer moralischer Qualität ist als der des verhungerten polnischen Bauern, des beim Plündern seines Weinkellers erschossenen Franzosen, der kremierten Juden. Man kann nicht jedem Einzelnen etwas vorwerfen – aber es macht einen Unterschied aus, wenn man Nutznießer war. Thomas Mann bejubelte weinend die Bomben auf sein Lübeck – wissend, daß dadurch Menschen, die er kannte, ruiniert, verletzt, getötet wurden.
    Über die Vertriebenen ist zu sagen: ‚die‘ haben eben auf dem falschen Bein Hurra geschrien, und bekamen die Quittung. Fair war diese Quittung nicht; keine bei Kriegsausbruch Zwölfjährige, die dann 1945 von Rotarmisten vergewaltigt wurde, trägt Verantwortung; ihr ist Unrecht geschehen. Zugleich muß man hinzufügen: die Verantwortung für diese Tat trägt der Rotarmist, jedoch nicht ganz alleine. Der Braunauer trägt auch einen Teil daran, denn ohne dessen Krieg wäre es nicht dazu gekommen. Die später Vertriebenen, die vielleicht nur ‚heim ins Reich‘ wollten, dies aber unter dem Banner des Hakenkreuzes, trugen einen winzigen, nicht zu ignorierenden Teil bei.

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  3. Da ich gerade, wie fast jeden Tag, in der Universität Bielefeld sitze, ist mir Koselleck natürlich ein Begriff. Leider wird hier Niklas Luhmann so stark gewürdigt, dass Koselleck - meiner Meinung nach - ein wenig in Vergessenheit gerät. Schön dass sie in Zeiten von Guido Knopp noch einmal auf diesen bedeutenden Historiker hinweisen.

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