Donnerstag, 15. Januar 2015

Generalverdacht

Man sah Ulli Wickert an, wie sehr ihm das gefiel: dass die Franzosen sich nach den Morden an Journalisten und Juden durch islaminspirierte Terroristen als ein Volk fühlen, dass sie zu ihren Werten stehen - und dass sie die Marseillaise singen. Ein ziemlich martialisches Lied, übrigens, in dem aufgefordert wird, Ströme von unreinem Blut zu vergießen, Blut ausländischer Horden, die über französische Heime gebieten und Söhnen und Gattinnen die Kehle durchschneiden wollen. Honi soit qui mal y pense. Gegen die Marseillaise ist „Deutschland über alles“ ein Wiegenlied.
Wir Deutschen sind da anders. Dass man sich hierzulande als ein Volk sieht, dass im Bewusstsein seiner Werte gemeinsam gegen Terror steht, kann uns gewiss niemand nachsagen. Im Gegenteil: wir sind uns selbst am meisten verdächtig, und insbesondere Politiker fühlen sich verpflichtet, die Dummdeutschen zur Ordnung und zum Selbstverständlichen aufzurufen: nämlich nicht alle Muslime unter „Generalverdacht“ zu stellen. Hierzulande gilt nicht die Meinungsfreiheit als bedroht, man nimmt auch nur nebenbei zur Kenntnis, dass einer der französischen Terroristen Menschen ermordet hat, weil sie Juden sind. Nein: hier gilt es, Muslime vor einer imaginierten Gefahr zu schützen.

Gefahr droht ihnen, gewiss, jedoch nicht von einem Häuflein Demonstranten, dass in Dresden vor einer schleichenden Islamisierung warnt. Die meisten Opfer islamistischer Terroristen weltweit sind Muslime. Käme es da nicht darauf an, hierzulande Werte hoch zu halten, deretwegen viele Muslime in dieses Land gekommen sind: Freiheit, Individualität, Rechtsstaatlichkeit, Gleichberechtigung? Sollte man nicht meinen, dass ein Beschwichtigen des militanten Islamismus Verrat ist an all jenen, die der Freiheit wegen in dieses Land gekommen sind?

Doch in Deutschland steht der Feind nicht nur felsenfest rechts, er ist vor allem deutsch. Das haben wir so gelernt und das verlernen wir so schnell nicht wieder, und wenn das Muster nicht gleich ins Auge fällt, kann man mit ein bisschen Interpretation nachhelfen. Sensible Beobachter erkennen Nazis auch da, wo sie weder Glatzen tragen noch Springerstiefel oder Hakenkreuztatoos. Das sind dann eben „Nazis in Nadelstreifen“, oder, ein Hochamt der Einfühlung, „Latenznazis“, wie sie Sascha Lobo bei Pegida entdeckt hat, „also Leute, die rechtsextreme Positionen vertreten, ohne zu wissen oder wissen zu wollen, dass sie rechtsextrem sind.“ Deutsche unter Generalverdacht?

Das soll mal einer über Muslime sagen. Das wäre dann wohl „Islamrassismus“, eine besonders interessante Vokabel, die neuerdings die Runde macht. Demzufolge wäre der Islam keine Religion, der man anhängen kann oder nicht, sondern die unveränderliche Eigenschaft einer Person, er ist den Muslimen sozusagen genetisch eingeschrieben. Das entspricht der Auffassung muslimischer Rechtsgelehrter, demzufolge der Islam nichts ist, aus dem man austreten kann – Apostaten haben der reinen Lehre zufolge ihr Leben verwirkt. Den Ideologen des Islam aber gelingt es damit zugleich, Religionskritik zum Angriff auf ihre Anhänger umzudeuten. Und schon ist die Lage wieder klar und das Muster deutlich: wer den Islam kritisiert, ist Rassist. Also Nazi. Und Muslime sind noch im Nachhinein Opfer Hitlers.

Das ist im übrigen der Höhepunkt benevolenter Arroganz: auch die Terroristen nicht als Täter zu nehmen, sondern zu Opfern (der Verhältnisse) zu erklären. Immer wieder wird Fanatismus und Gewaltverherrlichung lächelnd verständnisvoll als Reaktion auf angebliche Ausgrenzung erklärt und verklärt. „Auf eine perverse Art artikuliert sich hier ein paternalistischer Gutmenschenrassismus, der auch 50 Jahre nach der Entkolonialisierung den muslimischen Anderen nicht als Subjekt seiner Geschichte begreifen kann, sondern nur als reagierendes Objekt westlichen Handelns.“ (Ernst Hillebrand) Dazu passt, dass der Antisemitismus des radikalen Islam heruntergespielt wird, die jüdischen Opfer sind Nebensache. Doch der Antisemitismus ist dem Islam eingeschrieben, man will es nur nicht zur Kenntnis nehmen.

Während die Franzosen geeint gegen islamischen Terrorismus auf die Straße gehen, machen sich deutsche Politiker um die Spaltung der Nation verdient. Ich weiß nicht, womit wir einen Justizminister wie Heiko Maas verdient haben, dem es wichtiger zu sein scheint, dem politischen Gegner eins auszuwischen als die Dinge beim Namen zu nennen: „Terrorismus ist keine Reaktion, sondern Vollstreckung eines politischen Anspruchs, der in der islamischen Theologie eingebettet ist.“ (Hamed Abdel-Samad). Statt dessen wird Pegida ihr Demonstrationsrecht bestritten. Lächerlicher noch: dort, heißt es, dürfe man nicht um die französischen Terroropfer trauern. Das darf offenbar nur, wer am staatlich organisierten „Aufstand der Anständigen“ teilnimmt. Mit Steuergeldern finanzierte Demonstrationen sind, nebenbei, der Gipfel politischer Verkommenheit.

Den Vogel allerdings hat der Zeitungsverlegerverband abgeschossen. In vielen Zeitungen ist eine Karikatur erschienen, in der Pegidademonstranten, die „Lügenpresse“ rufen, mit den Mördern von Charlie Hebdo gleichgesetzt wird: „Die reden nur! Wir tun was!!“

Da stockt einem der Atem. Als ob die radikale Verhohnepiepelung des Islam durch Charlie Hebdo gemeint sei, wenn man in Dresden „Lügenpresse“ ruft. Mir scheint hier, im Gegenteil, der Terrorangriff von Paris instrumentalisiert zu werden für mediales Selbstlob. So schottet man sich ab gegen Kritik.
Ach, übrigens: auch, wenn man den Vorwurf der Lügenpresse nicht für gerechtfertigt hält, kann einem schon mal auffallen, dass Bilder trügen. Da ist etwa dieses herzzerreißende Foto, das Angela Merkel mit geschlossenen Augen an der Schulter von Francois Hollande zeigt. Wer die Szene im Film gesehen hat, weiß, dass dies ein überaus flüchtiger Moment war, ohne Pathos und ohne große Bedeutung, den ein Fotograf zu seinem Glück gebannt hat und der nun zur Ikone wird.
Auch das Bild all der Staatsmänner und –frauen, die als Avantgarde für das Gute und gegen das Böse vor Millionen in Paris aufmarschieren, ist trügerisch. Ein anderes Bild zeigt, wie sich hinter ihnen ein leerer Platz auftut.

Erkennen wir hierzulande wirklich den Feind nur dann, wenn er rechts steht?

Ich gebe zu: derzeit wäre ich lieber Franzose. Die scheinen zu wissen, zu welchen Werten sie stehen. Wir hierzulande müssen noch üben. Hoffentlich nicht mehr allzulange.


Zuerst in: Wirtschaftswoche, 13. Januar 2015

2 Kommentare:

  1. »Lügenpresse« ist ja nur so ein Schlagwort, dass man nicht wörtlich nehmen darf. Die meisten derer die diesen Vorwurf vortragen meinen ja eher, dass sie den Eindruck haben mit selektiven Bildern und Nachrichten manipuliert zu werden. Dass ihnen ein Weltbild vorgegaugelt wird, welches aber immer weniger zum eigenen passt. Ob man dies schon Lüge nennen kann? Ich weiß nicht, als politisches Kampfwort, oder Ausdruck des Unbehagens über einen Zustand ist es legitim.

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  2. Gutmenschenrassismus! Treffend formuliert. Was auch geschieht im Namen des Islam oder von Muslimen, sie verstehen es, als Opfer der Umstände wahrgenommen zu werden. Schuld haben immer nur die anderen (ehemalige Kolonialmächte, der Westen, die Juden, die Ungläubigen). Solange man in dieser Situation (mehrheitlich) verharrt und noch Unterstützung erfährt, wird sich nichts ändern.
    Ändern muss sich der Islam, die muslimischen Gesellschaften. Und wir müssen unsere Haltung klarmachen, was für uns wichtig ist und was wir verteidigen wollen.

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