Kommentar von Markus Vahlefeld zu "Stephans Spitzen" und der wiwo:
http://www.achgut.com/artikel/das_stinken_des_fisches
Mittwoch, 24. Mai 2017
Montag, 22. Mai 2017
Was wiwo online nicht weiter verbreiten wollte...
Seit Januar 2015 gab es bei wiwo online Stephans Spitzen, erst jede Woche Dienstag, dann jede zweite Woche. Die Kolumne vom 10. April erschien nur kurz, dann wurde sie offline genommen. Warum?
Wer sich alles an Afrika versündigt hat
„Wir haben uns in der Kolonialzeit an Afrika versündigt“,
sagte die Kanzlerin jüngst auf einem Treffen vieler ehrenamtlicher Helfer während
und seit der Migrationskrise vom September 2015. Hm. Wen meinte sie wohl mit „wir“? Der pluralis majestatis kann es nicht gewesen
sein, denn zur Kolonialzeit war die Kanzlerin noch nicht geboren. Der Verdacht
und der Anlass legen nahe, dass sie mit „wir“ allen Deutschen nahelegen wollte,
heute als Sünder für damals Buße zu tun. Man kennt das ja: die Neigung der
Deutschen zu Schuldbewusstsein ist ein Hebel, der gern bedient wird, wenn es um
das Einfordern ihrer Hilfsbereitschaft geht.
Doch zum einen gibt es keine Erbsünde und zum anderen waren
die Deutschen anno dazumal keineswegs die allergrößten Sünder.
Überhaupt: das Wort „sündigen“ ist in diesem Kontext ein
weites Feld. Sieht man mal von „wir“ und „wer“ ab: was genau ist damals
geschehen, das man als Sünde bezeichnen müsste, weil es kein anderes Wort dafür
gäbe – etwa politischer Fehler, menschliche Verrohung, andere Zeiten,
Verbrechen?
Der deutsche Kolonialbesitz (den Bismarck nie wollte) war
eher schmal und erst spät erlangt. Im „Wettlauf um Afrika“ in den 80er Jahren
des 19. Jahrhunderts kam das Kaiserreich nach den Franzosen, Briten und
Belgiern zu spät. Weder was Ausdehnung noch Ausbeutung oder Greuel betrifft,
kann sich das Deutsche Reich mit den anderen Kolonialmächten Ländern messen.
Gewiss, auch unter den deutschen Kolonialherren gab es üble Gestalten wie Carl
Peters, doch eine nicht zuletzt dank des sozialdemokratischen „Vorwärts“ und
den Reichstagsreden August Bebels überaus informierte und sensible
Öffentlichkeit sorgte dafür, dass solche Leute den guten Ruf der Deutschen
nicht lange beschmutzten – denn in der Tat: schon damals meinte man, alles
besser machen zu können und sollen als etwa die englischen „Krämerseelen“.
Welche Sünden also sind gemeint? Ein aktueller Konflikt mit
Namibia liegt nahe. 1904 hat sich in der damaligen Kolonie Deutsch-Südwestafrika
ein wahrlich unrühmliches Geschehen zugetragen. Der Stamm der Herero erhob sich
gegen die deutschen Kolonialbehörden, die den Kriegern zunächst unterlegen
waren. Nach monatelangen Kämpfen trieb eine „Schutztruppe" unter dem
Kommando von Generalleutnant Lothar von Trotha Tausende Herero in die fast
wasserlose Omaheke-Wüste, wo sie verdursteten. Womöglich kamen dabei 40.000 bis
60.000 Herero ums Leben. Im Jahre 2015 benannte die deutsche Bundesregierung
das Vorgehen der kaiserlichen Truppen als Völkermord. Nunmehr geht es um
Milliardensummen als Entschädigung für die Nachfahren der Herero –
möglicherweise ein Präzedenzfall, der auch zukünftig kosten könnte. Kann man
aber „Völkermord“ – die Sache selbst ist historisch durchaus nicht eindeutig
entschieden – als Sünde bezeichnen?
Es fällt nicht immer leicht, die Kanzlerin zu verstehen.
Versuchen wir es aus einem anderen Blickwinkel. Merkel
sprach in Hinblick auf das Treffen der G-20-Staaten am 7. und 8. Juli in
Hamburg, wo es vor allem um Afrika gehen soll. Die Grenzen zwischen den
afrikanischen Ländern seien von den damaligen Kolonialherren willkürlich
gezogen worden – „ohne Rücksicht auf die Gebiete der einzelnen Stämme“.
Tatsächlich: so geschah es mit der Abschlusserklärung von
1885 der „Kongo-Konferenz“, zu der Reichskanzler Bismarck Vertreter der
Kolonialmächte nach Berlin eingeladen hatte. Man teilte sich Afrika auf – mit
dem Lineal. Willkür? Aber sicher. Es gab allerdings vorher weder ein einiges
Afrika noch andere, „natürliche“ Grenzen.
Vor allem: liegt hier die Wurzel für das Elend Afrikas? Ist das die
„Sünde des weißen Mannes“, die auch Jahrzehnte nach der Entkolonialisierung
Afrikas beschworen werden muss, wenn man das Scheitern afrikanischer Staaten erklären und beheben
will?
„Wir müssen ein bisschen Leidenschaft für die Geschichte
Afrikas entwickeln, ansonsten werden wir auch nicht zueinanderkommen“, sagte
die Kanzlerin beim Gespräch mit den „Flüchtlingshelfern“. Das kann man nur
unterstreichen: Leidenschaft für die Geschichte eines Kontinents, die weit
komplizierter ist als die Erzählung der Kanzlerin von den Sünden des weißen
Mannes. Sie könnte vielleicht auch erklären, warum europäische
Entwicklungshilfe in den meisten Regionen Afrikas versickert ist – vor allem in
den Taschen von Stammesfürsten, die sich dank willkürlich gezogener Grenzen
heute Staatschefs nennen dürfen.
Aus der Geschichte der Kanzlerin aber ist wenig Sinnvolles
für die Zukunft zu lernen.
Gerechtigkeit! Ein Ruf wie Donnerhall.
Gerechtigkeit! Wer will sie nicht?
Schon deshalb zieht die SPD mit Martin Schulz unter diesem Banner
in die Schlacht. Ein Kampf für das, was alle wollen – das kann doch gar nicht
schief gehen!
Das Problem mit der Gerechtigkeit ist allerdings seit jeher,
dass jeder etwas anderes damit meint. Das, was die alte Klientel der SPD
darunter versteht, spricht die Partei jedenfalls nicht an: zum Beispiel die Entlastung
gerade der Haushalte mit mittlerem Einkommen vom Zugriff eines Staates, der
sich via kalter Progression mit jedem Hinzuverdienst bei ihnen über die Maßen bedient.
Derzeit verzeichnet der deutsche Staat milliardenschwere
Mehreinnahmen, zuzüglich zu den bereits vorhandenen. Ein Grund ist die gute
Konjunktur, ein weiterer die niedrigen Zinsen – die Geldpolitik der
Europäischen Zentralbank hat den Fiskus mittlerweile um fast eine
Viertelbillion Euro entlastet. Niedrige Zinsen sind prima für Schuldner, aber
schlecht für Sparer. Dazu aber gehören genau jene Leute, die einst zur
Stammgefolgschaft der Sozialdemokraten zählten, ganz zu schweigen von all
denen, die man für Wahlerfolge erst noch gewinnen muss. Auch die wissen, dass
das schöne Geld nicht vom Himmel gefallen ist, sondern von den Steuerzahlern
aufgebracht wurde.
Doch die SPD drückt sich davor, über Steuerentlastungen auch
nur zu sprechen. Und Martin Schulz hat erst Recht anderes vor. Sein
Schulterschluss mit dem frisch gewählten französischen Staatspräsidenten Macron
weist die Richtung: das Geld wird dringend gebraucht. Wofür? Ist doch klar: um
Frankreich unter die Arme zu greifen. Wegen Europa, wie Schulz die Europäische
Union nennt. Und um den Rechtspopulismus zu bekämpfen. Auch das leuchtet schließlich
jedem ein, oder?
Ja, man muss nur die Gefahr von Rechts bemühen, und schon
ist der Bürger fügsam. Glaubt man. In Wirklichkeit verbirgt sich hinter mancher
Warnung vor der realen (und der aufgebauschten) Gefahr die Verdrängung hausgemachter
Probleme. Nicht nur das konservative Lager, vor allem die klassische Linke ist schon
bei der Wahl in den Niederlanden gewaltig abgestraft worden. Und nun auch in
Frankreich. Emmanuel Macron ist keineswegs der strahlende Sieger angesichts der
großen Zahl der Wähler, die sich, wenn schon nicht für Le Pen, fürs Nicht- oder
Ungültigwählen entschieden haben.
Seine Pläne einer Europäisierung von Sozialleistungen und
eigener Steuerquellen für die EU sind insbesondere für Deutschland keine gute Nachricht,
sie laufen auf eine Transferunion hinaus, die naturgemäß das leistungsfähigste
Land am meisten belastet. Denn an echte Reformen, die Frankreich bitter nötig
hat, traut sich auch Macron nicht heran.
Glaubt man in der SPD wirklich, dass jetzt ein guter
Zeitpunkt ist, über einen europaweiten Sozialstaat nachzudenken? Womöglich gar
auf dem Niveau der deutschen Leistungen? Wo doch die anhaltende Zuwanderung schon
jetzt an die Grenzen des deutschen Sozialstaats geht, der nun mal auf eine
nationalstaatlich begrenzte Zahl Berechtigter beruht?
Alle, die über die Probleme unkontrollierter Zuwanderung im
Geiste der Menschenliebe nicht reden wollen, vergessen eines: offene Grenzen
und sozialstaatliche Leistungen für alle gehen nicht zusammen.
Vor allem aber haben die Sozialdemokraten um Schulz
versäumt, ein Problem aufzugreifen, das eine Mehrheit der Menschen beschäftigt,
die sich nunmal nicht als sozial Benachteiligte mit Gerechtigkeitsdefizit fühlen.
Es nennt sich „Sicherheit“. Der Kontrollverlust des Staates in der Zeit der
offenen Grenzen nach dem Herbst 2015 ist im Gedächtnis geblieben. Wer alles
nach Deutschland gekommen ist, aus welchen Gründen und mit welchen Zielen, ist
bis heute nicht gewiss. Dass sich sogar ein Bundeswehrsoldat erfolgreich als
syrischer Flüchtling hat ausgeben können, wird nicht dadurch in Vergessenheit
gebracht, dass nun eifrig nach Rechtsextremisten in der Bundeswehr gefahndet
wird. Dass die SPD Migrationsproblematik und Kontrollverlust des Staates nicht
thematisieren will, dürfte nicht nur ihren Anhängern wenig Freude bereiten.
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Gewiss: das Lager der Sozialdemokratie schrumpft europaweit,
das ist kein deutsches Problem. Ein Trost aber ist das nicht.
http://www.ndr.de/info/sendungen/kommentare/SPD-muss-muss-mehr-bieten-als-nur-Gerechtigkeit,sozialdemokratie102.html
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