Donnerstag, 10. August 2017

Das EUGH-Urteil - alle Fragen bleiben offen


Ist das nicht ein bisschen waghalsig, dass Martin Schulz das "Flüchtlingsproblem" zum Wahlkampfthema machen möchte? Das soeben ergangene Grundsatzurteil des Europäischen Gerichtshofs stellt der Bundesregierung, an der neben der CDU ja auch die SPD beteiligt ist, ja diesbezüglich kein gutes Zeugnis aus und schon gar keinen Blankoscheck.
Es hat die Dublin-Verordnung bestätigt, wonach jene EU-Staaten für die Prüfung von Asylanträgen zuständig sind, in denen die Antragsteller zuerst eintreffen. Jeder Grenzübertritt in ein anderes Land als dieses ist demnach illegal, auch wenn dieses andere Land aus "humanitären Gründen" dazu einlädt. Klingt eindeutig: die ein halbes Jahr in Deutschland geübte Willkommenspolitik war nicht rechtens. Sagen die einen.
Die anderen meinen, ganz im Gegenteil, das Gericht habe die deutsche Willkommenspolitik im Nachhinein sanktioniert, denn es hat eingeräumt, dass ein Mitgliedsstaat sich - Zitat - "im Geist der Solidarität" selbst für zuständig erklären darf. Das wiederum decke Angela Merkels Politik.

Urteil bleibt interpretationswürdig

Ist damit die Sache vom Tisch? Mitnichten. Das Gericht bezieht sich lediglich auf die Prüfung von Asylanträgen, legitimiert damit aber nicht Einreise oder Durchreise. Auch erwächst aus dem Dürfen keine Pflicht. Mit anderen Worten: Die Sache ist interpretationswürdig und die meisten Fragen bleiben offen. Deutschland ist nur auf den ersten Blick fein raus. Denn mittlerweile bestreitet kaum jemand noch, dass nur wenige der Migrationswilligen eine Chance auf Asyl haben. Der Wunsch nach einem besseren Leben, so verständlich er ist, reicht dafür nicht aus. Doch in Zeiten freier Kommunikationsströme hat sich herumgesprochen, dass in Deutschland, das mit großzügigen Sozialleistungen lockt, fast jeder bleiben kann, der einmal dort angekommen ist. Wegen Deutschland also, so denken viele, haben die Frontstaaten an den EU-Außengrenzen ein Problem - und weil die Mitgliedsstaaten der EU sich nicht einigen können, wie ein vernünftiges Asylsystem aussehen soll.

Die Flüchtlingspolitik wird zur Zerreißprobe

Im Grunde hat die EU versagt. Zuerst hat man die Flüchtlingslager des UNHCR (UN Refugee Agency) im Nahen Osten austrocknen lassen. Dann hat man untätig zugesehen, wie sich die Menschen auf den Weg machten. All das, was eine "humanitäre Geste" nötig machte, auf die manche in Deutschland so stolz sind, hätte verhindert werden können.
Jetzt wird die Flüchtlingspolitik zur Zerreißprobe. Dem Alleingang von Angela Merkel im Herbst 2015 folgen längst die Alleingänge anderer. Ungarn und andere osteuropäische Staaten weigern sich beharrlich, die Folgen jener großzügigen Öffnung der Grenzen mitzutragen, die man Deutschland verdankt. Deutschland wiederum verdankt Ungarn die Schließung der Balkanroute, aber darüber spricht man nicht gern. Österreich ist mit seinem Außenminister Sebastian Kurz längst zum Gegenspieler der deutschen Regierung geworden. Und nun schert auch noch Frankreichs Staatspräsident Emmanuel Macron aus, jüngst in deutschen Medien zum großen Hoffnungsträger gekürt. Er will sogenannte Hotspots in Libyen einrichten, um Migranten ohne Chancen auf Asyl davon abzuhalten, es mithilfe von Schleusern und unter großen Gefahren für Leib und Leben übers Mittelmeer nach Europa zu versuchen. Das Vorhaben soll mit - oder ohne - die EU umgesetzt werden. Österreichs Sebastian Kurz ist dabei, auch mit Geld.

Das Parlament sollte in der Flüchtlingsfrage in Führung gehen

Damit wird offenkundig, dass man die EU als Ganzes nicht für handlungsfähig hält. Im Falle des Falles sind es die Nationalstaaten, die ihre eigenen Interessen wahren und die Regie übernehmen. Das allerdings heißt auch, dass deutsche Alleingänge nicht mit dem Verweis auf "Europa" legitimiert werden können. Daraus wiederum folgt: Über den Umgang mit dem Flüchtlingsproblem, das uns erhalten bleiben dürfte, auch solange aus Deutschland verlockende Botschaften kommen, hat nicht die Bundeskanzlerin zu entscheiden, sondern der deutsche Bundestag.
Wenn man Martin Schulz eins raten dürfte, dann genau dieses: Er möge aufhören, einen "europäischen Solidarpakt" für die Verteilung von Flüchtlingen zu fordern, das ist aussichtslos. Stattdessen sollte er das Thema nach Hause holen und zu einer offenen, ehrlichen Debatte einladen, ohne Denk- und Sprechverbote, wie sie nun schon seit zwei Jahren das Klima vergiften. Eine Diskussion ohne Nebelwerfer, bei der das Parlament tut, was es soll, nämlich in Führung gehen.
Aber ich fürchte, das ist nichts als die reine Utopie. Erst recht zwei Monate vor der Bundestagswahl.

http://www.ndr.de/info/sendungen/kommentare/EuGH-Urteil-Die-meisten-Fragen-bleiben-offen,dublin156.html

1 Kommentar:

  1. Nur die Einreise unter den damaligen Voraussetzungen von einem Dublin-Drittland in ein Dublin-Land gilt als illegal im Sinne des Artikel 13 der Dublin-III-Verordnung.

    Hierbei handelt es sich nur um die Unterscheidung der Qualiltät der Einreise von der Einreise mit Visum und der visafreien Einreise.


    An Dublin-Binnengrenzen löst eine Antragstellung nach Artikel 20 I das Asylzuständigkeitsbestimmungsverfahren aus.

    Zurückweisungen an Dublin-Binnengrenzen sieht die Dublin-Verordnung grundsätzlich nicht vor.

    Daher spekulierten einige Juristen, dass aufgrund der Dysfunktionalitäten im Dublin-Schengensystem eine Zurückweisung gerechtfertigt wäre. Der EuGH hat dem widersprochen. Dublin gilt auch in Ausnahmesituationen.

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