Erhellende Erläuterungen des Ursprungs einer neuen Modebeschimpfung:
"Tatsächlich schockiert die Willfährigkeit, mit der wohlmeinende westliche Meinungsmacher unreflektiert ein Wort übernommen haben, das als Kampfbegriff im Norden Londons geboren wurde. Schon in einem französischen Buch von 1921 ist die Rede von einem „islamophoben Delirium“ eines Jesuiten („délire islamophobe“), und eine unbewiesene Theorie schreibt die Erfindung der „Islamophobie“ den Mullahs der iranischen Revolution zu – sie sollen Frauen, die den Schleier verweigerten, so beschimpft haben. Wirklich sicher ist aber nur, dass das Wort von britischen Muslimen um 1990 herum lanciert wurde.
Nun kämpften diese aber nicht einfach gegen die Benachteiligung von Individuen, wie der britische Islamwissenschaftler Chris Allen im soeben erschienenen Buch „Islamophobia“ (Verlag Ashgate) schildert, sondern vor allem für die Anerkennung einer kollektiven „muslimischen Identität“. Dazu gehörte in den 1990er-Jahren auch die Einrichtung des „Muslim Parliament“. Es kämpft laut eigenen Aussagen gegen „die hinterhältige Kampagne, muslimische Bürger zu einer unterdrückten Minderheit zu machen“, und gegen Gesetze, die „in direktem Konflikt mit dem Gesetz Allahs stehen“ (u.a. Abtreibung, Homosexualität, Glücksspiel, Alkohol, Abschaffung der Todesstrafe)."
Mehr dazu von Anne-Catherine Simon in der Presse hier.
Samstag, 18. Dezember 2010
Islamophobie II
Thomas von der Osten-Sacken in einer Antwort auf Alan Posener, der Islamophobie für rassistisch hält:
"Wie steht es nun mit namhaften Predigern, Politikern und Warlords, die ihr Tun und Denken aus dem Koran ableiten und angeblich im Sinne Allahs handeln? Von Ayatollah Khomenei bis zu Usama bin Laden auf der einen, Teilen der ach so moderaten AKP-Regierung auf der anderen - und unzähligen Mullahs dazwischen - erklären sie alle laut und deutlich, ihr langfristiges Ziel sei die Islamisierung Europas. Wer dies dokumentiert und analysiert, handelt nicht wahnhaft, sondern empirisch.
Rassistisch dagegen argumentiert, wer nun allen Menschen, die im weitesten Sinne Muslime sind (also ihren Glauben irgendwie leben und nicht nur als Kinder muslimischer Eltern geboren worden sind), deshalb unterstellte, sich zur Eroberung Europas unter der Fahne des Propheten verschworen zu haben."
Mehr:
"Wie steht es nun mit namhaften Predigern, Politikern und Warlords, die ihr Tun und Denken aus dem Koran ableiten und angeblich im Sinne Allahs handeln? Von Ayatollah Khomenei bis zu Usama bin Laden auf der einen, Teilen der ach so moderaten AKP-Regierung auf der anderen - und unzähligen Mullahs dazwischen - erklären sie alle laut und deutlich, ihr langfristiges Ziel sei die Islamisierung Europas. Wer dies dokumentiert und analysiert, handelt nicht wahnhaft, sondern empirisch.
Rassistisch dagegen argumentiert, wer nun allen Menschen, die im weitesten Sinne Muslime sind (also ihren Glauben irgendwie leben und nicht nur als Kinder muslimischer Eltern geboren worden sind), deshalb unterstellte, sich zur Eroberung Europas unter der Fahne des Propheten verschworen zu haben."
Mehr:
Dienstag, 14. Dezember 2010
Was ist Islamophobie?
Pascal Bruckner in einem sehr lesenswerten Essay im Perlentaucher:
"Ende der siebziger Jahre haben iranische Fundamentalisten den Begriff der Islamophobie erfunden, den sie sich von der "Xenophobie" abgepaust haben. Sein Ziel ist, den Islam zu etwas Unberührbarem zu erklären. Wer diese neu gesetzte Grenze überschreitet, gilt als Rassist. Diese einer totalitären Propaganda würdige Begriff lässt absichtlich offen, ob er auf eine Religion zielt, ein Glaubenssystem, oder auf die Gläubigen aller Herren Länder, die ihr angehören.
Aber ein Bekenntnis lässt sich so wenig mit einer Rasse gleichsetzen wie eine säkulare Ideologie. Zum Islam bekennen sich wie zum Christentum Menschen aus Arabien, Afrika, Asien oder Europa, so wie Menschen aller Länder Marxisten, Liberale, Anarchisten waren oder sind. Bis zum Beweis des Gegenteils hat jedermann in einer Demokratie das Recht, Religionen als rückständiges Lügenwerk zu betrachten und sie nicht zu lieben. Man mag es legitim oder absurd finden, dass manche dem Islam - so wie einst dem Katholizismus - misstrauen und seinen aggressiven Proselytismus und totalen Wahrheitsanspruch ablehnen - aber es ist kein Ausdruck von Rassismus.
(...)
Der Begriff der Islamophobie hat mehrere Funktionen: Er leugnet die Realität einer islamistischen Offensive in Europa, um sie besser zu rechtfertigen. Er attackiert den Laizismus, indem er ihn mit einem Fundamentalismus gleichsetzt. Vor allem aber will er all jene Muslime zum Schweigen bringen, die den Koran in Frage stellen und die Gleichheit der Geschlechter fordern, die das Recht einklagen, einer Religion abzuschwören, und die ihren Glauben friedlich und nicht unter dem Diktat von Bärtigen und Doktrinären leben wollen. Also stigmatisiert man junge Mädchen, die den Schleier ablehnen, also geißelt man jene Französinnen, Deutschen oder Engländer maghrebinischer, türkischer, afrikanischer, algerischer Herkunft, die das Recht auf religiöse Indifferenz einfordern, das Recht, nicht an Gott zu glauben, das Recht im Ramadan zu essen. Man zeigt mit den Fingern auf jene Renegaten, liefert sie dem Zorn ihrer Gemeinschaft aus, um jede Hoffnung auf einen Wandel bei den Anhängern des Propheten zu unterdrücken.
Auf weltweiter Ebene wird ein neues Meinungsdelikt konstruiert, das stark an das Vorgehen der Sowjetunion gegen "Feinde des Volkes" erinnert. Und unsere Medien und Politiker geben ihren Segen. (...)
"Ende der siebziger Jahre haben iranische Fundamentalisten den Begriff der Islamophobie erfunden, den sie sich von der "Xenophobie" abgepaust haben. Sein Ziel ist, den Islam zu etwas Unberührbarem zu erklären. Wer diese neu gesetzte Grenze überschreitet, gilt als Rassist. Diese einer totalitären Propaganda würdige Begriff lässt absichtlich offen, ob er auf eine Religion zielt, ein Glaubenssystem, oder auf die Gläubigen aller Herren Länder, die ihr angehören.
Aber ein Bekenntnis lässt sich so wenig mit einer Rasse gleichsetzen wie eine säkulare Ideologie. Zum Islam bekennen sich wie zum Christentum Menschen aus Arabien, Afrika, Asien oder Europa, so wie Menschen aller Länder Marxisten, Liberale, Anarchisten waren oder sind. Bis zum Beweis des Gegenteils hat jedermann in einer Demokratie das Recht, Religionen als rückständiges Lügenwerk zu betrachten und sie nicht zu lieben. Man mag es legitim oder absurd finden, dass manche dem Islam - so wie einst dem Katholizismus - misstrauen und seinen aggressiven Proselytismus und totalen Wahrheitsanspruch ablehnen - aber es ist kein Ausdruck von Rassismus.
(...)
Der Begriff der Islamophobie hat mehrere Funktionen: Er leugnet die Realität einer islamistischen Offensive in Europa, um sie besser zu rechtfertigen. Er attackiert den Laizismus, indem er ihn mit einem Fundamentalismus gleichsetzt. Vor allem aber will er all jene Muslime zum Schweigen bringen, die den Koran in Frage stellen und die Gleichheit der Geschlechter fordern, die das Recht einklagen, einer Religion abzuschwören, und die ihren Glauben friedlich und nicht unter dem Diktat von Bärtigen und Doktrinären leben wollen. Also stigmatisiert man junge Mädchen, die den Schleier ablehnen, also geißelt man jene Französinnen, Deutschen oder Engländer maghrebinischer, türkischer, afrikanischer, algerischer Herkunft, die das Recht auf religiöse Indifferenz einfordern, das Recht, nicht an Gott zu glauben, das Recht im Ramadan zu essen. Man zeigt mit den Fingern auf jene Renegaten, liefert sie dem Zorn ihrer Gemeinschaft aus, um jede Hoffnung auf einen Wandel bei den Anhängern des Propheten zu unterdrücken.
Auf weltweiter Ebene wird ein neues Meinungsdelikt konstruiert, das stark an das Vorgehen der Sowjetunion gegen "Feinde des Volkes" erinnert. Und unsere Medien und Politiker geben ihren Segen. (...)
Samstag, 4. Dezember 2010
Zur "PorNo"-Kampagne von Alice Schwarzer (1988)
Wiedergefunden...
Heim zu Mama? Eine Polemik
von Cora Stephan
Das wohlausgewogene Urteil, zu dem ich mich gerne durchgerungen hätte, ist mir im Laufe der Beschäftigung mit Alice Schwarzers Porno-Kampagne im Hals steckengeblieben. Wenn es wirklich darum ginge, daß Frauen angesichts einer wachsenden pornografisch-gewalttätigen Bilderflut der Porno-Industrie ein kämpferisches "Mit uns nicht!" zuriefen, könnte ich verstehen, daß sich insbesondere Journalistinnen mit ihren Bedenken gegen eine weitere Verrechtlichung des öffentlichen und privaten Lebens weitgehend zurückhalten und der Kampagne respektable Intentionen unter stellen. Betrachtet man sich indes den schwerlich zu übersehenden Diskurs hinter dem Diskurs, dann entpuppt sich diese Frauensolidarität als einigermaßen fatal und der hinterhereilende Gehorsam mancher Männer als überaus peinlich.
Das Buch der Amerikanerin Andrea Dworkin, auf das sich Schwarzers Kampagne verkaufsförderlich bezieht, ist, worüber die Lektüre einiger weniger Seiten bereits nachdrücklich belehren sollte, keineswegs eine "Analyse der Funktion von Pornographie" (Vorwort von Alice Schwarzer), und der Feminismus müßte hierzulande völlig heruntergekommen sein, wäre seine Autorin wirklich eine "der be deutendsten Theoretikerinnen des neuen Feminismus" (ebd.). Man mag es dem Spiegel-Kulturchef Karasek, sicherlich kein Connaisseur feministischen Gedankenguts, noch verzeihen, daß er sich ausgerechnet bei Frau Dworkin über Pornografie belehren lassen muß. Den niveauvollen, realexistierenden Theoretikerinnen des Feminismus hierzulande aber wäre ein gequältes Stöhnen nicht zu verdenken.
Silvia Bovenschen und Gertrud Koch wenigstens haben sich gegen diese Verluderung dessen, was Theorie und was Feminismus genannt werden kann, zur Wehr gesetzt: Die erstere attestiert Andrea Dworkin ein "monochromes Geschichtsbild", die zweite rubriziert deren Buch unter "paranoische Phantasie".
Zutreffenderweise: das Buch reiht essentialisti che Sätze aneinander, die weder mit einer Analyse von Pornografie zu tun haben noch mit der theoretischen Abhandlung patriarchaler Strukturen, sondern plattesten und nachgerade spiegelbildlich pornografischen Männerhaß kundtun: Der Mann sei ein "Parasit", schreibt die gelehrte Autorin, "Terror strahlt aus vom Mann, Terror erleuchtet sein We sen, Terror ist sein Lebenszweck", "der Charakter des Mannes: Er ist gefährlich", "Männer sind gefährlich, Männer werden gefürchtet", "der Penis verursacht Schmerz", "ficken ist also automatisch sadistisch" (S.24, 25, 26, 55) - undsoweiter undsofern.
Kein Wunder, daß dieses Buch der Emma-Chefin in den Kram paßt, die selbst Aids noch dazu funktionalisiert, ihre uralte Botschaft zu verkünden, daß das, was sie "Penetration" nennt, nur für Männer, keinesfalls aber für Frauen ein Vergnügen sei und insofern besser zu unterbleiben hätte. Der unermüdliche Kampf gegen das, was Heterosexualität von lesbischer Liebe unterscheidet, ist der Diskurs hinter dem Diskurs über Pornografie, was schon für Alice Schwarzers Buch "Der 'kleine Unterschied' und seine großen Folgen" aus dem Jahre 1975 galt: "Eine homosexuelle Propagandaschrift wurde irrtümlich als eine feministische Kampfschrift aufgefaßt" (Bernd Nitzschke, Sexualität und Männlichkeit, S. 117).
Ich möchte hinzufügen: nichts gegen eine homosexuelle Propaganda schrift, wenn sie sich als solche auch zu erkennen gibt. Was Alice Schwarzers unzählige Kampagnen aber immer wieder auszeichnet, ist, daß sie die Entscheidung gegen Männer und insbesondere gegen die Lust an deren primärem Geschlechtsorgan zur einzig richtigen und einzig feministischen Strategie erklärt. Ihr Kampf gegen die Männer ist damit stets, und zwar keineswegs am Rande, ein Kampf gegen Frauen, die an Männern auch das lieben, was anders ist: Die geißelt sie dann als Frauen, die den Jungs "nach dem Maul reden", die ihre eigene "Vernuttung" betreiben, die "nur noch schwer zu unterscheiden sind von denen, die sich ihre blauen Scheinchen ganz hart an der Ecke verdienen müssen". Spiegel-Redakteurin Ariane Barth, die gegen die Indienstnahme von Aids zum Nachweis der schädlichen Heterosexualität durchs Zentralorgan Emma und Chefin Schwarzer polemisierte, wird im Gegenzug mit unverhüllter Rachsucht aufs rechte Maß gebracht: Als Frau, die lediglich "ihren Jungs zu Freude" schreibe, als geduldete Plappertasche "der Männerwelt", als eine der (vielen?) "Denunziatorinnen". Der Artikel ist namentlich nicht gezeichnet, er dürfte kaum ohne Zustimmung der Emma-Chefin ins Blatt gerutscht sein.
Die beschäftigt sich ohnehin in bewährter Manier damit, alte Mit streiterinnen der Frauenbewegung wie Simone de Beauvoir, Kate Millett oder Frauen wie Anais Nin und Susan Sontag abzustrafen, die zu einer etwas differenzierteren Sicht sowohl der Pornographie als auch des Geschlechterverhältnisses fähig sind. Ein solcher wahnhafter Kampf gegen ein trotz allem ja immer noch erstaunlich weitverbreitetes Phä nomen wie Heterosexualität ist kaum noch versteckter Wunsch nach einem "Verbot der Männer" (Bovenschen) - ihre Abschaffung wäre die einzige logische Konsequenz. Gottlob steht ja die Wissenschaft schon mit der Retorte bereit, sollten autonome Frauen einmal den autonomen Wunsch nach einem Kind verspüren. Also weg mit den Mackern.
Ebenso unnötig sind natürlich auch jene Frauen, die nicht nur auf ihre Klitoris, sondern auch auf die Vagina noch Wert legen. Denn sie ist nicht nur den dümmsten Stammtischwitzen nach (oder bei Männern according to Karasek, dazu weiter unten) ein empfindungsloses, rabenschwarzes Loch, das nur dazu dient, gestopft zu werden, sondern auch im avancierten radikalfeministischen Diskurs a la Schwarzer. Wenn der Schwanz ein Terror ist, dann ist jede Möse masochistisch, die ihn auf nimmt - und jede Frau eine fromme Selbstbetrügerin, die eine ozeanische Lust dabei empfindet. Eine Enteignung der Frauen von ihrem primären Geschlechtsorgan in einer auch ganz schön gewalttätigen Zangenbewegung und eine unheilige Allianz zwischen dumm-brutalen Männern, ängstlichen Frauen und der strafenden Mutter. Jokaste strikes again.
Der Diskurs hinter dem Diskurs über Pornografie kreist in einem nachgerade klassischen Sinn um Sexualpolitik: Am "richtigen" Sexualverhalten soll wieder einmal die Welt genesen. Und damit ist der Kampf gegen die Pornografie, so wie er von Andrea Dworkin und Alice Schwarzer geführt wird, kurioserweise eine Neuauflage eben jener Sexualpolitik, die zu kritisieren er vorgibt. Dworkin ortet die Verfechter und Betreiber der Frauen entwürdigenden Pornografie im linken Spektrum: Es seien die Linken, die mit ihrer Rhetorik von der Befreiung der Sexualität zur Zeit der wilden sechziger Jahre das Übel verteidigt und verbreitet hätten. Das ist gar nicht mal so falsch gesehen: Damals schien die Propaganda allgemeiner Schamlosigkeit nicht nur ein wunderbares Mittel, die bürgerlichen Autoritäten zu schockieren, sondern auch der richtige Weg zu sein, sexuelle Verklemmungen, wie es immer so schön hieß, "abzubauen". Die Sexualrevolutionäre waren der festen Überzeugung, die gute, heile, richtige und befreite Sexualität werde schon leicht und locker auf dem Fuße folgen, wenn erst einmal alle Tabus gebrochen, alle Restriktionen aufgehoben und alle Hüllen gefallen seien.
So einfach war die Sache bekanntlich nicht. Nicht nur ist der gesunde, heile und womöglich auch noch gute Mensch in dieser Gesellschaft nicht so ohne weiteres zu haben, auch die Sexualität hat ihre abgründigen Seiten: Aus dem heiteren körperlichen Spiel kann Liebe werden, eine bekanntlich hinderliche Größe, derart intime körperliche Begegnungen von Menschen machen verletzbar, und wo bliebe schließlich das wilde, womöglich auch schmerzhafte Begehren, wenn alle Welt nur heitere, leidenschaftslose Nummern schöbe, wie technisch ausgereift auch immer? Die Welt aus einem Punkt, nämlich an der Sexualität, kurieren zu wollen, erwies sich als trügerisches Heilsversprechen; mit Sexualität ist weder Politik noch Staat zu machen, obzwar es auch die andere Seite immer wieder versucht, wie die Aids-Debatte zeigt.
In einem Punkt wiederholt Andrea Dworkin dieses Versprechen der Enderlösung, der Herstellung natürlicher, friedlicher und freudiger sexueller Beziehungen, der Erreichbarkeit eines Zustandes der Freiheit. Sie schreibt: "Wir wissen alle, daß wir frei sein werden, wenn es keine Pornographie mehr gibt." Man müßte eigentlich hinzufügen: und keine Männer mehr bzw. nur noch solche, die ihr exquisites Terrorinstrument, den Schwanz, willig an der Garderobe abzugeben bereit sind.
Der Diskurs hinter dem Diskurs über Pornografie enthüllt ein identisches Bild dessen, was sexuelle Utopie sein soll: Für die Sexualrebellen von damals wie für die Pornogegnerinnen von heute offenbar ein von jeglicher Obsession, von Aggressivität, Heftigkeit, Lustschmerz, von bodenloser Hingabe und abgründigem Verlangen, vor allem allerdings von der Geschlechterspannung bereinigter Spaß.
Nun mag es ja sein, daß es angesichts des verbreiteten ehelichen Elends besser wäre, im Ehebett fände wenigstens Spaß statt - Kerzenlicht, Zärtlichkeit und Handfertigkeiten auf gehobenem Niveau. Nur schreibt dieses Bild von einer "gelungenen" Sexualität die unsere Kultur prägende Angst vor der Sexualität fort, die Angst vor dem Anderen, Fremden, auf die mit Abwehr oder Eingemeindung reagiert wird. Damit betrügt man sich um die Potenzen der Sexualität: um diese einzigartige Möglichkeit, sich aufzugeben und wiederzufinden, um den Abgrund des leidenschaftlichen Begehrens, der zugleich magisch anzieht. Viele Männer und Frauen haben Angst vor dem jeweils anderen Geschlecht, vor dieser Differenz, die eine Spannung entstehen lassen kann, die prekär balanciert ist. Und da sich die Geschlechter nicht im schönen Zustand des gleichen Ranges gegenüberstehen, mag sich diese Balance immer wieder zugunsten männlicher Aggressivität auflösen. Die Differenz deshalb zu leugnen, das Fremde "einzugemeinden", hat jedoch eine ebenso totalitäre Komponente, die weit über den Sexualakt hinaus wirkt. Denn Abwehr oder Eingemeindung sind auch in der öffentlichen Begegnung die zwei Seiten einer Medaille: Das Fremde kann nicht aus ehalten werden, es muß - durch Ausstoßung oder Assimilation - vernichtet, unschädlich gemacht werden.
Darüber, daß Männergewalt gegen Frauen diese Komponente aufweist, herrscht Konsens. Das Männerbild der Porno-Gegnerinnen weist aller dings die gleiche Komponente auf.
Vielleicht ist das der Grund, warum sich die feministischen Theoretikerinnen hierzulande aus der Porno-Kampagne heraushalten: Die ewige Wiederholung des Altbekannten und schon oft Gesagten nötigt keinen großen literarischen und kämpferischen Eros mehr ab. Und überdies wurde die Emma-Kampagne in den Massenmedien in erstaunlich hohem Maße von Männern aufgegriffen - und verteidigt. So legte Spiegel-Redakteur Karasek auf einer öffentlichen Veranstaltung ein Ge ständnis ab - stellvertretend für "die Männer" - und bekannte in der ersten Person Plural, daß "wir Frauen demütigen, daß wir Männerphantasien auf das Schmutzigste beflügeln" - wir "Ferkel". Im Spiegel schließlich gibt er preis, was er, als Geschlechtsgenosse, ja wissen muß: "Für Männer (da muß Dworkin gar nicht vergröbern) geht es darum, daß die Frau aus Öffnungen und Löchern besteht, die nur eines wirk lich wollen: nämlich penetriert zu werden." Darum scheint es in der Pornografie der bunten Heftchen und immergleichen Filme ja tatsäch lich zu gehen - trifft das aber damit auch auf Männer zu, sui generis, umstandslos und schlicht: auf alle? Zuviel Buße getan oder zuviel Dworkin gelesen? Denn auch für sie gibt es den Unterschied zwischen Phantasie und Wirklichkeit nicht, der indes für Pornografie konstitutiv ist.
Heim zu Mama? Eine Polemik
von Cora Stephan
Das wohlausgewogene Urteil, zu dem ich mich gerne durchgerungen hätte, ist mir im Laufe der Beschäftigung mit Alice Schwarzers Porno-Kampagne im Hals steckengeblieben. Wenn es wirklich darum ginge, daß Frauen angesichts einer wachsenden pornografisch-gewalttätigen Bilderflut der Porno-Industrie ein kämpferisches "Mit uns nicht!" zuriefen, könnte ich verstehen, daß sich insbesondere Journalistinnen mit ihren Bedenken gegen eine weitere Verrechtlichung des öffentlichen und privaten Lebens weitgehend zurückhalten und der Kampagne respektable Intentionen unter stellen. Betrachtet man sich indes den schwerlich zu übersehenden Diskurs hinter dem Diskurs, dann entpuppt sich diese Frauensolidarität als einigermaßen fatal und der hinterhereilende Gehorsam mancher Männer als überaus peinlich.
Das Buch der Amerikanerin Andrea Dworkin, auf das sich Schwarzers Kampagne verkaufsförderlich bezieht, ist, worüber die Lektüre einiger weniger Seiten bereits nachdrücklich belehren sollte, keineswegs eine "Analyse der Funktion von Pornographie" (Vorwort von Alice Schwarzer), und der Feminismus müßte hierzulande völlig heruntergekommen sein, wäre seine Autorin wirklich eine "der be deutendsten Theoretikerinnen des neuen Feminismus" (ebd.). Man mag es dem Spiegel-Kulturchef Karasek, sicherlich kein Connaisseur feministischen Gedankenguts, noch verzeihen, daß er sich ausgerechnet bei Frau Dworkin über Pornografie belehren lassen muß. Den niveauvollen, realexistierenden Theoretikerinnen des Feminismus hierzulande aber wäre ein gequältes Stöhnen nicht zu verdenken.
Silvia Bovenschen und Gertrud Koch wenigstens haben sich gegen diese Verluderung dessen, was Theorie und was Feminismus genannt werden kann, zur Wehr gesetzt: Die erstere attestiert Andrea Dworkin ein "monochromes Geschichtsbild", die zweite rubriziert deren Buch unter "paranoische Phantasie".
Zutreffenderweise: das Buch reiht essentialisti che Sätze aneinander, die weder mit einer Analyse von Pornografie zu tun haben noch mit der theoretischen Abhandlung patriarchaler Strukturen, sondern plattesten und nachgerade spiegelbildlich pornografischen Männerhaß kundtun: Der Mann sei ein "Parasit", schreibt die gelehrte Autorin, "Terror strahlt aus vom Mann, Terror erleuchtet sein We sen, Terror ist sein Lebenszweck", "der Charakter des Mannes: Er ist gefährlich", "Männer sind gefährlich, Männer werden gefürchtet", "der Penis verursacht Schmerz", "ficken ist also automatisch sadistisch" (S.24, 25, 26, 55) - undsoweiter undsofern.
Kein Wunder, daß dieses Buch der Emma-Chefin in den Kram paßt, die selbst Aids noch dazu funktionalisiert, ihre uralte Botschaft zu verkünden, daß das, was sie "Penetration" nennt, nur für Männer, keinesfalls aber für Frauen ein Vergnügen sei und insofern besser zu unterbleiben hätte. Der unermüdliche Kampf gegen das, was Heterosexualität von lesbischer Liebe unterscheidet, ist der Diskurs hinter dem Diskurs über Pornografie, was schon für Alice Schwarzers Buch "Der 'kleine Unterschied' und seine großen Folgen" aus dem Jahre 1975 galt: "Eine homosexuelle Propagandaschrift wurde irrtümlich als eine feministische Kampfschrift aufgefaßt" (Bernd Nitzschke, Sexualität und Männlichkeit, S. 117).
Ich möchte hinzufügen: nichts gegen eine homosexuelle Propaganda schrift, wenn sie sich als solche auch zu erkennen gibt. Was Alice Schwarzers unzählige Kampagnen aber immer wieder auszeichnet, ist, daß sie die Entscheidung gegen Männer und insbesondere gegen die Lust an deren primärem Geschlechtsorgan zur einzig richtigen und einzig feministischen Strategie erklärt. Ihr Kampf gegen die Männer ist damit stets, und zwar keineswegs am Rande, ein Kampf gegen Frauen, die an Männern auch das lieben, was anders ist: Die geißelt sie dann als Frauen, die den Jungs "nach dem Maul reden", die ihre eigene "Vernuttung" betreiben, die "nur noch schwer zu unterscheiden sind von denen, die sich ihre blauen Scheinchen ganz hart an der Ecke verdienen müssen". Spiegel-Redakteurin Ariane Barth, die gegen die Indienstnahme von Aids zum Nachweis der schädlichen Heterosexualität durchs Zentralorgan Emma und Chefin Schwarzer polemisierte, wird im Gegenzug mit unverhüllter Rachsucht aufs rechte Maß gebracht: Als Frau, die lediglich "ihren Jungs zu Freude" schreibe, als geduldete Plappertasche "der Männerwelt", als eine der (vielen?) "Denunziatorinnen". Der Artikel ist namentlich nicht gezeichnet, er dürfte kaum ohne Zustimmung der Emma-Chefin ins Blatt gerutscht sein.
Die beschäftigt sich ohnehin in bewährter Manier damit, alte Mit streiterinnen der Frauenbewegung wie Simone de Beauvoir, Kate Millett oder Frauen wie Anais Nin und Susan Sontag abzustrafen, die zu einer etwas differenzierteren Sicht sowohl der Pornographie als auch des Geschlechterverhältnisses fähig sind. Ein solcher wahnhafter Kampf gegen ein trotz allem ja immer noch erstaunlich weitverbreitetes Phä nomen wie Heterosexualität ist kaum noch versteckter Wunsch nach einem "Verbot der Männer" (Bovenschen) - ihre Abschaffung wäre die einzige logische Konsequenz. Gottlob steht ja die Wissenschaft schon mit der Retorte bereit, sollten autonome Frauen einmal den autonomen Wunsch nach einem Kind verspüren. Also weg mit den Mackern.
Ebenso unnötig sind natürlich auch jene Frauen, die nicht nur auf ihre Klitoris, sondern auch auf die Vagina noch Wert legen. Denn sie ist nicht nur den dümmsten Stammtischwitzen nach (oder bei Männern according to Karasek, dazu weiter unten) ein empfindungsloses, rabenschwarzes Loch, das nur dazu dient, gestopft zu werden, sondern auch im avancierten radikalfeministischen Diskurs a la Schwarzer. Wenn der Schwanz ein Terror ist, dann ist jede Möse masochistisch, die ihn auf nimmt - und jede Frau eine fromme Selbstbetrügerin, die eine ozeanische Lust dabei empfindet. Eine Enteignung der Frauen von ihrem primären Geschlechtsorgan in einer auch ganz schön gewalttätigen Zangenbewegung und eine unheilige Allianz zwischen dumm-brutalen Männern, ängstlichen Frauen und der strafenden Mutter. Jokaste strikes again.
Der Diskurs hinter dem Diskurs über Pornografie kreist in einem nachgerade klassischen Sinn um Sexualpolitik: Am "richtigen" Sexualverhalten soll wieder einmal die Welt genesen. Und damit ist der Kampf gegen die Pornografie, so wie er von Andrea Dworkin und Alice Schwarzer geführt wird, kurioserweise eine Neuauflage eben jener Sexualpolitik, die zu kritisieren er vorgibt. Dworkin ortet die Verfechter und Betreiber der Frauen entwürdigenden Pornografie im linken Spektrum: Es seien die Linken, die mit ihrer Rhetorik von der Befreiung der Sexualität zur Zeit der wilden sechziger Jahre das Übel verteidigt und verbreitet hätten. Das ist gar nicht mal so falsch gesehen: Damals schien die Propaganda allgemeiner Schamlosigkeit nicht nur ein wunderbares Mittel, die bürgerlichen Autoritäten zu schockieren, sondern auch der richtige Weg zu sein, sexuelle Verklemmungen, wie es immer so schön hieß, "abzubauen". Die Sexualrevolutionäre waren der festen Überzeugung, die gute, heile, richtige und befreite Sexualität werde schon leicht und locker auf dem Fuße folgen, wenn erst einmal alle Tabus gebrochen, alle Restriktionen aufgehoben und alle Hüllen gefallen seien.
So einfach war die Sache bekanntlich nicht. Nicht nur ist der gesunde, heile und womöglich auch noch gute Mensch in dieser Gesellschaft nicht so ohne weiteres zu haben, auch die Sexualität hat ihre abgründigen Seiten: Aus dem heiteren körperlichen Spiel kann Liebe werden, eine bekanntlich hinderliche Größe, derart intime körperliche Begegnungen von Menschen machen verletzbar, und wo bliebe schließlich das wilde, womöglich auch schmerzhafte Begehren, wenn alle Welt nur heitere, leidenschaftslose Nummern schöbe, wie technisch ausgereift auch immer? Die Welt aus einem Punkt, nämlich an der Sexualität, kurieren zu wollen, erwies sich als trügerisches Heilsversprechen; mit Sexualität ist weder Politik noch Staat zu machen, obzwar es auch die andere Seite immer wieder versucht, wie die Aids-Debatte zeigt.
In einem Punkt wiederholt Andrea Dworkin dieses Versprechen der Enderlösung, der Herstellung natürlicher, friedlicher und freudiger sexueller Beziehungen, der Erreichbarkeit eines Zustandes der Freiheit. Sie schreibt: "Wir wissen alle, daß wir frei sein werden, wenn es keine Pornographie mehr gibt." Man müßte eigentlich hinzufügen: und keine Männer mehr bzw. nur noch solche, die ihr exquisites Terrorinstrument, den Schwanz, willig an der Garderobe abzugeben bereit sind.
Der Diskurs hinter dem Diskurs über Pornografie enthüllt ein identisches Bild dessen, was sexuelle Utopie sein soll: Für die Sexualrebellen von damals wie für die Pornogegnerinnen von heute offenbar ein von jeglicher Obsession, von Aggressivität, Heftigkeit, Lustschmerz, von bodenloser Hingabe und abgründigem Verlangen, vor allem allerdings von der Geschlechterspannung bereinigter Spaß.
Nun mag es ja sein, daß es angesichts des verbreiteten ehelichen Elends besser wäre, im Ehebett fände wenigstens Spaß statt - Kerzenlicht, Zärtlichkeit und Handfertigkeiten auf gehobenem Niveau. Nur schreibt dieses Bild von einer "gelungenen" Sexualität die unsere Kultur prägende Angst vor der Sexualität fort, die Angst vor dem Anderen, Fremden, auf die mit Abwehr oder Eingemeindung reagiert wird. Damit betrügt man sich um die Potenzen der Sexualität: um diese einzigartige Möglichkeit, sich aufzugeben und wiederzufinden, um den Abgrund des leidenschaftlichen Begehrens, der zugleich magisch anzieht. Viele Männer und Frauen haben Angst vor dem jeweils anderen Geschlecht, vor dieser Differenz, die eine Spannung entstehen lassen kann, die prekär balanciert ist. Und da sich die Geschlechter nicht im schönen Zustand des gleichen Ranges gegenüberstehen, mag sich diese Balance immer wieder zugunsten männlicher Aggressivität auflösen. Die Differenz deshalb zu leugnen, das Fremde "einzugemeinden", hat jedoch eine ebenso totalitäre Komponente, die weit über den Sexualakt hinaus wirkt. Denn Abwehr oder Eingemeindung sind auch in der öffentlichen Begegnung die zwei Seiten einer Medaille: Das Fremde kann nicht aus ehalten werden, es muß - durch Ausstoßung oder Assimilation - vernichtet, unschädlich gemacht werden.
Darüber, daß Männergewalt gegen Frauen diese Komponente aufweist, herrscht Konsens. Das Männerbild der Porno-Gegnerinnen weist aller dings die gleiche Komponente auf.
Vielleicht ist das der Grund, warum sich die feministischen Theoretikerinnen hierzulande aus der Porno-Kampagne heraushalten: Die ewige Wiederholung des Altbekannten und schon oft Gesagten nötigt keinen großen literarischen und kämpferischen Eros mehr ab. Und überdies wurde die Emma-Kampagne in den Massenmedien in erstaunlich hohem Maße von Männern aufgegriffen - und verteidigt. So legte Spiegel-Redakteur Karasek auf einer öffentlichen Veranstaltung ein Ge ständnis ab - stellvertretend für "die Männer" - und bekannte in der ersten Person Plural, daß "wir Frauen demütigen, daß wir Männerphantasien auf das Schmutzigste beflügeln" - wir "Ferkel". Im Spiegel schließlich gibt er preis, was er, als Geschlechtsgenosse, ja wissen muß: "Für Männer (da muß Dworkin gar nicht vergröbern) geht es darum, daß die Frau aus Öffnungen und Löchern besteht, die nur eines wirk lich wollen: nämlich penetriert zu werden." Darum scheint es in der Pornografie der bunten Heftchen und immergleichen Filme ja tatsäch lich zu gehen - trifft das aber damit auch auf Männer zu, sui generis, umstandslos und schlicht: auf alle? Zuviel Buße getan oder zuviel Dworkin gelesen? Denn auch für sie gibt es den Unterschied zwischen Phantasie und Wirklichkeit nicht, der indes für Pornografie konstitutiv ist.
Nachlese zu Alice
Leider ist im Archiv der "Zeit" mein Artikel aus dem Jahre 1988 gegen die "PorNo"-Kampagne von Alice Schwarzer nur bruchstückhaft zu finden, aber immerhin gibt es hier ein Stückchen aus dem "Spiegel" über die damalige Kontroverse:
"Die spannendsten Debatten-Beiträge kamen von Frauen. Frühere feministische Weggefährtinnen der "Emma"-Herausgeberin fielen Urmutter Alice in den Rücken, wobei die Auseinandersetzung mit der PorNo-Kampagne oft nur den Vorwand für längst fällige Abrechnungen bot.
Die Frankfurter Autorin Cora Stephan, 37, artikulierte einen Zorn, der etliche Frauenrechtlerinnen der ersten Generation, aber vor allem viele emanzipierte jüngere Frauen gegen Schwarzer aufbringt: das Gefühl, daß nach radikalfeministischer Logik nur eine lesbische Suffragette eine gute Suffragette ist, daß der Kampf gegen die Vormacht der Männer zunehmend auch ein Kampf gegen jene Frauen wird, die trotz aller Mühsal mit der Gleichberechtigung weiterhin mit Männern leben und schlafen wollen.
Hinter dem Diskurs über Pornographie, argwöhnt Cora Stephan, verberge sich "der unermüdliche Kampf gegen das, was Heterosexualität von lesbischer Liebe" unterscheide, verberge sich "ein wahnhafter Kampf" gegen Frauen, "die an Männern auch das lieben, was anders ist". Der Amerikanerin Andrea Dworkin, die Alice Schwarzer die ideologische Munition für ihre PorNo-Kampagne lieferte, attestierte Cora Stephan "plattesten und nachgerade spiegelbildlich pornographischen Männerhaß"."
"Die spannendsten Debatten-Beiträge kamen von Frauen. Frühere feministische Weggefährtinnen der "Emma"-Herausgeberin fielen Urmutter Alice in den Rücken, wobei die Auseinandersetzung mit der PorNo-Kampagne oft nur den Vorwand für längst fällige Abrechnungen bot.
Die Frankfurter Autorin Cora Stephan, 37, artikulierte einen Zorn, der etliche Frauenrechtlerinnen der ersten Generation, aber vor allem viele emanzipierte jüngere Frauen gegen Schwarzer aufbringt: das Gefühl, daß nach radikalfeministischer Logik nur eine lesbische Suffragette eine gute Suffragette ist, daß der Kampf gegen die Vormacht der Männer zunehmend auch ein Kampf gegen jene Frauen wird, die trotz aller Mühsal mit der Gleichberechtigung weiterhin mit Männern leben und schlafen wollen.
Hinter dem Diskurs über Pornographie, argwöhnt Cora Stephan, verberge sich "der unermüdliche Kampf gegen das, was Heterosexualität von lesbischer Liebe" unterscheide, verberge sich "ein wahnhafter Kampf" gegen Frauen, "die an Männern auch das lieben, was anders ist". Der Amerikanerin Andrea Dworkin, die Alice Schwarzer die ideologische Munition für ihre PorNo-Kampagne lieferte, attestierte Cora Stephan "plattesten und nachgerade spiegelbildlich pornographischen Männerhaß"."
Die Schere zwischen Arm und Reich...
Wie immer lesenswert: Vince Ebert, hier. Zitat:
"Steigt jetzt die Armut in Deutschland oder sinkt sie oder bleibt sie vielleicht sogar gleich? Und diese Frage kann man nur mit einem ganz entschiedenen „Weiß nicht“ beantworten.
Denn weil die Armut in Deutschland über den Reichtum definiert ist, kann ihnen niemand sagen, wie viele Leute in diesem Land tatsächlich arm sind. Und das ist ziemlich fies, denn wer den Armutsbegriff verschleiert, nimmt den wirklich Armen die Stimme weg.
Vielleicht ist das ja auch so gewollt. Alleine in den deutschen Sozialämtern sind über 700.000 Menschen beschäftigt. Stellen Sie sich nur mal vor, wir hätten aus irgendeinem Grund plötzlich keine Armut mehr. Da wären die doch alle arbeitslos! Und noch schlimmer: Wer wäre für die dann zuständig?
Unser Staat steckt ein Drittel der gesamten volkswirtschaftlichen Leistung in soziale Sicherungssysteme. In dieser Form macht das kein anderes Land der Welt. Doch statt sich Gedanken zu machen, wie man diese riesige Summe wirklich effektiv verteilen könnte, schreit man lieber nach Steuererhöhungen. Doch die betreffen nicht die Reichen und Superreichen. Die bringen ihr Geld ins Ausland und haben clevere Steuersparmodelle. Steuererhöhungen schlagen am brutalsten in der gehobenen Mittelschicht durch. Bei Ingenieuren, Handwerkern und Facharbeitern. Die sehen jeden Monat, wie viel Geld sie eigentlich sparen würden, wenn sie gar keines hätten. Und deswegen begehen die Besten und Jüngsten aus der Mittelschicht auch Republikflucht. Die wandern einfach aus! Kein Land der Welt verliert derzeit so viele Fachkräfte wie Deutschland. Alle vier Minuten einen.
Und wissen Sie, warum das so schlimm ist? Weil das genau mein Publikum ist…"
"Steigt jetzt die Armut in Deutschland oder sinkt sie oder bleibt sie vielleicht sogar gleich? Und diese Frage kann man nur mit einem ganz entschiedenen „Weiß nicht“ beantworten.
Denn weil die Armut in Deutschland über den Reichtum definiert ist, kann ihnen niemand sagen, wie viele Leute in diesem Land tatsächlich arm sind. Und das ist ziemlich fies, denn wer den Armutsbegriff verschleiert, nimmt den wirklich Armen die Stimme weg.
Vielleicht ist das ja auch so gewollt. Alleine in den deutschen Sozialämtern sind über 700.000 Menschen beschäftigt. Stellen Sie sich nur mal vor, wir hätten aus irgendeinem Grund plötzlich keine Armut mehr. Da wären die doch alle arbeitslos! Und noch schlimmer: Wer wäre für die dann zuständig?
Unser Staat steckt ein Drittel der gesamten volkswirtschaftlichen Leistung in soziale Sicherungssysteme. In dieser Form macht das kein anderes Land der Welt. Doch statt sich Gedanken zu machen, wie man diese riesige Summe wirklich effektiv verteilen könnte, schreit man lieber nach Steuererhöhungen. Doch die betreffen nicht die Reichen und Superreichen. Die bringen ihr Geld ins Ausland und haben clevere Steuersparmodelle. Steuererhöhungen schlagen am brutalsten in der gehobenen Mittelschicht durch. Bei Ingenieuren, Handwerkern und Facharbeitern. Die sehen jeden Monat, wie viel Geld sie eigentlich sparen würden, wenn sie gar keines hätten. Und deswegen begehen die Besten und Jüngsten aus der Mittelschicht auch Republikflucht. Die wandern einfach aus! Kein Land der Welt verliert derzeit so viele Fachkräfte wie Deutschland. Alle vier Minuten einen.
Und wissen Sie, warum das so schlimm ist? Weil das genau mein Publikum ist…"
Montag, 22. November 2010
Schwarzer reloaded
Lydia Harder hat in der FAZ den wunden Punkt der Alice Schwarzer entdeckt:
"Vierzig Jahre nach dem Beginn der Frauenbewegung feuert Schwarzer immer noch Schüsse auf Wirtinnen und andere Widersacherinnen ab. Zuletzt traf es Familienministerin Kristina Schröder. Schwarzer verbarrikadiert sich im Kölner "Emanzenturm", einem mittelalterlichen Wehrturm am Rhein. Hier sitzt die "Emma"-Redaktion seit 1994. Die Festung wurde mit Steuergeldern renoviert, über die kommerzielle Nutzung durch die Redaktion gab es damals Streit, heute verliert niemand mehr ein Wort darüber. Im fünften Stock hat Schwarzer ein feministisches Archiv einrichten lassen, für die Gemeinnützigkeit. Wer sich dort von den Mitarbeiterinnen, die zufällig alle lila gekleidet sind, frühe "Emma"-Ausgaben bringen lässt, stößt schon in der dritten Ausgabe aus dem Jahr 1977 auf ein Editorial Schwarzers mit der Überschrift "Penetration". Ein Wort, das sie als Synonym für den Geschlechtsverkehr einführte."
Mehr lesen:
"Vierzig Jahre nach dem Beginn der Frauenbewegung feuert Schwarzer immer noch Schüsse auf Wirtinnen und andere Widersacherinnen ab. Zuletzt traf es Familienministerin Kristina Schröder. Schwarzer verbarrikadiert sich im Kölner "Emanzenturm", einem mittelalterlichen Wehrturm am Rhein. Hier sitzt die "Emma"-Redaktion seit 1994. Die Festung wurde mit Steuergeldern renoviert, über die kommerzielle Nutzung durch die Redaktion gab es damals Streit, heute verliert niemand mehr ein Wort darüber. Im fünften Stock hat Schwarzer ein feministisches Archiv einrichten lassen, für die Gemeinnützigkeit. Wer sich dort von den Mitarbeiterinnen, die zufällig alle lila gekleidet sind, frühe "Emma"-Ausgaben bringen lässt, stößt schon in der dritten Ausgabe aus dem Jahr 1977 auf ein Editorial Schwarzers mit der Überschrift "Penetration". Ein Wort, das sie als Synonym für den Geschlechtsverkehr einführte."
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Freitag, 19. November 2010
Aus dem Blog von Gabriele Wolff
Gabriele Wolff ist eine hervorragende Krimiautorin und eine, als Staatsanwältin erprobte, präzise beobachtende Zeitgenossin. Was sie über Kachelmann und die BILDF-Berichterstatterin Alice Schwarzer schreibt, lohnt allemal nähere Betrachtung:
"Bereits am 3.9.2010 verkündete Alice Schwarzer in ihrem Blog unter: ›Der Fall Kachelmann, Nr. 5‹:
»Ich werde in Mannheim dabei sein und einige der Verhandlungen im Saal 1 des Landgerichtes mitverfolgen. Denn manchmal muss man etwas selber erleben und darf sich nicht nur mit Informationen aus zweiter Hand begnügen. Vom ersten Prozesstag an werde ich nicht nur weiter für Emma über den „Fall Kachelmann“ berichten, sondern den Prozess auch in Bild wöchentlich kommentieren.«
Da fiel es einem wie Schuppen von den Augen: die von juristischer Sachkenntnis ungetrübte, aber meinungsfreudige anti-Kachelmann Propaganda Alice Schwarzers von August 2010 hatte also nicht nur der medialen Selbstvermarktung gedient, um die eigene, längst überlebte Sache zu promovieren –: es handelte sich, was das Niveau zumindestens erklärt, um die Produktion von Bewerbungsunterlagen für einen Job bei Bild. weiterlesen...
"Bereits am 3.9.2010 verkündete Alice Schwarzer in ihrem Blog unter: ›Der Fall Kachelmann, Nr. 5‹:
»Ich werde in Mannheim dabei sein und einige der Verhandlungen im Saal 1 des Landgerichtes mitverfolgen. Denn manchmal muss man etwas selber erleben und darf sich nicht nur mit Informationen aus zweiter Hand begnügen. Vom ersten Prozesstag an werde ich nicht nur weiter für Emma über den „Fall Kachelmann“ berichten, sondern den Prozess auch in Bild wöchentlich kommentieren.«
Da fiel es einem wie Schuppen von den Augen: die von juristischer Sachkenntnis ungetrübte, aber meinungsfreudige anti-Kachelmann Propaganda Alice Schwarzers von August 2010 hatte also nicht nur der medialen Selbstvermarktung gedient, um die eigene, längst überlebte Sache zu promovieren –: es handelte sich, was das Niveau zumindestens erklärt, um die Produktion von Bewerbungsunterlagen für einen Job bei Bild. weiterlesen...
Alice as usual
Ich bin noch immer und wieder voller Bewunderung. Es ist einfach großartig, wie Alice Schwarzer es stets schafft, die Dinge im richtigen Blickwinkel erscheinen zu lassen. Wie schafft man es, eine "gewisse" Gegnerin politisch einzunorden? Indem man eine Verbindung zwischen ihr und Eva Herman (rechts, Muttertier) und "Pornopropaganda" herstellt.
"Hingegen gibt es durchaus auch Frauen, die ich nicht mag. Zum Beispiel Eva
Herman. Das wird niemanden überraschen. Und auch die mir persönlich
unbekannte Christine Eichel, die Co-Autorin von Hermans Buch "Das
Eva-Prinzip", gehört nicht zu meinen Favoritinnen. Eichel ist seit kurzem
Ressortleiterin von "Kultur & Leben" in Wolfram Weimers neuem Focus. Und als
solche ließ sie prompt eine gewisse Cora Stephan eine zweiseitige Suada über
"das keifende Marktweib", diese "entfesselte Furie" (womit sie mich meint)
schreiben.Cora Stephan wiederum ist mir ebenfalls persönlich unbekannt,
fällt mir jedoch seit den 1980er Jahren als vehemente
Pro-Porno-Propagandistin auf." (siehe hier)
Nun, ich kann verraten, dass nicht Christine Eichel mich "schreiben liess". Auch mit der Porno-Propaganda ist das so eine Sache. Ich habe lediglich Alices PorNo-Kampagne damals kritisiert - und nicht Pornos propagiert. Zumal nicht seither - man hat ja auch noch anderes und besseres zu tun!
Aber wer will da beckmessern? Denn derart elegante Verkehrungen des Sachverhalts sind kühn und gekommt! Also: alles verziehen, Alice! Hauptsache, Du verkaufst Dich weiter so erfolgreich (im Anti-Porno-Blatt Bild).
"Hingegen gibt es durchaus auch Frauen, die ich nicht mag. Zum Beispiel Eva
Herman. Das wird niemanden überraschen. Und auch die mir persönlich
unbekannte Christine Eichel, die Co-Autorin von Hermans Buch "Das
Eva-Prinzip", gehört nicht zu meinen Favoritinnen. Eichel ist seit kurzem
Ressortleiterin von "Kultur & Leben" in Wolfram Weimers neuem Focus. Und als
solche ließ sie prompt eine gewisse Cora Stephan eine zweiseitige Suada über
"das keifende Marktweib", diese "entfesselte Furie" (womit sie mich meint)
schreiben.Cora Stephan wiederum ist mir ebenfalls persönlich unbekannt,
fällt mir jedoch seit den 1980er Jahren als vehemente
Pro-Porno-Propagandistin auf." (siehe hier)
Nun, ich kann verraten, dass nicht Christine Eichel mich "schreiben liess". Auch mit der Porno-Propaganda ist das so eine Sache. Ich habe lediglich Alices PorNo-Kampagne damals kritisiert - und nicht Pornos propagiert. Zumal nicht seither - man hat ja auch noch anderes und besseres zu tun!
Aber wer will da beckmessern? Denn derart elegante Verkehrungen des Sachverhalts sind kühn und gekommt! Also: alles verziehen, Alice! Hauptsache, Du verkaufst Dich weiter so erfolgreich (im Anti-Porno-Blatt Bild).
Donnerstag, 18. November 2010
Wie man sich erfolgreich zur Ikone stylt
Ja, Alice Schwarzer hat sich große Verdienste erworben. Sie ist ein Erfolgsmodell, das frau sich genau anschauen sollte, wenn sie lernen will, wie’s geht: Wie man sich als Inkarnation und Ikone einer Bewegung installiert, die geltend macht, die Interessen von mehr als die Hälfte der deutschen Bevölkerung zu vertreten. Wie man alle Konkurrentinnen um diese Position nachhaltig wegbeißt. Wie man mächtige Bündnispartner gewinnt. Wie man sich unangreifbar macht. Wie man damit ganz gut verdient.
Denn Frauen hat Alice Schwarzer am wenigsten gebraucht für ihren unaufhaltsamen Aufstieg zur Promifrau. Im Gegenteil: Von Beginn an machte sie sich zur Linienrichterin, die unter dem Schlachtruf „Frau sein allein genügt nicht“ die Genossinnen mit harter Hand auf ihre, die einzig richtige Linie also, einschwor. Alle, die nicht drauf waren, wurden im Zentralorgan „Emma“ als Kollaborateurinnen mit dem Feind entlarvt.
So agiert sie noch immer, wie ihr jüngster Ausbruch gegen Frauenministerin Kristina Schröder zeigt, die der grossen alten Dame des Feminismus respektvoll zu widersprechen wagte. Damit erweise Schröder sich als „schlicht ungeeignet“, sie solle besser Pressesprecherin der „rechtskonservativen Männerbünde“ werden. Ja, so kennen wir sie, unsere Alice! Die selbstbestellte Nachfolgerin in der „Emma“-Redaktion, Lisa Ortgies, hielt die Patronin schon nach einer Woche für „überfordert“ und jagte sie auf eine Weise von dannen, die sich kein Mann erlauben dürfte.
Der Protest dagegen blieb verhalten. Wie Joschka Fischer profitiert auch Alice Schwarzer von jener geheimnisvollen Omertá der Weggenossen: selbst die Opfer dieses Werdegangs schweigen eisern. Und will man sich vielleicht vorwerfen lassen, mit einer Kritik an den Ikonen der Bewegung dem Gegner zu dienen?
Schwarzer hat sich unangreifbar gemacht. Und so, wie Atomkraftwerke im Sozialismus schlagartig ungefährlich werden, ist es politisch völlig unanstößig, für die „Bild“-Zeitung zu werben, sofern Alice Schwarzer es tut.
Der Feind, der Mann, sah und sieht das alles ganz gelassen – achwas: er sieht das gar nicht ungern. Während sich einige Mitkämpferinnen aus der Frauenbewegung noch eine Weile wehrten gegen ein paar (damals heftig umstrittene) Kampfthesen a la „Alle Männer sind potentielle Vergewaltiger“, fielen ihnen die Männer reihenweise in den Rücken. Sie schienen zu glauben, „den Frauen“ entgegenzukommen, wenn sie noch den abstrusesten Thesen zustimmten, die Heterosexualität als Unterwerfung der Frauen unter die Männer denunzierten. Da mußte man dann über das andere Gedöns nicht mehr groß diskutieren.
Denn das ist das Schöne an den Männern: Sie können strategisch denken. Sie haben früh erkannt, daß der Kampffeminismus a la Schwarzer entlastet - nämlich sie. Nicht nur, weil keine Frau es gelassen nimmt, wenn man ihren Vortragsstil mit dem eines keifenden Marktweibs vergleicht, also mit der Furie Alice Schwarzer. Sondern weil man mit den großen Zugeständnissen an „die Sache“ von den Mühen der Ebene so fein ablenken kann.
Wer will noch über so Kleinigkeiten wie geteilte Arbeit im gemeinsamen Haushalt streiten, wo es doch um Grundsätzliches geht – ums Herrschafts- und Unterdrückungsverhältnis? Wer will noch den heterosexuellen Elternalltag aushandeln, an dem frau schliesslich selbst schuld ist, warum hat sie sich darauf auch eingelassen – wo es doch um den politischen Kampf weltweit geht? Für ihren Hinweis darauf, daß man gern auch das Private geklärt haben möchte, ohne es stets als Politisches diskutieren zu müssen, strafte Alice Schwarzer denn auch jene jüngeren Frauen ab, die sich der Verpflichtung aufs Grosse Ganze zu entziehen versuchten. „Post-Girlies“ seien das, schimpfte die weise Frau, die sich „ausschliesslich für ihre ganz persönlichen Belange, sprich: für Karriere und Männer“ interessierten.
Solche Frauen aber sind fürs Patriarchat in Wirklichkeit eher unbequem. Prima sind Frauen, die Männern keine Konkurrenz machen, etwa, indem sie sich mit feministischem Spezialistentum fernab weiblicher Lebenswirklichkeit einen der wenigen Frauenlehrstühle erobern, in Konkurrenz zu anderen Frauen. In der akademischen Welt glauben die meisten Männer gern, dass damit alle weiteren weiblichen Ansprüche auf Teilhabe abgegolten sind. Ein perfekter Deal.
Das muss wohl auch die Stadt Köln und den Mäzen Jan Philipp Reemtsma bewogen haben, der Ikone Millionenbeträge und eine Bleibe im „Bayen-Turm“ zur Verfügung zu stellen, als ob das schwer zugängliche „Frauen-Archiv“ mehr als ein Feigenblatt und also von allgemeinem Belang wäre. So ist man andere Ansprüche anderer los. Cool!
Schwarzer kann eben mit Männern. Und am besten ist sie, wenn sie eine potentielle Konkurrentin niedermacht. Wer sie kürzlich in einer Talkshow über den Kachelmann-Prozess gesehen hat, hat gewiss bemerkt, dass sie mit den männlichen Diskutanten respektvoll, ja geradezu flirtiv umging. Attackiert wurde die einzige Frau in der Runde, Gisela Friedrichsen, die unter dem Redeschwall der entfesselten Furie alsbald fassungslos verstummte.
Alice Schwarzer hat sich erfolgreich als Marke etabliert. Ihr geht es um sich, um nichts anderes. Das sollte man ihr nicht verübeln. Egoismus ist legitim. Kritisieren wir sie also dafür nicht: Denn von Alice lernen, heisst siegen lernen. Sucht euch ein moralisch und politisch in sich gerechtfertigtes Anliegen, macht euch zur einzigen legitimen Vertreterin dieser Idee auf Erden und ihr habt es geschafft, Mädels. Da ist noch weit mehr zu holen als ein Job als „Gleichstellungsbeauftragte“!
Die Sache mit dem Mülleimerruntertragen, ehrlich, ist wirklich nicht so wichtig.
In: Focus, 15. November 2010
Denn Frauen hat Alice Schwarzer am wenigsten gebraucht für ihren unaufhaltsamen Aufstieg zur Promifrau. Im Gegenteil: Von Beginn an machte sie sich zur Linienrichterin, die unter dem Schlachtruf „Frau sein allein genügt nicht“ die Genossinnen mit harter Hand auf ihre, die einzig richtige Linie also, einschwor. Alle, die nicht drauf waren, wurden im Zentralorgan „Emma“ als Kollaborateurinnen mit dem Feind entlarvt.
So agiert sie noch immer, wie ihr jüngster Ausbruch gegen Frauenministerin Kristina Schröder zeigt, die der grossen alten Dame des Feminismus respektvoll zu widersprechen wagte. Damit erweise Schröder sich als „schlicht ungeeignet“, sie solle besser Pressesprecherin der „rechtskonservativen Männerbünde“ werden. Ja, so kennen wir sie, unsere Alice! Die selbstbestellte Nachfolgerin in der „Emma“-Redaktion, Lisa Ortgies, hielt die Patronin schon nach einer Woche für „überfordert“ und jagte sie auf eine Weise von dannen, die sich kein Mann erlauben dürfte.
Der Protest dagegen blieb verhalten. Wie Joschka Fischer profitiert auch Alice Schwarzer von jener geheimnisvollen Omertá der Weggenossen: selbst die Opfer dieses Werdegangs schweigen eisern. Und will man sich vielleicht vorwerfen lassen, mit einer Kritik an den Ikonen der Bewegung dem Gegner zu dienen?
Schwarzer hat sich unangreifbar gemacht. Und so, wie Atomkraftwerke im Sozialismus schlagartig ungefährlich werden, ist es politisch völlig unanstößig, für die „Bild“-Zeitung zu werben, sofern Alice Schwarzer es tut.
Der Feind, der Mann, sah und sieht das alles ganz gelassen – achwas: er sieht das gar nicht ungern. Während sich einige Mitkämpferinnen aus der Frauenbewegung noch eine Weile wehrten gegen ein paar (damals heftig umstrittene) Kampfthesen a la „Alle Männer sind potentielle Vergewaltiger“, fielen ihnen die Männer reihenweise in den Rücken. Sie schienen zu glauben, „den Frauen“ entgegenzukommen, wenn sie noch den abstrusesten Thesen zustimmten, die Heterosexualität als Unterwerfung der Frauen unter die Männer denunzierten. Da mußte man dann über das andere Gedöns nicht mehr groß diskutieren.
Denn das ist das Schöne an den Männern: Sie können strategisch denken. Sie haben früh erkannt, daß der Kampffeminismus a la Schwarzer entlastet - nämlich sie. Nicht nur, weil keine Frau es gelassen nimmt, wenn man ihren Vortragsstil mit dem eines keifenden Marktweibs vergleicht, also mit der Furie Alice Schwarzer. Sondern weil man mit den großen Zugeständnissen an „die Sache“ von den Mühen der Ebene so fein ablenken kann.
Wer will noch über so Kleinigkeiten wie geteilte Arbeit im gemeinsamen Haushalt streiten, wo es doch um Grundsätzliches geht – ums Herrschafts- und Unterdrückungsverhältnis? Wer will noch den heterosexuellen Elternalltag aushandeln, an dem frau schliesslich selbst schuld ist, warum hat sie sich darauf auch eingelassen – wo es doch um den politischen Kampf weltweit geht? Für ihren Hinweis darauf, daß man gern auch das Private geklärt haben möchte, ohne es stets als Politisches diskutieren zu müssen, strafte Alice Schwarzer denn auch jene jüngeren Frauen ab, die sich der Verpflichtung aufs Grosse Ganze zu entziehen versuchten. „Post-Girlies“ seien das, schimpfte die weise Frau, die sich „ausschliesslich für ihre ganz persönlichen Belange, sprich: für Karriere und Männer“ interessierten.
Solche Frauen aber sind fürs Patriarchat in Wirklichkeit eher unbequem. Prima sind Frauen, die Männern keine Konkurrenz machen, etwa, indem sie sich mit feministischem Spezialistentum fernab weiblicher Lebenswirklichkeit einen der wenigen Frauenlehrstühle erobern, in Konkurrenz zu anderen Frauen. In der akademischen Welt glauben die meisten Männer gern, dass damit alle weiteren weiblichen Ansprüche auf Teilhabe abgegolten sind. Ein perfekter Deal.
Das muss wohl auch die Stadt Köln und den Mäzen Jan Philipp Reemtsma bewogen haben, der Ikone Millionenbeträge und eine Bleibe im „Bayen-Turm“ zur Verfügung zu stellen, als ob das schwer zugängliche „Frauen-Archiv“ mehr als ein Feigenblatt und also von allgemeinem Belang wäre. So ist man andere Ansprüche anderer los. Cool!
Schwarzer kann eben mit Männern. Und am besten ist sie, wenn sie eine potentielle Konkurrentin niedermacht. Wer sie kürzlich in einer Talkshow über den Kachelmann-Prozess gesehen hat, hat gewiss bemerkt, dass sie mit den männlichen Diskutanten respektvoll, ja geradezu flirtiv umging. Attackiert wurde die einzige Frau in der Runde, Gisela Friedrichsen, die unter dem Redeschwall der entfesselten Furie alsbald fassungslos verstummte.
Alice Schwarzer hat sich erfolgreich als Marke etabliert. Ihr geht es um sich, um nichts anderes. Das sollte man ihr nicht verübeln. Egoismus ist legitim. Kritisieren wir sie also dafür nicht: Denn von Alice lernen, heisst siegen lernen. Sucht euch ein moralisch und politisch in sich gerechtfertigtes Anliegen, macht euch zur einzigen legitimen Vertreterin dieser Idee auf Erden und ihr habt es geschafft, Mädels. Da ist noch weit mehr zu holen als ein Job als „Gleichstellungsbeauftragte“!
Die Sache mit dem Mülleimerruntertragen, ehrlich, ist wirklich nicht so wichtig.
In: Focus, 15. November 2010
Mittwoch, 20. Oktober 2010
Thea Dorn
"Verehrte Frau Mustermann, ich suche keinen Streit. Ich finde ihn."
"Streiten können nur Menschen, die für eine Idee einstehen, die größer ist als sie selbst."
Aus: Ach, Harmonistan. Deutsche Zustände. München 2010
"Streiten können nur Menschen, die für eine Idee einstehen, die größer ist als sie selbst."
Aus: Ach, Harmonistan. Deutsche Zustände. München 2010
Clara Malraux
Memoiren enttäuschter Ex-Frauen verblichener Größe sind nicht gerade mein Ding. Aber dieses Buch hier lohnt sich - schon deshalb:
"Die stärkste Wirkung geht von dem womöglich gar nicht beabsichtigten Nebeneffekt des Buchs aus: Der Mythos von den französischen Intellektuellen, ihrem Esprit und ihrer moralischen Untadeligkeit, entblättert sich ganz nebenher, aber umso nachdrücklicher. Clara Malraux beschreibt eine intellektuelle Szene, der sie selbst angehörte: Ein Milieu, in dem man, unbekümmert um die Wirklichkeit, davon auszugehen schien, dass Talent und intellektuelle Überlegenheit eine höhere Moral bedingen, die den Verstoß gegen Gesetze und Regeln adle. Eine selbstreferentielle Elite nimmt sich Privilegien heraus und feiert sich dabei."
Mehr über die Erinnerungen von Clara Malraux hier.
"Die stärkste Wirkung geht von dem womöglich gar nicht beabsichtigten Nebeneffekt des Buchs aus: Der Mythos von den französischen Intellektuellen, ihrem Esprit und ihrer moralischen Untadeligkeit, entblättert sich ganz nebenher, aber umso nachdrücklicher. Clara Malraux beschreibt eine intellektuelle Szene, der sie selbst angehörte: Ein Milieu, in dem man, unbekümmert um die Wirklichkeit, davon auszugehen schien, dass Talent und intellektuelle Überlegenheit eine höhere Moral bedingen, die den Verstoß gegen Gesetze und Regeln adle. Eine selbstreferentielle Elite nimmt sich Privilegien heraus und feiert sich dabei."
Mehr über die Erinnerungen von Clara Malraux hier.
Stuttgart 21
Sicher: den Rechtsstaat bestimmt Verfahrensgerechtigkeit. Entscheidungen müssen ordnungsgemäß zustandegekommen sein, darin liegt ihre Legitimation. Und: die repräsentative Demokratie hat ihre Vorteile gegenüber dem bei jeder Gelegenheit abzufragenden Volkswillen: man unterstellt den Volksvertretern, über den Kirchturm hinwegzusehen und nicht partielle, sondern allgemeine Interessen zu vertreten.
Tun sie das immer? Und hat das Fußvolk tatzsächlich nicht das Recht, gegen ordnugnsgemäß zustandegekommene Entscheidungen zu protestieren?
Mehr davon in der hier mal wieder klugen FAZ.
Und daß der Bürger nach fünfzehn Jahren ordnungsgemäßer Verfahren womöglich schlauer ist als die einst Entscheidenden, schildert auf die ihm eigene präzise und differenzierte Art Dieter Bartetzko, ebenfalls in der FAZ.
Tun sie das immer? Und hat das Fußvolk tatzsächlich nicht das Recht, gegen ordnugnsgemäß zustandegekommene Entscheidungen zu protestieren?
Mehr davon in der hier mal wieder klugen FAZ.
Und daß der Bürger nach fünfzehn Jahren ordnungsgemäßer Verfahren womöglich schlauer ist als die einst Entscheidenden, schildert auf die ihm eigene präzise und differenzierte Art Dieter Bartetzko, ebenfalls in der FAZ.
Applaus für Güner Balci
Ich finde, man kann Güner Yasemin Balci verzeihen, daß sie den bösen Thilo Sarrazin auch nicht gelesen hat - wer die Jungs (und Mädels) derart elegant tiefer hängt, verdient Beifall - schon fürs Ironisieren einer tränenreichen Empörungskampagne falscher Opfer...
"Lieber Fatih, lieber Feridun!
Mit Betroffenheit nehme ich zur Kenntnis, dass ihr euch nicht mehr zum Zeitungsladen traut, dass Ihr Angst habt vor den Anfeindungen, die in dieser Welt auf euch lauern - schlicht, weil ihr Moslems seid. Mir war gar nicht bewusst, wie diskriminiert ihr euch in eurem eigenen Land fühlt. Ich dachte eigentlich immer: Die Jungs haben's geschafft, zwei leuchtende Vorbilder für gelungene Integration und - mehr noch - eine Bereicherung für die Kultur der Republik. Mit euren Filmen und Geschichten über die Zwänge und Konflikte patriarchalischer Stammesstrukturen aus Anatolien habt ihr nicht nur die Kritiker der Feuilletons begeistert, sondern ganze Aufklärungsarbeit geleistet.
Ich meine zum Beispiel den Film "Gegen die Wand", in dem die Protagonistin sich dem Kampf gegen ihre Familie stellt, weil sie selber entscheiden will, mit wem sie ins Bett geht. Oder den Roman "Leyla", der die schockierenden Gewaltexzesse eines anatolischen Tyrannen gegen seine Frau und Kinder zeigt. Waren die Geschichten der muslimischen Frauen, die der Unterdrückung durch ihre Familien ausgesetzt sind, nun ernst gemeint - oder waren das etwa die von euch beklagten "stereotypen Bilder", also realitätsferne Fiktionen mit dem einzigen Zweck, das Publikum zu unterhalten? Wenn Letzteres zutrifft, hat eine ganze Nation euch wohl missverstanden. Auch ich möchte mich dann bei euch entschuldigen: Ich habe alles für bare Münze genommen!"
Weiterlesen in der Welt...
"Lieber Fatih, lieber Feridun!
Mit Betroffenheit nehme ich zur Kenntnis, dass ihr euch nicht mehr zum Zeitungsladen traut, dass Ihr Angst habt vor den Anfeindungen, die in dieser Welt auf euch lauern - schlicht, weil ihr Moslems seid. Mir war gar nicht bewusst, wie diskriminiert ihr euch in eurem eigenen Land fühlt. Ich dachte eigentlich immer: Die Jungs haben's geschafft, zwei leuchtende Vorbilder für gelungene Integration und - mehr noch - eine Bereicherung für die Kultur der Republik. Mit euren Filmen und Geschichten über die Zwänge und Konflikte patriarchalischer Stammesstrukturen aus Anatolien habt ihr nicht nur die Kritiker der Feuilletons begeistert, sondern ganze Aufklärungsarbeit geleistet.
Ich meine zum Beispiel den Film "Gegen die Wand", in dem die Protagonistin sich dem Kampf gegen ihre Familie stellt, weil sie selber entscheiden will, mit wem sie ins Bett geht. Oder den Roman "Leyla", der die schockierenden Gewaltexzesse eines anatolischen Tyrannen gegen seine Frau und Kinder zeigt. Waren die Geschichten der muslimischen Frauen, die der Unterdrückung durch ihre Familien ausgesetzt sind, nun ernst gemeint - oder waren das etwa die von euch beklagten "stereotypen Bilder", also realitätsferne Fiktionen mit dem einzigen Zweck, das Publikum zu unterhalten? Wenn Letzteres zutrifft, hat eine ganze Nation euch wohl missverstanden. Auch ich möchte mich dann bei euch entschuldigen: Ich habe alles für bare Münze genommen!"
Weiterlesen in der Welt...
Montag, 11. Oktober 2010
E-Book - E-Gitt?
Hier eine Diskussion unter Agenten, Verlegern und yours truly - zu lesen und zu hören im Börsenblatt.
Freitag, 1. Oktober 2010
Heilsarmee Deutschland
"In der taz kann man heute einen Appell mit dem Titel „Nein zur Ausgrenzung“ lesen.
Darin geht es selbstverständlich um die von Sarrazin angeblich so schrecklich gemobten Migranten. Die Migration sollte nicht nach Kosten-Nutzen-Erwägungen beurteilt werden. Vielmehr sollte den Betroffenen ein selbstbewusstes Leben in Deutschland ermöglicht werden. Sind wir die Heilsarmee oder das Schlaraffenland?"
fragt Richard Wagner.
Darin geht es selbstverständlich um die von Sarrazin angeblich so schrecklich gemobten Migranten. Die Migration sollte nicht nach Kosten-Nutzen-Erwägungen beurteilt werden. Vielmehr sollte den Betroffenen ein selbstbewusstes Leben in Deutschland ermöglicht werden. Sind wir die Heilsarmee oder das Schlaraffenland?"
fragt Richard Wagner.
Dienstag, 28. September 2010
Verdacht!
Eben gesehen und selten so gelacht: Kulturzeit auf 3sat vom 13. September.
Andrea Meier spricht mit dem Politologen Albrecht von Lucke - ach was, sie spricht nicht mit ihm, sie bestichwortet ihn, während er atemlos eine altbekannte Erzählung zum Besten gibt: die Geschichte vom wieder einmal drohenden "Rechtsruck", der, kenntlich seit der Sarrazin-Debatte, durchs Land gehe, von einem Diskurs, der "ansteckend" sei, vom "Dammbruch" (braune Flut?), von einer "rechtsintellektuellen Bewegung". Es ist wieder soweit!
Das ist natürlich eine Story, bei der jeder mitnicken kann, dessen Herz links schlägt. Auch die Herzlosen, denn wollen sie sich etwa verdächtig machen, dieses ansteckende Virus weiter zu tragen, bis das Land von der braunen Flut... usw. usf.? Wehret den Anfängen!
Ich will schon abschalten, weil ich die Welt normalerweise etwas differenzierter sehe, da passiert's: Andrea Meier, die adrette neutrale Schweizerin, hat noch ein As im Ärmel, einen dramatischen Höhepunkt sozusagen, der den Dammbruch erst richtig deutlich macht: Nicht nur Sloterdijk ist irgendwie irgendwas, sondern auch: "Die feministische Autorin Cora Stephan steht unter konservativem Verdacht."
Auweia! Konservative verdächtigen mich? Und wenn, dann wessen?
Okay, Beckmesser aus. Frau Meier wollte natürlich sagen: die Feministin ist des Konservatismus verdächtig.
Was soll ich da sagen? "Feministin" war ich zwar nie, das Wort liebe ich mindestens so sehr wie das Wort "Aktivistin", dennoch würde ich jederzeit konzedieren, daß auch eine Feministin konservativ sein darf. Andererseits: wer "unter Verdacht" steht, muß doch mindestens etwas Strafwürdiges getan haben, oder? Gehört also bei der niveauvollen Kulturzeitredaktion "konservativ" zu Pfui Bäh und anderen Dingen, die man weder tun noch sein darf? Also fast so schlimm wie's Kinderschänden?
Schon möchte ich belehren, entwerfe in Gedanken einen Brief, etwa folgenden Inhalts: "Liebe Frau Meier, bislang ist hierzulande 'konservativ' noch nichts Verdächtiges und im übrigen auch nicht 'rechts', wußten Sie das? Und, liebe Frau Meier, gibt es Ihnen nicht zu denken, daß man im linken juste milieu selbst genuin liberale Positionen nicht mehr versteht, weil in diesem Wolkenkuckucksheim alles, was nicht links ist, vollautomatisch als rechts gilt?
Und wollen Sie wirklich, daß ich Ihnen mit einer Retourkutsche komme, so in die Richtung 'Die Schweizerin Frau Meier steht unter Dummheitsverdacht'? Nein, oder?"
Aber das wäre wohl Zeitverschwendung. Ich fürchte, gegen Verbohrtheit ist kein Kraut gewachsen.
Andrea Meier spricht mit dem Politologen Albrecht von Lucke - ach was, sie spricht nicht mit ihm, sie bestichwortet ihn, während er atemlos eine altbekannte Erzählung zum Besten gibt: die Geschichte vom wieder einmal drohenden "Rechtsruck", der, kenntlich seit der Sarrazin-Debatte, durchs Land gehe, von einem Diskurs, der "ansteckend" sei, vom "Dammbruch" (braune Flut?), von einer "rechtsintellektuellen Bewegung". Es ist wieder soweit!
Das ist natürlich eine Story, bei der jeder mitnicken kann, dessen Herz links schlägt. Auch die Herzlosen, denn wollen sie sich etwa verdächtig machen, dieses ansteckende Virus weiter zu tragen, bis das Land von der braunen Flut... usw. usf.? Wehret den Anfängen!
Ich will schon abschalten, weil ich die Welt normalerweise etwas differenzierter sehe, da passiert's: Andrea Meier, die adrette neutrale Schweizerin, hat noch ein As im Ärmel, einen dramatischen Höhepunkt sozusagen, der den Dammbruch erst richtig deutlich macht: Nicht nur Sloterdijk ist irgendwie irgendwas, sondern auch: "Die feministische Autorin Cora Stephan steht unter konservativem Verdacht."
Auweia! Konservative verdächtigen mich? Und wenn, dann wessen?
Okay, Beckmesser aus. Frau Meier wollte natürlich sagen: die Feministin ist des Konservatismus verdächtig.
Was soll ich da sagen? "Feministin" war ich zwar nie, das Wort liebe ich mindestens so sehr wie das Wort "Aktivistin", dennoch würde ich jederzeit konzedieren, daß auch eine Feministin konservativ sein darf. Andererseits: wer "unter Verdacht" steht, muß doch mindestens etwas Strafwürdiges getan haben, oder? Gehört also bei der niveauvollen Kulturzeitredaktion "konservativ" zu Pfui Bäh und anderen Dingen, die man weder tun noch sein darf? Also fast so schlimm wie's Kinderschänden?
Schon möchte ich belehren, entwerfe in Gedanken einen Brief, etwa folgenden Inhalts: "Liebe Frau Meier, bislang ist hierzulande 'konservativ' noch nichts Verdächtiges und im übrigen auch nicht 'rechts', wußten Sie das? Und, liebe Frau Meier, gibt es Ihnen nicht zu denken, daß man im linken juste milieu selbst genuin liberale Positionen nicht mehr versteht, weil in diesem Wolkenkuckucksheim alles, was nicht links ist, vollautomatisch als rechts gilt?
Und wollen Sie wirklich, daß ich Ihnen mit einer Retourkutsche komme, so in die Richtung 'Die Schweizerin Frau Meier steht unter Dummheitsverdacht'? Nein, oder?"
Aber das wäre wohl Zeitverschwendung. Ich fürchte, gegen Verbohrtheit ist kein Kraut gewachsen.
Dienstag, 21. September 2010
Habermas...
oder: wie peinlich darf ein deutscher Professor sein?
Ein offener Brief von Aramech Dustdar an den Philosophen, in dem er sich mit dessen SChwärmerei für den Iran auseinandersetzt, veröffentlicht von Thomas Eppinger.
Ein offener Brief von Aramech Dustdar an den Philosophen, in dem er sich mit dessen SChwärmerei für den Iran auseinandersetzt, veröffentlicht von Thomas Eppinger.
Montag, 20. September 2010
Phase 2
"Klar aber wurde in den folgenden Tagen, dass nun offenbar Phase zwei des Sarrazin-Phänomens eingeleitet ist, die der Publikumsbeschimpfung. Mit Sarrazin waren die Apparate und der Großteil der Medien eher rumpelnd und krachend fertig geworden. Er ist, wie der SPIEGEL schrieb, "erfolgreich geächtet" worden. Nun knöpft sich "das verunsicherte journalistische Milieu, das im Minutentakt seine Meinung ändert" (Schirrmacher) die bürgerliche Mitte vor und legt sie auf die Couch und bescheinigt ihr Pogrombereitschaft gegen Minderheiten. So was nennt man dann wohl Deutungshoheit in einer Debatte. Sie ist immer sehr weit oben angesiedelt."
Matthias Matussek, Spiegel (aber nur der online)
Matthias Matussek, Spiegel (aber nur der online)
Es geht doch...
"… wir wollen unsere Texte nicht in Dossiers wiederfinden, wo sie von Menschen, die das Buch nicht gelesen haben, dazu verwendet werden, jemanden zu sanktionieren. Wir schreiben nicht für Personalchefs und karrierebewusste Bundesbankpräsidenten, der Journalismus ist nicht dafür da, an den Rufmord grenzende Prozesse zu munitionieren, in denen die Ankläger sich nicht dazu herablassen, auch nur mit einem Wort Argumente zu widerlegen.”
Frank Schirrmacher, FAZ
Frank Schirrmacher, FAZ
Dienstag, 14. September 2010
Großartig.
Es gibt noch unabhängige Journalisten - in Frankfurt: nämlich Volker Zastrow.
Um München hingegen kann einem bange werden: dort darf man zwar sein Bürgerrecht ausüben, aber man sollte sich nicht wundern, wenns dafür Mordanschläge gibt: "Sicherlich, Westergaard kann denken und zeichnen, was er will. Wenn er
aber meint, dass dies sein Bürgerrecht ist, muss er auch die
Konsequenzen bedenken." Oh, heilige SZ...
Um München hingegen kann einem bange werden: dort darf man zwar sein Bürgerrecht ausüben, aber man sollte sich nicht wundern, wenns dafür Mordanschläge gibt: "Sicherlich, Westergaard kann denken und zeichnen, was er will. Wenn er
aber meint, dass dies sein Bürgerrecht ist, muss er auch die
Konsequenzen bedenken." Oh, heilige SZ...
Sonntag, 12. September 2010
Samstag, 11. September 2010
Freitag, 10. September 2010
Gut gegeben
"Kann man nicht endlich mal Strafparagraphen gegen die Indienstnahme des Holocaust aus Argumentationsnot wegen geistiger Minderbemitteltheit einführen? Das wäre doch ein schöner Erfolg der Sarrazin-Sturms, mit dem der Debattenkultur in Deutschland eindeutig gedient wäre."
Jan Fleischhauer.
Jan Fleischhauer.
Donnerstag, 9. September 2010
Meinungsvielfalt
Die FAZ über den Rücktritt Sarrazins von seinem Amt im Vorstand der Bundesbank: "Sarrazin hatte mit Äußerungen in seinem Buch „Deutschland schafft sich ab“ über eine angeblich erbliche Dummheit muslimischer Einwanderer bundesweit für Empörung gesorgt."
Was wird hier unter "bundesweit" verstanden? Die bundesweite Meinungsführerschaft? Und wo steht das mit der "erblichen Dummheit muslimischer Einwanderer"? Ich hab die Stelle nicht gefunden.
Was wird hier unter "bundesweit" verstanden? Die bundesweite Meinungsführerschaft? Und wo steht das mit der "erblichen Dummheit muslimischer Einwanderer"? Ich hab die Stelle nicht gefunden.
Mittwoch, 8. September 2010
Richtlinienkompetenz
Hier hat wohl jemand die eigene Zeitung nicht gelesen:
"Angela Merkels Solidarität mit Westergaard, die einen hohen außenpolitischen Preis fordern könnte, inspiriert die Freiheitsbewegung in Iran und verleiht auch den internationalen Einsätzen der Bundeswehr eine symbolische Legitimation. So kurz nach ihrem Einspruch gegen das pauschale Urteil von Thilo Sarrazin über die in Deutschland lebenden Muslime kommt dieser symbolischen Handlung eine besondere dialektische Geltung zu: Hier halten wir uns von biologistischen Abqualifizierungen fern, dort feiern wir das so hart erworbene Recht auf freie und freche Meinungsäußerung.
So steckt die Kanzlerin die breite republikanische und bürgerliche Fahrspur ab, die sich selbstbewusst zwischen Bartträgern und den Hitzköpfen der anderen Seite eröffnet. So gefällt uns Richtlinienkompetenz."
Nils Minkmar, FAZ
"Angela Merkels Solidarität mit Westergaard, die einen hohen außenpolitischen Preis fordern könnte, inspiriert die Freiheitsbewegung in Iran und verleiht auch den internationalen Einsätzen der Bundeswehr eine symbolische Legitimation. So kurz nach ihrem Einspruch gegen das pauschale Urteil von Thilo Sarrazin über die in Deutschland lebenden Muslime kommt dieser symbolischen Handlung eine besondere dialektische Geltung zu: Hier halten wir uns von biologistischen Abqualifizierungen fern, dort feiern wir das so hart erworbene Recht auf freie und freche Meinungsäußerung.
So steckt die Kanzlerin die breite republikanische und bürgerliche Fahrspur ab, die sich selbstbewusst zwischen Bartträgern und den Hitzköpfen der anderen Seite eröffnet. So gefällt uns Richtlinienkompetenz."
Nils Minkmar, FAZ
Dienstag, 7. September 2010
Von der Meinungsfreiheit
In der FAZ, deren Herausgeber Frank Schirrmacher den Biologismus von Thilo Sarrazin entdeckt hat, heute ein bemerkenswertes Resümee - zwei Autoren kommen zu einem ganz anderen Resultat: "Sarrazin argumentiert, zumindest was das Psychologische angeht, für einen Laien bemerkenswert differenziert; Korrelation wird von Kausalität unterschieden, andere Ansichten werden zitiert und argumentativ bewertet." "Sarrazins Thesen sind (...) im Großen und Ganzen mit dem Kenntnisstand der modernen psychologischen Forschung vereinbar." Usw. usf., eine sehr lange, sehr gründliche Auseinandersetzung mit seinen Thesen zu Intelligenz, Vererbung, Kultur.
Kompliment an die FAZ: das nennt man Meinungsfreiheit.
Kompliment an die FAZ: das nennt man Meinungsfreiheit.
Montag, 6. September 2010
Sonntag, 5. September 2010
Fundstücke
Neues vom Juden-Gen - übermittelt von Bastian Wolf aus Tel Aviv:
Haaretz
Ein interessanter Artikel von Chaim Noll (Jerusalem) in der FAS, nachzulesen mit weiteren links bei Gudrun Eussner.
In der FAS heute ein hochinteressanter Beitrag von Claudius Seidl - nein, nicht gegen die "Islamophoben". Sondern über gute Gründe, sich mal mit Demographie und der Weitergabe von Verhaltensmustern zu beschäftigen.
Haaretz
Ein interessanter Artikel von Chaim Noll (Jerusalem) in der FAS, nachzulesen mit weiteren links bei Gudrun Eussner.
In der FAS heute ein hochinteressanter Beitrag von Claudius Seidl - nein, nicht gegen die "Islamophoben". Sondern über gute Gründe, sich mal mit Demographie und der Weitergabe von Verhaltensmustern zu beschäftigen.
Samstag, 4. September 2010
Wie man kein Einwanderungsland wird
Wenn Deutschland ein Einwanderungsland werden will, muß es noch üben. Mit einer „Debattenkultur“, in der Fernsehmoderatoren als heilige Inquisition den freien Gedankenaustausch brutal unterbinden, mit einer politischen Führung, die sich untertänigst bei allen entschuldigt, die sich von ausgeübter Meinungsfreiheit womöglich beleidigt fühlen könnten, ist jedenfalls kein Staat zu machen. Das lockt keine Fachkraft zu uns – und die Deutschen selbst, die man ja so eigentlich nicht mehr nennen darf, fühlen sich der Political Correctness geopfert. Wenn wir schon vom guten Ruf Deutschlands reden, dann hat ihm nicht Thilo Sarrazin, sondern Politik und öffentliche Meinung den Rest gegeben.
Was bitte ist von einem Land zu halten, dessen öffentlich auftretende Elite das Hantieren mit Zahlen und Tatsachenbehauptungen als „unmenschlich“ und „gefühlskalt“ empfindet? Wo eine Landesministerin verkündet, sie brauche keine Analyse, sie kenne ihre Migranten, die müsse man halt mit „kultursensibler Sprache“ und menschlicher Wärme „in die Mitte“ nehmen? Wo der Bundespräsident die Integration für eine Frage der Teilnahme an „Integrationskursen“ hält und wo in einem seriösen Blatt wie der „Zeit“ gefordert wird, wichtige Debatten nicht während des Ramadam zu führen, weil „Menschen mit Migrationshintergrund“ dann andere Sorgen hätten? Da lachen doch die Hühner. Und die Inder.
Wer seinen Kopf benutzt, weiß, daß man in diesem Land viel für die Integration der Hinzugekommenen getan hat und daß nun auch mal die anderen dran sind. Die Wahrheit ist den Menschen zuzumuten. Denn das Grundproblem, das Thilo Sarrazin in seinem Buch anspricht, ist ja gar nicht neu und längst bekannt, wie plötzlich alle behaupten: Bislang haben hierzulande die Anreize überwogen, die einen Zuzug nicht in Arbeit, sondern in das Sozialsystem attraktiv gemacht haben. Ausländer mit jener so dringend benötigen naturwissenschaftlich-technischen Intelligenz, ehrgeizige Hochqualifizierte, die hier etwas werden und gestalten wollen, lockt das nicht.
Statt dessen gibt es eine auffällige Minderheit mit überwiegend türkischem oder arabischen Hintergrund, die dieses Land, seine Bevölkerung, deren Kultur, Religion und Lebensweise verachten. Warum man diese autoritär-patriarchalisch geprägte Bevölkerungsgruppe umarmend „in die Mitte“ nehmen will, ist mir schleierhaft. Die will nicht umarmt werden.
Die sind auch keine Opfer und schon mal gar nicht dumm. Kinderreiche Migranten, die „hartzen“, können zumindestens eines: rechnen. Und es reichen die Grundrechenarten, um zu erkennen, daß sich in diesem Land arbeiten nicht lohnt – zumal sich die ökonomischen Anreize mit einer öffentlichen Rhetorik verbinden, in der „Leistung“ nicht gerade angesehen ist.
Deutschland fehlt es an Selbstachtung. Warum sollten kleine Machos Respekt vor einem Land haben, in dem die Menschen fürchten, als ausländerfeindlich und rassistisch zu gelten, wenn sie primär an die eigenen Wertvorstellungen - und erst danach an den Ramadan denken? In dem niemand Grenzen zieht und überall der Kuschelfaktor dominiert? In dem „Leistungsträger“ verachtet und „Leistungsempfänger“ heilig gesprochen werden? Und in dem man glaubt, Bildung sei durch mehr Geld zu bekommen, und nicht vielmehr durch eine Umgebung, in der Produktivität, Leistung und Herausforderung den Alltag bestimmen - kurz: in der gearbeitet wird?
Doch man beugt sich nunmal hierzulande lieber über Opfer, als sich um die Ehrgeizigen zu bemühen, die „Leistungsträger“. Vielen wird ja allein bei diesem Wort schon übel.
Nein, an der Fertilität der „Falschen“ wird dieses Land nicht zugrundegehen, da hat Sarrazin sich gründlich verrannt. Gewiß aber ist für eine erfolgreiche Integration schlecht gerüstet, wer sich einer paternalistischen Kultur zugehörig fühlt, in der das Individuum nichts, die Familie bzw. die (Glaubens-) gemeinschaft alles ist. Die individuelle Zurechnung von Erfolg ist die Bedingung für jenen Aufstiegswillen, von dem wir hier nicht weniger, sondern mehr benötigen. Irgend jemand muß den Wohlstand schaffen, den Politiker verteilen möchten. Doch das macht wenig Spaß, wenn man schon bei gemäßigtem Wohlstand als einer der Reichen gilt, denen man nehmen muß.
Thilo Sarrazin ist der Racheengel der frustrierten Mittelschicht – die hohen Zustimmungsraten für ihn spiegeln den Unmut der arbeitenden Bevölkerung. Sie hätten alles Recht der Welt, gekränkt und beleidigt zu sein. Nicht nur Sarrazins Äußerungen sind „für viele Menschen in diesem Land nur verletzend", wie Angela Merkel wissen ließ. Auch der Kanzlerin Ignoranz all den anderen gegenüber. Und die erzürnt nicht nur, daß mit Sarrazin ein Sündenbock zum Opfer gebracht wurde – sondern auch, daß im Zuge der Hatz auf ihn ein paar zivilisatorische und politische Grundwerte auf der Strecke geblieben sind.
Die Bundeskanzlerin gerierte sich als Oberzensorin, obwohl sie das Buch des Autors gar nicht gelesen hatte, empfahl hernach dem Vorstand der Bundesbank öffentlich, sich von Thilo Sarrazin zu trennen, und lobte zum Schluß dessen „unabhängige Entscheidung“. Sollte das ein Scherz sein? Und was ist von einem Bundespräsidenten zu halten, der sich eilfertig als Erfüllungsgehilfe annonciert? Langsam ahnt man, was Altbundespräsident Köhler dazu bewogen haben könnte, den Bettel hinzuschmeißen. Soviel Arroganz gegenüber den Regeln der Demokratie, sowenig Respekt vor dem Amt, das man ausübt, hat man hierzulande selten erlebt. Und jetzt möchte unsere verlogene Elite, nachdem der Provokateur entfernt ist, endlich über das „Megathema der nächsten Jahre“ diskutieren: Über Integration.
Man faßt es nicht. Müßten wir nicht langsam mal, umgekehrt, über die Qualitäten und Kriterien diskutieren, die über Zuzug entscheiden sollten? Sofern noch jemand kommen mag? Müßten wir nicht endlich damit beginnen, ein Einwanderungsland zu werden?
Übrigens: wir sind schon weiter, als die politische Betulichkeit wahrnimmt. Das selbstbewußte Auftreten der Vorzeigemuslimas in der Debatte um Sarrazin hat gezeigt, daß jemand mit Migrationshintergrund längst nicht mehr das Opfer ist, das man umhätscheln muß. Auch wenn sie sich gerne beleidigt geben: Falsche Rücksichtnahme auf ein so starkes Gegenüber ist nicht mehr nötig.
© Cora Stephan 2010
Welt Online 4. 9. 2010
Was bitte ist von einem Land zu halten, dessen öffentlich auftretende Elite das Hantieren mit Zahlen und Tatsachenbehauptungen als „unmenschlich“ und „gefühlskalt“ empfindet? Wo eine Landesministerin verkündet, sie brauche keine Analyse, sie kenne ihre Migranten, die müsse man halt mit „kultursensibler Sprache“ und menschlicher Wärme „in die Mitte“ nehmen? Wo der Bundespräsident die Integration für eine Frage der Teilnahme an „Integrationskursen“ hält und wo in einem seriösen Blatt wie der „Zeit“ gefordert wird, wichtige Debatten nicht während des Ramadam zu führen, weil „Menschen mit Migrationshintergrund“ dann andere Sorgen hätten? Da lachen doch die Hühner. Und die Inder.
Wer seinen Kopf benutzt, weiß, daß man in diesem Land viel für die Integration der Hinzugekommenen getan hat und daß nun auch mal die anderen dran sind. Die Wahrheit ist den Menschen zuzumuten. Denn das Grundproblem, das Thilo Sarrazin in seinem Buch anspricht, ist ja gar nicht neu und längst bekannt, wie plötzlich alle behaupten: Bislang haben hierzulande die Anreize überwogen, die einen Zuzug nicht in Arbeit, sondern in das Sozialsystem attraktiv gemacht haben. Ausländer mit jener so dringend benötigen naturwissenschaftlich-technischen Intelligenz, ehrgeizige Hochqualifizierte, die hier etwas werden und gestalten wollen, lockt das nicht.
Statt dessen gibt es eine auffällige Minderheit mit überwiegend türkischem oder arabischen Hintergrund, die dieses Land, seine Bevölkerung, deren Kultur, Religion und Lebensweise verachten. Warum man diese autoritär-patriarchalisch geprägte Bevölkerungsgruppe umarmend „in die Mitte“ nehmen will, ist mir schleierhaft. Die will nicht umarmt werden.
Die sind auch keine Opfer und schon mal gar nicht dumm. Kinderreiche Migranten, die „hartzen“, können zumindestens eines: rechnen. Und es reichen die Grundrechenarten, um zu erkennen, daß sich in diesem Land arbeiten nicht lohnt – zumal sich die ökonomischen Anreize mit einer öffentlichen Rhetorik verbinden, in der „Leistung“ nicht gerade angesehen ist.
Deutschland fehlt es an Selbstachtung. Warum sollten kleine Machos Respekt vor einem Land haben, in dem die Menschen fürchten, als ausländerfeindlich und rassistisch zu gelten, wenn sie primär an die eigenen Wertvorstellungen - und erst danach an den Ramadan denken? In dem niemand Grenzen zieht und überall der Kuschelfaktor dominiert? In dem „Leistungsträger“ verachtet und „Leistungsempfänger“ heilig gesprochen werden? Und in dem man glaubt, Bildung sei durch mehr Geld zu bekommen, und nicht vielmehr durch eine Umgebung, in der Produktivität, Leistung und Herausforderung den Alltag bestimmen - kurz: in der gearbeitet wird?
Doch man beugt sich nunmal hierzulande lieber über Opfer, als sich um die Ehrgeizigen zu bemühen, die „Leistungsträger“. Vielen wird ja allein bei diesem Wort schon übel.
Nein, an der Fertilität der „Falschen“ wird dieses Land nicht zugrundegehen, da hat Sarrazin sich gründlich verrannt. Gewiß aber ist für eine erfolgreiche Integration schlecht gerüstet, wer sich einer paternalistischen Kultur zugehörig fühlt, in der das Individuum nichts, die Familie bzw. die (Glaubens-) gemeinschaft alles ist. Die individuelle Zurechnung von Erfolg ist die Bedingung für jenen Aufstiegswillen, von dem wir hier nicht weniger, sondern mehr benötigen. Irgend jemand muß den Wohlstand schaffen, den Politiker verteilen möchten. Doch das macht wenig Spaß, wenn man schon bei gemäßigtem Wohlstand als einer der Reichen gilt, denen man nehmen muß.
Thilo Sarrazin ist der Racheengel der frustrierten Mittelschicht – die hohen Zustimmungsraten für ihn spiegeln den Unmut der arbeitenden Bevölkerung. Sie hätten alles Recht der Welt, gekränkt und beleidigt zu sein. Nicht nur Sarrazins Äußerungen sind „für viele Menschen in diesem Land nur verletzend", wie Angela Merkel wissen ließ. Auch der Kanzlerin Ignoranz all den anderen gegenüber. Und die erzürnt nicht nur, daß mit Sarrazin ein Sündenbock zum Opfer gebracht wurde – sondern auch, daß im Zuge der Hatz auf ihn ein paar zivilisatorische und politische Grundwerte auf der Strecke geblieben sind.
Die Bundeskanzlerin gerierte sich als Oberzensorin, obwohl sie das Buch des Autors gar nicht gelesen hatte, empfahl hernach dem Vorstand der Bundesbank öffentlich, sich von Thilo Sarrazin zu trennen, und lobte zum Schluß dessen „unabhängige Entscheidung“. Sollte das ein Scherz sein? Und was ist von einem Bundespräsidenten zu halten, der sich eilfertig als Erfüllungsgehilfe annonciert? Langsam ahnt man, was Altbundespräsident Köhler dazu bewogen haben könnte, den Bettel hinzuschmeißen. Soviel Arroganz gegenüber den Regeln der Demokratie, sowenig Respekt vor dem Amt, das man ausübt, hat man hierzulande selten erlebt. Und jetzt möchte unsere verlogene Elite, nachdem der Provokateur entfernt ist, endlich über das „Megathema der nächsten Jahre“ diskutieren: Über Integration.
Man faßt es nicht. Müßten wir nicht langsam mal, umgekehrt, über die Qualitäten und Kriterien diskutieren, die über Zuzug entscheiden sollten? Sofern noch jemand kommen mag? Müßten wir nicht endlich damit beginnen, ein Einwanderungsland zu werden?
Übrigens: wir sind schon weiter, als die politische Betulichkeit wahrnimmt. Das selbstbewußte Auftreten der Vorzeigemuslimas in der Debatte um Sarrazin hat gezeigt, daß jemand mit Migrationshintergrund längst nicht mehr das Opfer ist, das man umhätscheln muß. Auch wenn sie sich gerne beleidigt geben: Falsche Rücksichtnahme auf ein so starkes Gegenüber ist nicht mehr nötig.
© Cora Stephan 2010
Welt Online 4. 9. 2010
Freitag, 3. September 2010
Von Zahlenmenschen und Gefühlsspezialisten
Nein, Herr Wang möchte nicht nach Deutschland einwandern. Eigentlich mag er das Land. Und das Geld stimmt auch. Aber er hat unsere Kultur ein wenig näher studiert. Seither möchte er lieber nicht.
Herr Wang ist Naturwissenschaftler. Herr Wang hat mitbekommen, wie man in Deutschland Debatten zu führen pflegt. Mit viel Gefühl. Und mit ganz wenig Verstand. Und gänzlich ohne Respekt vor Zahlen und Tatsachen. Das aber ist schlecht für die Ingenieurskunst. „Was soll ich denn machen“, sagt Herr Wang, „wenn ein Mitarbeiter, der meine Zahlen bezweifelt, sie nicht etwa überprüft, sondern sich von ihnen verletzt und beleidigt fühlt?“
Deutschland, einst Hort der Ingenieurskunst und noch immer eine starke Wirtschaftsmacht, Deutschland, sagt Herr Wang, ist im Begriff, sich selbst abzuschaffen. Und da möchte er nicht dabeisein.
Nun, wer in den letzten Tagen ferngesehen hat, wird Herrn Wang nicht widersprechen können. Er hat ein Land erlebt, in dem der Ökonom Thilo Sarrazin von der Politikerin Renate Künast als „menschlich schäbig“ und „gefühlskalt“ beschimpft wurde, weil er sich auf Zahlen und Statistiken bezieht. In dem eine deutschtürkische Landesministerin aus Niedersachsen, die der Presse „kultursensible Sprache“ gegenüber türkischen Migranten verordnen wollte, stolz verkündet, „sie brauche keine Statistiken und Analysen“, da sie die „Migranten ja kenne“.
Ob bei Beckmann, ob bei Plasberg: es triumphierten die Menschlichkeit und das Leben über das statistische Teufelszeug, das „Menschen auf Zahlen“ reduziere. Selbst die Bundeskanzlerin, von Haus aus Naturwissenschaftlerin, übernahm den neuen Gefühlssprech und ließ uns an ihren Empfindungen teilhaben. Alles andere hieße ja wohl auch, über eigene Versäumnisse zu reden.
Denn Thilo Sarrazin konstatiert, was schlechterdings nicht zu leugnen ist: eine Minderheit hierzulande will sich nicht integrieren, da sie diese Gesellschaft, ihre Kultur und ihre autochthone Bevölkerung verachtet – deren Vertreter wiederum trauen sich nicht, den nötigen Respekt auch einzufordern. Das ist und bleibt der Hauptpunkt der Debatte – die nun im Namen der Menschlichkeit und der Gefühle zusammen mit Thilo Sarrazin erlegt und erledigt werden soll.
Es ist an Schäbigkeit nicht zu überbieten, was uns hier als Debattenkultur, als Weltoffenheit, als Menschlichkeit und buntes Multikulti vorgeführt wird. Die Vertreter der deutsch-türkischen Community tun beleidigt und leugnen das Problem. Politiker setzen auf das dort vermutete Wählerpotential und leugnen ihrerseits, daß das hierzulande übliche „Fördern statt Fordern“ längst an seine Grenzen gestoßen ist. Und niemand vertritt die Interessen der eingeborenen Bevölkerung, die ja womöglich Gründe dafür hat, daß sie sich die Objekte ihrer kulturellen Sensibilität von niemandem vorschreiben lassen will.
Und Sarrazin? Ist der Sündenbock, dem blanke Menschenverachtung und blanker Hass entgegenschlagen und der dennoch und auf fast rührende Weise immer und immer wieder versucht, doch noch ein Argument loszuwerden.
Nun, Umfragewerte und Internetkommentare lassen erkennen, daß das Volk mit den politischen Eliten auch hier nicht übereinstimmt. Beide großen Parteien haben die Gefolgschaft ihrer Wählerschaft eingebüßt. Der SPD droht ein Aufstand der Basis, wenn sie Sarrazin ausschließt. Und der Kanzlerin wird man es übel vermerken, daß sie einen wichtigen Amtsträger, die Meinungsfreiheit und die ihr von Amtswegen angemessene Distanz geopfert hat, um der SPD das Leben noch ein wenig schwerer zu machen. Und alle gemeinsam haben sich mit ihrer menschelnd aufgemotzten Verlogenheit bis auf die Knochen blamiert. Eine große Mehrheit der Deutschen sieht Thilo Sarrazin nun erst recht als den aufrechten, integren, ehrlichen, standhaften Mann, dem es an jener Aalglätte fehlt, mit der die anderen sich unangreifbar gemacht haben.
Der Fall Sarrazin ist für dieses Land eine historische Wegmarke. Und das ist in der Tat kein gutes Zeichen.
Zum Hören: DeutschlandRadio
Herr Wang ist Naturwissenschaftler. Herr Wang hat mitbekommen, wie man in Deutschland Debatten zu führen pflegt. Mit viel Gefühl. Und mit ganz wenig Verstand. Und gänzlich ohne Respekt vor Zahlen und Tatsachen. Das aber ist schlecht für die Ingenieurskunst. „Was soll ich denn machen“, sagt Herr Wang, „wenn ein Mitarbeiter, der meine Zahlen bezweifelt, sie nicht etwa überprüft, sondern sich von ihnen verletzt und beleidigt fühlt?“
Deutschland, einst Hort der Ingenieurskunst und noch immer eine starke Wirtschaftsmacht, Deutschland, sagt Herr Wang, ist im Begriff, sich selbst abzuschaffen. Und da möchte er nicht dabeisein.
Nun, wer in den letzten Tagen ferngesehen hat, wird Herrn Wang nicht widersprechen können. Er hat ein Land erlebt, in dem der Ökonom Thilo Sarrazin von der Politikerin Renate Künast als „menschlich schäbig“ und „gefühlskalt“ beschimpft wurde, weil er sich auf Zahlen und Statistiken bezieht. In dem eine deutschtürkische Landesministerin aus Niedersachsen, die der Presse „kultursensible Sprache“ gegenüber türkischen Migranten verordnen wollte, stolz verkündet, „sie brauche keine Statistiken und Analysen“, da sie die „Migranten ja kenne“.
Ob bei Beckmann, ob bei Plasberg: es triumphierten die Menschlichkeit und das Leben über das statistische Teufelszeug, das „Menschen auf Zahlen“ reduziere. Selbst die Bundeskanzlerin, von Haus aus Naturwissenschaftlerin, übernahm den neuen Gefühlssprech und ließ uns an ihren Empfindungen teilhaben. Alles andere hieße ja wohl auch, über eigene Versäumnisse zu reden.
Denn Thilo Sarrazin konstatiert, was schlechterdings nicht zu leugnen ist: eine Minderheit hierzulande will sich nicht integrieren, da sie diese Gesellschaft, ihre Kultur und ihre autochthone Bevölkerung verachtet – deren Vertreter wiederum trauen sich nicht, den nötigen Respekt auch einzufordern. Das ist und bleibt der Hauptpunkt der Debatte – die nun im Namen der Menschlichkeit und der Gefühle zusammen mit Thilo Sarrazin erlegt und erledigt werden soll.
Es ist an Schäbigkeit nicht zu überbieten, was uns hier als Debattenkultur, als Weltoffenheit, als Menschlichkeit und buntes Multikulti vorgeführt wird. Die Vertreter der deutsch-türkischen Community tun beleidigt und leugnen das Problem. Politiker setzen auf das dort vermutete Wählerpotential und leugnen ihrerseits, daß das hierzulande übliche „Fördern statt Fordern“ längst an seine Grenzen gestoßen ist. Und niemand vertritt die Interessen der eingeborenen Bevölkerung, die ja womöglich Gründe dafür hat, daß sie sich die Objekte ihrer kulturellen Sensibilität von niemandem vorschreiben lassen will.
Und Sarrazin? Ist der Sündenbock, dem blanke Menschenverachtung und blanker Hass entgegenschlagen und der dennoch und auf fast rührende Weise immer und immer wieder versucht, doch noch ein Argument loszuwerden.
Nun, Umfragewerte und Internetkommentare lassen erkennen, daß das Volk mit den politischen Eliten auch hier nicht übereinstimmt. Beide großen Parteien haben die Gefolgschaft ihrer Wählerschaft eingebüßt. Der SPD droht ein Aufstand der Basis, wenn sie Sarrazin ausschließt. Und der Kanzlerin wird man es übel vermerken, daß sie einen wichtigen Amtsträger, die Meinungsfreiheit und die ihr von Amtswegen angemessene Distanz geopfert hat, um der SPD das Leben noch ein wenig schwerer zu machen. Und alle gemeinsam haben sich mit ihrer menschelnd aufgemotzten Verlogenheit bis auf die Knochen blamiert. Eine große Mehrheit der Deutschen sieht Thilo Sarrazin nun erst recht als den aufrechten, integren, ehrlichen, standhaften Mann, dem es an jener Aalglätte fehlt, mit der die anderen sich unangreifbar gemacht haben.
Der Fall Sarrazin ist für dieses Land eine historische Wegmarke. Und das ist in der Tat kein gutes Zeichen.
Zum Hören: DeutschlandRadio
Mittwoch, 21. Juli 2010
Die Mutlosen und die Entmutigten
Die DDR ist nicht untergegangen, sie heißt nur heute anders: Deutschland, das Land der Gerechtigkeit und menschlichen Wärme, Brot und Spiele inklusive. Die Störenfriede im Schlaraffenland: Agenten der Kälte, die dauernd „Wer soll das bezahlen?“ rufen. Die von Leistung erzählen und daß die sich lohnen müsse. Gut, daß bei denen die Republikflucht wieder in Mode ist.
Der Rest des Landes beschäftigt sich eh lieber mit der Frage, wie man den Globus, die Natur, das Klima retten kann. Am besten durch Nichtstun. Denn wer nichts macht, der macht auch nichts kaputt.
Ein Zukunftsmodell ist das allerdings nicht. Es belohnt nicht Kreativität und Produktivität, sondern Stillehalten. Ein System der falschen Anreize erzieht zu Gleichgültigkeit und Unbeweglichkeit. Vielleicht kann man damit Staat machen. Aber mehr auch nicht.
Das System basiert auf zwei Säulen, die sich vortrefflich ergänzen: Auf mutlosen Politikern und entmutigten Bürgern. Das sind sie nicht naturnotwendig. Beide Seiten folgen vielmehr einem rationalen Kalkül: sie tun das, was sich für sie auszahlt. Kurzfristig. Langfristig ist eine Mesalliance entstanden, die der Marke Deutschland schadet, auch wenn sie noch Gewinne abwirft.
Politiker, das ist logisch, wollen die nächste Wahl gewinnen. Dazu brauchen sie Wählermehrheiten, und die finden sie bei den unproduktiven Klassen wie Rentnern oder Empfängern staatlicher Leistungen aller Art. Wahlen, glauben jedenfalls Politiker, gewinnt man daher nur mit „sozialer Wärme“, mit jener „Verteilungsgerechtigkeit“, die dieser Mehrheit entgegenkommt. Auch deshalb menschelt es in der Politik: wenn es weder ums Allgemeinwohl geht noch um objektiv benennbare Ziele, obsiegt das Werben mit individuellen Merkmalen und persönlichen Vorzügen. Politiker sorgen nicht für „soziale Gerechtigkeit“, sie vergeben Wahlgeschenke.
Die arbeitende Mittelschicht, längst in der Minderheit, spielt in diesem Kalkül keine Rolle. Doch bei diesen allseits Vergessenen reagiert man darauf keineswegs mit lautem Protest. Die deutsche Mittelschicht ist ein eigenartiges Wesen, eher zurückhaltend als auftrumpfend, eher depressiv als leistungsfroh. Sie orientiert sich nicht nach oben, da sie sich keine Hoffnung auf Aufstieg macht, sondern sorgt sich vorausschauend ums soziale Netz, damit es auch sie einmal auffangen kann. Auch deshalb ist bei ihr ein Ressentiment gegen Hartz IV-Empfänger selten zu finden.
Zwar wäre der Mittelschicht im Grunde gedient mit der konsequenten Umsetzung des Satzes: „Leistung muß sich wieder lohnen“. Doch Leistung ist hierzulande längst nicht mehr das, was man tut, sondern was man empfängt. Wir sind ein Land der Leistungsempfänger.
Der Affekt gegen „Leistungsträger“ aber ist mächtig. Dabei ist es kein Affront gegen Hilfsbedürftige, wenn man darauf besteht, daß Arbeit „sich lohnen“ soll – sondern die Warnung vor der Entmutigung jener, die es noch tun. Entmutigung aber sind sie gewohnt. Die gebetsmühlenhaft klappernde Warnung vor Gier und Selbstsucht begleitet sie seit Kindesbeinen. Dabei ist der Egoismus des Individuums seit Menschengedenken eine mächtige Produktivkraft. Zu Leistung ist nur bereit, wer sie sich auch zumessen und ihre Früchte genießen darf. Paternalismus (was einer schafft, wird an alle verteilt) ist, siehe Afrika, die beste Methode, ein Land an den Bettelstab zu bringen. Wir sind auf einem guten Weg dahin.
Denn auch zu einer gemeinschaftlichen Anstrengung kann man sich hierzulande nicht aufraffen. Menschen kämpfen für das, was ihnen wichtig ist. Aber was ist den Deutschen wichtig? Jahrzehntelang haben sie sich jede Wertschätzung ausgetrieben für die eigene Leistung oder alles mögliche andere, was in die gefährliche Ecke „Nationalstolz“ führen könnte. Deutschland? Interessiert uns nur während der Fußballweltmeisterschaft.
Wir kämpfen nicht, weil nichts sich lohnt. Weil jeder Herausforderung der Stachel genommen ist. Der bevormundende Staat hat längst begonnen, die menschliche Produktivkraft zu zerstören, die doch sein Überleben sichert.
Wie man mit einer Gesellschaft, von der eine Mehrheit keine produktive Zukunft hat und der Rest vorausschauend zukunftsmüde ist, künftige Herausforderungen meistern will, bleibt das Geheimnis einer Regierung, die es versäumt hat, ihre Arbeit zu tun.
DeutschlandRadio, Politisches Feuilleton, 20. Juli 2010
Der Rest des Landes beschäftigt sich eh lieber mit der Frage, wie man den Globus, die Natur, das Klima retten kann. Am besten durch Nichtstun. Denn wer nichts macht, der macht auch nichts kaputt.
Ein Zukunftsmodell ist das allerdings nicht. Es belohnt nicht Kreativität und Produktivität, sondern Stillehalten. Ein System der falschen Anreize erzieht zu Gleichgültigkeit und Unbeweglichkeit. Vielleicht kann man damit Staat machen. Aber mehr auch nicht.
Das System basiert auf zwei Säulen, die sich vortrefflich ergänzen: Auf mutlosen Politikern und entmutigten Bürgern. Das sind sie nicht naturnotwendig. Beide Seiten folgen vielmehr einem rationalen Kalkül: sie tun das, was sich für sie auszahlt. Kurzfristig. Langfristig ist eine Mesalliance entstanden, die der Marke Deutschland schadet, auch wenn sie noch Gewinne abwirft.
Politiker, das ist logisch, wollen die nächste Wahl gewinnen. Dazu brauchen sie Wählermehrheiten, und die finden sie bei den unproduktiven Klassen wie Rentnern oder Empfängern staatlicher Leistungen aller Art. Wahlen, glauben jedenfalls Politiker, gewinnt man daher nur mit „sozialer Wärme“, mit jener „Verteilungsgerechtigkeit“, die dieser Mehrheit entgegenkommt. Auch deshalb menschelt es in der Politik: wenn es weder ums Allgemeinwohl geht noch um objektiv benennbare Ziele, obsiegt das Werben mit individuellen Merkmalen und persönlichen Vorzügen. Politiker sorgen nicht für „soziale Gerechtigkeit“, sie vergeben Wahlgeschenke.
Die arbeitende Mittelschicht, längst in der Minderheit, spielt in diesem Kalkül keine Rolle. Doch bei diesen allseits Vergessenen reagiert man darauf keineswegs mit lautem Protest. Die deutsche Mittelschicht ist ein eigenartiges Wesen, eher zurückhaltend als auftrumpfend, eher depressiv als leistungsfroh. Sie orientiert sich nicht nach oben, da sie sich keine Hoffnung auf Aufstieg macht, sondern sorgt sich vorausschauend ums soziale Netz, damit es auch sie einmal auffangen kann. Auch deshalb ist bei ihr ein Ressentiment gegen Hartz IV-Empfänger selten zu finden.
Zwar wäre der Mittelschicht im Grunde gedient mit der konsequenten Umsetzung des Satzes: „Leistung muß sich wieder lohnen“. Doch Leistung ist hierzulande längst nicht mehr das, was man tut, sondern was man empfängt. Wir sind ein Land der Leistungsempfänger.
Der Affekt gegen „Leistungsträger“ aber ist mächtig. Dabei ist es kein Affront gegen Hilfsbedürftige, wenn man darauf besteht, daß Arbeit „sich lohnen“ soll – sondern die Warnung vor der Entmutigung jener, die es noch tun. Entmutigung aber sind sie gewohnt. Die gebetsmühlenhaft klappernde Warnung vor Gier und Selbstsucht begleitet sie seit Kindesbeinen. Dabei ist der Egoismus des Individuums seit Menschengedenken eine mächtige Produktivkraft. Zu Leistung ist nur bereit, wer sie sich auch zumessen und ihre Früchte genießen darf. Paternalismus (was einer schafft, wird an alle verteilt) ist, siehe Afrika, die beste Methode, ein Land an den Bettelstab zu bringen. Wir sind auf einem guten Weg dahin.
Denn auch zu einer gemeinschaftlichen Anstrengung kann man sich hierzulande nicht aufraffen. Menschen kämpfen für das, was ihnen wichtig ist. Aber was ist den Deutschen wichtig? Jahrzehntelang haben sie sich jede Wertschätzung ausgetrieben für die eigene Leistung oder alles mögliche andere, was in die gefährliche Ecke „Nationalstolz“ führen könnte. Deutschland? Interessiert uns nur während der Fußballweltmeisterschaft.
Wir kämpfen nicht, weil nichts sich lohnt. Weil jeder Herausforderung der Stachel genommen ist. Der bevormundende Staat hat längst begonnen, die menschliche Produktivkraft zu zerstören, die doch sein Überleben sichert.
Wie man mit einer Gesellschaft, von der eine Mehrheit keine produktive Zukunft hat und der Rest vorausschauend zukunftsmüde ist, künftige Herausforderungen meistern will, bleibt das Geheimnis einer Regierung, die es versäumt hat, ihre Arbeit zu tun.
DeutschlandRadio, Politisches Feuilleton, 20. Juli 2010
Donnerstag, 10. Juni 2010
Fahnen
Bernd Zeller auf der Achse des Guten: "Derzeit sieht man verstärkt Leute mit schwarz-rot-goldenen Fahnen an Trikots, Autos und Fenstern. Die Motive sind unterschiedlich. 34 Prozent wollen damit ihre Unterstützung für die deutsche Fußballmannschaft bekunden, zwölf Prozent machen es, weil es alle anderen auch machen, und 54 Prozent, um Wiglaf Droste zu ärgern."
Dienstag, 8. Juni 2010
Das Sturmgeschütz der Demagogie II
Ja, der "Spiegel". Es hat ein bißchen gedauert, bis aus dem Chauvi-Blatt "Frau im Spiegel" geworden ist, aber nun ist es soweit.
Wie man den Fall Kachelmann richtig anpackt, kann man dem neuesten Heft entnehmen. Da wird ausführlich geschildert, daß ein neues Gutachten über "Kachelmanns Opfer" die Anklage gegen Kachelmann in Bedrängnis bringt. Daß sich die Staatsanwaltschaft offenbar vorauseilend vergaloppiert hat. Daß man die Existenz eines Fernsehmannes vorab ruiniert hat - trotz Unschuldsvermutung, die auch für einen Promi gelten sollte. Der ganze Artikel läuft darauf hinaus, daß "Simone" ihren Geliebten womöglich fälschlich beschuldigt hat. Dann wäre nicht sie "Kachelmanns Opfer", sondern Kachelmann das Opfer einer womöglich Rachsüchtigen.
Und dennoch endet die achtseitige Bestandsaufnahme (geschrieben von einem Mann und zwei Frauen) mit seiner Verurteilung: schon möglich, daß Kachelmann das Opfer einer falschen Beschuldigung geworden sei. (Ein Straftatbestand, das sei am Rande erwähnt, und keine Kleinigkeit.) Aber auch die Frau sei Opfer, lebenslang, selbst wenn sie nicht Opfer einer Vergewaltigung gewesen sein sollte: "... sie hat jetzt auch noch ihre Unschuld verloren, weil sie selbst durch Kachelmann vorher alles andere verloren hatte. Ihren Glauben, ihre Liebe, ihre Hoffnung. Elf Jahre ihres Lebens. Ich hab ja nichts mehr, sagte sie der Gutachterin Greuel, er hat mir mein ganzes Leben genommen."
"Wahr oder nicht?" fragt der Spiegel und feuert aus dem Sturmgeschütz der Demagogie sein Urteil: "Wahr."
Die Frau ist immer das Opfer?
Leben wir neuerdings wieder in der Steinzeit des Feminismus?
Darf man soetwas schreiben über eine emanzipierte, berufstätige Frau, eine Kollegin auch noch, die elf Jahre lang mit Kachelmann gevögelt und gespeist hat, freiwillig offenbar, und die sich nicht gewundert haben will, warum sie ihn nur alle Jubeljahre zu sehen kriegte? War sie willenlos? Masochistin? Blind?
War also die womögliche Täterin, die immerhin aktiv ihrem untreuen Lover einen gewaltigen Schuß zwischen die Hörner gegeben hat, eine dieser unter den Umständen leidenden Geschöpfe, denen man hierzulande auch einen Sprengstoffanschlag nachsehen würde, weil sie ja Gründe für ihre Verzweiflung hätten?
Und geht es eigentlich noch frauenverachtender?
"Simone" wird nicht von Kachelmann "alles" genommen, sondern von einer solchen widerlichen Solidarisierung, die der Frau "alles" abspricht: Aktivität und Selbstverantwortlichkeit. Wenn sie die Vergewaltigung vorgetäuscht hat, war sie Täterin, kein Opfer. Höchstens dieser Berichterstattung.
Wie man den Fall Kachelmann richtig anpackt, kann man dem neuesten Heft entnehmen. Da wird ausführlich geschildert, daß ein neues Gutachten über "Kachelmanns Opfer" die Anklage gegen Kachelmann in Bedrängnis bringt. Daß sich die Staatsanwaltschaft offenbar vorauseilend vergaloppiert hat. Daß man die Existenz eines Fernsehmannes vorab ruiniert hat - trotz Unschuldsvermutung, die auch für einen Promi gelten sollte. Der ganze Artikel läuft darauf hinaus, daß "Simone" ihren Geliebten womöglich fälschlich beschuldigt hat. Dann wäre nicht sie "Kachelmanns Opfer", sondern Kachelmann das Opfer einer womöglich Rachsüchtigen.
Und dennoch endet die achtseitige Bestandsaufnahme (geschrieben von einem Mann und zwei Frauen) mit seiner Verurteilung: schon möglich, daß Kachelmann das Opfer einer falschen Beschuldigung geworden sei. (Ein Straftatbestand, das sei am Rande erwähnt, und keine Kleinigkeit.) Aber auch die Frau sei Opfer, lebenslang, selbst wenn sie nicht Opfer einer Vergewaltigung gewesen sein sollte: "... sie hat jetzt auch noch ihre Unschuld verloren, weil sie selbst durch Kachelmann vorher alles andere verloren hatte. Ihren Glauben, ihre Liebe, ihre Hoffnung. Elf Jahre ihres Lebens. Ich hab ja nichts mehr, sagte sie der Gutachterin Greuel, er hat mir mein ganzes Leben genommen."
"Wahr oder nicht?" fragt der Spiegel und feuert aus dem Sturmgeschütz der Demagogie sein Urteil: "Wahr."
Die Frau ist immer das Opfer?
Leben wir neuerdings wieder in der Steinzeit des Feminismus?
Darf man soetwas schreiben über eine emanzipierte, berufstätige Frau, eine Kollegin auch noch, die elf Jahre lang mit Kachelmann gevögelt und gespeist hat, freiwillig offenbar, und die sich nicht gewundert haben will, warum sie ihn nur alle Jubeljahre zu sehen kriegte? War sie willenlos? Masochistin? Blind?
War also die womögliche Täterin, die immerhin aktiv ihrem untreuen Lover einen gewaltigen Schuß zwischen die Hörner gegeben hat, eine dieser unter den Umständen leidenden Geschöpfe, denen man hierzulande auch einen Sprengstoffanschlag nachsehen würde, weil sie ja Gründe für ihre Verzweiflung hätten?
Und geht es eigentlich noch frauenverachtender?
"Simone" wird nicht von Kachelmann "alles" genommen, sondern von einer solchen widerlichen Solidarisierung, die der Frau "alles" abspricht: Aktivität und Selbstverantwortlichkeit. Wenn sie die Vergewaltigung vorgetäuscht hat, war sie Täterin, kein Opfer. Höchstens dieser Berichterstattung.
Das Sturmgeschütz der Demagogie
Gerhard Spörl ist ein bedeutender Intellektueller, eine Edelfeder par excellence. Noch nicht gemerkt? Dann: Spiegel lesen!
Dort, in der Hausmitteilung, steht's: Henning Mankell, Kämpfer für die Unterdrückten udn Entrechteten, der sich auf eines der Aktivisten-Schiffe der Hamas-Hilfe begeben hat, zeige exemplarisch - "so Spörl" - "dass sich skandinavische Intellektuelle an den Ungerechtigkeiten der Welt weit mehr stören als ihre Kollegen im übrigen Europa."
Das wird sich manch skandinavischer Intellektueller ebenso verbitten wie seine französischen und deutschen Kollegen: nicht jeder ist so naiv oder ideologisch verbohrt, sich als nützlicher Idiot für eine dubiose "Hilfs"aktion herzugeben. Das schaffen bei uns derzeit nur einige Knalltüten von der Linkspartei, die das noch aus DDR-Zeiten kennen: die als humanitäres und friedensstiftendes Engagement getarnten Desinformationskampagnen der SED. Man sollte schon wissen, bei wem man sich einreiht, wenn man fürs Gute und Wahre ins Meer sticht.
Sollten Intellektuelle innerhalb und außerhalb Schwedens also mittlerweile begriffen haben, daß sie ihre Kritik an der israelischen Regierung nicht mithilfe dubioser Bündnispartner anbringen sollten, wenn sie in Israel gehört werden wollen,wäre das nur zu begrüßen.
Dort, in der Hausmitteilung, steht's: Henning Mankell, Kämpfer für die Unterdrückten udn Entrechteten, der sich auf eines der Aktivisten-Schiffe der Hamas-Hilfe begeben hat, zeige exemplarisch - "so Spörl" - "dass sich skandinavische Intellektuelle an den Ungerechtigkeiten der Welt weit mehr stören als ihre Kollegen im übrigen Europa."
Das wird sich manch skandinavischer Intellektueller ebenso verbitten wie seine französischen und deutschen Kollegen: nicht jeder ist so naiv oder ideologisch verbohrt, sich als nützlicher Idiot für eine dubiose "Hilfs"aktion herzugeben. Das schaffen bei uns derzeit nur einige Knalltüten von der Linkspartei, die das noch aus DDR-Zeiten kennen: die als humanitäres und friedensstiftendes Engagement getarnten Desinformationskampagnen der SED. Man sollte schon wissen, bei wem man sich einreiht, wenn man fürs Gute und Wahre ins Meer sticht.
Sollten Intellektuelle innerhalb und außerhalb Schwedens also mittlerweile begriffen haben, daß sie ihre Kritik an der israelischen Regierung nicht mithilfe dubioser Bündnispartner anbringen sollten, wenn sie in Israel gehört werden wollen,wäre das nur zu begrüßen.
Dahinter steckt manchmal ein kluger Kopf...
Zwei FAZ-Leser sprechen heute aus, was man durchaus vermuten darf, wenn man Horst Köhler mal nicht unterschätzt und für einen beschränkten Dödel hält: Die "unter politischem Druck und Zeitdruck bei Bruch der Maastrichter Euro-Verträge verabschiedeten deutschen Gesetze zur Griechenland-Rettung und zur Stützung des Euro", "diese auch wirtschaftlichen unsinnigen Gesetze unterschreiben zu müssen wird dem Fachmann der Finanzbranche Köhler eine seelische Tortur gewesen sein. So war es nicht mehr weit zu der Entscheidung", schreibt Dr. Ing. Kurt Gehlert aus Iserlohn.
Und Prof. Dr. med. Michael Arnold aus Tübingen meint: "Sein Amt (...) legte ihm die Pflicht auf, die entsprechenden, verfassungsgemäß zustande gekommenen Gesetze durch seine Unterschrift in Kraft zu setzen. Er musste sie im Wissen um die angedrohten Klagen gegen die Gesetze vor dem Bundesverfassungsgericht und um die mit ihnen verbundenen Verstöße geggen die Maastricht-Verträge vollziehen, konnte dies aber aus Loyalität gegenüber der Bundeskanzlerin nicht zum Anlaß für einen Rücktritt nehmen: Sie hatte wiederholt all diese Schritte als 'alternativlos' dargestellt und wäre sowohl durch eine Verweigerung der Unterzeichnung als auch eine entsprechende Begründung des Rücktritts desavouiert worden."
So ein Verhalten nennt man gewöhnlich Loyalität. Kein Wunder, daß das vielen der auf Verachtung gepolten Meinungshabenden nicht in den Sinn kommt. Ob Joachim Gauck schon mal auf die Idee gekommen ist, was er im Falle des Falles tun (oder lassen) müßte? Hat Wolff der Kanzlerin bereits Vollzug versprochen? Und wieso eigentlich ist der wirtschaftliche Unsinn der Griechenlandhilfe "alternativlos"?
Nur mal so: nicht Griechenland sollte aus der EU austreten. Sondern Deutschland. Das wäre eine Alternative, Frau Kanzler, oder?
Und Prof. Dr. med. Michael Arnold aus Tübingen meint: "Sein Amt (...) legte ihm die Pflicht auf, die entsprechenden, verfassungsgemäß zustande gekommenen Gesetze durch seine Unterschrift in Kraft zu setzen. Er musste sie im Wissen um die angedrohten Klagen gegen die Gesetze vor dem Bundesverfassungsgericht und um die mit ihnen verbundenen Verstöße geggen die Maastricht-Verträge vollziehen, konnte dies aber aus Loyalität gegenüber der Bundeskanzlerin nicht zum Anlaß für einen Rücktritt nehmen: Sie hatte wiederholt all diese Schritte als 'alternativlos' dargestellt und wäre sowohl durch eine Verweigerung der Unterzeichnung als auch eine entsprechende Begründung des Rücktritts desavouiert worden."
So ein Verhalten nennt man gewöhnlich Loyalität. Kein Wunder, daß das vielen der auf Verachtung gepolten Meinungshabenden nicht in den Sinn kommt. Ob Joachim Gauck schon mal auf die Idee gekommen ist, was er im Falle des Falles tun (oder lassen) müßte? Hat Wolff der Kanzlerin bereits Vollzug versprochen? Und wieso eigentlich ist der wirtschaftliche Unsinn der Griechenlandhilfe "alternativlos"?
Nur mal so: nicht Griechenland sollte aus der EU austreten. Sondern Deutschland. Das wäre eine Alternative, Frau Kanzler, oder?
Montag, 7. Juni 2010
Von Menschenrechtsfundamentalisten und Aufklärungsfaschisten
Darf man sich mit dem Islam und seiner radikalen Zuspitzung, nennen wir sie Islamismus, hierzulande auseinandersetzen? Und wenn ja, sind dann dieser Auseinandersetzung engere Grenzen gesetzt, als das Strafgesetzbuch vorsieht? Verdient der Islam und seine Gläubigen mehr Rücksichtnahme als, sagen wir mal: der Papst und die Katholiken? Das fragen sich Kritiker einer radikalen Form des Islam, deren Anhänger ja nicht nur Fahnen anzünden, wenn sie ihre Gefühle beleidigt sehen. Die Kritiker der Kritiker geben zurück: alles Islamophobie, also eine krankhafte Angst vor einem im Grunde harmlosen Phänomen.
Gewiß, es gibt Kritik am Islam, die man als übertrieben, hysterisch, populistisch, ja als islamophob empfinden kann. Aber überwiegt sie? Und gibt es wirklich keinen Grund zur Sorge?
Die Debatte ist heftig und Gefangene werden nicht gemacht – vor allem bei den Kritikern der Kritiker. Wer sich die erregten Beiträge in deutschen Intelligenzblättern zu Gemüte führt, muß den Eindruck gewinnen, daß in Deutschland ein neuer Faschismus droht, der sich diesmal nicht gegen die Juden, sondern gegen Muslime wendet. Da wird behauptet, der Autor einer angeblich antiislamischen „Kampfschrift“ „ähnele“ „im Prinzip“ einem islamistischen Kämpfer, der die Waffe in die Hand nimmt; da wird, wer westliche Werte „beschwört“, als „Haßprediger“ tituliert; da heißt es gar, wer für die „offensive Verteidigung der ‚freien Gesellschaft’“ plädiert, begünstige ein „autoritäres Regime“. Islamkritiker, liest man, sind „selbstgerecht“, „gedankenfeindlich“, „bedingungslos militant“ und hängen einer „Siegerreligion“ an. Und die Krone der Argumentation: wer gegen autoritäre und patriarchalische Züge eines orthodox verstandenen Islamismus den Respekt vor den Rechten des Individuums einklagt, betreibe „Menschenrechtsfundamentalismus“.
Eine verblüffende Wortschöpfung. Doch das ist noch nicht die letzte Stufe der Eskalation: In der Wochenzeitung „Die Zeit“ wurde jüngst allen irgendwie islamkritischen Menschen bescheinigt, „anti-muslimische Rassisten“ zu sein. Und ein Poetikprofessor, dem man das als lyrische Entgleisung womöglich nachsehen muß, stellt in einem seiner Vorträge die offenkundig nur rhetorisch gemeinte Frage: „Droht Europa womöglich ein anti-islamischer Faschismus der Aufklärung?“
Das muß man sich auf der Zunge zergehen lassen. „Faschismus der Aufklärung“ und „Menschenrechtsfundamentalismus“. Mit kleiner Münze wird in dieser Debatte nicht gehandelt. Und selbst wer den ganz großen Hammer scheut, greift zum nicht weniger wirkungsvollen Appell an die Toleranz und zum Hilfsmittel der Relativierung: Hat etwa die CDU ein fortschrittliches Frauenbild? Gibt es Gewalt gegen Frauen nicht auch bei deutschen Männern? Waren wir früher vielleicht nicht religiös verbohrt? Und geht es bei uns immer mit rechten Dingen zu? Na also. Thema durch.
Diese Technik der Relativierung ebnet sämtliche Unterschiede ein, auch den nicht gerade unerheblichen, ob man unter rechtsstaatlichen Bedingungen lebt oder die Scharia zu fürchten hat.
Auf der islamischen Seite nimmt man all dies dankbar auf und spielt den Ball zurück, das Zerrbild des häßlichen Deutschen immer parat. Und so ist die Debatte tot, bevor sie noch begonnen hat. Vom allseits geforderten Dialog der Kulturen nichts zu spüren. Dabei wäre es doch gewiß für alle Seiten lehrreich, mehr über die jeweiligen Zu- und Abneigungen zu erfahren, ohne daß ein Mann mit Bart sich gleich beleidigt fühlen muß. Zum Beispiel darüber, daß viele Menschen hierzulande eine in einen Ganzkörperschleier gehüllte Person unheimlich und verunsichernd finden, weil sie in einer Welt und einer Kultur aufgewachsen sind, in der Offenheit und Sichtbarkeit zum zivilen Frieden gehört. Man zeigt sein Gesicht, um seine ehrbaren Absichten erkennen zu lassen. Das sind kulturell erprobte Mittel der Gewaltvermeidung und damit der Sicherheit im öffentlichen Raum. Mal abgesehen davon, daß ein Ganzkörperschleier und ein paternalistisches Gemeinschaftsverständnis nicht zu unserer Vorstellung von Gleichberechtigung und individueller Freiheit paßt.
Doch das schwere Geschütz, daß die Kritiker der Islamkritiker auffahren, die hinter kultureller Fremdheit und der Auseinandersetzung damit stets Rassismus und Faschismus vermuten, ist mittlerweile vortrefflich geeignet, zu erzeugen, wovor gewarnt werden soll: eine dumpfe Mißstimmung, die, da sie sich nicht offen äußern darf, in den Untergrund gegangen ist.
Die Schärfe der Diskussion ist nicht hilfreich und angesichts des unaufgeregten Argumentationsstils etwa einer Necla Kelek kaum nachzuvollziehen, einer Frau, die sich offenbar nicht wegen rabaukenhafter Islamkritik, sondern wegen ihrer Hochschätzung westlicher Freiheit unbeliebt gemacht hat. Eine Hohelied auf den freien Westen ist nämlich im linken juste milieu hierzulande nicht vorgesehen, wo man sogar nach dem Fall der Mauer die Freude über das Ende des Kommunismus dämpfen zu müssen glaubte. Staatsmänner, Dichter und Denker warnten sogleich vor allzu großem Jubel über einen Sieg des westlichen Lebensmodells.
Es ist übrigens gerade für patriarchalisch geprägte, junge Staaten schwer nachzuvollziehen, warum sich westliche Demokratien, aber insbesondere die Deutschen, so hingebungsvoll in Selbstkritik üben. Und warum man dort andere Völker mit anderen Kulturen und Mentalitäten kritiklos zu verherrlichen pflegt, da es dort so viel weniger materialistisch, verdorben und dekadent zugehe. Noch nicht einmal westliche Frauen sind sich einig in Sachen Schleier: könne man den nicht auch als eine Kritik an der Durchpornografisierung westlicher Öffentlichkeit lesen? Und so loben die westlichen Selbstkritiker in einem fort: Ist die große Bedeutung von Familie und Stamm nicht eine immanente Kritik am einsamen egoistischen Individuum, der Arbeitsmonade der Industriegesellschaften? Zeigt uns die tiefe Religiosität anderer nicht die Flachheit unseres Wertehorizonts?
Für eine Kultur, die das Kollektiv über das Individuum stellt und in der Würde, Ehre und Respekt eine große Rolle spielen, ist diese Selbstinfragestellung natürlich ein Gottesgeschenk. Welcher muslimische Haßprediger, ja welcher einfach nur kulturüblich stolze muslimische Mann empfände keine Genugtuung, wenn er hört, wie sehr es der Gegenseite an Selbstrespekt fehlt, wo man neuerdings von Sehnsucht nach tiefer Religiösität sprechen hört, vom Bedürfnis nach einer neuen Sittlichkeit, vom Wunsch nach der Wärme eines sozialen Zusammenhangs, der nicht der kühlen Zivilität von Rechtsnormen und Marktverhältnissen unterliegt?
Man fragt sich, was diejenigen dazu sagen, die unter Einsatz ihres Lebens für die Teilhabe an der westlichen Freiheit gekämpft haben und nun feststellen müssen, daß ihre Nutznießer sie gelangweilt infragestellen.
Doch solcherlei Zivilisationskritik begleitet die Moderne seit jeher, sie geriert sich mal rechts, mal links, und hat der neuen Naturfrömmigkeit und ökologischer Sensibilität viel zu verdanken. Sie offenbart die Sehnsucht des von seiner Freiheit strapazierten Individuums nach paradiesischen Urzuständen.
Erst jüngst konnte man diese Botschaft im Film „Avatar“ entziffern: In diesem genialen Spektakel zerstören gierige Kapitalisten das Paradies, nämlich Kultur, Religion und Lebensraum der bezaubernden indigenen Bevölkerung. Die gierigen Kapitalisten und ihre militärischen Helfershelfer sind dem häßlichen Amerikaner wie aus der Fratze geschnitten. Zwar hat man den Film in China nicht als Parabel auf die USA, sondern auf die chinesische Zentralmacht gelesen, die andere Kulturen und Religionen wie die der Tibeter unterdrückt.
Doch hierzulande liest man die Botschaft so, wie sie gewiß gemeint ist: es ist das US-amerikanische Imperium mit seiner gigantischen ökonomischen und militärischen Macht, das sich die Welt untertan machen will.
Und damit kommen wir dem Glutkern der Debatte womöglich näher.
Ich möchte der Vermutung nachgehen, daß es in unserem Streit gar nicht so sehr um eine Debatte über Religion und Kultur geht. Eher schon darum, wie wir hierzulande leben wollen. Doch auch darunter verbirgt sich noch etwas, eine hidden agenda, ein versteckte Botschaft.
Auf deren Spur bringt uns der Vorwurf des „Menschenrechtsfundamentalismus“. Diese Formulierung unterstellt offenbar, daß das mehr oder weniger kämpferische Beharren auf individueller Freiheit und dem Recht auf körperliche Unversehrtheit des Einzelnen nicht fundamental, also die Basis unserer Zivilisation, sondern fundamentalistisch, also übertrieben wäre. Dem korrespondiert die Auffassung, „westliche Werte“, von denen manch einer nur noch in distanzierenden Gänsefüßchen schreibt, seien eine bloße Glaubensangelegenheit bzw. eine kulturelle Besonderheit unter anderen und das Menschenrecht, also der Vorrang des Individuums, je nach Religion und Staatsform relativ.
Erst die Vorstellung einer solchen Konkurrenz der Werte, die Unterstellung also, Menschenrecht sei ein bloßer Kampfbegriff, läßt verstehen, warum eine Kritik am Islam vom Menschenrechtsstandpunkt als ein zum Kreuzzug zugespitzter Wille zur Mission gedeutet werden kann, als Aufforderung also zur gewalttätigen Bekehrung Andersgläubiger.
Dem Westen ginge es also in diesem angeblichen Kreuzzug noch nicht einmal vordergründig um Menschenrechte, sondern um schlichte Machtinteressen, die sich hinter Universalien tarnen – frei nach dem Diktum Carl Schmitts „Wer Menschheit (oder eben Menschenrecht) sagt, will betrügen“.
Diese Debatte ist allerdings ebensowenig neu und sie hat heute wie gestern einen Adressaten: die USA, die amerikanische Außenpolitik ist gemeint, wenn von einem antiislamischen Kreuzzug die Rede ist. Die hidden agenda der Debatte ist Kritik an den USA.
Ist also Antiamerikanismus der Glutkern der Debatte? Nun, diese Keule soll hier nicht im Gegenzug gezückt werden. Es stimmt ja: Der Missionsgedanke ist den USA nicht fremd. Er ist natürlich auch dem Islam nicht fremd, um es zurückhaltend auszudrücken, auch wenn dem einzelnen Muslim nichts ferner liegen mag. Bei einflußreichen islamischen Predigern ist der Missionsgedanke offen und öffentlich Programm: die Bekehrung der ganzen Menschheit zu einer islamischen Ordnung. Dieser Herrschaftsanspruch tarnt sich im übrigen noch nicht einmal und daß ihm gewaltförmige Mittel fremd wären, kann man gewiß nicht behaupten.
In Europa sind die Kreuzzüge lange her und schon längst von einem anderen Ethos überlagert, das weder Napoleon noch Hitler noch zwei Weltkriege völlig haben zerstören können. Und diesem Ethos geht der Missionsgedanken völlig ab. Aus der Katastrophe des 30jährigen Religionskriegs zog man den Schluß, auf eine Einmischung in die inneren Angelegenheiten des Gegners fürderhin zu verzichten. Dem mit dem Westfälischen Krieg entwickelten, aber weit tiefer wurzelnden Kriegsvölkerrecht zufolge galt es nun als unzulässig, dem Besiegten eine andere Staatsform oder Religion aufzuzwingen. Auf ähnliches verweist das sogenannte Rückwirkungsverbot: niemand kann für eine Tat aufgrund eines Gesetzes zur Rechenschaft gezogen werden, das zum Zeitpunkt der Tat noch keine Geltung besaß. Damit sollten Racheaktionen des Siegers verhindert werden. Niemand sollte mehr seine Interessen und sein Recht aus für alle geltenden Universalien ableiten dürfen - wie Gott, die Natur oder die Menschheit - und sich damit faktisch unangreifbar machen. „Gerechter Krieg“ hieß lediglich, daß es jedem erlaubt sein mußte, seine Interessen zu vertreten. Damit war nicht gemeint, daß sich eine der beiden Seiten auf eine höhere Moral beziehen durfte.
Missionsgedanken trieben höchstens Napoleons Heere voran, der sich der Freiheit wegen der hinderlichen europäischen Kriegsregeln entledigte – nicht immer zur Freude der solcherarts befreiten Völker.
Und in der Tat: die kurze Epoche der eingehegten Staatenkriege unterscheidet das „alte Europa“ von den vergleichsweise jungen Vereinigten Staaten von Amerika, die eine andere Ursprungslegende haben und daraus andere Akzente ableiten.
Ohne Zweifel steckt in der amerikanischen Emphase für Freiheit und Demokratie ein missionarisches Moment. Und das verdankt sich dem amerikanischen Bürgerkrieg. Zum nationalen Mythos gehört, daß es in diesem Bruderkrieg um Unverhandelbares gegangen sei: um die Befreiung der Sklaven. Es ging also um ein universales Gut. Allein das rechtfertigt die bedingungslose Unterwerfung des amerikanischen Südens – im Nachhinein. Während nach dem Modell der europäischen Staatenkriege kein Sieger den Besiegten sich einverleiben darf, ist das Grundprinzip eines Bürgerkriegs ein anderes: nur ein Prinzip, eine Religion, eine Verfassung kann den Frieden garantieren. Im Bürgerkrieg wie in fundamentalen Fragen muß der Kampf bis zum letzten geführt werden, ein Kompromiß ist nicht möglich, sonst schwelt der Konflikt weiter.
Das Engagement der USA im Ersten Weltkrieg begründete Präsident Wilson denn auch mit einem Ziel, das weit über Fragen der Machtbalance oder pragmatische Erwägungen hinausging: Die Zivilsation sei bedroht und man müsse die Welt „safe for democracy“, sicher für die Demokratie machen. Das schob dem Deutschen Reich nicht nur erst die Verantwortung und im Versailler Vertrag schließlich sogar (und durchaus gegen völkerrechtliche Gepflogenheiten) die „Schuld“ am Krieg zu, sondern sorgte auch auf lange Zeit für ein Geschichtsbild, in dem das Deutsche Reich lediglich als undemokratisches Wirtstier eines autoritären preußischen Militarismus galt - eine durchaus unzutreffende Verkürzung.
Was heute als linkes Argument gegen die amerikanische Vormacht angeführt wird, kam damals eher von rechts: daß Präsident Wilsons Parole den Krieg unzulässig moralisiert, ja in einen „Kreuzzug“ umgemünzt habe.
Damals ein Kreuzzug für die Demokratie, heute ein Kreuzzug fürs Menschenrecht? Aber waren den USA die Menschenrechte nicht bis vor kurzem noch völlig wurscht, als es um die Sicherung ihrer Einflußsphären im Kalten Krieg ging?
In der Tat haben sich die USA im Kalten Krieg mit der Sowjetunion ganz und gar nicht kleinlich gezeigt, was die Wahl ihrer Bundesgenossen betraf: blutrünstige Diktatoren und ausbeuterische Kleinkönige wurden nicht ungern in Kauf genommen, solange sie auf der richtigen Seite standen. Gewiß, der Sowjetunion durfte man schon mal gar nicht mit Demokratie und Menschenrecht kommen, was übrigens gerade auf der deutschen Linken stets auf Verständnis stieß: Man könne doch von Kommunisten nicht verlangen, daß sie sich nicht kommunistisch verhalten! Im Kommunismus gilt das Individuum nichts, das Ganze ist alles, man konnte der Sowjetunion also schwerlich vorwerfen, daß sie sich nicht an Werte hielt, die nicht die ihren waren.
Freiheit und Menschenrecht galten als Kampfbegriffe im Kalten Krieg, weshalb es viele Jahre lang insbesondere in den linksliberalen Kreisen Westdeutschlands als unangemessen galt, der Sowjetunion Menschenrechtsverletzungen vorzuwerfen. Und das dachten nicht nur die, die mit dem Vaterland des Sozialismus offen sympathisierten.
Die polnischen Solidarnosc-Kämpfer hielt man 1981 in Deutschland gar für egoistisch: denn sie stellten ihr Freiheitsbedürfnis über den Erhalt jenes prekären Mächtegleichgewichts,von dem die Deutschen ihre Sicherheit, ja ihr Leben abhängig glaubten. Pragmatisch-robust hieß es da schon mal, man müsse Verständnis dafür haben, daß die Sowjets für Ordnung auf ihrem Hinterhof sorgen.
Man ist da heutzutage empfindlicher, erfreulicherweise. Das Mißtrauen gegen ein Amerika aber, daß sich als Vorkämpfer für Freiheit, Demokratie und Menschenrechte empfiehlt, bleibt. Gewiß, heißt es dann. Heute begründet die amerikanische Regierung militärische Interventionen zwar nicht mehr mit dem notwendigen Kampf gegen die kommunistische Weltherrschaft, sondern mit den Menschenrechten. Allerdings nur, um die eigene Bevölkerung von der gerechten Sache von militärischen Interventionen wie etwa in Afghanistan zu überzeugen. Gegen China kann man die Menschenrechte nicht durchsetzen, in Somalia oder an anderen hoffnungslosen Orten will man nicht, die Bevölkerung würde es nicht mittragen, wenn man Soldaten in aussichtslosen Lagen verheizt.
Also sind Menschenrechte Schall und Rauch? Beliebig einsetzbar, wann es gerade paßt? Ist die amerikanische Menschenrechtsmission also nichts anderes als scheinheilig?
Nein, um die Antwort vorwegzunehmen. Doch das macht das Dilemma nicht geringer.
Schon im Ersten Weltkrieg begann der Abschied von der Idee des einhegten Staatenkriegs, derzufolge der Ball flachzuhalten war, was eine Aufladung der jeweiligen Interessen mit Werten und großen Worten betrifft. Aus einem einfachen Grund: die Mobilisierung einer derart großen Zahl von Menschen, wie sie die Massenarmeen forderten, war nicht nur in Demokratien ohne eine breite Zustimmung der Bevölkerung nicht möglich. Die Armeen waren kein Instrument fürstlicher Machtökonomie mehr, Befehlsempfänger, sonst nichts, sondern im Gefolge der Nationalisierung der Kriege eine Kraft geworden, die einen anderen Antrieb brauchte.
Man zog in den Krieg fürs Vaterland, für die Zivilisation, gegen die Barbarei, kurz: für höchste Werte. In Demokratien müssen Menschen überzeugt werden. Und nicht selten werden sie dabei belogen oder überrumpelt, wie es der damalige Außenminister tat, als er die kriegsentwöhnten Deutschen zum militärischen Engagement im Kosovo mit dem höchsten unserer Werte anfeuerte: man müsse ein neues Auschwitz verhindern.
Gewiß ist auch der Kampf fürs Menschenrecht dazu geeignet, einer pragmatischen Machtpolitik höhere Weihen zu geben. Also doch eine „Siegerreligion“?
Mal abgesehen davon, daß völlig unklar ist, ob und wo unter dem Banner der Menschenrechte gesiegt wird: Das Etikett geht an der entscheidenden Pointe vorbei. Die Menschenrechte auf dem Banner zeugen nicht nur von der Stärke des Westens, sondern ebenso von seiner Schwäche. Ironisch zugespitzt: „Menschenrechtsfundamentalismus“ ist das Gegenteil einer Siegerreligion. Es bedeutet die Politik der gebundenen Hände.
Die Tragödie von Kundus hat diese Schwäche des Westens unbarmherzig enthüllt.
Ziviltote als unbeabsichtige Nebenfolgen einer militärischen Aktion verletzen das Menschenrecht auf Unversehrtheit. Aber auch das bewußte Töten, ja das „Vernichten“ gegnerischer Talibanführer, von dem der befehlsgebende deutsche Oberst Klein sprach, widerstrebt einem Rechtsempfinden, das weder die Todesstrafe noch ihre Vollstreckung ohne ein Urteil nach Recht und Gesetz akzeptiert. Vor Ort interessiere das niemanden? Mitnichten. Denn auch der Gegner hat gelernt, sich eine kritische und selbstkritische Weltöffentlichkeit zunutze zu machen. Um die Achillesferse des Westens wissend, benutzt man Zivilisten als menschliche Schutzschilde. Auf den westlichen Aufschrei über „Kollateralschäden“ kann man sich verlassen.
Ebenso gewiß kann man sein, daß die westliche Seite keine Selbstmordattentäter ins Feld schickt. Die kennen übrigens den Begriff des kollateralen Schadens, also der unbeabsichtigten Nebenwirkung, schon deshalb nicht, weil sie nichts anderen wollen als soviele Zivilisten wie möglich mitnehmen auf ihren Todestrip. Diese Lebensverachtung kennt der westliche „Menschenrechtsfundamentalismus“ in der Tat nicht.
Die regulären Armeen in Afghanistan versuchen sich angesichts der eigenen Werte und einer kritischen Öffentlichkeit zu Hause mitten im Chaos durch ein umständliches und zeitraubendes Procedere zu mäßigen und abzusichern. Das macht sie unbeweglich und angreifbar. Soldaten, von Demokratien entsandt, verfügen nicht über jene Nonchalance, die ihre irregulären Gegner über Leichen gehen läßt.
Sie teilen eben nicht jene Geringschätzung des einzelnen Lebens, das typisch ist für Kulturen und Religionen, in denen das Individuum und seine Rechte den Zielen und Interessen des Kollektivs untergeordnet sind. Hatte nicht Saddam Hussein einst damit geprahlt, daß er jederzeit Millionen von siegeshungrigen jungen Männern aufs Schlachtfeld schicken könne? Dem Westen fehlt nicht nur die Vielzahl junger Männer, wir sind auch nicht bereit, sie als bloßes Kanonenfutter zu opfern.
Nein, der westliche „Menschenrechtsfundamentalismus“ ist mitnichten eine „Siegerreligion“. Und ihre westlichen Freunde vertun sich, wenn sie Muslime für Opfer halten. Islamistische Scharfmacher führen das muslimische Kollektiv höchstens aus taktischen Gründen als Opfer vor, weil man damit bei den gutwilligen Kreisen im Westen Punkte macht.
Die auch im europäischen Westen noch nicht lange errungene Freiheit des Individuums, sein Glück auf die ihm gemäße Weise in die eigene Hand zu nehmen, ist eine mächtige Triebfeder. Gewiß, sie hat ihre häßlichen Seiten, doch weit häßlicher ist die Armut, die sich paternalistischen Sozialstrukturen verdankt, in denen das Kollektiv alles, das Individuum nichts ist. Wo das Individuum nichts gewinnen darf, wird lediglich das Elend sozialisiert.
Unsere Stärke und unsere Achillesferse zugleich ist die Achtung vor dem individuellen Leben. Das gegen seine Verächter zu verteidigen, bedeutet in der Tat die Quadratur des Kreises. Ein Dilemma, gewiß. Ein unauflösbares, wahrscheinlich.
Hoffentlich: denn nur autoritäre Glaubenssysteme kennen keins.
Essay in: Fokus Politik, RBB, 6. Juni 2010, 19.04 – 19.30
Gewiß, es gibt Kritik am Islam, die man als übertrieben, hysterisch, populistisch, ja als islamophob empfinden kann. Aber überwiegt sie? Und gibt es wirklich keinen Grund zur Sorge?
Die Debatte ist heftig und Gefangene werden nicht gemacht – vor allem bei den Kritikern der Kritiker. Wer sich die erregten Beiträge in deutschen Intelligenzblättern zu Gemüte führt, muß den Eindruck gewinnen, daß in Deutschland ein neuer Faschismus droht, der sich diesmal nicht gegen die Juden, sondern gegen Muslime wendet. Da wird behauptet, der Autor einer angeblich antiislamischen „Kampfschrift“ „ähnele“ „im Prinzip“ einem islamistischen Kämpfer, der die Waffe in die Hand nimmt; da wird, wer westliche Werte „beschwört“, als „Haßprediger“ tituliert; da heißt es gar, wer für die „offensive Verteidigung der ‚freien Gesellschaft’“ plädiert, begünstige ein „autoritäres Regime“. Islamkritiker, liest man, sind „selbstgerecht“, „gedankenfeindlich“, „bedingungslos militant“ und hängen einer „Siegerreligion“ an. Und die Krone der Argumentation: wer gegen autoritäre und patriarchalische Züge eines orthodox verstandenen Islamismus den Respekt vor den Rechten des Individuums einklagt, betreibe „Menschenrechtsfundamentalismus“.
Eine verblüffende Wortschöpfung. Doch das ist noch nicht die letzte Stufe der Eskalation: In der Wochenzeitung „Die Zeit“ wurde jüngst allen irgendwie islamkritischen Menschen bescheinigt, „anti-muslimische Rassisten“ zu sein. Und ein Poetikprofessor, dem man das als lyrische Entgleisung womöglich nachsehen muß, stellt in einem seiner Vorträge die offenkundig nur rhetorisch gemeinte Frage: „Droht Europa womöglich ein anti-islamischer Faschismus der Aufklärung?“
Das muß man sich auf der Zunge zergehen lassen. „Faschismus der Aufklärung“ und „Menschenrechtsfundamentalismus“. Mit kleiner Münze wird in dieser Debatte nicht gehandelt. Und selbst wer den ganz großen Hammer scheut, greift zum nicht weniger wirkungsvollen Appell an die Toleranz und zum Hilfsmittel der Relativierung: Hat etwa die CDU ein fortschrittliches Frauenbild? Gibt es Gewalt gegen Frauen nicht auch bei deutschen Männern? Waren wir früher vielleicht nicht religiös verbohrt? Und geht es bei uns immer mit rechten Dingen zu? Na also. Thema durch.
Diese Technik der Relativierung ebnet sämtliche Unterschiede ein, auch den nicht gerade unerheblichen, ob man unter rechtsstaatlichen Bedingungen lebt oder die Scharia zu fürchten hat.
Auf der islamischen Seite nimmt man all dies dankbar auf und spielt den Ball zurück, das Zerrbild des häßlichen Deutschen immer parat. Und so ist die Debatte tot, bevor sie noch begonnen hat. Vom allseits geforderten Dialog der Kulturen nichts zu spüren. Dabei wäre es doch gewiß für alle Seiten lehrreich, mehr über die jeweiligen Zu- und Abneigungen zu erfahren, ohne daß ein Mann mit Bart sich gleich beleidigt fühlen muß. Zum Beispiel darüber, daß viele Menschen hierzulande eine in einen Ganzkörperschleier gehüllte Person unheimlich und verunsichernd finden, weil sie in einer Welt und einer Kultur aufgewachsen sind, in der Offenheit und Sichtbarkeit zum zivilen Frieden gehört. Man zeigt sein Gesicht, um seine ehrbaren Absichten erkennen zu lassen. Das sind kulturell erprobte Mittel der Gewaltvermeidung und damit der Sicherheit im öffentlichen Raum. Mal abgesehen davon, daß ein Ganzkörperschleier und ein paternalistisches Gemeinschaftsverständnis nicht zu unserer Vorstellung von Gleichberechtigung und individueller Freiheit paßt.
Doch das schwere Geschütz, daß die Kritiker der Islamkritiker auffahren, die hinter kultureller Fremdheit und der Auseinandersetzung damit stets Rassismus und Faschismus vermuten, ist mittlerweile vortrefflich geeignet, zu erzeugen, wovor gewarnt werden soll: eine dumpfe Mißstimmung, die, da sie sich nicht offen äußern darf, in den Untergrund gegangen ist.
Die Schärfe der Diskussion ist nicht hilfreich und angesichts des unaufgeregten Argumentationsstils etwa einer Necla Kelek kaum nachzuvollziehen, einer Frau, die sich offenbar nicht wegen rabaukenhafter Islamkritik, sondern wegen ihrer Hochschätzung westlicher Freiheit unbeliebt gemacht hat. Eine Hohelied auf den freien Westen ist nämlich im linken juste milieu hierzulande nicht vorgesehen, wo man sogar nach dem Fall der Mauer die Freude über das Ende des Kommunismus dämpfen zu müssen glaubte. Staatsmänner, Dichter und Denker warnten sogleich vor allzu großem Jubel über einen Sieg des westlichen Lebensmodells.
Es ist übrigens gerade für patriarchalisch geprägte, junge Staaten schwer nachzuvollziehen, warum sich westliche Demokratien, aber insbesondere die Deutschen, so hingebungsvoll in Selbstkritik üben. Und warum man dort andere Völker mit anderen Kulturen und Mentalitäten kritiklos zu verherrlichen pflegt, da es dort so viel weniger materialistisch, verdorben und dekadent zugehe. Noch nicht einmal westliche Frauen sind sich einig in Sachen Schleier: könne man den nicht auch als eine Kritik an der Durchpornografisierung westlicher Öffentlichkeit lesen? Und so loben die westlichen Selbstkritiker in einem fort: Ist die große Bedeutung von Familie und Stamm nicht eine immanente Kritik am einsamen egoistischen Individuum, der Arbeitsmonade der Industriegesellschaften? Zeigt uns die tiefe Religiosität anderer nicht die Flachheit unseres Wertehorizonts?
Für eine Kultur, die das Kollektiv über das Individuum stellt und in der Würde, Ehre und Respekt eine große Rolle spielen, ist diese Selbstinfragestellung natürlich ein Gottesgeschenk. Welcher muslimische Haßprediger, ja welcher einfach nur kulturüblich stolze muslimische Mann empfände keine Genugtuung, wenn er hört, wie sehr es der Gegenseite an Selbstrespekt fehlt, wo man neuerdings von Sehnsucht nach tiefer Religiösität sprechen hört, vom Bedürfnis nach einer neuen Sittlichkeit, vom Wunsch nach der Wärme eines sozialen Zusammenhangs, der nicht der kühlen Zivilität von Rechtsnormen und Marktverhältnissen unterliegt?
Man fragt sich, was diejenigen dazu sagen, die unter Einsatz ihres Lebens für die Teilhabe an der westlichen Freiheit gekämpft haben und nun feststellen müssen, daß ihre Nutznießer sie gelangweilt infragestellen.
Doch solcherlei Zivilisationskritik begleitet die Moderne seit jeher, sie geriert sich mal rechts, mal links, und hat der neuen Naturfrömmigkeit und ökologischer Sensibilität viel zu verdanken. Sie offenbart die Sehnsucht des von seiner Freiheit strapazierten Individuums nach paradiesischen Urzuständen.
Erst jüngst konnte man diese Botschaft im Film „Avatar“ entziffern: In diesem genialen Spektakel zerstören gierige Kapitalisten das Paradies, nämlich Kultur, Religion und Lebensraum der bezaubernden indigenen Bevölkerung. Die gierigen Kapitalisten und ihre militärischen Helfershelfer sind dem häßlichen Amerikaner wie aus der Fratze geschnitten. Zwar hat man den Film in China nicht als Parabel auf die USA, sondern auf die chinesische Zentralmacht gelesen, die andere Kulturen und Religionen wie die der Tibeter unterdrückt.
Doch hierzulande liest man die Botschaft so, wie sie gewiß gemeint ist: es ist das US-amerikanische Imperium mit seiner gigantischen ökonomischen und militärischen Macht, das sich die Welt untertan machen will.
Und damit kommen wir dem Glutkern der Debatte womöglich näher.
Ich möchte der Vermutung nachgehen, daß es in unserem Streit gar nicht so sehr um eine Debatte über Religion und Kultur geht. Eher schon darum, wie wir hierzulande leben wollen. Doch auch darunter verbirgt sich noch etwas, eine hidden agenda, ein versteckte Botschaft.
Auf deren Spur bringt uns der Vorwurf des „Menschenrechtsfundamentalismus“. Diese Formulierung unterstellt offenbar, daß das mehr oder weniger kämpferische Beharren auf individueller Freiheit und dem Recht auf körperliche Unversehrtheit des Einzelnen nicht fundamental, also die Basis unserer Zivilisation, sondern fundamentalistisch, also übertrieben wäre. Dem korrespondiert die Auffassung, „westliche Werte“, von denen manch einer nur noch in distanzierenden Gänsefüßchen schreibt, seien eine bloße Glaubensangelegenheit bzw. eine kulturelle Besonderheit unter anderen und das Menschenrecht, also der Vorrang des Individuums, je nach Religion und Staatsform relativ.
Erst die Vorstellung einer solchen Konkurrenz der Werte, die Unterstellung also, Menschenrecht sei ein bloßer Kampfbegriff, läßt verstehen, warum eine Kritik am Islam vom Menschenrechtsstandpunkt als ein zum Kreuzzug zugespitzter Wille zur Mission gedeutet werden kann, als Aufforderung also zur gewalttätigen Bekehrung Andersgläubiger.
Dem Westen ginge es also in diesem angeblichen Kreuzzug noch nicht einmal vordergründig um Menschenrechte, sondern um schlichte Machtinteressen, die sich hinter Universalien tarnen – frei nach dem Diktum Carl Schmitts „Wer Menschheit (oder eben Menschenrecht) sagt, will betrügen“.
Diese Debatte ist allerdings ebensowenig neu und sie hat heute wie gestern einen Adressaten: die USA, die amerikanische Außenpolitik ist gemeint, wenn von einem antiislamischen Kreuzzug die Rede ist. Die hidden agenda der Debatte ist Kritik an den USA.
Ist also Antiamerikanismus der Glutkern der Debatte? Nun, diese Keule soll hier nicht im Gegenzug gezückt werden. Es stimmt ja: Der Missionsgedanke ist den USA nicht fremd. Er ist natürlich auch dem Islam nicht fremd, um es zurückhaltend auszudrücken, auch wenn dem einzelnen Muslim nichts ferner liegen mag. Bei einflußreichen islamischen Predigern ist der Missionsgedanke offen und öffentlich Programm: die Bekehrung der ganzen Menschheit zu einer islamischen Ordnung. Dieser Herrschaftsanspruch tarnt sich im übrigen noch nicht einmal und daß ihm gewaltförmige Mittel fremd wären, kann man gewiß nicht behaupten.
In Europa sind die Kreuzzüge lange her und schon längst von einem anderen Ethos überlagert, das weder Napoleon noch Hitler noch zwei Weltkriege völlig haben zerstören können. Und diesem Ethos geht der Missionsgedanken völlig ab. Aus der Katastrophe des 30jährigen Religionskriegs zog man den Schluß, auf eine Einmischung in die inneren Angelegenheiten des Gegners fürderhin zu verzichten. Dem mit dem Westfälischen Krieg entwickelten, aber weit tiefer wurzelnden Kriegsvölkerrecht zufolge galt es nun als unzulässig, dem Besiegten eine andere Staatsform oder Religion aufzuzwingen. Auf ähnliches verweist das sogenannte Rückwirkungsverbot: niemand kann für eine Tat aufgrund eines Gesetzes zur Rechenschaft gezogen werden, das zum Zeitpunkt der Tat noch keine Geltung besaß. Damit sollten Racheaktionen des Siegers verhindert werden. Niemand sollte mehr seine Interessen und sein Recht aus für alle geltenden Universalien ableiten dürfen - wie Gott, die Natur oder die Menschheit - und sich damit faktisch unangreifbar machen. „Gerechter Krieg“ hieß lediglich, daß es jedem erlaubt sein mußte, seine Interessen zu vertreten. Damit war nicht gemeint, daß sich eine der beiden Seiten auf eine höhere Moral beziehen durfte.
Missionsgedanken trieben höchstens Napoleons Heere voran, der sich der Freiheit wegen der hinderlichen europäischen Kriegsregeln entledigte – nicht immer zur Freude der solcherarts befreiten Völker.
Und in der Tat: die kurze Epoche der eingehegten Staatenkriege unterscheidet das „alte Europa“ von den vergleichsweise jungen Vereinigten Staaten von Amerika, die eine andere Ursprungslegende haben und daraus andere Akzente ableiten.
Ohne Zweifel steckt in der amerikanischen Emphase für Freiheit und Demokratie ein missionarisches Moment. Und das verdankt sich dem amerikanischen Bürgerkrieg. Zum nationalen Mythos gehört, daß es in diesem Bruderkrieg um Unverhandelbares gegangen sei: um die Befreiung der Sklaven. Es ging also um ein universales Gut. Allein das rechtfertigt die bedingungslose Unterwerfung des amerikanischen Südens – im Nachhinein. Während nach dem Modell der europäischen Staatenkriege kein Sieger den Besiegten sich einverleiben darf, ist das Grundprinzip eines Bürgerkriegs ein anderes: nur ein Prinzip, eine Religion, eine Verfassung kann den Frieden garantieren. Im Bürgerkrieg wie in fundamentalen Fragen muß der Kampf bis zum letzten geführt werden, ein Kompromiß ist nicht möglich, sonst schwelt der Konflikt weiter.
Das Engagement der USA im Ersten Weltkrieg begründete Präsident Wilson denn auch mit einem Ziel, das weit über Fragen der Machtbalance oder pragmatische Erwägungen hinausging: Die Zivilsation sei bedroht und man müsse die Welt „safe for democracy“, sicher für die Demokratie machen. Das schob dem Deutschen Reich nicht nur erst die Verantwortung und im Versailler Vertrag schließlich sogar (und durchaus gegen völkerrechtliche Gepflogenheiten) die „Schuld“ am Krieg zu, sondern sorgte auch auf lange Zeit für ein Geschichtsbild, in dem das Deutsche Reich lediglich als undemokratisches Wirtstier eines autoritären preußischen Militarismus galt - eine durchaus unzutreffende Verkürzung.
Was heute als linkes Argument gegen die amerikanische Vormacht angeführt wird, kam damals eher von rechts: daß Präsident Wilsons Parole den Krieg unzulässig moralisiert, ja in einen „Kreuzzug“ umgemünzt habe.
Damals ein Kreuzzug für die Demokratie, heute ein Kreuzzug fürs Menschenrecht? Aber waren den USA die Menschenrechte nicht bis vor kurzem noch völlig wurscht, als es um die Sicherung ihrer Einflußsphären im Kalten Krieg ging?
In der Tat haben sich die USA im Kalten Krieg mit der Sowjetunion ganz und gar nicht kleinlich gezeigt, was die Wahl ihrer Bundesgenossen betraf: blutrünstige Diktatoren und ausbeuterische Kleinkönige wurden nicht ungern in Kauf genommen, solange sie auf der richtigen Seite standen. Gewiß, der Sowjetunion durfte man schon mal gar nicht mit Demokratie und Menschenrecht kommen, was übrigens gerade auf der deutschen Linken stets auf Verständnis stieß: Man könne doch von Kommunisten nicht verlangen, daß sie sich nicht kommunistisch verhalten! Im Kommunismus gilt das Individuum nichts, das Ganze ist alles, man konnte der Sowjetunion also schwerlich vorwerfen, daß sie sich nicht an Werte hielt, die nicht die ihren waren.
Freiheit und Menschenrecht galten als Kampfbegriffe im Kalten Krieg, weshalb es viele Jahre lang insbesondere in den linksliberalen Kreisen Westdeutschlands als unangemessen galt, der Sowjetunion Menschenrechtsverletzungen vorzuwerfen. Und das dachten nicht nur die, die mit dem Vaterland des Sozialismus offen sympathisierten.
Die polnischen Solidarnosc-Kämpfer hielt man 1981 in Deutschland gar für egoistisch: denn sie stellten ihr Freiheitsbedürfnis über den Erhalt jenes prekären Mächtegleichgewichts,von dem die Deutschen ihre Sicherheit, ja ihr Leben abhängig glaubten. Pragmatisch-robust hieß es da schon mal, man müsse Verständnis dafür haben, daß die Sowjets für Ordnung auf ihrem Hinterhof sorgen.
Man ist da heutzutage empfindlicher, erfreulicherweise. Das Mißtrauen gegen ein Amerika aber, daß sich als Vorkämpfer für Freiheit, Demokratie und Menschenrechte empfiehlt, bleibt. Gewiß, heißt es dann. Heute begründet die amerikanische Regierung militärische Interventionen zwar nicht mehr mit dem notwendigen Kampf gegen die kommunistische Weltherrschaft, sondern mit den Menschenrechten. Allerdings nur, um die eigene Bevölkerung von der gerechten Sache von militärischen Interventionen wie etwa in Afghanistan zu überzeugen. Gegen China kann man die Menschenrechte nicht durchsetzen, in Somalia oder an anderen hoffnungslosen Orten will man nicht, die Bevölkerung würde es nicht mittragen, wenn man Soldaten in aussichtslosen Lagen verheizt.
Also sind Menschenrechte Schall und Rauch? Beliebig einsetzbar, wann es gerade paßt? Ist die amerikanische Menschenrechtsmission also nichts anderes als scheinheilig?
Nein, um die Antwort vorwegzunehmen. Doch das macht das Dilemma nicht geringer.
Schon im Ersten Weltkrieg begann der Abschied von der Idee des einhegten Staatenkriegs, derzufolge der Ball flachzuhalten war, was eine Aufladung der jeweiligen Interessen mit Werten und großen Worten betrifft. Aus einem einfachen Grund: die Mobilisierung einer derart großen Zahl von Menschen, wie sie die Massenarmeen forderten, war nicht nur in Demokratien ohne eine breite Zustimmung der Bevölkerung nicht möglich. Die Armeen waren kein Instrument fürstlicher Machtökonomie mehr, Befehlsempfänger, sonst nichts, sondern im Gefolge der Nationalisierung der Kriege eine Kraft geworden, die einen anderen Antrieb brauchte.
Man zog in den Krieg fürs Vaterland, für die Zivilisation, gegen die Barbarei, kurz: für höchste Werte. In Demokratien müssen Menschen überzeugt werden. Und nicht selten werden sie dabei belogen oder überrumpelt, wie es der damalige Außenminister tat, als er die kriegsentwöhnten Deutschen zum militärischen Engagement im Kosovo mit dem höchsten unserer Werte anfeuerte: man müsse ein neues Auschwitz verhindern.
Gewiß ist auch der Kampf fürs Menschenrecht dazu geeignet, einer pragmatischen Machtpolitik höhere Weihen zu geben. Also doch eine „Siegerreligion“?
Mal abgesehen davon, daß völlig unklar ist, ob und wo unter dem Banner der Menschenrechte gesiegt wird: Das Etikett geht an der entscheidenden Pointe vorbei. Die Menschenrechte auf dem Banner zeugen nicht nur von der Stärke des Westens, sondern ebenso von seiner Schwäche. Ironisch zugespitzt: „Menschenrechtsfundamentalismus“ ist das Gegenteil einer Siegerreligion. Es bedeutet die Politik der gebundenen Hände.
Die Tragödie von Kundus hat diese Schwäche des Westens unbarmherzig enthüllt.
Ziviltote als unbeabsichtige Nebenfolgen einer militärischen Aktion verletzen das Menschenrecht auf Unversehrtheit. Aber auch das bewußte Töten, ja das „Vernichten“ gegnerischer Talibanführer, von dem der befehlsgebende deutsche Oberst Klein sprach, widerstrebt einem Rechtsempfinden, das weder die Todesstrafe noch ihre Vollstreckung ohne ein Urteil nach Recht und Gesetz akzeptiert. Vor Ort interessiere das niemanden? Mitnichten. Denn auch der Gegner hat gelernt, sich eine kritische und selbstkritische Weltöffentlichkeit zunutze zu machen. Um die Achillesferse des Westens wissend, benutzt man Zivilisten als menschliche Schutzschilde. Auf den westlichen Aufschrei über „Kollateralschäden“ kann man sich verlassen.
Ebenso gewiß kann man sein, daß die westliche Seite keine Selbstmordattentäter ins Feld schickt. Die kennen übrigens den Begriff des kollateralen Schadens, also der unbeabsichtigten Nebenwirkung, schon deshalb nicht, weil sie nichts anderen wollen als soviele Zivilisten wie möglich mitnehmen auf ihren Todestrip. Diese Lebensverachtung kennt der westliche „Menschenrechtsfundamentalismus“ in der Tat nicht.
Die regulären Armeen in Afghanistan versuchen sich angesichts der eigenen Werte und einer kritischen Öffentlichkeit zu Hause mitten im Chaos durch ein umständliches und zeitraubendes Procedere zu mäßigen und abzusichern. Das macht sie unbeweglich und angreifbar. Soldaten, von Demokratien entsandt, verfügen nicht über jene Nonchalance, die ihre irregulären Gegner über Leichen gehen läßt.
Sie teilen eben nicht jene Geringschätzung des einzelnen Lebens, das typisch ist für Kulturen und Religionen, in denen das Individuum und seine Rechte den Zielen und Interessen des Kollektivs untergeordnet sind. Hatte nicht Saddam Hussein einst damit geprahlt, daß er jederzeit Millionen von siegeshungrigen jungen Männern aufs Schlachtfeld schicken könne? Dem Westen fehlt nicht nur die Vielzahl junger Männer, wir sind auch nicht bereit, sie als bloßes Kanonenfutter zu opfern.
Nein, der westliche „Menschenrechtsfundamentalismus“ ist mitnichten eine „Siegerreligion“. Und ihre westlichen Freunde vertun sich, wenn sie Muslime für Opfer halten. Islamistische Scharfmacher führen das muslimische Kollektiv höchstens aus taktischen Gründen als Opfer vor, weil man damit bei den gutwilligen Kreisen im Westen Punkte macht.
Die auch im europäischen Westen noch nicht lange errungene Freiheit des Individuums, sein Glück auf die ihm gemäße Weise in die eigene Hand zu nehmen, ist eine mächtige Triebfeder. Gewiß, sie hat ihre häßlichen Seiten, doch weit häßlicher ist die Armut, die sich paternalistischen Sozialstrukturen verdankt, in denen das Kollektiv alles, das Individuum nichts ist. Wo das Individuum nichts gewinnen darf, wird lediglich das Elend sozialisiert.
Unsere Stärke und unsere Achillesferse zugleich ist die Achtung vor dem individuellen Leben. Das gegen seine Verächter zu verteidigen, bedeutet in der Tat die Quadratur des Kreises. Ein Dilemma, gewiß. Ein unauflösbares, wahrscheinlich.
Hoffentlich: denn nur autoritäre Glaubenssysteme kennen keins.
Essay in: Fokus Politik, RBB, 6. Juni 2010, 19.04 – 19.30
Sonntag, 6. Juni 2010
Menschenrechtsfundamentalismus reloaded...
Heute abend um 19.04 Essay im "Forum Politik", Kulturradio RBB - http://www.kulturradio.de/livestream/index.html
Bundespräsident II
Bricht die Kanzlerinnendämmerung an?
Wenn es stimmt, daß Angela Merkel Ursula von der Leyen im Unklaren darüber gelassen hat, daß sie sich längst für Christian Wulff entschieden hatte...
Und wenn es stimmt, daß Siegmar Gabriel ihr anbot, über einen gemeinsamen Kandidaten zu sprechen, was sie unterließ...
Dann hat sie sich einen weiteren Patzer erlaubt, der schwere Nachwirkungen haben könnte. Denn Joachim Gauck, von SPD und Grünen vorgeschlagen, ist ein Mann, auf den sich alle einigen können. Nur Die Linke nicht, aus naheliegenden Gründen: wer sich immer noch als Mitglied einer Kaderpartei der Umverteilung fühlt, dürfte so seine Schwierigkeiten haben mit dem ehemaligen "Stasijäger". Und mit einem Mann, der Freiheit für das wesentliche Gut hält - und von einer Produktivität, Eigenwilligkeit, kurz: Freiheit erstickenden Gleichheit nichts hält. Dem die im linken juste milieu vorherrschende Weinerlichkeit nicht liegt und der sich (jedenfalls bislang noch) nicht aufs Prokrustesbett eines "Unbequemen" oder gar "Querdenkers" schnallen läßt. Wir wissen: auch bei Horst Köhler erschöpfte sich das Unbequeme in den üblichen Kirchentagsworten gegen Gier, Monster, Heuschrecken und all das andere Böse.
Meine Güte, was täte uns dieser nicht uneitle, aber dennoch kluge und mittlerweile gar lebensweise Mann gut! Er führe uns hinaus aus dem Jammertal der ewig klagenden Abstiegsbedrohten... Was Merkel nicht kann - zum beherzten Optimismus in der Krise aufrufen - könnte sicher er, der schon ganz andere Krisen hinter sich gebracht hat.
So einen brauchen wir, nicht den blassen Osnabrücker.
Wenn ich das richtig sehe, hat Rotgrün mit seiner Kandidatur einen echten Coup gelandet: Gauck ist für alle wählbar, höchstens für die Knallroten nicht, die damit erfolgreich ausgegrenzt sind. Schon jetzt zeigen sich nicht wenige in FDP und CDU herzlich einverstanden mit ihm. Einverstanden mit ihm müßte auch Angela Merkel sein.
Aber die wollte ja einen weiteren ambitionierten Mann entsorgen und auf einen anderen Posten wegloben. Nun hat sie den Salat: selbst Christian Wulff spricht bereits davon, daß es nicht darauf ankomme, auch tatsächlich gewählt zu werden.
Eine weise Absicherung. Denn womöglich wird es ja tatsächlich Gauck. Das schadet Wulff nicht. Wohl aber Merkel.
Wenn es stimmt, daß Angela Merkel Ursula von der Leyen im Unklaren darüber gelassen hat, daß sie sich längst für Christian Wulff entschieden hatte...
Und wenn es stimmt, daß Siegmar Gabriel ihr anbot, über einen gemeinsamen Kandidaten zu sprechen, was sie unterließ...
Dann hat sie sich einen weiteren Patzer erlaubt, der schwere Nachwirkungen haben könnte. Denn Joachim Gauck, von SPD und Grünen vorgeschlagen, ist ein Mann, auf den sich alle einigen können. Nur Die Linke nicht, aus naheliegenden Gründen: wer sich immer noch als Mitglied einer Kaderpartei der Umverteilung fühlt, dürfte so seine Schwierigkeiten haben mit dem ehemaligen "Stasijäger". Und mit einem Mann, der Freiheit für das wesentliche Gut hält - und von einer Produktivität, Eigenwilligkeit, kurz: Freiheit erstickenden Gleichheit nichts hält. Dem die im linken juste milieu vorherrschende Weinerlichkeit nicht liegt und der sich (jedenfalls bislang noch) nicht aufs Prokrustesbett eines "Unbequemen" oder gar "Querdenkers" schnallen läßt. Wir wissen: auch bei Horst Köhler erschöpfte sich das Unbequeme in den üblichen Kirchentagsworten gegen Gier, Monster, Heuschrecken und all das andere Böse.
Meine Güte, was täte uns dieser nicht uneitle, aber dennoch kluge und mittlerweile gar lebensweise Mann gut! Er führe uns hinaus aus dem Jammertal der ewig klagenden Abstiegsbedrohten... Was Merkel nicht kann - zum beherzten Optimismus in der Krise aufrufen - könnte sicher er, der schon ganz andere Krisen hinter sich gebracht hat.
So einen brauchen wir, nicht den blassen Osnabrücker.
Wenn ich das richtig sehe, hat Rotgrün mit seiner Kandidatur einen echten Coup gelandet: Gauck ist für alle wählbar, höchstens für die Knallroten nicht, die damit erfolgreich ausgegrenzt sind. Schon jetzt zeigen sich nicht wenige in FDP und CDU herzlich einverstanden mit ihm. Einverstanden mit ihm müßte auch Angela Merkel sein.
Aber die wollte ja einen weiteren ambitionierten Mann entsorgen und auf einen anderen Posten wegloben. Nun hat sie den Salat: selbst Christian Wulff spricht bereits davon, daß es nicht darauf ankomme, auch tatsächlich gewählt zu werden.
Eine weise Absicherung. Denn womöglich wird es ja tatsächlich Gauck. Das schadet Wulff nicht. Wohl aber Merkel.
Bundespräsident I
Also von einer Sache verstand er gewiß was, der Altbundespräsident Köhler: von Finanzdingen. Umso verwunderlicher, daß nur der Münchner Merkur bislang auf eine naheliegende Idee gekommen zu sein scheint: Köhler sei womöglich zurückgetreten, weil er die Griechenlandhilfe nicht unterschreiben wollte (die in ca. zwei Jahren das Bundesverfassungsgericht eh kippen wird).
Vielleicht. Vielleicht auch nicht: schließlich hat er diese Hilfe zunächst für eine Notwendigkeit erklärt. Außerdem: warum sollte er das nicht laut und deutlich sagen? Schließlich schadet sein Rücktritt Angela Merkel auch so. Warum hat er seinen Ruf einmal mehr riskiert, indem er sich als überempfindliche, beleidigte Leberwurst präsentierte, die eine Diskussion nicht führen wollte, die er doch soeben angeregt hatte? (Im übrigen: die Spiegelgeschichte war saudoof und in Schlagetotmanier geschrieben, aber das ist ein anderes Kapitel.)
Hat er Loyalität bewiesen, sich aufgeopfert? Wird er irgendwann damit auftrumpfen, nachdem ein anderer den finanz- und europapolitischen Wahnsinn unterschrieben hat?
Bleiben Sie dran. Es bleibt spannend.
Vielleicht. Vielleicht auch nicht: schließlich hat er diese Hilfe zunächst für eine Notwendigkeit erklärt. Außerdem: warum sollte er das nicht laut und deutlich sagen? Schließlich schadet sein Rücktritt Angela Merkel auch so. Warum hat er seinen Ruf einmal mehr riskiert, indem er sich als überempfindliche, beleidigte Leberwurst präsentierte, die eine Diskussion nicht führen wollte, die er doch soeben angeregt hatte? (Im übrigen: die Spiegelgeschichte war saudoof und in Schlagetotmanier geschrieben, aber das ist ein anderes Kapitel.)
Hat er Loyalität bewiesen, sich aufgeopfert? Wird er irgendwann damit auftrumpfen, nachdem ein anderer den finanz- und europapolitischen Wahnsinn unterschrieben hat?
Bleiben Sie dran. Es bleibt spannend.
Donnerstag, 22. April 2010
James Ellroy
"Ich denke gern an meinen geliebten Bullterrier zurück (...) Er hat überall immer so lange herumgeschnüffelt, bis er den perfekten Platz zum Scheißen gefunden hatte. Und so bin ich auch. Ich weiß, wo mein Platz zum Kacken ist (...) Ich will eine Zeit und einen Platz, der mir allein gehört und nur nach James Ellroy riecht."
Unbedingt lesenswert: Interview in der FAZ vom 10. April
Unbedingt lesenswert: Interview in der FAZ vom 10. April
Mittwoch, 21. April 2010
E-Book: Die Revolution beginnt...
Es ist unfaßbar, was derzeit auf dem Buchmarkt passiert. Ich frage mich allerdings manchmal, ob die Autoren das alles unbedingt verschlafen wollen?
Hier mein Buchmarkt-Interview zum Thema.
Mehr links und interessante Infos demnächst.
Hier mein Buchmarkt-Interview zum Thema.
Mehr links und interessante Infos demnächst.
Donnerstag, 1. April 2010
Doch keine Pause....
Am Sonntag wird es auf buchmarkt.de ein Gespräch über das Thema geben - und heute hat bereits die NZZ einen Essay über die Zukunft des Buchs, des Buchhandels, der Verlage, der Autoren veröffentlicht. Hier ist er:
Es ist nur eine Frage der Zeit, bis das E-Book dem herkömmlichen Buch den Platz streitig machen wird. Eine ganze Branche fürchtet sich vor einer technologischen Revolution, die kaum aufzuhalten ist. Hart treffen wird es den Buchhandel und Verlage mit hohen Fixkosten. Den Autoren indes bieten sich Chancen.
«Niemals. DAS BUCH wird nicht sterben. Nicht nach 500 Jahren Erfolgsstory. Und nicht ausgerechnet jetzt.»
Wenn man genau hinhört, vernimmt man das Pfeifen im Keller. Dort sitzen Verlage, Buchhandel und Autoren beisammen, halten sich Augen und Ohren zu und beteuern, dass es sie auch in Zukunft noch geben werde, weil die Welt sie brauche. Kann sein. Oder auch nicht. Die Branche taumelt im Sturm einer technologischen Revolution, und bei Revolutionen geht es bekanntlich nicht zimperlich zu. Da fürchtet jeder um seinen Kopf.
Enteigner am Werk
Am meisten fürchten sich wie immer die Autoren – und das nicht ohne Grund. Wir regen uns zu Recht darüber auf (siehe die «Leipziger Erklärung»), wenn Feuilleton und Verlag es lässig nehmen, dass eine 17-Jährige aus der Generation Copy and Paste ein bisschen abgekupfert hat. Während man in der Musikbranche dafür bitter büssen muss – der deutsche Rapper Bushido wird wegen ähnlicher Vorwürfe ganze elf Alben schreddern müssen –, jubelte das Feuilleton den Pubertätsaufschrei «Axolotl Roadkill» mit seiner «Ästhetik der Intertextualität» in die Bestsellerlisten. Das mobilisiert alle Ängste, die ein Autor so hat, der vom Verkauf seines geistigen Eigentums leben will.
Denn da sind ja noch ganz andere Enteigner unterwegs. Noch nie war Raubkopieren so einfach wie heute. In seiner digitalen Form kann man im Internet jedes halbwegs erfolgreiche Buch kostenlos herunterladen. Schliesslich gebe es, meinen die Urheberrechtsverletzer, ein Menschenrecht auf Informationsfreiheit. Für die Autoren ein schwacher Trost: Immerhin sind es ihre Fans, die so scharf auf ihre Bücher zu sein scheinen, dass ihnen der Umweg über die Ladenkasse zu mühselig ist.
Wundertüte Internet
In düsteren Autorenträumen dauert es nicht mehr lange, und kreative Leistung ist gar nichts mehr wert. Das Internet, glauben viele, ist nicht ihr Freund: Diese Tüte voller Wunder, für die man nicht bezahlen muss, hat die Preise verdorben. Auch deshalb klammern Autoren sich ans Fortleben des BUCHS: Denn das E-Book wird billiger sein müssen, soll es eine Chance auf einem Markt haben, dessen Nutzer «Bezahlt wird nicht!» gewohnt sind. Für Autoren aber ist der Buchpreis noch immer das Mass aller Dinge, solange sich ihr Honorar in Prozenten daran bemisst.
Und so pfeifen sie eben mit im Keller und machen sich Hoffnungen: Noch ist es einigermassen mühsam, als Leser illegal an seinen Stoff zu kommen. Noch sind E-Book-Reader zu teuer und nicht elegant genug, damit Leserinnen sie gerne mit ins Bett nähmen. Noch lieben alle die nette Buchhändlerin in dem kleinen Laden gerade um die Ecke. Noch wollen die meisten Belletristik auf die gewohnte Weise lesen.
Noch gibt es wahre Lesefreunde, die jederzeit ein Plädoyer für DAS BUCH halten würden: Nichts gehe über dieses Kultobjekt aus Druckerschwärze und Papier, in feines Leinen oder Leder gebunden, gar noch mit Lesebändchen; einen edlen Gegenstand eben, in dem man nicht nur lesen, sondern den man auch streicheln, betrachten und ins Regal stellen kann. Ein Buch, das einen ordentlichen Ladenpreis auch wert ist!
Doch die dingliche Form des Buchs stellt in den meisten Fällen keinen Wert mehr dar, der für seinen Preis bestimmend wäre. Das Teure am Buch ist nicht seine gegenständliche Existenz. Die Druckkosten sind marginal in Relation zu den bis zu 50 Prozent vom Buchpreis, die an den Buchhandel gehen. Oder im Vergleich mit den Kosten eines Verlages, der eine teure Geschäftsleitung und viele Mitarbeiter beschäftigt, die für Vertrieb und Marketing sorgen. Auch die inhaltliche Arbeit am Buch bestimmt den Buchpreis nicht, nicht die im Lektorat und erst recht nicht die des Autors, der, wenn es hochkommt, 10 Prozent vom Ladenpreis eines Hardcovers und 6 Prozent von dem eines Taschenbuchs erhält.
In der Klemme
Fragen wir also einmal andersherum: Wäre es nicht geradezu eine Befreiung, wenn der Zwang zur Körperlichkeit mitsamt dem kostenaufwendigen Vertrieb wegfiele? Könnte es nicht sein, dass die Revolution der Gutenberg-Galaxis gerade für die Autoren die grössten Chancen bereithält?
Nehmen wir die Verlage. Insbesondere die grossen Tanker unter ihnen sitzen in der Klemme. Sie werden für eine womöglich recht lange Übergangszeit Bücher sowohl in der gewohnten handfesten Weise als auch als elektronisches und körperloses Wesen auf den Markt bringen müssen. Der ganze Vertriebsapparat muss also erhalten bleiben. Das mindert die Chancen, die im E-Book liegen: nämlich an den Kosten für den teuren Verkehr mit den Buchhändlern sparen zu können.
Die Macht der Ketten
Durchaus möglich, dass manch ein Verleger davon sogar träumt. Davon, endlich die Macht der grossen Sortimenter brechen zu können, die ihm nur noch das abnehmen, was sich massenhaft verkauft. Und die ihm ein «Warenkostenzuschuss» genanntes Bestechungsgeld abverlangen, wenn er möchte, dass seine Neuerscheinungen einen guten Platz auf den Verkaufstischen bekommen.
Solche Träume könnten wahr werden. Die Macht der grossen Ketten bröckelt. Denn wozu braucht man sie noch? Gewiss nicht ihrer alten Kernkompetenz der Beratung wegen. Angesichts der Fülle von Neuerscheinungen und des Triumphzugs des Online-Handels ist Beratung höchstens noch ein Pluspunkt der kleineren Buchläden. Die deutsche Grossbuchhandlung Hugendubel spart folgerichtig qualifiziertes Personal ein und will überdies ein Drittel seines Sortiments mit «Non-Books» bestücken. Konsequenter ist die Buchhandelskette Thalia, wo man selbst ins E-Book-Geschäft einsteigen will, denn dafür braucht man keinen Buchhändler mehr.
Braucht man womöglich auch keine Verlage mehr in Zeiten des E-Books? Doch, doch, pfeifen die Verleger im Keller: Wo wären alle ohne uns als Vermittlungsinstanzen, ohne unser verlegerisches Eros, ohne unsere Aufzucht und Pflege von Autoren, ohne unsere Leidenschaft für schöne Bücher . . . Gewiss. Der Dankbarkeit ihrer Autoren können sie gewiss sein: Wo wären wiederum wir ohne Verlagsvorschüsse, die uns von Existenznot befreien und vom mühseligen Geschäft des Werbens und Verkaufens? Wo wären wir ohne Lektoren? Also mucken wir nicht lange und unterschreiben Verträge, in denen uns immerhin 20 Prozent vom niedrigen Preis eines E-Books zugesichert werden. Was soll's: Wir glauben ja fest an DAS BUCH! Also die Augen zu und weiterschreiben. So sind wir Autoren.
Mehr Selbstbewusstsein
Ein bisschen mehr Selbstbewusstsein wäre gewiss nicht schlecht. Auch das Internet braucht «Content» – also Urheber. Auch gibt es immer wieder von der Marketingabteilung und den auf garantierte Verkäuflichkeit setzenden Sortimentern nicht vorhergesehene Wunder. Es sind die Leser, die das Kalkül unterlaufen, indem sie einen unbekannten Autor mit einem unbekannten Titel zum Bestseller machen.
Die Wiederbeatmung der Autoren aber kommt heute aus einer ganz anderen Richtung. Es wird Amazon sein, der Online-Handels-Riese, der das Bündnis zwischen Buchhandel, Verlagen und Autoren zerschlagen könnte. Amazon stellt seit kurzem eine Plattform zur Verfügung, auf der Autoren ihre Bücher selbst veröffentlichen können – und zwar auch ohne Verlag. Man will dabei die Autoren mit 70 Prozent am Erlös beteiligen (zum Vergleich: An den Buchhandel gehen bis anhin um die 50 Prozent). Auch Apple verhandelt momentan mit den sechs grössten amerikanischen Verlagsgruppen über ähnliche Konditionen. Eine Revolution? Zweifellos. Nur in Europa versucht man die Sache zu verschlafen.
Auch die Autoren schlummern fest. Sie sollten vielleicht einfach einmal nachrechnen: 70 Prozent von 3 Euro oder 10 Prozent von 20 Euro oder 6 Prozent von 9 Euro? Ach? Genau.
Veränderter Auswahlprozess
Es sind also nicht die Autoren, die sich vorm E-Book am meisten fürchten müssten, sondern vor allem der Buchhandel. Und jene Verlage, die sich auf ein neues Bündnis mit ihren Autoren nicht einlassen wollen, die, wenn sie geschickt sind, die Verhandlungsmacht des Buchhandels übernehmen könnten. Denn anderswo locken bereits andere Partner: kleine, wendige, von vornherein auf E-Books spezialisierte Agenten, die jene Overhead-Kosten, unter denen die grossen ächzen, gar nicht erst anhäufen. Gewinnen werden Verlage und Autoren, denen es gelingt, aus dem bloss anderen Aggregatzustand des zum E-Book gewordenen Buchs etwas Genuines, Überraschendes, auch junge Leser Begeisterndes zu machen.
Sicher, wird man in der Verlagswelt vielleicht sagen. Demnächst also wird jeder Mist veröffentlicht, den wir bisher durch unsere sorgfältigen Qualitätskontrollen verhindert haben!
Nun – diese Kontrollen hat bisher erstaunlich viel Mist passiert, Bücher als Massenware, die sich entschieden weniger leicht entsorgen lassen als elektronische Impulse. Und vieles ist den Verlagen auf ihrer Jagd nach dem garantiert Verkäuflichen sogar entgangen.
Es muss nicht schaden, wenn sich in Zukunft der Prozess umkehrt: Gedruckt wird nur noch, was sich in seiner digitalen Form bereits bewährt hat – und auch nur, wenn der Leser es will. Was dann noch auf einem Büchertisch landet, ist es wert, ins Regal gestellt zu werden.
So wird es womöglich weiterleben: DAS BUCH.
In: NZZ vom 1. April 2010
Es ist nur eine Frage der Zeit, bis das E-Book dem herkömmlichen Buch den Platz streitig machen wird. Eine ganze Branche fürchtet sich vor einer technologischen Revolution, die kaum aufzuhalten ist. Hart treffen wird es den Buchhandel und Verlage mit hohen Fixkosten. Den Autoren indes bieten sich Chancen.
«Niemals. DAS BUCH wird nicht sterben. Nicht nach 500 Jahren Erfolgsstory. Und nicht ausgerechnet jetzt.»
Wenn man genau hinhört, vernimmt man das Pfeifen im Keller. Dort sitzen Verlage, Buchhandel und Autoren beisammen, halten sich Augen und Ohren zu und beteuern, dass es sie auch in Zukunft noch geben werde, weil die Welt sie brauche. Kann sein. Oder auch nicht. Die Branche taumelt im Sturm einer technologischen Revolution, und bei Revolutionen geht es bekanntlich nicht zimperlich zu. Da fürchtet jeder um seinen Kopf.
Enteigner am Werk
Am meisten fürchten sich wie immer die Autoren – und das nicht ohne Grund. Wir regen uns zu Recht darüber auf (siehe die «Leipziger Erklärung»), wenn Feuilleton und Verlag es lässig nehmen, dass eine 17-Jährige aus der Generation Copy and Paste ein bisschen abgekupfert hat. Während man in der Musikbranche dafür bitter büssen muss – der deutsche Rapper Bushido wird wegen ähnlicher Vorwürfe ganze elf Alben schreddern müssen –, jubelte das Feuilleton den Pubertätsaufschrei «Axolotl Roadkill» mit seiner «Ästhetik der Intertextualität» in die Bestsellerlisten. Das mobilisiert alle Ängste, die ein Autor so hat, der vom Verkauf seines geistigen Eigentums leben will.
Denn da sind ja noch ganz andere Enteigner unterwegs. Noch nie war Raubkopieren so einfach wie heute. In seiner digitalen Form kann man im Internet jedes halbwegs erfolgreiche Buch kostenlos herunterladen. Schliesslich gebe es, meinen die Urheberrechtsverletzer, ein Menschenrecht auf Informationsfreiheit. Für die Autoren ein schwacher Trost: Immerhin sind es ihre Fans, die so scharf auf ihre Bücher zu sein scheinen, dass ihnen der Umweg über die Ladenkasse zu mühselig ist.
Wundertüte Internet
In düsteren Autorenträumen dauert es nicht mehr lange, und kreative Leistung ist gar nichts mehr wert. Das Internet, glauben viele, ist nicht ihr Freund: Diese Tüte voller Wunder, für die man nicht bezahlen muss, hat die Preise verdorben. Auch deshalb klammern Autoren sich ans Fortleben des BUCHS: Denn das E-Book wird billiger sein müssen, soll es eine Chance auf einem Markt haben, dessen Nutzer «Bezahlt wird nicht!» gewohnt sind. Für Autoren aber ist der Buchpreis noch immer das Mass aller Dinge, solange sich ihr Honorar in Prozenten daran bemisst.
Und so pfeifen sie eben mit im Keller und machen sich Hoffnungen: Noch ist es einigermassen mühsam, als Leser illegal an seinen Stoff zu kommen. Noch sind E-Book-Reader zu teuer und nicht elegant genug, damit Leserinnen sie gerne mit ins Bett nähmen. Noch lieben alle die nette Buchhändlerin in dem kleinen Laden gerade um die Ecke. Noch wollen die meisten Belletristik auf die gewohnte Weise lesen.
Noch gibt es wahre Lesefreunde, die jederzeit ein Plädoyer für DAS BUCH halten würden: Nichts gehe über dieses Kultobjekt aus Druckerschwärze und Papier, in feines Leinen oder Leder gebunden, gar noch mit Lesebändchen; einen edlen Gegenstand eben, in dem man nicht nur lesen, sondern den man auch streicheln, betrachten und ins Regal stellen kann. Ein Buch, das einen ordentlichen Ladenpreis auch wert ist!
Doch die dingliche Form des Buchs stellt in den meisten Fällen keinen Wert mehr dar, der für seinen Preis bestimmend wäre. Das Teure am Buch ist nicht seine gegenständliche Existenz. Die Druckkosten sind marginal in Relation zu den bis zu 50 Prozent vom Buchpreis, die an den Buchhandel gehen. Oder im Vergleich mit den Kosten eines Verlages, der eine teure Geschäftsleitung und viele Mitarbeiter beschäftigt, die für Vertrieb und Marketing sorgen. Auch die inhaltliche Arbeit am Buch bestimmt den Buchpreis nicht, nicht die im Lektorat und erst recht nicht die des Autors, der, wenn es hochkommt, 10 Prozent vom Ladenpreis eines Hardcovers und 6 Prozent von dem eines Taschenbuchs erhält.
In der Klemme
Fragen wir also einmal andersherum: Wäre es nicht geradezu eine Befreiung, wenn der Zwang zur Körperlichkeit mitsamt dem kostenaufwendigen Vertrieb wegfiele? Könnte es nicht sein, dass die Revolution der Gutenberg-Galaxis gerade für die Autoren die grössten Chancen bereithält?
Nehmen wir die Verlage. Insbesondere die grossen Tanker unter ihnen sitzen in der Klemme. Sie werden für eine womöglich recht lange Übergangszeit Bücher sowohl in der gewohnten handfesten Weise als auch als elektronisches und körperloses Wesen auf den Markt bringen müssen. Der ganze Vertriebsapparat muss also erhalten bleiben. Das mindert die Chancen, die im E-Book liegen: nämlich an den Kosten für den teuren Verkehr mit den Buchhändlern sparen zu können.
Die Macht der Ketten
Durchaus möglich, dass manch ein Verleger davon sogar träumt. Davon, endlich die Macht der grossen Sortimenter brechen zu können, die ihm nur noch das abnehmen, was sich massenhaft verkauft. Und die ihm ein «Warenkostenzuschuss» genanntes Bestechungsgeld abverlangen, wenn er möchte, dass seine Neuerscheinungen einen guten Platz auf den Verkaufstischen bekommen.
Solche Träume könnten wahr werden. Die Macht der grossen Ketten bröckelt. Denn wozu braucht man sie noch? Gewiss nicht ihrer alten Kernkompetenz der Beratung wegen. Angesichts der Fülle von Neuerscheinungen und des Triumphzugs des Online-Handels ist Beratung höchstens noch ein Pluspunkt der kleineren Buchläden. Die deutsche Grossbuchhandlung Hugendubel spart folgerichtig qualifiziertes Personal ein und will überdies ein Drittel seines Sortiments mit «Non-Books» bestücken. Konsequenter ist die Buchhandelskette Thalia, wo man selbst ins E-Book-Geschäft einsteigen will, denn dafür braucht man keinen Buchhändler mehr.
Braucht man womöglich auch keine Verlage mehr in Zeiten des E-Books? Doch, doch, pfeifen die Verleger im Keller: Wo wären alle ohne uns als Vermittlungsinstanzen, ohne unser verlegerisches Eros, ohne unsere Aufzucht und Pflege von Autoren, ohne unsere Leidenschaft für schöne Bücher . . . Gewiss. Der Dankbarkeit ihrer Autoren können sie gewiss sein: Wo wären wiederum wir ohne Verlagsvorschüsse, die uns von Existenznot befreien und vom mühseligen Geschäft des Werbens und Verkaufens? Wo wären wir ohne Lektoren? Also mucken wir nicht lange und unterschreiben Verträge, in denen uns immerhin 20 Prozent vom niedrigen Preis eines E-Books zugesichert werden. Was soll's: Wir glauben ja fest an DAS BUCH! Also die Augen zu und weiterschreiben. So sind wir Autoren.
Mehr Selbstbewusstsein
Ein bisschen mehr Selbstbewusstsein wäre gewiss nicht schlecht. Auch das Internet braucht «Content» – also Urheber. Auch gibt es immer wieder von der Marketingabteilung und den auf garantierte Verkäuflichkeit setzenden Sortimentern nicht vorhergesehene Wunder. Es sind die Leser, die das Kalkül unterlaufen, indem sie einen unbekannten Autor mit einem unbekannten Titel zum Bestseller machen.
Die Wiederbeatmung der Autoren aber kommt heute aus einer ganz anderen Richtung. Es wird Amazon sein, der Online-Handels-Riese, der das Bündnis zwischen Buchhandel, Verlagen und Autoren zerschlagen könnte. Amazon stellt seit kurzem eine Plattform zur Verfügung, auf der Autoren ihre Bücher selbst veröffentlichen können – und zwar auch ohne Verlag. Man will dabei die Autoren mit 70 Prozent am Erlös beteiligen (zum Vergleich: An den Buchhandel gehen bis anhin um die 50 Prozent). Auch Apple verhandelt momentan mit den sechs grössten amerikanischen Verlagsgruppen über ähnliche Konditionen. Eine Revolution? Zweifellos. Nur in Europa versucht man die Sache zu verschlafen.
Auch die Autoren schlummern fest. Sie sollten vielleicht einfach einmal nachrechnen: 70 Prozent von 3 Euro oder 10 Prozent von 20 Euro oder 6 Prozent von 9 Euro? Ach? Genau.
Veränderter Auswahlprozess
Es sind also nicht die Autoren, die sich vorm E-Book am meisten fürchten müssten, sondern vor allem der Buchhandel. Und jene Verlage, die sich auf ein neues Bündnis mit ihren Autoren nicht einlassen wollen, die, wenn sie geschickt sind, die Verhandlungsmacht des Buchhandels übernehmen könnten. Denn anderswo locken bereits andere Partner: kleine, wendige, von vornherein auf E-Books spezialisierte Agenten, die jene Overhead-Kosten, unter denen die grossen ächzen, gar nicht erst anhäufen. Gewinnen werden Verlage und Autoren, denen es gelingt, aus dem bloss anderen Aggregatzustand des zum E-Book gewordenen Buchs etwas Genuines, Überraschendes, auch junge Leser Begeisterndes zu machen.
Sicher, wird man in der Verlagswelt vielleicht sagen. Demnächst also wird jeder Mist veröffentlicht, den wir bisher durch unsere sorgfältigen Qualitätskontrollen verhindert haben!
Nun – diese Kontrollen hat bisher erstaunlich viel Mist passiert, Bücher als Massenware, die sich entschieden weniger leicht entsorgen lassen als elektronische Impulse. Und vieles ist den Verlagen auf ihrer Jagd nach dem garantiert Verkäuflichen sogar entgangen.
Es muss nicht schaden, wenn sich in Zukunft der Prozess umkehrt: Gedruckt wird nur noch, was sich in seiner digitalen Form bereits bewährt hat – und auch nur, wenn der Leser es will. Was dann noch auf einem Büchertisch landet, ist es wert, ins Regal gestellt zu werden.
So wird es womöglich weiterleben: DAS BUCH.
In: NZZ vom 1. April 2010
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