Warum schweigen die deutschen Intellektuellen zur derzeitigen Krise und zu Europa, fragt es neuerdings wieder im Feuilleton. Weil sie den Schlachtruf aus den 80er Jahren nicht mehr hören können und, weise geworden, wissen, dass die wichtigen Debatten heute im Wirtschaftsteil der Zeitungen und nicht mehr im Kulturteil stattfinden? Schön wär’s. Denn sie reden ja. Doch den einen hört man nicht zu – etwa Botho Strauß und Peter Sloterdijk, die Kluges zu sagen haben. Die aber stehen, wie es eine TV-Moderatorin unnachahmlich formulierte, „unter konservativem Verdacht.“ Dabei lassen sie sich nur eines zuschulden kommen: Sie argumentieren zur Sache und ohne den lächerlichen Gestus der Empörung, mit dem die alten Vokabeln der Systemkritik neuerdings wieder zirkuliert werden. Ist Denken konservativ?
Offenbar. Denn was jene Intellektuellen verkünden, die das Wasser nicht halten können, zeugt von einer zutiefst gestörten Wirklichkeitswahrnehmung. Oder von ewiger Treue zu altbackenen Bildern von den „Furien des Kapitals“, der „Macht des Geldes“ oder vom „verwilderten Finanzkapitalismus“, an dessen Drähten was baumelt? Natürlich: die Marionetten der politische Klasse. „Empört euch“-Tiraden, die bei DDR-Nostalgikern wohliges Schauern auslösen dürften. Mit Analyse hat das nichts zu tun.
So betreibt man vielmehr das Spiel all jener Nebelwerfer, über die zu reden wäre, wenn nicht „Banken“ und „Märkte“ als Sündenbock zur Verfügung stünden: die Politiker. Denn die derzeitige Krise ist keine Finanz- oder Bankenkrise, sie ist im wesentlichen von politisch Handelnden verursacht, die solange Staatsschulden angehäuft haben, bis auch die geduldigsten Gläubiger Zweifel an der Zahlungswilligkeit ihrer Schuldner bekamen. Natürlich wollten sie damit nichts als sozialstaatlich Gutes tun und haben mit strahlendem Optimismus auf immerwährendes Wirtschaftswachstum gesetzt. Man kann es auch brutaler sagen: So kauft man Wählerstimmen. Und auch die besten Absichten erzielen paradoxe Wirkungen. Was für die Gegenwart gelegen kommt, ist für die Zukunft Gift.
„Die Märkte“ sind nicht die Übeltäter, sondern die Überbringer der Botschaft, das notwendige Korrektiv, das aufklärende Moment gegen eine politische Elite, die von eigener Verantwortung nichts wissen will. Weshalb es mitnichten urdemokratisch ist, wenn sich einer, wie Papandreou in Griechenland, im Notfall aufs Volk und sein salomonisches Urteil herauszureden versucht. Das war ein Fluchtversuch, sonst nichts.
Wo bleibt der zündende Gedanke? Das Professoren-Rezept, die Politiker müssten wieder „mit den Leuten reden und nicht zu ihnen“, ist von rührender Naivität. Aber solche Herzensgüte passt zum angeblichen „Linksruck“, in dem nicht ein Spürchen theoretischer Anstrengung wahrzunehmen ist. Nein, es geht wahrlich kein Ruck durchs Land, es schwappt ein unbestimmtes Gefühl hindurch, ein Schrei nach Wärme & Menschlichkeit. Links ist, wo das Herz schlägt, das empfindet man bis in die (klein-) bürgerliche Mitte so. Wir haben es mit einem Aufschrei der Herzen zu tun, dem man offenbar mit keiner „kalten“ Analyse beikommen kann.
Das aber, die kalte Analyse, wäre eigentlich das Geschäft der Intellektuellen. Oder sagen wir es freundlicher: die kühle Vernunft, die Anstrengung des Verstandes. Solcherlei intellektuelles Bemühen aber hat keine gute Presse. Argumente sind unbeliebt. Harte Fakten, kalte Zahlen, „Statistiken, die den Menschen zur Nummer machen“, zählen spätestens seit der Sarrazin-Debatte nachgerade zu den Verbrechen gegen die Menschlichkeit. Politiker haben das schneller erkannt als manch anderer: heute wollen sie „die Menschen“ nicht mehr bloß „abholen“, sondern, ganz soziale Wärme, distanzlos „in den Arm nehmen“, ob die das schön finden oder nicht.
Klar: Wenn sowas links ist, muss ja alles andere rechts sein. Schon, wer sich seines Verstandes bedient und die Betroffenheitslyrik nicht mitsummt, ist demnach verdächtig. Obwohl man doch gemeinhin der Rechten nur Dumpfes unterstellt, gilt paradoxerweise zugleich die schneidende Kälte des Verstandes als obskur. Die geistige Landschaft wird damit nicht gerade bunter, denn zwischen links, wo das Herz schlägt, und rechts ist Niemandsland – leere Wüste anstelle einer belebten Landschaft, in der es einst liberale Standpunkte gab, bevor sie mit „neoliberal“ zum Synonym für „soziale Kälte“ oder „Marktradikalismus“ erklärt worden sind. Und in der „konservativ“ nicht in die rechte Schmuddelecke gehörte.
Heute wird „liberal“ nicht mehr mit den Freiheitsrechten des Individuums, sondern mit schrankenlosem, „entfesseltem“ Egoismus assoziiert, wobei der „Raubtierkapitalismus“ bereits um die Ecke lugt. Heute herrscht das Justemilieu, ein linkes Spießertum, eine Gefühlsschickeria, der es reicht, gegen Rechts „Gesicht zu zeigen“, statt sich ihres Verstandes zu bedienen.
Gewiss: Das geisterte immer schon durch deutsche Debatten, die Angst vor der Freiheit, die man von ihrem möglichen Missbrauch her diskutiert. Was sich „sozial“, „gerecht“ und „sicher“ nennt, gerät in diesen Verdacht erst gar nicht. Dabei empfinden viele Menschen als „sozial“ nur das, was ihnen nützt, auch wenn es auf Kosten anderer geht. Und manches Sicherheitsverlangen kann man auch risikoscheu und mutlos nennen.
Den Gefühlssozialismus stört das nicht. Links ist frei von Kategorien, auch der Marxschen, um die noch in der Sozialdemokratie der Weimarer Republik mit großer Gelehrsamkeit gestritten wurde. Nichts könnte den Unterschied zwischen damals und heute deutlicher machen als das Ende jener Übereinkunft, dass die linke Utopie keine Gefühlsangelegenheit sei, sondern streng wissenschaftlich begründet werden könne und auf einer Kritik des Bestehenden beruhe.
Kritik am Bestehenden? Also auch an Gefühlstatbeständen? Bloß nicht. Die Gefühlsschickeria hat das kritische Besteck beiseitegelegt. Kritik am Bestehenden endet dort, wo sie Besitzstände praktischer und moralischer Art berühren könnte.
Die Gefühlslinke ist nicht krisentauglich. Denn die heutige Lage bedarf einer kühlen Analyse. Und der Antwort auf die Frage, was übrigbleibt von einer Demokratie, die seit Jahrzehnten auf Wählerbestechung baut. Die einen haben die Schmiermittel mobilisiert, die anderen haben sie dankend angenommen. Jetzt ist die Blase geplatzt. Und selbst wenn man alle Reichen enteignen würde, bevor sie ins sichere Ausland geflohen sind: Nichts wird mehr sein wie zuvor.
Die Welt, 24. 11. 2011
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Großartig:-) Und wenn ich darf, werde ich ihnen demnächst auf dem Bauernmarkt auf der Konsti einen Schoppen ( nach Wahl) ausgeben.
AntwortenLöschenLiebe Frau Stephan,
AntwortenLöschenauf welche Bekundungen von Strauß und Sloterdijk nehmen Sie Bezug? Könnten Sie Links geben?
Klare Worte, treffende Analyse. Danke dafür. Und der Markt: Er ruft leider nicht mal zwischendurch an und sagt, dass man auf dem Holzweg ist. Er präsentiert Rechnungen, legt Schwachstellen offen. So auch hier: Das ist auch jetzt die Chance in der Krise, wenn man beherzt gegen die Verteilungs- und Schuldenmaschinerie vorgeht. Wie kommt Herr Schäuble dazu, weitere 26 Mrd. aufnehmen zu wollen, wenn die Steuereinnahmen üppiger ausfallen, als je zuvor geplant!?
AntwortenLöschenJa, Bravo Frau Stephan.
AntwortenLöschen.
Meine kurze, klare Zusammenfassung (die eigentlich von den "Intellektuellen" kommen müsste):
.
Wir mögen Europa, aber nicht diese EUdSSR.
Wir brauchen keinen Euro, sondern wertbeständiges Geld.
Wir wollen keine "Demokratie", die schon zur Diktatur verkommen ist.
Wir brauchen echte Freiheit und Pflicht zur Verantwortung statt Sklaverei,
echtes Eigentum statt Enteignungsgefahr durch Inflation oder Währungscrash,
echte Marktwitschaft statt "alternativloser" Planwirtschaft.
Wir brauchen ehrliche Informationen und keine vorgetäuschten Seuchen, Klimakatastrophen, Terrorgefahren und Angriffskrieg-Rechtfertigungen.
Zwangsfinanzierung des asozialen "Sozial"staats und der Staatspropaganda ist Freiheitsberaubung.
Wir haben etwas gegen hauptberufliche Schmarotzer und Kriminelle, egal welcher Herkunft und Religion.
Dies ist UNSER LAND, wer unsere Rechte nicht vertritt (Politiker, Juristen, Lehrer...) oder andere will (Scharia), soll verschwinden.
Wer uns dann nahelegt selbst auszuwandern, will dieses Land zerstören.
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Nichts wird mehr sein wie zuvor." meinen Sie?
Doch, es wird wie jedesmal im vorigen Jahrhundert in Krieg, Elend und Währungscrash enden. Ob es noch ein Aufbau-Wunder geben wird? Eher nicht. Siehe "Dreierkriege"
Und wenn es "nur" crasht (wird überwiegend vorsätzlich inszeniert), wodurch sollte diesmal die Umkehr zum Besseren herrühren? Vom überwiegend lethargischen und gehirngewaschenen TV-Gebildeten? Von welcher Elite (hier gibt es keine mehr)?
Durch Revolution? Mal "Animal-Farm" lesen. Die wäre auch nur fremdgesteuert und Weg in neues Elend....
Nein, das alles ist Fahrplan in ein orwellartiges 4. Reich (meinetwegen auch in Huxleys "Schöne neue Welt").
Seit Jahrhunderten beuten Regierungen das Volk aus und verheizen es in Kriegen (bevor der Betrug Folgen hätte).
Warum? Weil es sich bewährt hat (für machtgierige und unmoralische "Menschen").
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Das System hat ein 18jähriger Franzose schon vor rund 500 Jahren in "Étienne de La Boëtie - Von der freiwilligen Knechtschaft des Menschen" exakt beschrieben.