Donnerstag, 28. März 2013

Wenn Frauen zu viel lesen

Fernsehen mag verderblich sein. Doch schlimmer noch ist Literatur.
Dass Lesen die geistige Gesundheit gefährdet, weiß man, seit Gutenberg es demokratisiert hat. Sittsame Frauen lasen zwar lange Zeit nur die Bibel, doch schon das bedeutete, bedenkt man den Inhalt, einen Schritt ins Verderben. Geradezu katastrophale Wirkung hatte die Lektüre von Gebetbüchern, wie Gustave Flaubert am Beispiel der Landarztfrau Emma Bovary zeigte. Als Klosterschülerin verliebte sie sich in den leidenden Jesus; die Gleichnisse vom himmlischen Geliebten versetzten sie in süße Schauer. Im Alter von fünfzehn Jahren wurde die Droge stärker. Emma las Romane, in denen es von tugendsamen Herren auf hohen Rössern, Küssen, Schwüren, Gondelfahrten und schluchzenden Nachtigallen nur so wimmelte. Das Verhängnis begann, als die junge Frau nach all dem Schönen zu suchen begann - in der Wirklichkeit. Dort aber gab es keine weißen Ritter. Das Ende von Madame Bovary ist bekannt. Was blieb, war Arsen.
Lehren aus der Geschichte? Schon. Seit einigen Jahren scheint die Gefahr erkannt. Literatur von und für Frauen beugt heutzutage dem Bovary-Effekt vor. Insbesondere, wer Krimis liest, möglichst aus Schweden oder Dänemark, ist schon nach hundert Seiten gegen Irrtum gefeit. Hier gibt es keine tugendsamen Herren, hier sind Männer Schweine, die zur Strecke gebracht werden müssen. Das Böse ist männlich. Das Böse muss sterben.
In meiner Arbeit als Jurorin beim Deutschen Kurzkrimipreis habe ich diesen Eindruck bestätigt gefunden. Das Gros der eingesandten Arbeiten kreiste nur um eines. Kurzgeschichtenschreibende Frauen haben unendlich viel Spaß daran, Männer umzubringen. Manchmal einfach nur so, in der Tradition Ingrid Nolls: will ja nur spielen. Manchmal aus frommer Lust an der Bereicherung - als Witwe, das ist bekannt, lebt es sich gänzlich ungeniert. Und immer öfter in höherem Auftrag: so etwa, wenn sich eine Truppe patenter Freundinnen zusammentut, um die geschlagene, entwürdigte, entrechtete und geknechtete Freundin von ihrem gewalttätigen Gatten zu befreien. Der Trend ist eindeutig. Männer werden ihrer gerechten Strafe zugeführt, mehr und mehr per Lynchjustiz, denn es herrscht die Überzeugung vor, dass der Rechtsstaat (vulgo: das patriarchalische System) zu „Gerechtigkeit“ oder wenigstens einem ordentlichen Verfahren nicht in der Lage ist. Henning Mankell lässt grüßen.
Dieses Muster taucht nur wenig variiert in Büchern auf, die es auf die Spiegel-Bestsellerliste geschafft haben, woraus man schließen muss, dass es auch bei den Leserinnen beliebt ist. Es sind ja nunmal Frauen, die jene Bücher kaufen, die Männer nicht lesen. Mir jedenfalls ist noch kein Mann begegnet, der seine Lesefreude daran zugegeben hätte, so dass ich noch immer auf Antwort warte auf die Frage: wie fühlt man sich eigentlich nach der Lektüre von Männer-schlagen-Frauen-und-missbrauchen-Kinder-Romanen? Oder nach dem zigsten Tatort darüber? Lässt euch das kalt? Oder macht ihr vorsichtshalber bei jedem #aufschrei mit, damit alle wissen, dass ihr anders als die anderen seid?
Beim neuesten Bestseller von Nele Neuhaus, „Böser Wolf“, geht es um Kinderschändung, zu der sich Männer aus den besten Kreisen der Gesellschaft verschwören. In Camilla Läckbergs friedlich-freundlich betiteltem Krimi „Der Leuchtturmwärter“ geht es um etwas, das im schwedischen Fjällbacka offenbar Tradition hat: um Frauenmisshandlung, die mindestens jede zweite Frau des ansehnlichen Romanpersonals erdulden musste. Alternativ: Missbrauch, als Kind. Oder beides. Auch hier scheint nur Eigeninitiative der Opfer zu helfen, denn die halbwegs netten Männer sind so, wie einer der ihren heißt: Matte.
Dass es solche Verbrechen und solche Verbrecher gibt – keine Frage. Thema für einen Krimi? Gewiss doch. Aber die Sache scheint sich zum Trend auszuwachsen, der weit über die Kriminalitätsstatistik hinausschießt. Heißt das was? Und wenn ja – was genau?
Überraschende Erkenntnis: ein Dauerbestseller passt auf den ersten Blick gar nicht, auf den zweiten um so besser zu den Krimis auf dem Nachttisch – Shades of Grey, Softporno und Romanze in einem. Der Roman erzählt mitnichten von der weiblichen Lust an der Unterwerfung und männlicher Dominanz, er erzählt ganz im Gegenteil von der Umerziehung des Biestes zum überirdisch perfekten Liebhaber: niemand macht es so gut wie der reiche, schöne und auch ansonsten perfekte Mr. Grey. Shades of Grey ist die ultimative Kampfansage an den Mann.
Im Krimi wird er als Monster umgebracht. In Shades of Grey wird er umerzogen. Gefährlicher für den Mann als die mörderische ist die erotische literarische Phantasie. Der Mann zwischen Verteufelung, Verachtung und Überforderung: wenn Frauenlektüre Gebrauchsanweisung wäre, hätte die Beziehung zwischen Mann und Frau keine Chance mehr.
Hat Flaubert in seiner „Madame Bovary“ den Einfluss der die weibliche Phantasie stimulierenden Literatur überschätzt? Aber sicher doch. Heute verwechselt natürlich keine Leserin mehr den Roman mit der Wirklichkeit. Und wenn doch?


Aus Literarische Welt, 30. 3. 2013

1 Kommentar:

  1. Ich begrüße diese Entwicklung hinein in die Literatur. In den 80er und 90er Jahren des letzten Jahrhunderts waren doch in den Hobbytherapiegruppen, die wochenends abgehalten wurden, plötzlich auftauchende Erkenntnisse eines verdrängten Missbrauchs ganz alltäglich (oder sonntäglich). Zu der Zeit wimmelte es auch von multiplen Persönlichkeiten. Ich sags noch mal - das war in der Wirklichkeit. Hier in Spanien werden auch heute noch die Männer mit Handschellen aus den Haus geführt, wenn es der Frau gefällt, ihn des Schlagens anzuklagen. Da ist es mir doch lieber zwischen zwei Buchdeckeln verpackt. Die Realität lässt sich derweil was neuen einfallen.

    AntwortenLöschen

Wir Untertanen.

  Reden wir mal nicht über das Versagen der Bundes- und Landesregierungen, einzelner Minister, der Frau Kanzler. Dazu ist im Grunde alles ge...