Freitag, 15. Juni 2018

Generalverdacht rettet Menschenleben


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I
Maria, Mia, und jetzt Susanna: von Männern ermordet, die seit 2015 nach Deutschland gekommen sind. Einzelfälle, gewiss. Nicht alle, die der großzügigen Einladung der Bundesregierung gefolgt sind, sind Terroristen, Sozialschmarotzer, Betrüger, Drogendealer, Kleinkriminelle, Mörder und Totschläger. Doch man konnte schon 2015 wissen: Wenn alle Türen offen stehen, wenn vollmundig allen, die das Wort „Asyl“ aussprechen können oder sich rechtzeitig einen syrischen Pass besorgt haben, Eintritt in ein attraktives System der Fürsorge gewährt wird, lockt man auch solche Trittbrettfahrer an.
Nun, wer mit Süßspeisen lockt, sollte sich nicht wundern, wenn alle zugreifen. Schließlich ist es niemandem zu verübeln, wenn er seinen Vorteil dort sucht, wo so viel Gutes so warmherzig angeboten wird. Es war abzusehen, dass es nicht vor allem Hilfsbedürftige sein würden, die da Einlass begehrten.
Merkels Entscheidung, die Grenzen nicht zu schließen, hat einen umfassenden Kontrollverlust des Staates ausgelöst – keine der zuständigen Institutionen, vom BaMF bis zu den Gerichten, war auf diesen Ansturm eingestellt. Kurz: wir wissen noch heute nicht, wer alles warum zu uns gekommen ist, geschweige denn, wer bleiben darf, denn abgeschoben wird kaum einer.
Und deshalb geht es nicht ohne jenen Generalverdacht, vor dem unermüdlich gewarnt wird, so leid es einem um all diejenigen tut, die der Verdacht zu Unrecht trifft und die unser Mitgefühl und unsere Hilfe verdienen. Es ist nicht ihre Schuld. Es ist auch nicht die Schuld von deutschen Rassisten, Fremdenhassern und „Rechten“. Das ist ein längst durchschautes Ablenkungsmanöver. Die Verantwortung liegt, wie sie nun selbst zugegeben hat, ganz bei der Kanzlerin.

Zurück zu Susanna, 14 Jahre alt, geschminkt und frühreif wirkend. Hat niemand sie gewarnt vor der Gesellschaft junger Asylbewerber, die sie offenbar suchte? Vielleicht schon. Doch in diesem Alter hören abenteuerlustige Mädchen nicht unbedingt auf mütterliche oder väterliche Ratschläge, die ja vor allem zu warnen pflegen, was Spaß macht. Die nicht so braven Mädchen finden die käsigen Jungs langweilig, die sie schon seit dem Kindergarten oder der Schule kennen. Da sind die fremden Männer weit attraktiver, die sich nicht nur im Aussehen so deutlich unterscheiden. Sie haben eine abenteuerliche Reise hinter sich, vulgo „Flucht“, sie geben sich stolz, sie haben „Ehre“, sie sind keine Weicheier wie so ein langweiliger Deutscher, kurz: sie sind attraktiv und versprechen Aufregung.
Und heißt es nicht in der Öffentlichkeit der Gutmeinenden, man müsse sich den Fremden gegenüber aufgeschlossen zeigen, sie willkommen heißen, sich ihnen vorurteilsfrei nähern? Man dürfe keine „diffuse Angst“ haben oder gar, genau, unter diesem bösen „Generalverdacht“ leiden? Wem glaubt ein junges Mädchen mehr, den Eltern oder dem, was sie im Fernsehen oder Radio hört?
Seit Monaten wird jungen Menschen das ganz normale Verhalten ausgeredet, nämlich gegenüber Fremden vorsichtig zu sein. Susanna tat nur, was die Gutmeinenden empfahlen. Die warnten nicht vor den jungen Männern aus Afrika oder dem Orient, sondern beschäftigten sich lieber mit Kampagnen aufrechter Feministinnen gegen die toxische Männlichkeit des weißen Mannes, der schon beim Flirt oder per Kompliment Gewalt ausübe. Wir lernen: Beim weißen Mann kommt es nicht so aufs Differenzieren an. Jörg Kachelmann durfte man bekanntlich monatelang vorverurteilen.
Die Kämpferinnen gegen den westlich geprägten (nicht nur alten) weißen Mann haben offenbar noch immer nicht gemerkt, dass sich ihr Generalverdacht an die falsche Adresse richtet und dass sie sich mit einer anderen weit toxischeren Männlichkeit gemein machen. Dass seit 2015 vermehrt Männer mit gänzlich anderen Verhaltensmustern als die, an die wir uns hier zulande gewöhnt haben, zu uns gestoßen sind, dass sie insbesondere ein anderes Verhältnis zu Frauen haben, das weit gefährlicher sein kann.
Kulturelle Differenzen machen das Leben nicht nur bunt und lustig und weltoffen und verschwinden im übrigen auch nicht mit dem Deutschkurs. Das Frauenbild, das Männer mitbringen, die aus paternalistisch und islamisch geprägten Kulturen kommen, ist das krasse Gegenteil dessen, was man in Deutschland hochhält. Nicht nur Frauen sollten das begreifen. Auch Männer.
Für beide gibt es eine Gebrauchsanleitung in einem Buch von Antje Sievers:  Tanz im Orientexpress – eine feministische Islamkritik

II
Auch der gut erzogene neue deutsche Mann muss aufpassen. Er hat gelernt, lieber ein nettes Wort zu wenig als eins zu viel zu sagen. Er weiß jetzt, dass jede Jugendsünde noch nach Jahrzehnten den öffentlichen Schandpfahl und den Verlust von Ruf und Karriere nach sich ziehen kann, weshalb er schon heute kein Risiko mehr eingeht. Sollte ihm wider Erwarten doch noch eine Beziehung gelungen sein, sieht man ihn mit Beanie auf dem Kopf und Baby vorm Bauch traurigen Blicks durch die Fußgängerzone ziehen, wobei er auch das mit dem Baby ganz gewiss nicht richtig macht. Oder hat er es vor dem Windelwechseln vielleichtordnungsgemäß gefragt?
Und jetzt das. Nicht nur #Metoo-Aktivistinnen, die den weißen Mann generalverdächtigen, machen ihm das Leben schwer, auch andere Kerle haben ihm den Krieg erklärt. Die Attacken auf feiernde Frauen etwa am Silvesterabend 2015 in Köln hatten ja keineswegs nur oder vor allem die Frauen zum Ziel. Sie sollten den einheimischen Männern demonstrieren, dass sie nicht in der Lage sind, ihre Töchter, Freundinnen, Schwestern, Frauen, Mütter zu beschützen, wenn anders sozialisierte Männer es auf Belästigung und Schlimmeres anlegen. Die Silvesternacht 2015 markiert die Krise des weißen deutschen Mannes, der hilflos zwischen den Fronten steht: hie wütende Aktivistinnen, die es darauf anlegen, ihn des Verbrechens gegen die Frau, wann und wie auch immer, zu überführen, dort die Konkurrenz durch übergriffige Machos, die ihm ebenfalls beweisen, dass alles brav Gelernte für die Katz ist.
Denn es gibt ja auch andere Frauen, jung und alt, die den Macho vorziehen, so einen jungen Orientalen, der viele schöne Worte um Stolz und Ehre macht und noch Liebesschwüre kennt wie „du bist mein Mond, mein Augenlicht, meine Nacht“. Erst, wenn sich die Annalenas und Hannahs von dem gefühlvollen Anbeter trennen wollen, merken sie, was unter den schönen Worten und dem Stolz und der Ehre verborgen liegt: Zorn. Gekränkter Stolz kann tödlich sein. Ein Messer findet sich schließlich an jeder Ecke.
Doch was ist mit dem Happyend? Was, wenn die romantische Beziehung zwischen Annalena und Kamal zwar nicht in die Kirche, aber zur Heirat führt? Mit hoher Wahrscheinlichkeit hat sich damit die Beziehung grundlegend geändert. Annalena gehört jetzt nicht nur zur, sondern sie gehört  der Familie. In der paternalistischen Welt der Clans zählen das Individuum und seine Gefühle wenig, hier nimmt die neue Schwiegertochter eine Rolle ein – meist die ganz hinten. Sie darf die Toilette putzen, solange sie nicht Söhne geboren hat. Je mehr Söhne, desto höher der Status im Familienclan. Das dürfte der Grund dafür sein, dass diese Jungs sich auch als Männer wie Prinzen fühlen, denen die Welt zu Füßen zu liegen hat, weshalb sie Anspruch auf „Respekt“ zu haben glauben, ohne sich das Recht darauf jemals erwerben zu müssen. Der Glaube tut sein übriges: im Islam gelten Frauen nicht viel.
Es lohnt sich, das christliche Ehebild mit dem in paternalistischen Strukturen zu vergleichen.
Die christliche Definition von Ehe und Familie richtete sich auf die Entmachtung der Familienclans. Bis zum 7. Jahrhundert setzte die christliche Kirche in Europa erfolgreich Heiratsverbote durch (etwa unter Vettern und Kusinen), schaffte die uralte Tradition der Adoption zur Sicherung einer legitimen Erbfolge ab und schränkte generell familiäre Strategien zur Besitzakkumulation ein. Manche sehen die Kirche sogar als Vorkämpferin des Individualismus, weil sie die Gattenehe aufgrund gegenseitiger Zuneigung präferierte anstelle der nur der Familie und deren Machtsicherung durch Bündnispolitik dienenden Zweck- und Zwangsehe. Nicht die Liebe, wohl aber die Liebesehe gibt es vornehmlich in der christlichen Welt.
In paternalistischen Strukturen aber dient die Ehe ausschließlich dem Clan.
Sicher, es gibt Beispiele dafür, dass Ehen von Menschen aus so unterschiedlichen Kulturen wie Islam und Christentum für beide Seiten gutgehen. Und doch scheinen sich die Verhältnisse zuungunsten solcher Bindungen verändert zu haben, jedenfalls sofern es den islamisch geprägten Kulturkreis betrifft. Das dürfte an der dort seit Jahrzehnten zunehmenden Orthodoxie liegen, an der Abkehr von der Moderne, an der Rückkehr zu den reaktionärsten Formen des Geschlechterverhältnisses. Und womöglich ist das kontrollierende und gewalttätige Verhalten gegenüber ihren Frauen bei orientalischen Männer im Westen sogar noch extremer: sie fürchten, dass ihre Frauen sich ein Beispiel an den emanzipierten Weibern nehmen könnten, die selbst bestimmen, mit wem sie wann welchen Kontakt haben.
Diese und andere Beobachtungen finden sich bei Antje Sievers anschaulich beschrieben. Die Achgut-Autorin betrachtet den Prozess zurück zur Steinzeit aus einem ungewöhnlichen Blickwinkel: aus der Nabelschau, nämlich aus dem Bauchtanz. Sievers war fünfundzwanzig Jahre lang Bauchtänzerin, gab siebzehn Jahre lang Unterricht, hat auf türkischen und arabischen Hochzeiten getanzt. Sie erinnert an den Anfang der achtziger Jahre, als der Bauchtanz in Deutschland seine Blütezeit hatte, als es deutsche, türkische, arabische Bauchtänzerinnen gab, Tanzpartys und Bühnenshows. Doch mehr und mehr veränderte sich das Publikum, die Frauen wurden sittsamer oder blieben ganz weg, die früher beliebte Bauchtänzerin wurde zur Hure und „Sohn einer Tänzerin“ zur Beleidigung.
Sievers‘ Einblick in die „fremde Kultur“, die uns und ihr immer fremder wird, ist in jeder Hinsicht erhellend. Das, was wir hierzulande für zivilisatorischen Fortschritt halten – ruhige Rede bei Konflikten, keine Gewalt – wird auf der anderen Seite als Schwäche ausgelegt. Eine Vielzahl der erst seit kurzem nach Deutschland Gekommenen hat „noch nie in einem wirklich demokratischen Land gelebt, kann mit dem leistungsorientierten europäischen Arbeitskonzept nichts anfangen, sieht Frauen nicht als gleichberechtigte Wesen und weiß nichts davon, dass es Länder auf der Welt gibt, wo Kindesmisshandlung und Tierquälerei verboten sind und die Polizei keine Folter anwenden darf.“ Ihnen ist die Zurückhaltung der Polizei ebenso fremd wie eine milde Rechtsprechung und eine verständnisvolle Öffentlichkeit. Und sie haben ein anderes Verhältnis zur Wahrheit – sie gilt als unhöflich.
Mütter, gebt das Buch euren Töchtern! Und euren Söhnen. Womöglich müssen sie umschulen: vom „neuen Mann“ zu einem, der sich wehren kann.


Dienstag, 12. Juni 2018

Männliche Kulturen der Selbstdisziplinierung



Frauen das friedliche, Männer das gewalttätige Geschlecht? Obwohl Frauen als Mörder und Totschläger statistisch weniger auffällig werden, ist die Sache weitaus komplexer.
Gewalt ist kein Charaktermerkmal ausschließlich von Männern, auch Frauen sind, auf je spezifische Weise, zu Grausamkeiten aller Art in der Lage. Auch waren und sind sie weder nur Opfer noch Unbeteiligte. Zu allen Zeiten und in allen Kulturen applaudierten Frauen männlicher Gewalt, forderten Männer und Söhne dazu auf, in die Schlacht zu ziehen, zur Verteidigung von Clan, Stamm oder Vaterland. Oder sie amüsierten sich in den Arenen bei blutigen Schaukämpfen.
Sie waren, als diejenigen, die für den Erhalt der Gattung zuständig waren, begehrte Beute und kostbare Ressource. Sie waren Anstifterinnen, Ursachen, Ziele und Opfer zugleich. Und nicht nur Jeanne d’Arc war aktiv beteiligt am Krieg, wie eine Ausstellung im Militärhistorischen Museum in Dresden zeigt.
Sie spielten ihre Rolle im Tross, als Prostituierte und Marketenderinnen, sie versorgten als Krankenschwestern Verwundete, sie leisteten Dienste hinter der Front, sie waren ausschlaggebend in der Kriegsproduktion.
Sie waren mitnichten vor allem Opfer. Bis ins 20. Jahrhundert stellen Männer die meisten Opfer des Krieges, so wie vor allem Männer Opfer von männlicher Gewalt sind. Selbst sexualisierte Gewalt gegen Frauen wird von Männern oft als Demütigung anderer Männer verstanden und eingesetzt – das gilt für Massenvergewaltigungen durch die Sieger im Krieg ebenso wie für sexuelle Übergriffe von Männern aus stark paternalistisch geprägten Kulturen, wie man sie zu Silvester 2015 in Köln und anderswo erlebt hat. Männer demütigen andere Männer, indem sie ihnen handgreiflich demonstrieren, dass sie nicht in der Lage sind, ihre Frauen, Schwestern und Töchter zu beschützen.
Ohne Männer gäbe es keinen Krieg? Sicher. Dasselbe lässt sich von den Frauen sagen.

Teilen wir uns also den Schaden, möchte man denken. Im Verteidigungsfall müssen eben beide Geschlechter ins Gefecht ziehen. Noch nie waren die Bedingungen dafür so günstig wie heute. Gewaltausübung im Kriegsfall bedarf keiner besonderen Befähigung oder eines aufwendigen Trainings mehr, jedenfalls nicht mehr so wie einst, als das Kriegshandwerk ein Monopol derjenigen war, die körperliche Kraft besaßen und die nicht, etwa durch Schwangerschaften, am beständigen Üben gehindert waren. Menschliche Kulturen haben über tausende von Jahren das Waffenmonopol einer Kriegerkaste gekannt, in Japan mit den Samurai sogar bis ins 19. Jahrhundert hinein.
Warum? Schwertkampf will ebenso geübt sein wie Reiten und Bogenschießen. Das ist das eine. Das andere: Gewaltausübung und Krieg durch Stellvertreter entlastet die Gemeinschaft, die sich ja auch noch um anderes kümmern muss, etwa um Behausung und Lebensmittel. Und nicht zuletzt beschäftigte das Kriegshandwerk all die jungen Männer, die als dritte, vierte, fünfte Söhne weder erben noch heiraten durften und frustriert in hellen Scharen durchs Land marodierten, ein Problem, das an der Wiege des mittelalterlichen Rittertums stand.
Das ist heute anders. Moderne Waffen sind im Wortsinn kinderleicht zu bedienen. Ihre Handhabung ist also nicht mehr auf jene beschränkt, die das mühevoll lernen mussten – man denke an so anspruchsvolle Waffen wie das Schwert, den Bogen oder die Muskete. Die modernen Massenkriege des 19. und 20. Jahrhunderts wurden ermöglicht durch einfach zu bedienende und in Massen produzierte Waffen.
Ein Heckler & Koch verallgemeinert Krieg. Weder Waffenkunst noch Tradition stehen Frauen also heute noch im Weg. Ein Sieg der Gleichberechtigung ist das weniger als vielmehr der Mangel an männlichem „Menschenmaterial“. Unser „Kriegsindex“ ist historisch niedrig. Eine im Schnitt ältere Gesellschaft ist schon deshalb eine friedfertigere.
Es gibt immer weniger wehrtaugliche junge Männer, während junge Frauen nicht mehr dazu verurteilt sind, ihre Tage schwanger oder im Kindbett zu verbringen. Nichts scheint also dagegen zu sprechen, die Armee für Männer wie Frauen zu öffnen, zumal es auch hinter der Front reichlich zu tun gibt. Und nichts spräche gegen eine allgemeine Wehrpflicht auch für Frauen. Darüber aber ist im Gleichstellungsdiskurs merkwürdigerweise selten die Rede.
Der israelische Militärhistoriker Martin van Creveld erkennt im Zustrom von Frauen zum Militär allerdings keinen Sieg für die Frauen, sondern hält das für ein Zeichen dafür, dass die entwickelten Länder keine Kriege sui generis mehr führten. Dort, wo das noch der Fall sei, in Gesellschaften mit vielen jungen Männern, gäbe es in den Streitkräften so gut wie keine Frauen.
Die israelische Armee wäre als Gegenbeispiel zu nennen. Andererseits signalisiert dort die Beteiligung der Frauen, wie sehr sich das Land im permanenten Verteidigungszustand befindet. Eine ganze Gesellschaft unter Waffen ist kein wünschenswerter Zustand, höchstens eine bittere Notwendigkeit. Und in Zeiten sogenannter „Volkskriege“ erscheinen männliche Stellvertreterkriege erst recht als nachgerade zivilisatorische Errungenschaften.
Deshalb sei hier eine Lanze für die Männer gebrochen - eine Lanze für eine männliche Kultur des Krieges.
Kultur des Krieges – genau. Männliche Gewalt hat ihre dunkle und ihre helle Seite. Denn es ist Männern, nicht Frauen, gelungen, der Kriegsgewalt eine Form zu geben, die sie bremst, die sie einhegt, die sie beschränkt und die dazu beigetragen hat, dass die Menschheit sich noch nicht ausgerottet hat, was geschehen wäre, wenn es in Kriegen immer schon und generell um die möglichst gründliche Vernichtung des Gegners ginge.
Tatsächlich gab es kriegerische Kulturen, denen es weit vor der kriegsvölkerrechtlichen Kodifizierung im 19. Jahrhundert gelang, einen stellvertretenden Krieg nach Regeln zu führen, der das Gewebe der jeweiligen Gesellschaften nicht zerstörte.
So verabredeten sich die freien Bauern im Griechenland des 7. bis 4. Jahrhunderts vor unserer Zeitrechnung im Streitfall zum Kampf auf einem abgelegenen Schlachtfeld. Eine Hopliten-Phalanx umfasste vielleicht 100 Mann in einer Reihe, 4 bis 25 Mann tief, in Brustpanzer, Helm und Beinschienen, in der Linken den Schild, mit dem zugleich die rechte Seite des Nebenmannes geschützt wurde, in der Rechten den Speer. Jeder Mann zwischen, sagen wir: 16 und 60 konnte sich in diese Phalanx einreihen, es gab keine Hierarchie und erst recht kein individuelles Heldentum, Alleingänge hätten die Phalanx gesprengt und alle in Todesgefahr gebracht.
Man muss sich die Sache äußerst brutal vorstellen: Unter sengender Sonne rannten die gerüsteten Männer aufeinander zu. Nach dem Zusammenprall begannen sie in fest geschlossenen Reihen mit aller Kraft zu drücken, um die Phalanx des Gegners zu sprengen. Wenn eine Phalanx brach, war die Schlacht vorbei – eine Entscheidung, so einfach und so klar wie ein demokratischer Mehrheitsentscheid. Darin lag ihr Vorteil: die Schlacht kostete nicht viel Zeit, man brauchte keine besondere Ausbildung dafür, also gab es kein Spezialistentum und damit auch keine Kriegerkaste, deren Unterhalt kostspielig gewesen wäre.
Auch die mittelalterlichen Ritter stehen für den erfolgreichen Versuch, Krieg und Gewalt einzuhegen. Sie sind vielleicht das beste Beispiel für die Selbstdisziplinierung gewalttätiger Männer – nämlich genau jener „überflüssigen“ Söhne, die im frühen Mittelalter weder das Erbe antreten noch zum Klerus gehen konnten, statt dessen auf Raubzüge gingen und zu einer Landplage wurden. Ritterturniere holten die jungen Männer von der Straße, das Reiterspiel galt nicht nur der Ausbildung gepanzerter Reiter, es bot auch den Erfolgreichen unter den Rittern eine legale Einnahmequelle. Man kämpfte dabei nach strengen Regeln und um die Gunst der Damen, Vorteilsnahme und Distanzwaffen galten als unritterlich, da sie, man staune, „tödlich“ seien. Denn der Sinn der Schlacht lag nicht im möglichst effizienten Töten des Gegners, sondern in der Herbeiführung einer Entscheidung, die den Charakter eines Rechtsverfahrens hatte.
Die offene Feldschlacht ersparte überdies der Bevölkerung die kriegerische Aktion, sie erfüllte das Diktum Friedrichs des Großen, wonach der Bürger nicht merken solle, wenn der König seine Bataillen schlägt.
Seinen Höhepunkt erlebte der eingehegte Krieg in den sogenannten Kabinettskriegen der Zeit nach dem verheerenden 30jährigen Krieg. Man ersetzte im späten 17. Jahrhundert die undiszipinierten Söldnerscharen durch wohlausgebildete Soldaten stehender Heere und fragte sich, ob man dieses herrliche Spielzeug der Könige wirklich in etwas so blutigem wie einer Schlacht aufs Spiel setzen sollte. Da diese Heere sich zwecks Schonung der Bevölkerung nicht mehr vom Land ernährten, durch das sie zogen, sondern sich mit Proviant aus Depots entlang der Aufmarschrouten versorgen mussten, genügte es, den Gegner von seinen Nachschublinien abzuschneiden, und schon war die Sache entschieden, ohne dass das „Spielzeug der Könige“ Schaden nahm. Napoleon machte diesem (von Clausewitz als unernst verachteten) „bloßen“ Spiel ein Ende – wie so oft in der Geschichte siegt auch hier derjenige, der sich an die Regeln nicht hält. Die Kosten trugen die von ihm „befreiten“ Völker – so wie es auch selbsternannte Befreiungskämpfer im „Volkskrieg“ halten.
Ja, Männer und Frauen unterscheiden sich. Im Unterschied zu Frauen haben Männer Kulturen der Selbstdisziplinierung entwickelt und als Stellvertreter den Frauen manches erspart. Manch schriller Angriff auf den Mann, insbesondere den „alten weißen Mann“, erinnert heute eher an das unfreundliche Diktum Friedrich Schillers in seiner „Glocke“: „Da werden Weiber zu Hyänen und treiben mit Entsetzen Scherz“.
Männer und Frauen sind nicht gleich, aber sie kooperieren im Guten wie im Schlechten. Das macht die Frauen weniger edel und die Männer weniger schurkisch. Mit dieser banalen Einsicht wären wir einen großen Schritt weiter.

Der Text beruht auf einem Vortrag zur Eröffnung der Ausstellung „Gewalt und Geschlecht“ im Militärhistorischen Museum in Dresden am 26. April 2018, zuerst in der NZZ vom 11. Juni 2018.


Wir Untertanen.

  Reden wir mal nicht über das Versagen der Bundes- und Landesregierungen, einzelner Minister, der Frau Kanzler. Dazu ist im Grunde alles ge...