Dienstag, 23. März 2021

Wir Untertanen.

 Reden wir mal nicht über das Versagen der Bundes- und Landesregierungen, einzelner Minister, der Frau Kanzler. Dazu ist im Grunde alles gesagt: der Umgang mit der Coronakrise und erst recht die Impfstrategie sind ein Trauerspiel für ein Land, das man einst rühmte für seine Effizienz. Und nun? Nichts klappt. Sehen wir es positiv: im Zuge unserer Mutation zu einer Gefühlskultur haben wir alles abgestreift, was lediglich technisch und kalt funktioniert. 

Reden wir also über uns. Über uns Menschen und über uns Staatsbürger. Als Menschen sind wir offenbar nicht mehr in der Lage, uns selbst zu schützen, müssen wie die Kinder zu Hygiene angehalten werden und uns zeigen lassen, wie man sich die Hände wäscht – und lassen uns schließlich von den Kindergärtnern der Nation erzählen, dass wir uns vor einem „Pieks“ nicht fürchten müssen. 

Als Staatsbürger verhalten wir uns wie Untertanen und lassen uns gefallen, als solche behandelt zu werden. 

Es ist verblüffend, welches „neue Normal“ viele hierzulande hinzunehmen bereit sind. Und wie bereitwillig hart erkämpfe Errungenschaften aufgegeben werden. Grundrechte. Demokratie. Rechtsstaat. Seit einem Jahr gibt es in diesem Land keine Rechtssicherheit mehr, wird nach dem Notstandsprinzip regiert, hat sich das Parlament selbstentmachtet, wird der Bürger von Woche zu Woche mit Zahlen bombardiert, aus denen wie aus dem Kaffeesatz herausgelesen wird, was gerade ansteht: Weihnachten feiern oder nicht, Osterferien ja oder nein, Kinder in die Schule oder vielleicht doch lieber nicht, Laden aufmachen, Laden zumachen. Wem das an die Existenz oder auch nur auf die Nerven geht, dem wird mit einer weiteren Welle – der wievielten? – gedroht oder mit einer noch gefährlicheren Mutante, mit Krankheit und, wenn schon nicht gleich mit dem Tod, mit Langzeitschäden. 

Ist das Wahnsinn mit Methode?

Wie die Möhre vor dem Maul des Esels baumelt das Versprechen auf finanziellen Ausgleich in der Luft, ein Versprechen, das viele durchhalten lässt, die kaum noch Zukunft sehen – und das in so vielen Fällen bis heute nicht eingelöst wird. Ist das Wahnsinn mit Methode?

Verblüffend auch die Sprachwahl unseres benevolenten Maßnahmenregimes: „Es wird keine neuen Freiheiten geben“, deklarierte die Kanzlerin nach einem sogenannten Impfgipfel Anfang Februar. Ach – und was ist mit der alten, der grundgesetzlich garantierten Freiheit? 

Und „privilegiert“ heißt es neuerdings, wenn davon gesprochen wird, dass Geimpfte in ihre Grundrechte wiedereingesetzt werden sollen. Sind Grundrechte wie Versammlungsfreiheit, Freizügigkeit und Gewerbefreiheit ein Privileg, das von oben zugeteilt wird? Natürlich nicht. Grundrechte gelten auch in einer Krise – was heißt hier auch? Gerade dann! Sie können nicht einfach entzogen und, bei Wohlverhalten, wieder gewährt werden. 

Da versteht man beinahe, dass Nichtgeimpfte auch Geimpfte weiter in den Lockdown schicken wollen, da sie selbst auf ihr angebliches Privileg noch mindestens bis Ende des Jahres warten müssen, wenn das weiter so kleckert. Und was heißt schon geimpft? Vielleicht sind sie ja auch die Gepieksten noch ansteckend, was weiß man schon, galt doch eben noch das Impfen, jedenfalls mit AstraZeneca, als fast so gefährlich wie das Virus, und was ist überhaupt mit den neuen Mutanten? Oder gar mit einem Virus, den kein Test erfasst?

Niemand wird eine tatsächliche Erkrankung an diesem oder anderen Viren unterschätzen. Doch nicht die Freiheit muss sich rechtfertigen, sondern ihre Beschränkung. Die ständig wechselnde Grundlage ständig wechselnder Entscheidungen zerstört das für ein gedeihliches Zusammenleben nötige Vertrauen in die Regierung – und es entfremdet die Menschen voneinander. Es wird Zeit, sich auch über diese Spätfolgen des Virus Gedanken zu machen. Als Staatsbürger, die in einem Rechtsstaat und in einer Demokratie leben wollen. 

Dieser Beitrag erschien zuerst auf NDR-Info.

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Donnerstag, 18. März 2021

Die Stimme der Provinz: Weniger Rindviecher!

 Seit Wochen machen sich Bauern aus allen Ecken der Republik auf, dieseln mit ihren Traktoren nach Berlin und hupen vor dem Kanzleramt. Unterstützung erhalten sie von Berlinern, die wärmende Getränke und was zu essen vorbeibringen. Nur in den Qualitätsmedien kommen sie nicht vor. Kein Thema? Dabei wird aus Frankreich, der Schweiz und den USA schon lange gemeldet, was auch für uns gelten dürfte: Höfe werden aufgegeben, Bauern nehmen den Strick.

Dank einer eisernen Klammer aus einem enormen Preisdruck des Weltmarkts und der großen Handelsketten, zusammen mit ausufernder Bürokratie, ständig neuen Einschränkungen, nun auch dank Düngeverordnung und „Insektenschutzprogramm“ – einiges vernünftig, anderes einschnürend und widersinnig –, geht auch hierzulande die bäuerliche Landwirtschaft ihrem Ende entgegen. Macht nix. Obst und Gemüse wird bereits zu gut 70% aus dem Ausland importiert, und wie die Anderen es mit Tierwohl und Pflanzenschutz halten, geht uns nichts an, oder?

Das Land wird von der Landwirtschaft befreit. Den Wald kann man getrost Berti Borkenkäfer überlassen, weil der ja Wildnis schafft. Reine Natur, gen- und chemiefrei! Das ist das woke Ding. Man kann die Provinz im Übrigen immer noch als Müllkippe und Windkraft“park“ nutzen und das Biogemüse aus China einfliegen lassen. 

Leben ohne Bauern, ohne Obstbau, Ackerbau, Weinbau, Viehwirtschaft, kurz: ohne Kulturlandschaft? Weniger Fleisch essen, empfiehlt SPD-Chefin Saskia Esken. Ich bin mit meinen Forderungen bescheidener. Mir persönlich würde es genügen, wenn die Zahl der Rindviecher in politischer Verantwortung abnähme, das wäre schadstoffarm, kostengünstig und umweltschonend. Rinder gehören auf die Weide und nicht ins Parlament. Und Stallmist gehört auf die Felder, ganz nebenbei, gerade im Winter, denn davon ernähren sich Vögel, Würmer und – Insekten. Ist aber verboten. Warum auch immer.

„Indem wir die Landwirtschaft abschaffen!“

Ich fürchte, sie meinen es ernst mit der Abschaffung der Landwirtschaft. Ohne Einsatz von Insektiziden wird das nichts mit dem Obst- und Weinbau, will man die Trauben nicht der Kirschessigfliege überlassen. Trauben? Wein? Halt! Die nächste Attacke ist bereits unterwegs. Kampf dem Weingenuss!

Tatsächlich sollen demnächst auch Weinflaschen mit abschreckenden Bildern von Vollsufflebern oder ähnlichem veredelt werden, so wie schon bei Zigarettenschachteln mit durchschlagendem Erfolg verfahren wird. Das jedenfalls stellt sich EU-Kommissionschefin Ursula von der Leyen vor, der unsere Gesundheit sehr am Herzen liegt. Der Volksgesundheit sind Opfer zu bringen! Die Sache mit dem Impfstoff gegen Covid-19 hat sie zwar vergeigt, aber man kann ja ersatzweise andere Todesarten bekämpfen, davon gibt es reichlich. Kampf also dem Krebs, an dem nicht nur der Tabak-, sondern auch der Alkoholkonsum schuld sein könnte, deshalb muss der Bürger gewarnt werden. Ja, wir Schutzbedürftigen, die bekanntlich nicht wissen, was gut für uns ist! 

Doch, das wissen wir. Verdammt gut ist das eine oder andere Glas Wein, deutscher Weißwein gehört zu den besten der Welt, was jeder brauchbare Winzer in Frankreich weiß. Die werden hohnlachen, wenn ihnen VdL mit ihren Aufklebern kommt. Franzosen lassen sich ihr Kulturgut nicht vermiesen – und ja, das ist Wein: Kultur! 

Die EU ist für das gesunde Leben der Bürger zwar nicht zuständig, aber was soll’s: Die Bundeskanzlerin hat auch kein Mandat zur Klimarettung, wir sind da mittlerweile großzügig, der gute Wille zählt. Wenn es um die Rettung der Welt geht, ist alles möglich. Warum nicht Nahrungsmittel künftig aus dem Labor beziehen – „wie frisch vom Feld“? Auch dafür gibt es bereits „Experten“, die fordern, die halbe Erde der Natur zurückzugeben, um Klimakrise und Artensterben „in den Griff zu bekommen“. Wie das geht? „Indem wir die Landwirtschaft abschaffen!“

Was noch nicht abschließend geklärt ist: Müsste man nicht konsequenterweise die halbe Erde, die man an die Natur zurückgibt, nun auch von Menschen befreien?


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Mittwoch, 17. März 2021

50 Jahre dressierter Mann: Über Esther Vilar

 Wer ist unterdrückt und müsste dringend befreit werden? Der dressierte Mann. Und das könnte er eigentlich seit 50 Jahren wissen.

Wenn man sich antut, was radikalfeministische Mädels neuerdings so alles in die Welt blasen, fragt man sich, warum Männer noch immer nicht begreifen wollen, dass die kleine Frau auch eine reißende Hyäne sein kann. Sie seien alt, weiß, toxisch, Abfall und gehören auf den Müllhaufen, heißt es da heiter. Frauen hingegen sind unterdrückt, egal, ob ihnen untertänigst der rote Teppich ausgerollt wird, damit sie endlich dahin gelangen, wohin sie angeblich streben: in den Bundestag oder irgendeinen Vorstand. 

Der Witz ist nur: Sie wollen nicht. Sie überlassen das großzügig den Männern, ebenso die Müllabfuhr und den Straßenbau. Das ist natürlich nichts als vernünftig – es gibt bestimmt Schöneres als Vorstandssitzungen oder Kungelpartien im Hinterzimmer, ganz zu schweigen von körperlich anstrengenden Tätigkeiten, womöglich im Sommer auch noch mit nacktem Oberkörper. Von so viel Vernunft wollen die schrillsten unter den Radikalfeministen allerdings nichts wissen, den Opferbonus lässt man sich ungern nehmen. Frauen entscheiden selbst? Ach was! Sie sind unterdrückt! 

Jede selbstbewusste Frau müsste das als Beleidigung empfinden.

Doch das Lied von der unterdrückten Frau wird weitergesungen, ohne männlichen Widerspruch. Vielleicht, weil es Männern eine Macht unterstellt, die sie längst nicht mehr haben? Sie sind doch bereits seit 50 Jahren aufgeklärt – seit Esther Vilar ihr Buch vom „dressierten Mann“ veröffentlicht hat. Der 1971 erschienene schmale Band verkaufte sich millionenfach und wurde in mindestens zwei Dutzend Sprachen übersetzt. Bei solchen Auflagen können wir davon ausgehen, dass auch Frauen das Buch gelesen und ihm lachend zugestimmt haben .(50 Jahre später erscheint jetzt Vilars von „Weltwoche“-Journalisten Alex Baur verfasste Biografie.)

Esther Vilar wollte „diesen Unsinn“ nicht mehr hören

Doch irgendwann ist Esther Vilar aus der deutschen Öffentlichkeit verschwunden. Der erste Fall von Cancel Culture in Deutschland? Den Absichten von Alice Schwarzer wäre das sicher entgegen gekommen. In einer legendären Diskussion aus dem Jahr 1975, einer unmoderierten Fernsehsendung, führte Schwarzer der lächelnden Vilar die Werkzeuge vor. Schwarzer von Minute eins in Angriffsstellung, fühlt sich diskriminiert, denkt laut über strafrechtliche Verfolgung nach, und diskriminiert fröhlich zurück. „Haarsträubenden Unsinn“ habe Vilar geschrieben, voller Konfusion und Frauenverachtung, vielleicht sei ja sogar ihr Mann der Autor. Mit überlegenem Gesichtsausdruck und im Verhörton wird Vilar belehrt, bis ihr endlich die Anklageschrift ausgehändigt wird: Man müsse ihr den Prozess machen, sie sei eine Sexistin, ja, eine Faschistin. 

Mit den Kerlen konnte Alice Schwarzer, sie bereicherte ergebene Männer in lustigen Raterunden, mit anderen Frauen jedoch nur dann, wenn die keine Konkurrenz darstellten, denn dann kollaborierten sie mit dem Feind, und wenn sie sich allzu hübsch gaben, betrieben sie „Selbstvernuttung“. „Frau sein allein reicht nicht“, postulierte die Vorkämpferin des Feminismus, sie mussten schon ihre Überzeugungen teilen: Die These von der Unterdrückung der Frauen, nicht nur durch die Männer („potentielle Vergewaltiger“), sondern durch das System. Der private Frust mancher Frau wurde so als gesellschaftliches Problem geadelt, wogegen Widerstand gerechtfertigt war. 

Esther Vilar wollte „diesen Unsinn“ nicht mehr hören und antwortete auf die feministische Erkenntnis von der unterdrückten Frau mit boshaftem Spott. Das sei doch eine Männeridee, weil es den Männern vorerzähle, wie mächtig sie seien - als ob sie nicht alle von ihren Müttern erzogen worden wären, und zwar dazu, den Frauen zu dienen. Durch lebenslange Arbeit, bezahlt durch früheren Tod. 

Ich habe den „Dressierten Mann“ erst spät gelesen und das Buch als eine höchst vergnügliche und überaus treffende Tirade wahrgenommen – verfasst in knappen Sätzen und in halsbrecherischem Tempo. Offenbar stimmten keineswegs nur Männer ihren Thesen zu: Frauen schicken sie für harte und anspruchsvolle Arbeit vor, tun so, als ob sie Dummchen wären, damit der Mann sich überlegen fühlt, und erpressen ihn mit Sex und Nachwuchs. Wahre Emanzipation sei die Befreiung des Mannes aus seiner von den Müttern anerzogenen Sklavenhaltung. 

Sich selbst in die Freiheit entlassen. 

Das war nun das glatte Gegenteil all dessen, was der damals neu erblühte Feminismus verkündete. Reaktionär? Im Gegenteil. Vilar forderte die Frauen auf, sich der Welt und der Verantwortung zu stellen, sich selbst in die Freiheit zu entlassen. 

Eine soeben erschienene Biografie, geschrieben von Alex Baur, einem bekannten Schweizer Autor, zeichnet die Geschichte des Buchs und die seiner Autorin nach. Eine Außenseiterin war sie wohl immer schon: In Argentinien geboren und aufgewachsen, Tochter einer deutschen Mutter und eines Stehgeigers mit jüdischen Vorfahren, der bereits 1931 aus Deutschland emigrierte. Heimweh trieb die Mutter mit dem Kind 1939 zurück nach Deutschland, das sie wegen des Krieges nicht mehr verlassen konnten. Erst nach Kriegsende ziehen sie wieder zurück nach Argentinien, doch der Ehemann hatte mittlerweile eine andere. 

Esther galt als hochbegabtes Kind, machte mit 16 ihr Abitur und beendete mit 22 ihr Medizinstudium mit dem Doktortitel. Zurück in Deutschland heiratete sie, der Mann kümmerte sich um den gemeinsamen Sohn, sie sorgte als Pharmavertreterin für den Lebensunterhalt, bis der Erfolg das unnötig macht. In zwei Monaten schrieb sie ihre Thesen auf, im Alter von 35 Jahren. Das Manuskript fand erst keinen Verlag, mit dem enormen Echo auf Vilars Thesen war nicht zu rechnen. Erst ein Auftritt im Fernsehen am 31. Oktober 1971 bei „Wünsch dir was“ setzte den Zug in Bewegung. Siehe hier und hier.

Der Hype um sie dauerte sechs Jahre an. Doch auch die feministische Gegenseite formierte sich, und als die Angriffe gewalttätig wurden und die Morddrohungen zunahmen, zog sich die im Grunde schüchterne Frau aus der deutschen Öffentlichkeit in die Schweiz zurück. Sie habe keine Lust, sich „als Zielscheibe hinzustellen“. „Ich bin keine Heldin, die Gegenseite ist in Überzahl.“

Die auf den dressierten Mann folgenden Bücher kamen an den ersten Erfolg nicht heran, dafür schrieb sie erfolgreiche Theaterstücke, darunter „Die Päpstin“. Heute lebt Vilar, mittlerweile 85, in Zürich und in London. 

Ist das lustig – oder nicht im Grunde todtraurig, dass ihr Buch nach 50 Jahren noch so aktuell wie damals erscheint? Wie ist das möglich, dass auch heute noch gejammert wird, da frau alles darf – wenn sie nur will? Dass man sogar die deutsche Sprache verbiegen soll, weil frau sich sonst nicht gemeint fühlt? Wer Frauen klein macht, ist nicht „der“ Mann. Es sind diejenigen, die aus der Opfererzählung ihre Ansprüche herleiten. Es geht um ihre Macht, nicht um die „der“ Frauen. 

Normale Frauen finden das alles längst lächerlich. 


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Donnerstag, 11. März 2021

Die Stimme der Provinz: Die verdammte Heimat

 Heimat! Ach. Wohl dem, der eine hat, hieß es einst. Verdammt lang her.

Heute sprechen Misstrauische lieber von „Heimatt“ oder bekennen vorsorglich: „Eure Heimat ist unser Albtraum.“ Zu deren Beruhigung: Davon, dass wir in Deutschland ein „Heimatministerium“ haben, merkt man nicht viel. Und manch ein Siedlungsgebiet bekennt sich schon auf dem Ortsschild einfühlend zu bunter Weltoffenheit, damit ja keiner meint, dort lebten Verhockte und Verstockte, deren blonde Töchter Zöpfe tragen.

Mir scheint, nur in kosmopolitisch aufgeklärten Kreisen hat man ein solches Problem mit Heimat – ein Wort, das ja ganz unsentimental Zugehörigkeit benennt, Vertrautheit, Aufgehobensein. Weil das irgendwie Nazi wäre? Oder womöglich, weil Heimat in Deutschland so oft verlorengegangen ist? Die Schriftstellerin Petra Reski, Kind Vertriebener, hat ihre frühere Abneigung gegen Heimat so erklärt: „Ich nahm mir vor, mich in meinem Leben auf gar keinen Fall mit einer HEIMAT zu belasten. (...) Ich wollte überall leben können. Und nie Heimweh haben.“

Wachsende Anzahl von Betreuungs-, Beratungs- oder Gleichstellungsposten

Das Phänomen der Heimatverachtung ist natürlich nicht nur deutsch und wesentlich älter und war stets ein eher städtisches Phänomen. Städte sind ideale Orte für Entwurzelte und Heimatlose und für alle, die ihre Wurzeln als Fesseln empfinden. „Stadtluft macht frei“ galt schon zu Zeiten, als Leibeigene sich durch Flucht in die Stadt von ihrer Dienstherrschaft befreien konnten. Auch studentische Freiheit gibt es logischerweise nur in Universitätsstädten. Dort war „Heimatgemeinde“ einst ein Terminus, der eher verwaltungstechnisch bedeutsam war: Dahin konnte man nämlich jeden abschieben, der sich als unbequem erwies. Liegt also deshalb ein Schatten über dem Begriff? Wer weiß ...

Um die Kurve zu David Goodhart zu kriegen, demjenigen, der mit seiner Unterscheidung zwischen den „Somewheres“ und den „Anywheres“ präzise beschrieben hat, wo heute die kulturellen Bruchlinien liegen: Die Akademisierung von Bildung und Ausbildung hat ihren gehörigen Anteil an der Abwertung von Heimat und Provinz. Vor allem aber an der Missachtung aller Berufe, in denen es am wenigsten auf Buchwissen ankommt. Die Welt des Wissens schwebt über den Niederungen bloßer Praktikabilität, im guten Sinn ist sie mit Freiheit, Autonomie und Mobilität verknüpft. Im schlechten Sinn ist sie blind gegenüber dem Leben der anderen, die den Kopf nicht in den Wolken haben und deren Intelligenz sich nicht in akademischer Form äußert.

Gerade an den Universitäten triumphiert mittlerweile die Dekadenz der Woken, die sich redlich bemühen, Biologie und andere Naturgesetze außer Kraft zu setzen – bis hin zur intersektionalen Neuerfindung des Rads. So abgehoben, wie das meiste davon ist, müsste auch die Schwerkraft bereits erledigt sein. Kein Wunder, dass die Absolventen insbesondere von „Geschwätzwissenschaften“ außerhalb der Universität kaum noch Beschäftigung finden. Auch den „Medien“ und den Werbeagenturen geht langsam das Geld aus für all die kreativen Kulturarbeiter. Bleiben noch staatliche und andere Institutionen, die eine stetig wachsende Anzahl von Betreuungs-, Beratungs- oder Gleichstellungsposten schaffen, auch der „Kampf gegen Rechts“ generiert Arbeitsplätze. Bleibend Gutes für das Gemeinwohl ist da selten zu erkennen.

Überangebot von Taxifahrern mit akademischen Meriten

Die Akademisierung des Berufslebens ist selbst in einem Land wie Deutschland, das sich des dualen Bildungswegs rühmt, explosionsartig angestiegen. Die Zahl der Studenten ist heute zehnmal so hoch wie vor 50 Jahren. Jeden Herbst kommt es zu einer Völkerwanderung junger Leute in die Städte, im Glauben, ein akademischer Grad würde zu höherem Ansehen und Einkommen führen. Je standardisierter aber die kognitive Arbeit wird – in Recht, Medizin, Verwaltung – desto eher ist sie ersetzbar. Die Arbeit eines Buchhalters kann ein Programm übernehmen, die eines Müllfahrers nicht.

Längst erzeugen die Universitäten ein Überangebot von Taxifahrern mit akademischen Meriten. Gegen den vielberufenen Facharbeitermangel aber hilft keine zunehmende Akademisierung und erst recht kein stärkeres Maß unkontrollierter Einwanderung, sondern höchstens eine Aufwertung nicht-akademischer Tätigkeiten. Wie lebenswichtig die sind, sieht man in der Provinz womöglich eher als in den Städten.

Das akademische Proletariat, das zu etwas Nützlichem nicht mehr gebraucht wird, pflegt derweil in seiner Blase Lösungen (wie seltsame Sprachregelungen), für die es kein Problem gibt.

Jedenfalls keins, das uns hier in der Provinz bekannt wäre.

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Donnerstag, 4. März 2021

Die Stimme der Provinz: Was tun! Mit den Händen.

 Was tun? Was tun! Das ist die Lingua Franca auf dem Land. Respekt verdient, wer etwas tut – mit den Händen. Nicht, wer etwas meint oder behauptet, dies oder jenes zu sein. Es ist das Tun, das verbindet.

Und das gilt auch für Zäune. Auch Zäune verbinden. So jedenfalls war das bei uns, als R. 1993 unser Grundstück umzäunte, das seit Jahren keine klar ersichtliche Kontur hatte. Es war lange sozusagen vogelfrei gewesen, von jedem begeh- oder befahrbar. Und mit einem Mal ein Zaun? Welch Affront gegen die Bewegungsfreiheit!

Denkste. Den Nachbarn im Dorf gefiel der neue Zaun, standen um R. herum, gaben Ratschläge. Nicht, weil es sich um einen Jägerzaun gehandelt hätte, um mal wieder mit dem Klischee zu wedeln. Oder weil sich das so gehörte. Sondern – ja, warum eigentlich? Ich behaupte mal: nicht, weil wir damit Besitzansprüche angemeldet hätten, die waren ja eh (mittlerweile) geklärt. Sondern weil wir mit dem definierten Drinnen das Draußen anerkannt haben. Und weil wir eine Verpflichtung sichtbar gemacht haben: Das hier ist etwas, um das wir uns kümmern. Wir haben Haus und Grundstück adoptiert. Liebevoll.

Dreifamilienhaus ebenfalls selbst gebaut, das macht man hier so

Naja, das nachbarliche Wohlwollen kann natürlich auch einen ganz anderen Grund haben. Bei uns ist der wichtigste Grund, der Anerkennung schafft: Was tun. Etwas schaffen, das man sehen kann. In den Anfangsjahren scholl uns noch ein aufmunterndes „Na, reißt ihr endlich ab?“ entgegen, wenn wir Haus und Grund Schritt für Schritt eroberten. Doch wer arbeitet, macht etwas richtig. Das versteht jeder, da kann man ruhig so schlecht Deutsch sprechen wie der von allen geliebte H., denn der kann anpacken. Wer das nicht kann, ist auf dem Land verloren. Oder sagen wir mal: dann wird die Chose teuer.

Ich bewundere meine Nachbarn unendlich. Es gibt kaum etwas, was sie nicht können, und für alles andere hat es den Installateur, den Elektriker, den Dachdecker und den Zimmermann ein paar Orte weiter. K. hat seiner Tochter ein Haus gebaut. Genau: mit den eigenen Händen und mit der Hilfe von Nachbarn und Freunden. Die B.s haben ihr Dreifamilienhaus ebenfalls selbst gebaut, das macht man hier so. Die F.s haben das Haus ihrer Großeltern in ein Schmuckstück verwandelt. Die Tapferkeitsmedaille bekommen R. und M., die seit zwei Jahren das Haus gegenüber restaurieren – nicht „modernisieren“. Hier werden keine Rigipsplatten verbaut, man will doch aus einem Altbau keinen Neubau machen. Und Lehmstrich dämmt ebenfalls.

Nachbarn helfen dabei. Leute wie ich schauen zu und applaudieren. Doch auch wir haben jahrelang auf einer Baustelle gewohnt und erst seit ein paar Jahren das Schlimmste hinter uns – obwohl: naja. Es gibt immer etwas zu tun. Man will sich ja nicht langweilen. Und so gern ich schreibe – wenig macht glücklicher als das, was man mit seinen eigenen Händen getan hat.

Der geneigte Leser dieser Kolumne weiß das natürlich. Aber weiß man das auch anderswo, dort, wo die neuesten sinnfreien Moden entstehen, in den woken chemie- und genfreien gendersensiblen Klima- und Waldfreunden in den Großstädten? Oder gar bei den Maßnahmespezialisten, die, wenn mal wieder ein neues Katastrophenszenario entdeckt wird, an der Lebenswirklichkeit der Bevölkerung vorbei agieren, Hauptsache, repressiv?

Ein akademischer Grad gilt mehr als Kompetenz dank Erfahrung

In der Krise macht sich bemerkbar, was Mensch wirklich zum Leben braucht, und das ist weder die Antifa noch die Sprachpolizei oder antirassistischer Rassismus im Kampf gegen „Weißheit“, toxische Männer und unwoke Frauen. Das unterscheidet die Somewheres von den Anywheres: sie leben nicht im Reich der Ideen und Ideologien.

David Goodhart hat in seinem Buch „The Road to Somewhere” jedem, der es wissen will, plausibel erklärt, warum sich eine knappe Mehrheit in Großbritannien für den Brexit entschieden hat und wieso noch immer fast die Hälfte aller Wähler in den USA den hemdsärmeligen Maverick Donald Trump jederzeit den Identitätspolitikern von den Democrats vorziehen würden. Trumps Wähler sind eben nicht die „Abgehängten“, die „Deplorables“, der trostlose Bodensatz frustrierter Männer und reaktionärer Frauen, auf die es ja nicht so richtig ankomme, oder? Es sind vielmehr all die, ohne die der Laden nicht läuft, die sich jedoch seit Jahren abgewertet fühlen, seit ein akademischer Grad mehr gilt als Kompetenz dank Erfahrung.

Goodharts neues Buch „Kopf, Hand, Herz. Das neue Ringen um Status. Warum Handwerks- und Pflegeberufe mehr Gewicht brauchen“) ist ein leidenschaftliches Plädoyer für Technik, Handwerk, Pflege – und eine ebenso leidenschaftliche Kritik an der explodierenden Akademisierung des Berufslebens. (Dass er hofft, dass seine Kinder einmal eines seiner Bücher lesen, lässt darauf schließen, dass die einen anständigen Beruf ausüben und nicht nur am Schreibtisch sitzen.)

Warum sollte ein arbeitsloser Absolvent eines geisteswissenschaftlichen Studiums mehr gelten als ein Mensch, der seinen Kopf dazu benutzt, etwas mit seinen Händen zu machen? Der weiß, dass zwei und zwei immer noch vier sind – und sich davon auch von den neuesten Erkenntnissen in akademischen Zirkeln nicht abbringen lässt? „Ethnomathematik“, der neuste Schrei aus den USA, erklärt Mathematik für ein bloß kulturelles Phänomen weißer Vorherrschaft und will künftig für jede Aufgabe mindestens zwei Ergebnisse sehen. Fein!

Wir hier in der Provinz lachen uns darob ‚nen Ast. Wir wissen nämlich, wie die Serie ausgeht: Houston, wir haben ein Problem! Wir haben uns verrechnet.


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Donnerstag, 25. Februar 2021

Die Stimme der Provinz: Im Untergrund

 Es gibt Dinge, die bleiben. Zum Beispiel die deutsche Wertarbeit an der flämischen Kanalküste oder am französischen Atlantikstrand: Bunker aus dem zweiten Weltkrieg. Beton – kommt drauf an, was man draus macht! Insofern könnte ich die Frage einer Bekannten kühl beantworten, ob mir der Braunkohletagebau womöglich besser gefallen würde als die von mir geschmähten Windkraftanlagen am Horizont. Natürlich nicht! (Allerdings braucht man, wenn es schlecht läuft übers Jahr, ein paar tausend Windräder für ein Kohlekraftwerk).

Ich mag nichts, was mir allzu nah auf die Pelle rückt. Dennoch Einspruch in Anbetracht der Vergangenheit und im Sinne der Zukunft: Stahlbeton im Boden hat eine weit längere Lebensdauer als die Wunde, die der Kohleabbau in die Landschaft schlägt, samt Dörfern, die im Weg sind. Denn siehe da: Daraus kann eine ansehnliche Seenplatte werden, zur Freude von Wasservögeln, Badelustigen, Seglern und der Touristikbranche.

Kann man über den immerwährenden Kriegsbeton ähnlich Positives sagen? Touristenattraktion sind die Bunker allemal – und ein freundliches Habitat für Fledermäuse. Na also. Vielleicht wird man einst auch die Windmühlenruinen mit wohligem Schauer umrunden: seht her, so sehr können Menschen sich irren... (Kreisch! Hat sie jetzt den Bau von Windkraftanlagen mit dem 2. Weltkrieg verglichen? Ruhig, Brauner: hat sie nicht.)

Gewiss verändert der Mensch die Natur, und das nicht nur an der Oberfläche. Der menschliche Maulwurf gräbt, soweit wir das wissen, seit mindestens tausend Jahren, durchlöchert die Berge, holt alles heraus, Gold und Silber, Eisenerz und Blei, Kohle und Diamanten. Manch einer ist auf der Suche nach Schätzen blind geworden. Viel zu viele sind unten geblieben. 

1963 geschah das Wunder von Lengede: 129 Bergleute der Mittagsschicht wurden in einer überfluteten Grube eingeschlossen. 79 von ihnen konnten sich in den ersten Stunden retten. Die anderen blieben eingeschlossen, niemand glaubte mehr an ihr Überleben. Doch nach vierzehn Tagen gelang es tatsächlich, elf der Bergleute zu befreien. Ein Wunder aus einer heroischen Zeit, vergangen und vergessen, Stoff für Legenden. 

Mehr als 3 Millionen Tonnen Erzkonzentrat

Mittelgebirge wie der Harz sind porös wie ein Schwamm, von Schächten durchzogen, in denen man noch heute nach verborgenen Schätzen sucht: nach Nazigold oder dem Bernsteinzimmer. Nach den sieben Zwergen oder nach Hitlers Wunderwaffe, der V2. Deren Produktion wurde im August 1943 in einen Bergwerkstollen bei Nordhausen im Harz verlegt. Steuerteile für die Rakete setzte man auch andernorts zusammen, etwa, unter dem Decknamen „Grasmücke“, in einem Eisenbahntunnel in Freienseen, ganz in meiner Nähe. 

Wir haben hier nicht nur Wiesen und Äcker, wir haben Untergrund, wovon man meistens nichts merkt. Doch vor einigen Wochen tat sich direkt nebenan auf einer einsamen Landstraße ein großes Loch auf. Unter der Straße fand sich ein alter Grubengang. 

Ja, so ist sie, die Vergangenheit, sie meldet sich gern zurück, vor allem, wenn man nicht mit ihr rechnet. Dort, wo ich wohne, wurde beinahe hundert Jahre lang Eisenerz abgebaut, bis in die späten 60er Jahre des verflossenen Jahrhunderts. Aus 25 Grubenfeldern gewann man mehr als 3 Millionen Tonnen Erzkonzentrat. Der Bergbau war eine der wichtigsten Einnahmequellen, bis zu 600 Bergleute arbeiteten in den Gruben. Naturschön war da natürlich nichts, kilometerlange Seilbahnen, riesige Erzaufbereitungsanlagen, Verladestationen an den Bahnhöfen der Eisenbahnstrecken bestimmten die Landschaft. Heute ist davon nichts mehr zu sehen – doch: ein paar Tümpel, die Nichteingeweihte für Bombentrichter halten könnten. 

Es liegt ja nahe. Erst kürzlich wurde in Frankfurt am Main ein Stadtteil evakuiert, weil man eine Weltkriegsbombe gefunden hatte. An der ehemaligen Westfront des Ersten Weltkriegs gehen noch über hundert Jahre später Blindgänger hoch, die ein Bauer beim Pflügen in ihrer Ruhe gestört hat. 

Erdbewegungen sind selten so befriedigend wie in dem betörenden Film „The Dig“, der von einer wahren Begebenheit erzählt – und auf völlig unerwartete Weise versöhnlich ist. Im Sommer 1939, Wochen vor dem Beginn des Zweiten Weltkriegs, beschließt die Witwe Edith Pretty, die merkwürdigen Hügel auf Sutton Hoo in Suffolk erforschen zu lassen. Sie heuert Basil Brown an, einen Ausgräber ohne akademische Würden, aber mit Gespür für das, was unter der Grasnarbe verborgen sein könnte. In einem der Hügel findet er die Überreste eines Schiffs – und eines Toten, begraben mit Helm, Schild und Schwert, Gold, Edelsteinen und einer Lyra. 

Der Tote war kein Römer. Er war auch kein Wikinger. Er war ein Angelsachse, und er war kein Barbar. „Sie besaßen Kultur und Kunst.“ 

Ausgerechnet die alten Germanen. 


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Mittwoch, 17. Februar 2021

Die Stimme der Provinz: Natur oder Kultur?

 Wisset: Mutter Natur ist gut!

Wer sich gegen sie vergeht, den straft sie – etwa mit einem besonders ekligen Virus. Also bitte! Die Natur rächt sich und schlägt zurück, wenn der Mensch ihr etwas antut. Das ist das Basiswissen aller gut und recht denkenden Menschen unschuldigen Gemüts, die ihre Lebensmittel gern genfrei hätten. Wir haben uns Covid-19 verdient mit unserer menschlichen Hybris. Manch einer hätte der Menschheit sogar eine ordentliche Pest an den Hals gewünscht, so als natürliche Regelung der Überbevölkerung.

Jetzt bitte nicht überlegen lächeln! Das lernen sie doch schon im Kindergarten, dass „genmanipuliert“ den feigen Eingriff finsterer Frankensteins bedeutet. Nichts als Natur soll in unseren Lebensmitteln sein!

Der reine Naturzustand ist allerdings schwer herzustellen, es sei denn, man stellt sich wieder auf ein Leben als Sammler und Jäger ein. Landwirtschaft manipuliert seit Jahrtausenden – vom Urkorn bis zum heutigen Weizen ist ein weiter Weg der Zuchterfolge. Haus- und Nutztiere würden in der mütterlichen Natur schlicht zugrundegehen. Zurück zur Natur heißt auf in den Limbus.

Borkenkäfer sind nur im Kindergarten lieb und putzig

Ich weiß, ich weiß, das muss man Achgut.com-Lesern nicht groß erklären, die vom Dengeln und Vorderladern mehr verstehen als ich. Außerhalb unserer Städte sucht man vergeblich nach „Natur“ in ihrer unberührten Form, und was nach Urwald aussieht, ist einfach nur ein unaufgeräumter Wald, sonst nichts. Und in dem herrscht nicht die uneingeschränkte Mutterliebe der Natur, sondern der Borkenkäfer.

Der ist nur im Kindergarten lieb und putzig. Im Nationalpark Harz fanden das augenscheinlich auch Erwachsene. Dort durfte Berti Borkenkäfer auf bunten Schildern „Ich schaffe Wildnis“ verkünden. Nach geharnischten Protesten verzichtet man auf die Werbung mit ihm – er könne „Gefühle verletzen“. Schlimm! Doch bis es soweit kommt, verletzt er Bäume, und zwar nicht nur die eh schon Geschwächten (die ja nicht an, sondern nur mit Berti verenden), sondern auch völlig gesunde Waldbestände. Was hülfe? Der Einsatz eines zugelassenen Pflanzenschutzmittels ... Armer Berti!

Ja, der Wald, immer ein schönes Objekt der Mythenbildung, insbesondere, was seine „Wildnis“ betrifft. Die hiesigen Wälder sind im Schnitt zwischen 120 und 150 Jahren alt, heute ist Deutschland weit waldreicher als noch im 19. Jahrhundert. Die Monokulturen der Nadelbäume sind jünger und haben sich als besonders anfällig für Wind und Dürre erwiesen. Die meisten Versuche, Wälder durch zugelassene Wildnis „naturnäher“ zu machen, haben sich als Flop erwiesen: nur der Borkenkäfer und andere Schädlinge freuten sich.

So schnell kann Naturschutz das Gegenteil bewirken

Dass an vermehrten und verheerenderen Waldbränden der Mensch schuld ist, stimmt allerdings auch wieder. Man kann auch schuldig werden, indem man etwas unterlässt: in Australien haben Wildnisfreunde dafür gesorgt, dass die alte Sitte der Aborigines, das Unterholz regelmäßig kontrolliert abzubrennen, aus der Mode kam. Der Verzicht auf die Weisheit der Vorfahren aber hat, wenn anhaltende Dürre dazukam, aus jedem Feuer eine flächendeckende Feuersbrunst gemacht.

So schnell kann Naturschutz das Gegenteil bewirken. Ab wann hat das Gutgemeinte eigentlich die Vorherrschaft über jahrhundertealte Erfahrung und menschliche Vernunft gewonnen?

Und seit wann ist die Landwirtschaft der Prügelknabe für alles, was grünerseits als ökologisch bedenklich gilt? Gewiss doch: man kann mit Kulturlandschaft erheblich schonenender umgehen als es im Zuge der Industrialisierung der Agrarwirtschaft geschehen ist. Die nachhaltigste Bodenverdichtung durch schweres Gerät auf großen Ackerflächen aber ist nicht der Landwirtschaft anzulasten. Den Leuchttürmen der Klimafreunde verdanken wir Bodenversiegelung in bislang unbekanntem Ausmaß.

Bei mir um die Ecke, am Rande Vogelsberg, gibt es kaum noch einen unverstellten Blick auf den Horizont, überall recken sich die Windmühlen wie mahnende Zeigefinger. Viele stehen mitten im Wald. Jede Mühle braucht ein Stahlbetonfundament, das bis zu dreieinhalbtausend Tonnen wiegen kann. Hinzu kommt das Gewicht des Turms, des Maschinenhauses und der Rotorblätter, zusammen etwa 3.500 Tonnen. Dafür und für den Zugangsweg muss der Boden nicht nur gerodet, sondern massiv verdichtet werden.

Was tut man nicht alles fürs Gute und Richtige!

Ein paar Haken hat die Sache bekanntlich. Die Lebenszeit der Mühlen ist weit geringer, als man gedacht hatte. Rückbaupflicht? Einschließlich der Fundamente? Wer’s glaubt. Und wir haben noch nicht über geschredderte Vögel geredet. Über Insektentod an den Rotorblättern. Darüber, dass sich Wild in der Nähe der Dinger nicht mehr blicken lässt. Über die Entsorgung der Rotorblätter. Oder gar über den Einfluss einer ganzen Windradrotte auf Windströmung, Bodenerwärmung und Dürre.

Doch bis wir darüber reden, reden wir lieber über die wahren Umweltschädlinge: die Bauern. Gut so?


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Mittwoch, 10. Februar 2021

Die Stimme der Provinz: Bauernkrieg

 Bauern sind längst eine bedrohte Minderheit. Das war mal anders, einst war die Bauernschaft wahlentscheidend und musste bei Laune gehalten werden. Das lohnt sich heute für Politiker nicht mehr.

Im Jahr 1900 ernährte ein Landwirt vielleicht vier, 1980 schon 47 und heute um die 135 Menschen. Dazu braucht es nur noch 266.600 Betriebe mit knapp 600.000 Beschäftigten. 1949 fanden achtmal mehr Menschen Beschäftigung in der Landwirtschaft (siehe hier). Auf den Feldern sieht man schon lange keine kräftigen Landmänner mehr beim Mähen mit der Sense – oder adrette Landfrauen beim Heuen oder Aufstellen der Getreidegarben. Das Geräusch, mit dem Sense und Sichel geschärft, also gedengelt wurden, dürfte ausgestorben sein. Bloß nicht nostalgisch werden: Keiner meiner Nachbarn sehnt sich nach diesen Zeiten zurück.

Heute dampfen zur Erntezeit gigantische Maschinen Tag und Nacht (bei Flutlicht) über die Äcker und durchs Dorf. Ich gestehe heftige Bewunderung für diese von meinem Nachbarn schon mal liebevoll gestreichelten und geputzten Kolosse. Doch auch schlichtere Maschinen hält man hier heilig: Ohne Traktoren kein Landleben, bei uns pröttelt ein ziemlich alter Lanz Bulldog (Einzylinder-Zweitakt-Glühkopfmotor) über die Straße, die Dinger halten lange und viel aus.

Politiker verschärfen die Agrarkrise

Für Hauptstädter: Man kann die bunte Vielfalt modernster Traktoren neuerdings fußläufig bewundern, bei einer der mittlerweile häufigen Demonstrationen aufgebrachter Landwirte. Noch nicht mitbekommen, dass es die gibt? Derzeit stehen welche vor dem Brandenburger Tor. Man kann sie kennenlernen – und man wird feststellen, dass unter ihnen überaus kompetente Spezialisten tätig sind, die garantiert von Tier- und Pflanzenschutz mehr verstehen als Renate Künast von den Grünen oder auch Landwirtschaftsministerin Klöckner. Aber so richtig Medienöffentlichkeit haben sie nicht – höchstens dann, wenn ein woker Journalist glaubt, bei einem der Traktorfahrer „Völkisches“ entdeckt zu haben, etwa Fahnen mit dem Landvolk-Symbol.

Die Landvolk-Bewegung Ende der 1920er Jahre war in der Tat reichlich radikal, weshalb Julia Klöckner prompt meint warnen zu müssen „vor den Geistern, die ich rief“. Der Kampf gegen Rechts kommt nun mal an erster Stelle und lenkt praktischerweise ab vom Anliegen der Bauern, von denen viele im Zweifelsfall gar nicht so genau wissen, was das Landvolk damals so dachte. Im Zweifelsfall weiß auch die Ministerin nicht, dass sich die Bewegung damals einer sich seit 1927 extrem verschärfenden Agrarkrise verdankte.

Eine Agrarkrise haben wir auch heute – und einige Politiker bemühen sich, diese Krise noch zu verschärfen. Besonders hilfreich betätigt sich hierbei Renate Künast, die als Grund für die Corona-„Pandemie“ „die falsche Art & Weise“ ausdeutete, „wie wir unsere Nahrungsmittel produzieren, Landwirtschaft betreiben und dabei mit unserer Umwelt umgehen.“ Und prompt folgt die Funktionalisierung der Coronakrise, die man nun nutzen müsse, „um endlich die Ernährungswende auf den Weg zu bringen.“ Wofür so ein Virus alles herhalten muss!

Am besten noch mit dem Pferd pflügen

Nun, man könnte Frau Künast beruhigen: die Ernährungswende ist längst unterwegs. Da die deutschen Bauern bei woken Städtern als Tierquäler gelten, weichen die, sofern nicht schon vegan, auf importiertes Rind aus, über dessen Vorleben sie nichts wissen, auch nicht, ob das Biogemüse womöglich ein Massenprodukt aus China ist. Egal, wie sehr man die Trommel für nachhaltig, gesund und regional rührt: Der deutsche Kunde geht noch immer nach dem Preis, und die ausländische Konkurrenz ist meist billiger.

Klar, die deutschen Bauern vor ausländischer Konkurrenz zu schützen, wäre natürlich nationalistisch! Man muss ja nicht gleich an die Hungersnot in und nach dem Ersten Weltkrieg dank Handelsblockade denken, um auf die Idee zu kommen, dass es nicht gut ist, sich allzusehr vom Weltmarkt abhängig zu machen. Zumal dort durchaus andere Verhältnisse herrschen als bei uns.

In keinem Land dürfte die Landwirtschaft derartig gegängelt sein wie in Deutschland. Die Bauern sind nicht nur an Corona schuld – nein: Auch das Insektensterben geht auf ihr Konto. So jedenfalls kann man das „Aktionsprogramm Insektenschutz“ verstehen, das vom Bundesumweltministerium unter Svenja Schulze vorgelegt wurde und wogegen sich die derzeitigen Demonstrationen richten. Danach soll Düngung reduziert und auf Pflanzenschutzmittel verzichtet werden. Prima, denkt sich da der Konsument, der sich seine Lebensmittel gen-, gift- und laktosefrei wünscht. Dabei geht es in der Landwirtschaft nicht ohne Schädlingsbekämpfung, die im übrigen längst selektiv und schon aus Kostengründen sparsam eingesetzt wird. Mal boshaft gefragt: sollte man nicht erst einmal die neuerdings überall entstehenden Schottergärten verbieten, die weder Vögeln noch Insekten Nahrung und Schutz bieten?

Bauer Willi, dessen Seite man allen empfehlen kann, die sich dafür interessieren, wer unsere Lebensmittel wie herstellt, platzte jüngst der Kragen:

„Du, lieber Verbraucher, willst doch nur noch eines: billig. Und dann auch noch Ansprüche stellen! Deine Lebensmittel sollen genfrei, glutenfrei, lactosefrei, cholesterinfrei, kalorienarm (oder doch besser kalorienfrei?) sein, möglichst nicht gedüngt und wenn, dann organisch. Aber stinken soll es auch nicht, und wenn organisch gedüngt wird, jedenfalls nicht bei dir. Gespritzt werden darf es natürlich nicht, muss aber top aussehen, ohne Flecken. Sind doch kleine Macken dran, lässt du es liegen. Die Landschaft soll aus vielen kleinen Parzellen bestehen, mit bunten Blumen und Schmetterlingen. Am liebsten wäre es Dir wahrscheinlich, wenn wir noch mit dem Pferd pflügen würden. Sieht doch so nett aus und Pferde findest du so süß!“

Genau. Wozu brauchen wir noch Bauern, wenn die Radieschen aus biodynamischem Urban Gardening stammen und jeder woke Städter sein Legehuhn auf dem Balkon hält? Sollen sie doch Mais anbauen, die Bauern, für erneuerbare Energie. Mais ist allerdings so ziemlich das Schädlichste für Acker und Insekten. Da wollen wir jetzt aber keinen Zusammenhang herstellen, oder?

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Mittwoch, 3. Februar 2021

Die Stimme der Provinz: Die Tücken der Hütten

Hinaus, hinaus aufs Land? Auf vielfältigen Wunsch einiger im Ländlichen ansässigen Leser der „Stimme“ soll auch in dieser Folge davor gewarnt werden, statt Stadtmüden gar noch den Mund wässerig zu machen. Es ist nicht so, wie man sich das denkt, als Bewohner einer Etagenwohnung in der Stadt, sagen wir: traditionelle Kleinfamilie mit zwei Kindern und einem Wellensittich. Einfamilienhaus, Garten, Wald in der Nähe, endlich kann man sich einen Hund halten und der Schulbus kommt täglich? Schon. Aber welches Haus soll’s denn sein?

Seit es nur noch einen Landwirt braucht, um einen Ertrag zu erwirtschaften, der um die 135 Menschen ernährt, kommen viele Dörfer ganz ohne Bauern aus. Während der Dorfkern verödet, sind ringsum Neubaugebiete entstanden, quadratisch praktische Einfamilienbehausungen mit allem Schnick und Schnack – und viele davon so austauschbar wie Glühbirnen. Wer sich etwas „Authentisches“ vorstellt, mit Patina, eichenes Fachwerk mit Lehmstrich etwa, hat womöglich eher Glück. Immerwährendes Glück, denn die Arbeit an so einer alten Hütte höret nimmer auf. „Preisgünstig“ ist meist höchstens der Anschaffungspreis – je nach Lage.

Im Norddeutschen mag es noch die eine oder andere einsame Hofreite geben. Dort jedoch, wo die südwestdeutsche Gemengelage vorherrscht, sind die Dörfer meist stark verdichtet, Forsthäuser und Aussiedlerhöfe außerhalb des Dorfkerns sind, weil schon immer beliebt, kaum noch zu haben. Zu warnen ist auch vor idyllischen Flusslandschaften, die bei gründlichen Regenfällen in Verbindung mit Schneeschmelze in den höheren Lagen schon mal zu Seenlandschaften werden.

So kriegt man auch jahrhundertealte Häuser tot

Ich weiß, wovon ich rede. Immerhin dürften die meisten alten Bauernhäuser heute an den Kanal angeschlossen sein. Ich hatte noch die Grube am Haus – und wenn es, wie nicht gerade selten, Hochwasser gab, vermischten sich die Flüssigkeiten und ich hatte die Pampe im Haus. So ein Lehmstrich schluckt ganz schön was weg ...

Doch gottlob haben die Moderne und ein geschickter Vertreter um meine Hütte einen großen Bogen gemacht. So blieb mir erspart, was viele erlebt haben dürften, die ihr idyllisches Fachwerkhaus von den Eternitplatten befreit haben, die frühere Bewohner zwecks Dämmung vor die Fassade genagelt hatten. Das hat selbst eisenharte Eiche selten ausgehalten. Wenn dann noch von innen Rigips gegengehalten wurde, weil jemand gerade Wände haben wollte, hat sich das Fachwerk erledigt. Zu warnen ist auch vor Silikon! Fachwerk muss atmen.

Mindestens so schlimm sind kaputtsanierte Häuser, aus denen alles entfernt wurde, was an seine Vergangenheit erinnern könnte. Die Balken abgedeckt, den Lehmstrich entfernt, die alten Holzbohlen zugeklebt. Und dann die Fenster: dunkle Löcher, wo es vorher Sprossenfenster mit Oberlicht gegeben hat. Durch die es zog, na klar. Und da es ja vor allem energiesparend zugehen soll, darf sich im Haus kein Lüftlein rühren. So kriegt man auch jahrhundertealte Häuser tot. Merke: Sarrazin hatte recht. Man kann auch mal einen Pullover anziehen, statt die Heizung auf 25 Grad zu schrauben.

Ein altes Haus ist ein Fass ohne Boden

Mit anderen Worten: man muss vieles einfach sportlich sehen. Je nach Budget jahrelang auf einer Baustelle wohnen, ist auch ein Leben. Learning by doing: Es ist erstaunlich, was man bei der Renovierung einer Antiquität so alles lernt. Das ist im übrigen noch immer Gesetz auf dem Land: selbermachen! Wer Hand anlegt, erntet Respekt. Und es wird einem heute durchaus leicht gemacht, im Vergleich mit dem vergangenen Jahrhundert, als man alte Balken, alte Türen, handgeformte Klinker noch suchen musste. Längst gibt es den Ökobaumarkt, der das fachgerechte Renovieren leicht macht. Was man da an Geld versenken kann, steht selten in einem vernünftigen Verhältnis zum Kaufpreis. Ein altes Haus ist ein Fass ohne Boden.

Die entscheidende Frage lautet also: Warum tut sich jemand das an? Nur, um ein Dach über dem Kopf zu haben mit angeschlossener Wildnis, aus der so leicht kein Garten wird?

Romantiker. Leute mit Rettersyndrom. Bastler. Menschen mit Sinn für Vergangenheit. Verrückte. Also, nur zu: Kaufen Sie sich ein altes Haus auf dem Land! Sie sind gewarnt.

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Donnerstag, 28. Januar 2021

Stimme der Provinz, Kolumne 4: Die Provinz schlägt zurück


Nein, üblicherweise schießen meine Nachbarn hier nicht mit dem Vorderlader die Äpfel vom Baum.* Das schließt nicht aus, dass in der einen oder anderen Scheune ein Schießprügel in der Ecke steht, das kann auch ein so antikes Gerät wie der Vorderlader sein, man ist hier traditionsbewusst und ehrt die Vorfahren. Jedenfalls ist der Landmensch wehrhaft und mitnichten so nett wie die lieben Mutterkühe mit ihren süßen Kälbchen, die das im übrigen auch nicht sind .

Die Provinz kann zurückschlagen, wenn sie den Einheimischen krumm kommen, die Invasoren aus den Städten. Und niemals waren die Gelegenheiten dafür so günstig wie heute. Die Furcht, dass Städter üble Sitten und Gebräuche mitbringen, mit denen sie die unschuldigen rotbackigen Landkinder verderben, hat sich zwar längst erledigt, nichts kann das Landvolk mehr verderben, was es nicht schon lange via Internet erlebt und erlitten hat. Doch jetzt kommt Covid-19 ff. ins Spiel, und schon ist der Wunsch wieder da, sich abzuschotten vom Sündenpfuhl Großstadt, wo ein virusaffines Gedränge herrscht, das wir, verdammt noch eins, hier nicht haben und auch nicht brauchen. Virusschleudern mögen uns vom Leibe bleiben! Insofern ist jetzt nicht die günstigste Zeit, sich um einen Zweitwohnsitz auf dem Land zu bewerben. 

Wie man hört, ist die Stimmung mancherorts schon ein bisschen so wie im zweiten Weltkrieg, als die ausgemergelten Städter in Trupps aufs Land zogen, um etwas Nahrhaftes zu ergattern oder zu erbetteln oder gar zu stehlen. Oder so wie nach dem Krieg, als Flüchtlinge, Vertriebene und andere Unbehauste auf den Bauernhöfen einquartiert werden wollten. Damals hatte die ländliche Bevölkerung die eindeutig besseren Karten und ließ das die Fremden hier und da durchaus spüren. Zur Strafe durfte sie sich als fremdenfeindlich und verhockt beschimpfen lassen. Nun – jetzt ist die Zeit der Rache gekommen.

Ein Schwein schlachten oder jagen gehen

Der Vorzug der Städte ist in Krisenzeiten ihre Achillesferse: Stadtluft macht nur solange frei, wie der Nachschub stimmt – solange man die Abhängigkeit nicht spürt von all denen, die produzieren, was man essen will. Autarkie ist nazi, wir haben schließlich den Weltmarkt? Solange wir ihn haben. Im ersten Weltkrieg etwa gelang es den Briten, Deutschland weitgehend vom Welthandel abzuschneiden. Was wurde da gehungert. In den Städten. Auf dem Land konnte und kann man immer noch den Garten bestellen, ein Schwein schlachten oder jagen gehen, es gibt auch tauglichere Waffen als einen Vorderlader. 

Noch sind wir global und lassen die Heidelbeeren im Winter aus Peru einfliegen. Die Panikpandemie allerdings hat ihren Schatten über die sonst gepriesene Weltoffenheit geworfen. Selbst Frau Kanzler denkt nun laut darüber nach, die Grenzen zu schließen. Gegen ein Virus. Hat sie nicht 2015 davon gesprochen, dass man Grenzen (gegen weit größere Entitäten wie etwa Menschen) nicht schließen könne? Hat sie sich nicht jüngst wieder entschieden gegen kleinlichen Impfnationalismus verwahrt? Sind wir doch alle gemeinsam Europa, solidarisch selbst im Versagen. Und jetzt soll der Schlagbaum wieder heruntergehen?

Mag sein, dass hier der Mantel der Geschichte eingegriffen hat. Niemand von denen da oben hat einen Grund gesehen, 150 Jahre Deutsches Reich zu feiern. So ärgerlich widerspenstige Landesfürsten für die Kanzlerin auch sein mögen – immerhin ist seine Kleinstaaterei den Deutschen und allen anderen weit besser bekommen. Was lehrt uns das? Small is beautiful. Mecklenburg-Vorpommern hat es begriffen. 

So kann sie aussehen, die Rache der Provinz

Man erinnere sich: Bereits im Frühjahr des vergangenen Jahres wollte man die Schriftstellerin Monika Maron expedieren, die in Berlin den Haupt- und in einem Kaff an der Grenze zu Polen einen Zweitwohnsitz hat. Die potenzielle Virusträgerin möge in ihren Sündenpfuhl zurückkehren, dekretierte man. In diesem Sinne sind auch jetzt die offenbar unausgelasteten Behörden des Landkreises Vorpommern-Greifswalds wieder tätig geworden. Angeordnet ist hiermit: Auch in tiefster Einöde darf man zwischen 21 und 6 Uhr sein Grundstück nicht verlassen, solange sich die sogenannte Inzidenz nicht irgendwie Richtung ZeroCovid bewegt. Und schon gar nicht darf man einfach so seine Zweitbehausung ansteuern, das sei, steht in der achtseitigen Fleißarbeit, kein triftiger Grund

Vorbildlich – sofern nicht wieder irgendein Verwaltungsgericht dem Landkreis in die Quere kommt. So kann sie aussehen, die Rache der Provinz: Wenn ihr starker Arm es will, stehen alle Zweitwohnungsbesitzer still. Auch das ist Frieden schaffen ganz ohne Waffen. Nicht nur die Bundesregierung versteht es, aus so einer Panikpandemie alles herauszuholen. Ob sie den Besen irgendwann wieder in den Schrank kriegt?

* Die Autorin dankt allen Lesern der vorangegangenen Kolumne für ihr Verständnis dafür, dass sie als gelernte Städterin einen Frontlader mit einer antiken Waffe verwechselt hat.  


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Donnerstag, 21. Januar 2021

Die Stimme der Provinz - Kolumne 3: Stadtflucht und Landwahn

 Flucht aufs Land? Alle Jahre wieder. Das hat seine Konjunkturen. Man denke an die Künstlerkolonien um die Wende vom 19. aufs 20. Jahrhundert, Worpswede ist hierzulande die bekannteste. Doch die letzten Ausbrüche des Landwahns liegen noch gar nicht so lange zurück.

In den Siebziger Jahren dürften die autochthonen Ländler die aus den Städten flüchtenden Kommunarden abstoßend bis possierlich gefunden haben. Nicht nur der damals beliebten Selbsterkundungsrituale wegen oder angesichts nackerter Mondanbeter unter Drogeneinfluss. Mit schadenfroher Anteilnahme wird man auch die Versuche im ökologischen Gartenanbau beobachtet haben.

Die Hippies hatten die Bibel des biodynamischen Gemüsestreichelns studiert, pflanzten mit dem Mond, um in Harmonie mit den Planeten zu geraten und erlitten ihre Niederlagen dank bodenschonendem Verzicht auf mechanische Unterstützung beim Hacken und Säen mit heroisch ertragenen Rückenproblemen. Hauptsache chemiefrei. Nur aus den wenigen Zähen unter den vielen Idealisten wurden erfolgreiche Biobauern. Etwas blieb – und auch das hat das Land langsam aber sicher verändert.

Auch Tourismus erhält ländliche Kultur

Im französischen Teil meiner Familie hat der Pariser Mai 1968 und der Kontakt mit dem Tränengas der französischen Polizei den Wunsch nach einem Ausstieg aus dem kapitalistischen Verwertungszusammenhang enorm beflügelt. Als „néoruraux“ zog man in die tiefe französische Provinz, wo nichts los war, und kaufte mürrischen Bauern efeubewachsene Steinhaufen ab, um daraus mit blutenden Händen wieder ein Haus zu errichten. Wer sich landwirtschaftlich betätigte, erhielt staatliche Unterstützung – auch das ein Anreiz für Aussteiger.

Doch nach Ausflügen in die Himbeerzucht stellte meine Verwandtschaft die Landwirtschaft wieder ein und verlegte sich auf das Vermieten romantischer Unterkünfte in alten Steinburgen, die nach dem unverhofft beendeten Seidenraupenboom im 19. Jahrhundert in der Ardèche seit Jahren leerstanden. Dieser Idee folgten andere, und so ist auch in der einst einsamen Gegend mittlerweile reichlich was los. Selbst die französischen Bauern sind nicht mehr ganz so mürrisch. Merke: Auch Tourismus erhält ländliche Kultur.

Die französischen Hippies, die damals in die düsteren Cevennen zogen, haben dabei nicht nur Shit geraucht und getrommelt, sondern auch untergegangene Traditionen wieder aus der Versenkung geholt, das, was jahrelang als nicht mehr modern galt, wie etwa der traditionelle Chevre, der französische Ziegenkäse. Man hielt Schafherden, baute Obst- und Gemüse an, authentisch öko, und versuchte sich bald auch im Weinanbau. Besser und professioneller als zu der Zeit, als viele den eigenen Weinberg für die Selbstversorgung mit einer nur von Ferne nach Wein aussehenden Plörre nutzten. Das Rad dreht sich: etwas verschwindet, dann taucht es wieder auf, in dieser oder jener Form.

Eine Kneipe könnten wir noch gebrauchen

Die Wiederentdeckung des Landes ist ebensowenig neu wie der Niedergang der Stadt, auch das scheint ein ewiger Kreislauf zu sein. Wer London aus den 70er Jahren kennt, weiß, in welchem desolaten Zustand sich die Stadt befand, die sich jetzt mächtig aufplustert als Megacity. Vor fünfzig Jahren war sie ein Dorado für Hippies, Esoteriker und Musiker. Eine ähnliche Bewegung vollzog sich in New York: Künstler und Bohemiens eroberten die armen und heruntergekommenen Stadtteile, bis die sich vom Geheimtipp zum neuen Anziehungspunkt entwickelt hatten. Auch in deutschen Städten wurden die einst zum Abriss freigegebenen Gründerzeitquartiere wiederentdeckt und „gentrifiziert“. Und was jetzt? Offenbar werden sie wieder verlassen, die Städte, von der Coronapolitik der Regierung gefleddert und unwirtlich gemacht. Die Innenstädte leegeräumt und verwahrlost, den Rest teilen sich Alte, Arme und Ausländer. In dreißig Jahren mag das wieder anders sein.

Es gibt keinen alternativlosen Abschied vom Land, das Rad dreht sich, aber es gibt nicht nur Wiederholung. Der Bauerngarten wird überleben, aber nicht jeder aufs Dorf gespülte Städter wird zum Selbstversorger werden, wie es die Utopie noch in den 70ern war. Oder doch? Vielleicht wird auch die lange Zeit übliche Nebenerwerbslandwirtschaft eine neue Blüte erleben. Anleitungen findet der Willige in den Landlustillustrierten, deren Leserschaft viermal so groß ist wie die Zahl der in der Landwirtschaft Beschäftigten. Im übrigen könnte der Hang zum Regionalen bei den noch nicht veganen woken Stadtflüchtigen auch dazu führen, dass sie das bekommen, was sie dem Tierwohl zuliebe wollen: Wo eine Nachfrage ist, findet sich auch ein Angebot.

Bei uns werden wieder vermehrt Schafe gehalten und verwertet, der Schafskäse aus dem Dorf nebenan ist übrigens großartig. In meinem Dorf gibt es mittlerweile mehr Hühner als Menschen. Wer sich als Zugezogener beliebt machen will, sollte uns vielleicht mit einer Hausbrauerei und angeschlossener Kneipe überraschen, das bräuchten wir hier. Das würde uns, die wir hier schon eine kleine Weile länger wohnen, glatt dafür entschädigen, dass die Neuländler sich womöglich so dumm anstellen wie einst unsereins.

Denn, ja: hier herrschen noch immer andere Sitten und Gebräuche. Man grüßt einander, wenn man sich begegnet. Man hält noch ein Schwätzchen über den Gartenzaun (wofür ich so gar kein Talent habe). Man macht vieles selbst, was man in der Stadt gewohnheitsmäßig der Straßenreinigung, dem Hauswirt oder anderen Institutionen überlässt. Wer etwas tut, fällt angenehm auf. Wenn man also mit der Leiter nicht an die Äpfel rankommt, weil sie einfach zu hoch hängen, darf man den Nachbarn bitten, mit dem Vorderlader vorbeizukommen.

Ist das nicht paradiesisch?

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Wir Untertanen.

  Reden wir mal nicht über das Versagen der Bundes- und Landesregierungen, einzelner Minister, der Frau Kanzler. Dazu ist im Grunde alles ge...