Donnerstag, 6. November 2014

Nebelwerfer 8: Nachhaltiger Nachhall

Halten zu Gnaden! Der nachhaltige Missbrauch der deutschen Sprache könnte nachhaltig missmutig machen. Müßig, denn das aktuelle Wieselwort ist nicht aufzuhalten, auch wenn man ganz und gar nichts davon hält. Niemand scheint sie davon abzuhalten, die Menschen und Marken, Produzenten und Politiker, Werber und Beworbene, alles, was ihnen gut und edel dünkt, mit dem Markenabzeichen „nachhaltig“ zu versehen. Der nachhaltige Wortmissbrauch tarnt sich naturschützerisch: Seit „Mein Freund, der Baum“ denken offenbar alle guten Menschen an den Wald, wenn es ums richtige Leben im Falschen geht.
Das Wort der Stunde kommt nämlich aus der Forstwirtschaft. Dort waltet der Waldvogt nach der Devise: man soll nicht mehr Bäume schlagen, als nachwachsen, wenn man langfristig Gewinn erwirtschaften will. Das ist nichts anderes als gut kalkuliert, aber deshalb noch lange kein Grund dafür, dass plötzlich alle so reden, als ob sie im Wald stünden. Niemand vermag für jeden Obstsalat ein Apfelbäumchen pflanzen. Mal abgesehen davon, dass das Waldsterben seit dem Ende der Segelschiffahrt, also seit fast zweihundert Jahren, vorbei ist.
Der Charme des Wortes könnte auch ganz woanders liegen. Klingt „nachhaltig“ nicht erstaunlich ähnlich wie jenes „Maul halten“, das heutige Lehrer ihren Schülern nicht mehr zurufen dürfen, obwohl sie im Unterricht anhaltend stören? Wer von sich behauptet, „nachhaltig“ zu leben, trägt oft die Strenge des Wortes im Gesicht. Das mag vom nachhaltigen Nachdenken herrühren: forstwirtschaftlich sinnvoll wäre, auf die Menschheit bezogen, die Geburten- an die Sterberate zu koppeln. Da mag sich dann jeder selbst ausrechnen, inwieweit seine Existenz mit dem Gebot des Ressourcensparens zusammengeht. Früher ableben? Freiwillige vor!
Nachhaltig ist das neue Bio oder Öko oder Logo. Auf der Zunge zergehen lassen kann man sich das nicht. An so einem Brocken muss man kauen. Langfristig, fortgesetzt und entschieden.*

*Synonyme für „nachhaltig“ aus dem Duden

Montag, 3. November 2014

Der Ton der siebziger Jahre

Am Tag nach dem Ende des Krieges kam die Rache in Gestalt der Geschundenen und Entrechteten aus dem Zwangsarbeiterlager der Nazis nahe dem österreichischen Zinkenbach. Sie jagten die deutsche Familie davon. Und wie sie rannten, der sechsjährige Henning, sein jüngerer Cousin, die Mutter, die Tante. Rannten barfuß Richtung Norden, vier Monate lang, bettelten und stahlen, schufteten für dünne Wassersuppen und lernten die hässlichen Deutschen kennen: vollgefressene Bauern ohne Mitgefühl. Das vergisst einer nie, dieses Fette, Wurstige, wenn er sich einmal von Gras hat ernähren müssen. Der vergisst auch nicht, dass die Amerikaner so etwas Sinnloses weil Unnahrhaftes wie Kaugummi erfunden haben. Und der weiß fürs Leben: "Meide den deutschen Bauernhof! Es sei denn, du besitzt eine Schusswaffe oder ein bisschen Familienschmuck.“

Was Henning gelernt hat, vergisst Venske nimmermehr. Wenn man die ersten Seiten des 441 Seiten starken Buchs gelesen hat, das Henning Venske "Biografie“ nennt, dann glaubt man, ihn zu verstehen: ein barfüßiger Flüchtlingsjunge besitzt gar nichts mehr, außer ein paar gewonnenen Überzeugungen, das ist portable Heimat, die gibt er nie mehr her. Und noch etwas glaubt man zu verstehen: dass so einer immer irgendwie auf der Flucht ist.
Henning Venske, geboren 1939 in Stettin, war in seinem Leben vieles, Schauspieler, Regisseur, Moderator, Autor, einer von der "Sesamstraße“, Macher bei "Pardon“ und Kabarettist bei der Münchner Lach- und Schießgesellschaft. Vor allem aber war er immer er selbst, kenntlich am scharfen Ton des Besserwissers, der schnellfeuermäßig alles Übel der (westlichen) Welt herunterbeten kann, aber treuherzig versichert, das Ministerium für Staatssicherheit der DDR sei gegründet worden ist, um alte Nazis zu jagen.

Das ist der Ton der siebziger Jahre. Wer dabei mit dem Kopf nicken möchte, wird in Venskes Philippika gut bedient; wer die Wirklichkeit im Buch nicht wiederfindet, kann sich damit trösten, ein zeithistorisches Werk in Händen zu halten: ja, so haben viele damals geglaubt. Dass die Deutschen wurstfressende Scheusale sind, immer noch halbe Nazis, dass Adenauerdeutschland prä- oder proto- oder sonstwie faschistisch war und dass es der 68er bedurfte, um die Verhältnisse zum Tanzen zu bringen. Dass die DDR dann doch irgendwie das bessere Deutschland war, dass die Amerikaner dumm und gefährlich sind, und dass die Russen ihre Kinder lieb haben.

Dabei wäre über Henning Venske so viel mehr zu sagen, wenn man es nicht ihm selbst überlassen hätte. Die Schulzeit: wer will das alles wissen? Dass er in der Schule fast gescheitert wäre, lag natürlich an „unfähigen präpotenten Arschlöchern“, vulgo: Pädagogen. Geschenkt. Die Zeiten als Schauspieler und Regieassistent bei Boleslaw Barlog oder Fritz Kortner: lieblos heruntererzählt. Die Kollegen: alle ganz wunderbar, bis auf Lilo Pulver, die Venske für einen Kommunisten hielt, womit sie nicht ganz falsch lag. Erheiternd allerdings, wie Venske mit Samuel Beckett gegen den Beckett-Versteher Bernhard und Größtmimen Minetti konspirierte.

Die Bilanz: „Einmal durchs Abitur gefallen, Studium abgebrochen, Schauspielschule abgebrochen, (...) Schillertheater abgebrochen, Thalia Theater abgebrochen, Fernsehansage abgebrochen.“ Man musste Henning Venske nicht rausschmeißen, er ging meistens selbst – immer nach ein bisschen Krawall und mit dem Trotz eines wütenden Kindes. Dabei hätte das Größe haben können: hier geht ein Unbeugsamer. Aber es ging immer auch ein Unbelehrbarer, der sich, trotz Geldnot, auf 250 000 DM für einen Fernsehwerbespot nicht einlassen konnte – nicht des Inhalts wegen (es ging um ein Rasierwasser), sondern weil er 300 000 Mark wollte.
Und doch ging es immer irgendwie weiter. Venske moderierte „Musik aus Studio B“, eine Schlagersendung, die er öffentlich "eine Sendung für Blöde“ nannte. Er wurde fristlos gefeuert. Seine nicht gerade unzutreffende Kritik an den aufgeblasenen Apparaten der öffentlich-rechtlichen Hörfunkanstalten trug ihm Haus- und Mikrofonverbote hier und dort ein – allerdings nahm man ihm damals auch linke Sottisen übel, für die man heute das Bundesverdienstkreuz bekäme.

Seine acht Jahre bei der Münchner Lach- und Schießgesellschaft ist dem deutschen Kabarett nicht gut bekommen. Aus dem fünften und letzten Programm mit Dieter Hildebrandt 1990 zitiert Venske mit Genugtuung die „düstere Erkenntnis“: „Wenn die Wiedervereinigung vollzogen ist, dann steht fest: der Zweite Weltkrieg wurde vergeblich geführt, und wenn die Mauer ganz und gar verschwunden ist, dann ist auch das letzte Zeichen für den verlorenen Krieg verschwunden.“ Keine Ahnung von Geschichte haben und die deutsche Teilung für die „Strafe“ für Auschwitz halten – das ist O-Ton linker Salon. Wenn man es küchenpsychologisch sieht: da ist er wieder, der kleine Henning, der einen Grund für seinen Hunger sucht.

Henning Venske biografisches Werk leidet nicht unter Komplexität, vieles wird humorlos abgehakt, ausgefeilte Prosa sucht der Leser vergebens. Kein einziges der alten programmatischen Gepäckstücke wird im Laufe der Erzählung abgelegt, Selbsterkenntnis oder gar –kritik ist nicht die Sache des Autors. Doch, einmal blitzt etwas auf, als es um den Tod seiner beiden einst drogenabhängigen Kinder Nicolaus und Louise geht, womöglich in Spätfolge. Hat das vielleicht doch mit ihm zu tun, mit seinem eigenen Shitkonsum, den er, wie er sagt, romantisch verklärt habe und der ihm „schwarze Melancholie“ eingebrockt hat?
Das ist der Moment, wo man den 75jährigen Venske schütteln und an den sechsjährigen Henning erinnern möchte, an ein Kind, das man heute traumatisiert nennen würde. Manchmal werden aus solchen Kindern tieftraurige Erwachsene.

Über Henning Venske, Es war mir ein Vergnügen. Eine Biographie, 441 Seiten, Westend Verlag Frankfurt am Main 2014, in: FAZ,25. Oktober 2014

Wir Untertanen.

  Reden wir mal nicht über das Versagen der Bundes- und Landesregierungen, einzelner Minister, der Frau Kanzler. Dazu ist im Grunde alles ge...