Was ist eigentlich peinlicher: betüddelte alte Dödel, die sich an junge hübsche Dinger ranwanzen? Oder all die jungen hübschen Dinger, die so tun, als ob sie sich gegen plumpe Anmache betüddelter alter Dödel nur mit massenhaftem öffentlichen Aufschrei wehren könnten? Wenn schon ein wenig gelungener Auftritt eines offenbar nicht mehr ganz nüchternen Politikers in einer Bar zur späten Stunde alle weibliche Welt über „Sexismus“ wehklagen lässt, dann frag ich mich, wie wir künftig Verhalten nennen wollen, das wirklich sexistisch ist. Weil es handgreiflich und gewalttätig Frauen ihrer Freiheit und ihrer körperlichen Unversehrtheit beraubt. Und nicht nur unangenehm ist wie ein Handkuss (Brüderle) oder eine Hand auf dem Oberschenkel (der Fahrlehrer) oder eine Anzüglichkeit, für die der Kerl ein deutliches Wort oder zur Not auch eine Ohrfeige verdient, aber doch bitte keinen landesweiten Aufstand der entrechteten und entehrten Frauen der Republik. Herrscht hier schon der Taliban? Also!
Kann man euch etwa nicht mehr allein in die Kneipe gehen lassen? Oder in die Hotelbar? Oder an andere Orte, wo sich Männer aufhalten könnten, die noch nicht umerzogen sind? Und, sorry, hat euch die Frauenbewegung denn wirklich gar keine Einsicht hinterlassen? Dort hieß es einst: „Die Arbeit am Mann ist einzustellen.“ Warum? Weil sie nichts nützt. Manche Männer kann man nicht belehren. Aber man kann sich gegen sie wehren – am besten nicht erst ein Jahr später, sondern gleich. An einer öffentlichen Hotelbar sollte das nicht schwerfallen.
Man kann dumme Sprüche ignorieren. Man kann sie ironisch kontern. Man kann die biedere Anmache lächerlich machen. Man kann das alles souverän an sich abperlen lassen. Man muss auch nicht beleidigt flüchten, es sind ja noch andere in der Bar. Vielleicht Jüngere und Hübschere. Und schließlich, sollte wirklich alles nichts nützen und man vor der verdienten Ohrfeige zurückschrecken: ein wohlplaziertes Glas Wein, Bier oder Wasser ins Gesicht macht spitze Männer schlagartig stumpf. Und dann lächelnd sagen: „Dieses Glas geht auf meine Rechnung.“
Aber das ist offenbar zu praktisch gedacht. Es ist womöglich gar zu männlich gedacht. Denn viele Frauen wollen Probleme keineswegs lösen. Sie wollen sie behalten, schon um der Welt zu zeigen, wie unendlich verbesserungswürdig sie ist. Mann soll sich ändern. Die Welt soll sich ändern. Nur sie selbst nicht. Sie sind ja Opfer.
Das ist das Hinterhältige am Opfer-Diskurs: er schließt aus, dass man etwas dagegen tun könnte, ein Opfer zu sein. Denn dann wäre man ja auch den Opfer-Bonus los – oder darf man das jetzt wieder nicht sagen, wegen „Opfer-Abo“? Ach was. Man muss es sagen. Frau müsste blind sein, um nicht zu sehen, dass es beides gibt: Frauen, die sich als Opfer geben, ohne es zu sein, und eine Öffentlichkeit, die es nicht wagt, Frauen zuzutrauen, dass sie selbstbewusste Subjekte mit keineswegs ausschließlich nur gutem Willen sein könnten. Und damit auch Täterinnen. Ja, doch, es gibt einen Opfer-Bonus. Er bedeutet Entmündigung auf samtweichen Pfoten.
Die meisten Frauen aber sind keine Opfer. Sie können sich wehren. Und manche von ihnen wünschen sich gar keine von dummen Sprüchen und sexistischer Anmache porentief gereinigte und triebbefreite Welt, auch wenn sie das eine oder andere männliche Gehabe übel, empörend oder störend finden. Denn die haben jetzt schon keinen Spaß mehr an den Opportunisten, die ihr geschlechtergerechtes „Zuhörer und Zuhörerinnen“ auch dann noch skandieren, wenn gerade mal eine einzige Alibifrau im Publikum sitzt. Oder an den ewig schuldbewussten Buben, die peinlichst darauf achten, keinen Anlass für ein geschlechtsspezifisches Missverständnis zu geben. Als ob nicht die Möglichkeit eines Missverständnisses das Reizvolle am Flirt ist. Den darf man demnächst begraben, wenn es keinen Raum mehr gibt für Zwischentöne, für alles, was zwiespältig, riskant, hart an der Grenze oder über sie hinaus, andeutend und anzüglich ist.
Schöne neue cleane angstbesetzte prüde Welt. Gegen diese Schreckensvision würde ich gern auch die nicht mehr ganz frischen Herrenwitz-Schwadroneure in Kauf nehmen.
Worum also geht’s? Ums große Saubermachen, weil ein paar Frauen meinen, sie könnten Männern keine Grenzen zeigen? Oder – und jetzt wird’s ganz finster: weil es auch im journalistischen Gewerbe Kolleginnen geben soll, die ihre genetisch bedingten Vorzüge schamlos ausreizen? Denn dass Männer auf primitive Lockspeisen wie Bier und Titten vorhersehbar reagieren, kann frau auch zu ihrem Vorteil nutzen. Der Beispiele sind unendlich viele. Sind diese Kolleginnen unfair? Wenn ja, wem gegenüber? Den Männern, den armen Triebgesteuerten? Oder den anderen Frauen, die keine ganz so dirndlkonforme Strategie verfolgen können oder wollen? Und muss man da der Gerechtigkeit halber für alle den Ganzkörperschleier empfehlen?
In dieser Sache gibt es nicht nur Opfer unter den beleidigten Frauen. Gelitten hat auch der „Qualitätsjournalismus“, auf den man sich beim „Stern“ beruft. Ja, es gibt Verhalten, das man öffentlich machen muss. Annett Meiritz hat das im Spiegel cool und souverän getan, denn was man sich bei Piratens ihr gegenüber geleistet hat, war nicht nur geschmacklos, sondern rufschädigend. Dagegen kann sich eine Journalistin übrigens auf die machtvollste Weise wehren, die sich denken lässt: durch Öffentlichkeit.
Im Fall Brüderle aber wurde das für einen Politiker besonders gefährliche Skandalisieren gezielt als Waffe eingesetzt. Das Opfer ist in diesem Fall der Mann. Und auch die Öffentlichkeit ist ein Opfer: das Eingeständnis, dass Qualitäts-JournalistInnen wesentliche Erkenntnisse an der Hotelbar suchen, erklärt manches und lässt noch schlimmeres befürchten.
Die Welt, 27. 1. 2013
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Sonntag, 27. Januar 2013
Montag, 19. März 2012
Hier werden Sie geholfen!
Nur Gutes über die Deutschen! Sie sind liebenswürdig und hilfsbereit. Sie gucken nicht weg, zeigen Gesicht und kriegen den Arsch hoch, wenn’s irgendwo brennt. Sie geben gern und reichlich, bei jeder größeren oder kleineren Katastrophe, eine zweistellige Milliardensumme im Jahr. Der Sozialstaat ist ihnen heilig, Solidarität ihr täglich Gebet. Wer daran appelliert, erwirbt ihre stille Zustimmung zu fast allem, zu einer mittlerweile mehr als zwanzig Jahre alten Sondersteuer ebenso wie zu der riskanten „Rettung“ eines fallierenden EU-Mitglieds. Kurz: wer an deutsche Hilfsbereitschaft appelliert, kann von uns alles haben. Niemand soll uns nachsagen können, dass wir kaltherzige Egoisten sind. „Soziale Kälte“ ist und bleibt hierzulande der schlimmste denkbare Vorwurf.
Nur eine Kleinigkeit vergessen die guten Deutschen dabei oft: dass Geben seliger ist denn Nehmen. Und dass es passieren kann, dass sich der Empfänger von Wohltaten sträubt, das zu sein, was Helfer gern in ihm sehen möchten, nämlich hilfsbedürftig und dankbar, kurz: Opfer.
Dann fühlt man sich hierzulande missverstanden. Wenn die Griechen in unserer Hilfswilligkeit Herrschaftsbegehren sehen. Wenn afrikanische Intellektuelle darum bitten, von weiteren Spenden für notleidende Kinder abzusehen, da Hilfe nur die bestehenden Verhältnisse zementiere. Wenn Obdachlose die angebotene Sozialwohnung ablehnen, weil sie gar nicht sesshaft sein wollen. Und wenn die „Ossis“ trotz mehr als vier Jahrzehnten Päckchen nach Drüben und über zwei Jahrzehnten Solidarbeitrag immer noch klagen. Kurz: wenn diejenigen, die wir als Opfer betrachten, eigensinnig sind und auf ihrer Würde bestehen, ja: partout nicht hilfsbedürftig sein wollen.
Richtig helfen will gelernt sein. Im wiedervereinten Deutschland kann man noch heute studieren, was beim Helfen alles schief gehen kann. Fast jeder, der in einer geteilten Familie aufgewachsen ist, kennt geradezu tragische Geschichten über das prekäre Verhältnis zwischen den reichen Verwandten im Westen und den armen Schluckern im Osten. Die einen haben noch den Duft nach „gutem Bohnenkaffee“ in der Nase, der in die „Päckchen nach drüben“ kam, in die man Monat für Monat alles hineinsteckte, was Tanten und Cousinen in der „Zone“ auf ihre Wunschzettel geschrieben hatten. Die Röcke und Hosen und Stoffe, aus denen die Cousinen sich ihre Garderobe selbst schneiderten. Die Schokolade und das Parfüm und die Lebkuchen zu Weihnachten. Die Strumpfhosen. Die Pullover und Blusen aus dem Winterschlussverkauf. Alles war recht und wurde gern genommen, denn drüben „gab es doch nüscht“.
Und dann, mit der Wende, flog alles auf. Der ganze Schwindel. Die Brüder und Schwestern entdeckten, dass es weit luxuriösere Seifen gab als die gute Fa, mit der sie bis dato bedient worden waren. Und dass die Schlussverkaufsklamotten in den Liebespäckchen ziemlich popelig wirkten angesichts der Designermode schicker Wessibräute. Und dass auch nicht alles Gold war im Westen.
Plötzlich fühlten sich die einst Beschenkten betrogen und die Schenkenden waren – zu Recht – gekränkt. Mancher Ex-DDR-Bürger fühlte sich um etwas gebracht, das ihm doch eigentlich auch zugestanden hätte, wären die Umstände andere gewesen, oder? Und die Schenkenden, die glaubten, fleißig gewesen und es aus eigener Kraft zu etwas Wohlstand gebracht zu haben, von dem sie auch noch bereitwillig abgaben, kamen sich wie die verdienstlosen Nutznießer der Geschichte vor. Die Gabe und das Geben waren entwertet. Vor allem durch das, was danach geschah.
Gewiss: es gab keine Alternative zur Wiedervereinigung. Und niemand wusste, wie wenig das wert war, was die DDR in diesen Prozess einbrachte, deren blühende Industrielandschaft sich als Potemkinsche Kulisse entpuppte. Aber wer hätte geahnt, wie schnell die Ossis wieder zu armen Brüdern und Schwestern wurden, denen geholfen werden musste? Das vergiftet das Verhältnis noch heute.
Während die Polen aus eigener Kraft erfolgreich sind, sorgte das deutsche Helfersyndrom schnell für neue Abhängigkeiten (auch mit Hilfe der Lobbyisten des westdeutschen Arbeitnehmers, der Gewerkschaften, die verhinderten, dass die im Osten etwa mit niedrigen Löhnen Konkurrenz machten). In den blühenden Landschaften und restaurierten Kleinstädten leben alimentierte Menschen, zu wenige für die nagelneuen und überdimensionierten Klärwerke.
Hilfe schadet, nicht immer, aber oft. Mit sozialer Kälte hat dieser Hinweis nichts zu tun. Er zielt auf das übersteigerte Selbstbild der Helfenden. Es ist die alte deutsche Krankheit, die sich als Fürsorglichkeit tarnt: Wir sehen in Hilfsbedürftigen gerne Opfer, die auf Dauer unserer bedürfen, aber nicht Menschen, die es darauf angelegt haben, sich aus der Opferrolle zu befreien. Um dann, undankbar ist die Welt, unsere Konkurrenten zu werden. Immigranten etwa, deren Ehrgeiz den eines deutschen Normalarbeitnehmers übersteigt, der an sein bequemes soziales Netz gewöhnt ist und nicht daran denkt, mehr als die gesetzlich vorgeschriebenen Arbeitsstunden abzusitzen. Das Vorwärtsstreben der allzu Fleißigen droht, an gehätschelte Besitzstände zu gehen, ans Lohnniveau und die geregelte Arbeitszeit. Opfer sind bequemer.
Hilfe hilft vor allem den Helfenden. Griechenland jedenfalls ist auch mit milliardenschweren Rettungspaketen nicht zu retten. Das viele Geld verschafft vor allem den Helfern Zeit und verdeckt ihre Ratlosigkeit, wenigstens bis zur nächsten Wahl, hoffen Politiker. Fast versteht man die oft machohaft daherkommende Angst der Griechen vor Entwürdigung: Als ewig Hilfsbedürftige laufen sie auf Dauer an der Kandare der anderen. Denn keine Sparmaßnahme und keine Milliardenbeträge sind geeignet, die griechische Wirtschaft auf eigene Füße zu stellen, solange das Geld im unübersichtlichen Grabensystem einer unkontrollierbaren Staatsbürokratie versickert. Ganz so, wie die Spenden für ein hungerndes Afrika vor allem den Clanchefs und ihren bewaffneten Horden nützt. Und ebenso wie die Devisen, die Westdeutschland einst der DDR zuschob („aus humanitären Gründen“, versteht sich), ein längst marodes Regime stützten.
Richtig helfen ist schwierig. Richtig nehmen auch, jedenfalls für alle, die weder faul noch skrupellos sind, und das sind die meisten. Würde bedeutet, nicht abhängig zu sein. Auch deshalb muss nicht nur über Solidarität und Gerechtigkeit gesprochen werden, sondern ebenso über die Freiheit, auf eigenen Füßen zu stehen. Manch einem ist das (fast) jedes Risiko wert.
In: Die Welt, 19. März 2012
Nur eine Kleinigkeit vergessen die guten Deutschen dabei oft: dass Geben seliger ist denn Nehmen. Und dass es passieren kann, dass sich der Empfänger von Wohltaten sträubt, das zu sein, was Helfer gern in ihm sehen möchten, nämlich hilfsbedürftig und dankbar, kurz: Opfer.
Dann fühlt man sich hierzulande missverstanden. Wenn die Griechen in unserer Hilfswilligkeit Herrschaftsbegehren sehen. Wenn afrikanische Intellektuelle darum bitten, von weiteren Spenden für notleidende Kinder abzusehen, da Hilfe nur die bestehenden Verhältnisse zementiere. Wenn Obdachlose die angebotene Sozialwohnung ablehnen, weil sie gar nicht sesshaft sein wollen. Und wenn die „Ossis“ trotz mehr als vier Jahrzehnten Päckchen nach Drüben und über zwei Jahrzehnten Solidarbeitrag immer noch klagen. Kurz: wenn diejenigen, die wir als Opfer betrachten, eigensinnig sind und auf ihrer Würde bestehen, ja: partout nicht hilfsbedürftig sein wollen.
Richtig helfen will gelernt sein. Im wiedervereinten Deutschland kann man noch heute studieren, was beim Helfen alles schief gehen kann. Fast jeder, der in einer geteilten Familie aufgewachsen ist, kennt geradezu tragische Geschichten über das prekäre Verhältnis zwischen den reichen Verwandten im Westen und den armen Schluckern im Osten. Die einen haben noch den Duft nach „gutem Bohnenkaffee“ in der Nase, der in die „Päckchen nach drüben“ kam, in die man Monat für Monat alles hineinsteckte, was Tanten und Cousinen in der „Zone“ auf ihre Wunschzettel geschrieben hatten. Die Röcke und Hosen und Stoffe, aus denen die Cousinen sich ihre Garderobe selbst schneiderten. Die Schokolade und das Parfüm und die Lebkuchen zu Weihnachten. Die Strumpfhosen. Die Pullover und Blusen aus dem Winterschlussverkauf. Alles war recht und wurde gern genommen, denn drüben „gab es doch nüscht“.
Und dann, mit der Wende, flog alles auf. Der ganze Schwindel. Die Brüder und Schwestern entdeckten, dass es weit luxuriösere Seifen gab als die gute Fa, mit der sie bis dato bedient worden waren. Und dass die Schlussverkaufsklamotten in den Liebespäckchen ziemlich popelig wirkten angesichts der Designermode schicker Wessibräute. Und dass auch nicht alles Gold war im Westen.
Plötzlich fühlten sich die einst Beschenkten betrogen und die Schenkenden waren – zu Recht – gekränkt. Mancher Ex-DDR-Bürger fühlte sich um etwas gebracht, das ihm doch eigentlich auch zugestanden hätte, wären die Umstände andere gewesen, oder? Und die Schenkenden, die glaubten, fleißig gewesen und es aus eigener Kraft zu etwas Wohlstand gebracht zu haben, von dem sie auch noch bereitwillig abgaben, kamen sich wie die verdienstlosen Nutznießer der Geschichte vor. Die Gabe und das Geben waren entwertet. Vor allem durch das, was danach geschah.
Gewiss: es gab keine Alternative zur Wiedervereinigung. Und niemand wusste, wie wenig das wert war, was die DDR in diesen Prozess einbrachte, deren blühende Industrielandschaft sich als Potemkinsche Kulisse entpuppte. Aber wer hätte geahnt, wie schnell die Ossis wieder zu armen Brüdern und Schwestern wurden, denen geholfen werden musste? Das vergiftet das Verhältnis noch heute.
Während die Polen aus eigener Kraft erfolgreich sind, sorgte das deutsche Helfersyndrom schnell für neue Abhängigkeiten (auch mit Hilfe der Lobbyisten des westdeutschen Arbeitnehmers, der Gewerkschaften, die verhinderten, dass die im Osten etwa mit niedrigen Löhnen Konkurrenz machten). In den blühenden Landschaften und restaurierten Kleinstädten leben alimentierte Menschen, zu wenige für die nagelneuen und überdimensionierten Klärwerke.
Hilfe schadet, nicht immer, aber oft. Mit sozialer Kälte hat dieser Hinweis nichts zu tun. Er zielt auf das übersteigerte Selbstbild der Helfenden. Es ist die alte deutsche Krankheit, die sich als Fürsorglichkeit tarnt: Wir sehen in Hilfsbedürftigen gerne Opfer, die auf Dauer unserer bedürfen, aber nicht Menschen, die es darauf angelegt haben, sich aus der Opferrolle zu befreien. Um dann, undankbar ist die Welt, unsere Konkurrenten zu werden. Immigranten etwa, deren Ehrgeiz den eines deutschen Normalarbeitnehmers übersteigt, der an sein bequemes soziales Netz gewöhnt ist und nicht daran denkt, mehr als die gesetzlich vorgeschriebenen Arbeitsstunden abzusitzen. Das Vorwärtsstreben der allzu Fleißigen droht, an gehätschelte Besitzstände zu gehen, ans Lohnniveau und die geregelte Arbeitszeit. Opfer sind bequemer.
Hilfe hilft vor allem den Helfenden. Griechenland jedenfalls ist auch mit milliardenschweren Rettungspaketen nicht zu retten. Das viele Geld verschafft vor allem den Helfern Zeit und verdeckt ihre Ratlosigkeit, wenigstens bis zur nächsten Wahl, hoffen Politiker. Fast versteht man die oft machohaft daherkommende Angst der Griechen vor Entwürdigung: Als ewig Hilfsbedürftige laufen sie auf Dauer an der Kandare der anderen. Denn keine Sparmaßnahme und keine Milliardenbeträge sind geeignet, die griechische Wirtschaft auf eigene Füße zu stellen, solange das Geld im unübersichtlichen Grabensystem einer unkontrollierbaren Staatsbürokratie versickert. Ganz so, wie die Spenden für ein hungerndes Afrika vor allem den Clanchefs und ihren bewaffneten Horden nützt. Und ebenso wie die Devisen, die Westdeutschland einst der DDR zuschob („aus humanitären Gründen“, versteht sich), ein längst marodes Regime stützten.
Richtig helfen ist schwierig. Richtig nehmen auch, jedenfalls für alle, die weder faul noch skrupellos sind, und das sind die meisten. Würde bedeutet, nicht abhängig zu sein. Auch deshalb muss nicht nur über Solidarität und Gerechtigkeit gesprochen werden, sondern ebenso über die Freiheit, auf eigenen Füßen zu stehen. Manch einem ist das (fast) jedes Risiko wert.
In: Die Welt, 19. März 2012
Dienstag, 31. Mai 2011
Was will das Weib?
Nur Bauknecht wusste einst, was Frauen wollen. Sigmund Freud wusste es nicht, der die große Frage „Was will das Weib“ auch nach dreißigjährigem Forschen nicht beantworten konnte. Hätte er es vielleicht mal fragen sollen, das Weib? Ach, das hätte ihn wahrscheinlich auch nicht weitergebracht. Denn auch die Frauen selbst scheinen es nicht zu wissen. Die heutigen jedenfalls zeigen sich entscheidungsschwach: wollen sie Kinder, Küche, Kerl? Oder doch lieber Karriere? Oder beides? Alles auf einmal? Eins nach dem anderen? Bei vielen hält der Zweifel so lange an, bis sich die Frage durch den Gang der Dinge von selbst erledigt hat.
Und daran ist mal nicht die Unterdrückung durchs Patriarchat schuld, im Gegenteil: seit den Frauen wenigstens hierzulande niemand mehr sagt, was sie müssen; seit sie endlich auch dürfen, was sie wollen, scheinen sie sich selbst ein Rätsel geworden zu sein.
Gut also, dass sich neuerdings wieder mächtige Stimmen erheben, die den Weibern sagen, wo’s lang geht. Diesmal sind es allerdings nicht Landes- und Kirchenfürsten, die ihnen bei ihrer Willensfindung beistehen, sondern die Frauen, die Mütter, ach was: die Großmütter der Bewegung, die den richtigen Weg ausleuchten. Alice Schwarzer zeigt sich angeekelt vom bloßen „Wellness-Feminismus“ scheinemanzipierter „Girlies“ und faltet auch schon mal eine Ministerin zusammen, die sie, weil Kristina Schröder höfliche Kritik an der alten Frauenbewegung wagte, für „schlicht ungeeignet“ erklärt. Und Bascha Mika, einst Chefdompteuse der „taz“, bestreitet ein ganzes Buch mit der These, Frauen seien feige. Den beiden Oberfrauen zufolge sind sie Verräterinnen an der Sache, die Damen, die sich heimlich in die Küche und an den Herd schleichen, wo sie ihre eigene „Vermausung“ betreiben. Sie verludern den Feminismus, klagt Alice Schwarzer, machen sich zu „Komplizinnen des Systems“, behauptet Bascha Mika, statt sich und damit „einen Teil der Welt“ zu retten.
Irgendwie klingt das wie das alte Lied. Frauen können alles und machen es niemandem recht – nicht sich selbst, nicht den Männern, nicht anderen Frauen, mit den Müttern angefangen. Aber vor allem nicht den Übermüttern der Frauenbewegung.
Deren gekränkter Aufschrei trägt gewiss nicht zur Verständigung der Generationen bei. Die alte Leier wird nicht aufregender, weil hier nicht Vati, sondern Mutti vom Krieg erzählt.
Bascha Mikas Sicht auf die jüngeren Frauen wirkt regelrecht verschroben. Ob sie sie mit ihren Ururgroßmüttern verwechselt, wenn sie ihnen den Rat gibt, sich „von der inneren Kittelschürze (zu) verabschieden“ und die „Opferrolle“ abzulegen? Eine so eindimensionale Sicht des Frauenlebens erfasst herzlich wenig von den vielen gelebten Möglichkeiten. Zumal es ein Trugschluss ist, dass Frauen Opfer sind, nur weil sie nicht leben wie linke Metropolenfrauen.
Girls just wanna have fun, inklusive Kerle, Kinder, Küche? Ja, was wäre daran denn so schlimm? Weil sie die Welt damit nicht retten? Doch so ist das nun einmal mit den Freiheitsrechten - es steht auch den Frauen frei, nicht um jeden Preis zu wollen, worauf sie ein von anderen erkämpftes Recht haben. Auch das ist ihr gutes Recht.
Allen öffentlichen Kampagnen zum Trotz wird nur eine verschwindend kleine Minderheit der Frauen Ingenieur oder macht eine Maurerlehre. Frauen streben auch nicht unbedingt in die Aufsichtsräte der Republik und an die Schalthebel der Macht, was die bei den Parteien derzeit populäre Forderung nach einer Quote als bloß symbolische Politik entlarvt. Oder geht es wirklich darum, wie jüngst in der FAZ zu lesen war, dass nur die Quote den Männerclubs ihr mieses Sexualverhalten austreiben kann? Quotenfrau Kontrolletti?
Obwohl ihnen alle Wege offen stehen, entscheiden sich die meisten Frauen für klassische Frauenberufe. Und die, die in einem klassischen Männerberuf Karriere machen? Verlassen ihn oft vorzeitig, weil sie noch anderes im Leben vorhaben. Frauen, konstatieren Forscherinnen, nehmen sich die Freiheit, die sie heute haben, um sich anders zu entscheiden als Männer, weil sie andere Ansprüche ans Leben und ans Berufsleben haben. Männer und Frauen sind nunmal unterschiedlich.
Da geht dann der Streit gleich wieder los. Wer sich die Freiheit nimmt, Frauen in ihren Lebensentscheidungen ernst zu nehmen, wer daraus auf Geschlechtsunterschiede schließt und gar die Biologie, die Hormone, die „Natur“ zitiert, darf mit erbittertem Widerstand rechnen. Frauen selbst trauen ihren Geschlechtsgenossinnen nicht zu, freie Entscheidungen getroffen zu haben, wenn sie Kinder und Haushalt wählen oder selbstbewusst dem sozialen Beruf statt der lukrativen Karriere den Vorzug geben. Reden von Manipulation, erinnern mahnend an die Rente. Doch unbeirrt verhalten sich die meisten Frauen auch weiterhin wenig karrierefördernd, arbeiten Teilzeit und lassen sich im Beruf von den Männern abhängen, die mit größerem Ehrgeiz und der freiwilligen 60-80-Stundenwoche an ihnen vorbeiziehen. Sie scheinen, ganz einfach, andere Ziele zu haben.
Die gesammelten Botschaften aus der Realität zeigen, dass Frauen einfach nicht tun, was „Gender Mainstreaming“ vorsieht. Nur vor einem sehr engen Horizont lässt sich das als Unterwerfung interpretieren. Die Dinge sind komplizierter.
Fangen wir mit den unangenehmen Botschaften an: Frauen sind weder blöd noch Opfer und die meisten von ihnen können rechnen. Manche von ihnen sind durchaus kühl kalkulierende Subjekte: sie schicken den Mann frühmorgens zum Geldanschaffen aus dem Haus, dessen Bereitschaft dazu im übrigen steigt, sobald Kinder da sind. Nicht, dass die Damen nun sämtlich zuhause säßen bei Milchkaffee und Maniküre. Aber wer behauptet eigentlich, dass die Freude an Küche und Kindern nicht ebenso groß sein kann wie die Erfüllung, die der Mann in seinem Beruf findet? Zur Freiheit der Frauen gehört auch, etwas zu wählen, was gerade kein uraltes Rollenmodell ist, sondern eher eine Errungenschaft der Neuzeit. In der Arbeiterbewegung des 19. Jahrhunderts kämpfte man dagegen, alle und alles in die große Tretmühle des Frühkapitalismus zu geben und empfand die Hausfrauenehe als Freiheit.
Und die Rente, für die Hausfrau und Mutter nicht einzahlt? Und was, wenn er sie irgendwann verlässt, weil er was Frischeres hat? Dagegen helfen Voraussicht und ein Ehevertrag und im übrigen das deutsche Scheidungsrecht, das nicht dafür bekannt ist, dass es die Männer begünstigt.
Ach ja, die Männer. Während Frauen tun dürfen, was sie wollen, stehen Männer unter Verdacht. Nicht alle sind Vergewaltiger, nicht alle notorische Fremdgänger. Doch für alle halten die Fälle Jörg Kachelmann und Dominique Strauss-Kahn eine deutliche Botschaft bereit: Wie mit diesen Beschuldigten vorverurteilend umgegangen wurde, zeigt, welche Macht schon der bloße Verdacht haben kann. Und welche Macht Frauen haben können, die sich des Verdachts bedienen. Ohne etwa sexuelle Übergriffe der Männer kleinreden zu wollen – wahr ist auch, dass einige Frauen sich für die Ausnutzung ihrer Machtposition als scheinbar Ohnmächtige gewiss nicht zu schade sind.
Frauen mögen also feige sein, wenn es um Berufskarrieren geht, Opfer im Hausfrauenkittel sind sie nicht. Und dass es die Männer wären, die sie an einer Karriere hinderten, so sie denn eine wollen, stimmt immer wieder – und immer wieder nicht. Gut ausgebildete Frauen werden umworben wie nie zuvor. Die Demografie und der Fachkräftemangel arbeiten ihnen zu: Unternehmen bezahlen heute fast jeden Preis, um ihre qualifizierten Mitarbeiterinnen zu halten. Doch selbst der reicht oft nicht aus, um Frauen die „Doppelbelastung“ mit Kindern und Karriere schmackhaft zu machen. Frauen verdienen im Schnitt nicht deshalb weniger als Männer, weil man ihnen etwas vorenthält, sondern weil sie Teilzeitmodelle wählen und weniger Zeit am Arbeitsplatz zu verbringen.
Was tun? Das, was die Mütter der Bewegung nicht tun: die Wünsche und den Willen von Frauen ernstnehmen. Englische und amerikanische Untersuchungen kommen zu einem einleuchtenden Befund: viele Frauen wollen nicht alles gleichzeitig, sondern eins nach dem anderen. Nicht Kinder UND Karriere, sondern erst die Kinder und den Beruf in Maßen. Was spricht eigentlich dagegen? Lediglich ein gesellschaftliches Vorurteil, dem zufolge Menschen spätestens mit 40 beruflich etwas darstellen müssen, weil aus ihnen sonst nichts mehr wird. Das bremst. Erst wenn Frauen nicht mehr fürchten müssen, beruflich ins Aus zu geraten, wenn sie ihre Kinder eine Zeitlang wichtiger nehmen als ihren Beruf, könnte gelingen, was Politiker bislang mit Geld nicht zustandebringen: dass Frauen wieder Kinder kriegen.
Und noch etwas. Es ist in der Tat einigermaßen unsinnig, dass viele auf Kosten der Gemeinschaft hochqualifizierte Frauen ihre Energien in die Verwaltung des Einkaufszettels und der Termine ihrer Sprösslinge stecken. Doch warum soll Ausbildung nur in den Jahren stattfinden können, in denen Frauen Kinder kriegen? Und: warum müssen Eltern für den Kindergarten zahlen, während den Studenten die Gebühren für eine privilegierte Ausbildung erspart bleiben, weshalb es auch egal ist, ob sie jemals etwas daraus machen? Warum die allgemeine Altersdiskriminierung, die einen späten Berufseinstieg noch immer erschwert, ja unmöglich macht?
Die Quote ist Quatsch. Die Diskussion darüber tut so, als ob noch immer der Kampf der Geschlechter unser Leben bestimmt. In Wirklichkeit sind es unsere Lebens- und Arbeitsstrukturen, die nicht mehr passen. Auch wenn man damit nicht die Welt rettet: hier läge die Möglichkeit, sie zumindest zu verändern.
Frauen können alles und machen es niemandem recht. Warum die Quote Quatsch ist, für: Gedanken zur Zeit, NDR, Heinrich Wilhelm Pott, 29. Mai, 9:20 – 9:30
Und daran ist mal nicht die Unterdrückung durchs Patriarchat schuld, im Gegenteil: seit den Frauen wenigstens hierzulande niemand mehr sagt, was sie müssen; seit sie endlich auch dürfen, was sie wollen, scheinen sie sich selbst ein Rätsel geworden zu sein.
Gut also, dass sich neuerdings wieder mächtige Stimmen erheben, die den Weibern sagen, wo’s lang geht. Diesmal sind es allerdings nicht Landes- und Kirchenfürsten, die ihnen bei ihrer Willensfindung beistehen, sondern die Frauen, die Mütter, ach was: die Großmütter der Bewegung, die den richtigen Weg ausleuchten. Alice Schwarzer zeigt sich angeekelt vom bloßen „Wellness-Feminismus“ scheinemanzipierter „Girlies“ und faltet auch schon mal eine Ministerin zusammen, die sie, weil Kristina Schröder höfliche Kritik an der alten Frauenbewegung wagte, für „schlicht ungeeignet“ erklärt. Und Bascha Mika, einst Chefdompteuse der „taz“, bestreitet ein ganzes Buch mit der These, Frauen seien feige. Den beiden Oberfrauen zufolge sind sie Verräterinnen an der Sache, die Damen, die sich heimlich in die Küche und an den Herd schleichen, wo sie ihre eigene „Vermausung“ betreiben. Sie verludern den Feminismus, klagt Alice Schwarzer, machen sich zu „Komplizinnen des Systems“, behauptet Bascha Mika, statt sich und damit „einen Teil der Welt“ zu retten.
Irgendwie klingt das wie das alte Lied. Frauen können alles und machen es niemandem recht – nicht sich selbst, nicht den Männern, nicht anderen Frauen, mit den Müttern angefangen. Aber vor allem nicht den Übermüttern der Frauenbewegung.
Deren gekränkter Aufschrei trägt gewiss nicht zur Verständigung der Generationen bei. Die alte Leier wird nicht aufregender, weil hier nicht Vati, sondern Mutti vom Krieg erzählt.
Bascha Mikas Sicht auf die jüngeren Frauen wirkt regelrecht verschroben. Ob sie sie mit ihren Ururgroßmüttern verwechselt, wenn sie ihnen den Rat gibt, sich „von der inneren Kittelschürze (zu) verabschieden“ und die „Opferrolle“ abzulegen? Eine so eindimensionale Sicht des Frauenlebens erfasst herzlich wenig von den vielen gelebten Möglichkeiten. Zumal es ein Trugschluss ist, dass Frauen Opfer sind, nur weil sie nicht leben wie linke Metropolenfrauen.
Girls just wanna have fun, inklusive Kerle, Kinder, Küche? Ja, was wäre daran denn so schlimm? Weil sie die Welt damit nicht retten? Doch so ist das nun einmal mit den Freiheitsrechten - es steht auch den Frauen frei, nicht um jeden Preis zu wollen, worauf sie ein von anderen erkämpftes Recht haben. Auch das ist ihr gutes Recht.
Allen öffentlichen Kampagnen zum Trotz wird nur eine verschwindend kleine Minderheit der Frauen Ingenieur oder macht eine Maurerlehre. Frauen streben auch nicht unbedingt in die Aufsichtsräte der Republik und an die Schalthebel der Macht, was die bei den Parteien derzeit populäre Forderung nach einer Quote als bloß symbolische Politik entlarvt. Oder geht es wirklich darum, wie jüngst in der FAZ zu lesen war, dass nur die Quote den Männerclubs ihr mieses Sexualverhalten austreiben kann? Quotenfrau Kontrolletti?
Obwohl ihnen alle Wege offen stehen, entscheiden sich die meisten Frauen für klassische Frauenberufe. Und die, die in einem klassischen Männerberuf Karriere machen? Verlassen ihn oft vorzeitig, weil sie noch anderes im Leben vorhaben. Frauen, konstatieren Forscherinnen, nehmen sich die Freiheit, die sie heute haben, um sich anders zu entscheiden als Männer, weil sie andere Ansprüche ans Leben und ans Berufsleben haben. Männer und Frauen sind nunmal unterschiedlich.
Da geht dann der Streit gleich wieder los. Wer sich die Freiheit nimmt, Frauen in ihren Lebensentscheidungen ernst zu nehmen, wer daraus auf Geschlechtsunterschiede schließt und gar die Biologie, die Hormone, die „Natur“ zitiert, darf mit erbittertem Widerstand rechnen. Frauen selbst trauen ihren Geschlechtsgenossinnen nicht zu, freie Entscheidungen getroffen zu haben, wenn sie Kinder und Haushalt wählen oder selbstbewusst dem sozialen Beruf statt der lukrativen Karriere den Vorzug geben. Reden von Manipulation, erinnern mahnend an die Rente. Doch unbeirrt verhalten sich die meisten Frauen auch weiterhin wenig karrierefördernd, arbeiten Teilzeit und lassen sich im Beruf von den Männern abhängen, die mit größerem Ehrgeiz und der freiwilligen 60-80-Stundenwoche an ihnen vorbeiziehen. Sie scheinen, ganz einfach, andere Ziele zu haben.
Die gesammelten Botschaften aus der Realität zeigen, dass Frauen einfach nicht tun, was „Gender Mainstreaming“ vorsieht. Nur vor einem sehr engen Horizont lässt sich das als Unterwerfung interpretieren. Die Dinge sind komplizierter.
Fangen wir mit den unangenehmen Botschaften an: Frauen sind weder blöd noch Opfer und die meisten von ihnen können rechnen. Manche von ihnen sind durchaus kühl kalkulierende Subjekte: sie schicken den Mann frühmorgens zum Geldanschaffen aus dem Haus, dessen Bereitschaft dazu im übrigen steigt, sobald Kinder da sind. Nicht, dass die Damen nun sämtlich zuhause säßen bei Milchkaffee und Maniküre. Aber wer behauptet eigentlich, dass die Freude an Küche und Kindern nicht ebenso groß sein kann wie die Erfüllung, die der Mann in seinem Beruf findet? Zur Freiheit der Frauen gehört auch, etwas zu wählen, was gerade kein uraltes Rollenmodell ist, sondern eher eine Errungenschaft der Neuzeit. In der Arbeiterbewegung des 19. Jahrhunderts kämpfte man dagegen, alle und alles in die große Tretmühle des Frühkapitalismus zu geben und empfand die Hausfrauenehe als Freiheit.
Und die Rente, für die Hausfrau und Mutter nicht einzahlt? Und was, wenn er sie irgendwann verlässt, weil er was Frischeres hat? Dagegen helfen Voraussicht und ein Ehevertrag und im übrigen das deutsche Scheidungsrecht, das nicht dafür bekannt ist, dass es die Männer begünstigt.
Ach ja, die Männer. Während Frauen tun dürfen, was sie wollen, stehen Männer unter Verdacht. Nicht alle sind Vergewaltiger, nicht alle notorische Fremdgänger. Doch für alle halten die Fälle Jörg Kachelmann und Dominique Strauss-Kahn eine deutliche Botschaft bereit: Wie mit diesen Beschuldigten vorverurteilend umgegangen wurde, zeigt, welche Macht schon der bloße Verdacht haben kann. Und welche Macht Frauen haben können, die sich des Verdachts bedienen. Ohne etwa sexuelle Übergriffe der Männer kleinreden zu wollen – wahr ist auch, dass einige Frauen sich für die Ausnutzung ihrer Machtposition als scheinbar Ohnmächtige gewiss nicht zu schade sind.
Frauen mögen also feige sein, wenn es um Berufskarrieren geht, Opfer im Hausfrauenkittel sind sie nicht. Und dass es die Männer wären, die sie an einer Karriere hinderten, so sie denn eine wollen, stimmt immer wieder – und immer wieder nicht. Gut ausgebildete Frauen werden umworben wie nie zuvor. Die Demografie und der Fachkräftemangel arbeiten ihnen zu: Unternehmen bezahlen heute fast jeden Preis, um ihre qualifizierten Mitarbeiterinnen zu halten. Doch selbst der reicht oft nicht aus, um Frauen die „Doppelbelastung“ mit Kindern und Karriere schmackhaft zu machen. Frauen verdienen im Schnitt nicht deshalb weniger als Männer, weil man ihnen etwas vorenthält, sondern weil sie Teilzeitmodelle wählen und weniger Zeit am Arbeitsplatz zu verbringen.
Was tun? Das, was die Mütter der Bewegung nicht tun: die Wünsche und den Willen von Frauen ernstnehmen. Englische und amerikanische Untersuchungen kommen zu einem einleuchtenden Befund: viele Frauen wollen nicht alles gleichzeitig, sondern eins nach dem anderen. Nicht Kinder UND Karriere, sondern erst die Kinder und den Beruf in Maßen. Was spricht eigentlich dagegen? Lediglich ein gesellschaftliches Vorurteil, dem zufolge Menschen spätestens mit 40 beruflich etwas darstellen müssen, weil aus ihnen sonst nichts mehr wird. Das bremst. Erst wenn Frauen nicht mehr fürchten müssen, beruflich ins Aus zu geraten, wenn sie ihre Kinder eine Zeitlang wichtiger nehmen als ihren Beruf, könnte gelingen, was Politiker bislang mit Geld nicht zustandebringen: dass Frauen wieder Kinder kriegen.
Und noch etwas. Es ist in der Tat einigermaßen unsinnig, dass viele auf Kosten der Gemeinschaft hochqualifizierte Frauen ihre Energien in die Verwaltung des Einkaufszettels und der Termine ihrer Sprösslinge stecken. Doch warum soll Ausbildung nur in den Jahren stattfinden können, in denen Frauen Kinder kriegen? Und: warum müssen Eltern für den Kindergarten zahlen, während den Studenten die Gebühren für eine privilegierte Ausbildung erspart bleiben, weshalb es auch egal ist, ob sie jemals etwas daraus machen? Warum die allgemeine Altersdiskriminierung, die einen späten Berufseinstieg noch immer erschwert, ja unmöglich macht?
Die Quote ist Quatsch. Die Diskussion darüber tut so, als ob noch immer der Kampf der Geschlechter unser Leben bestimmt. In Wirklichkeit sind es unsere Lebens- und Arbeitsstrukturen, die nicht mehr passen. Auch wenn man damit nicht die Welt rettet: hier läge die Möglichkeit, sie zumindest zu verändern.
Frauen können alles und machen es niemandem recht. Warum die Quote Quatsch ist, für: Gedanken zur Zeit, NDR, Heinrich Wilhelm Pott, 29. Mai, 9:20 – 9:30
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