Ist der Kampf gegen Rechts wirklich das, was am wichtigsten
ist in unserem Land? Dieses von Politik und Medien gepflegte Narrativ hat nicht
erst seit Chemnitz Schaden genommen. Viele glauben längst, dass damit von
anderem abgelenkt werden soll: insbesondere von den Kollateralschäden der
deutschen Migrationspolitik.
Wo sonst geradezu penetrant zu „Besonnenheit“ aufgerufen
wird, wusste man bei Chemnitz, einer Stadt in „Dunkeldeutschland“, in
Windeseile Bescheid: nicht das Niederstechen dreier Chemnitzer durch Zugewanderte
war Thema empörungsbereiter Politiker und Journalisten, sondern die
„Aufmärsche“ Rechtsradikaler, die Menschenjagd mit Pogromcharakter veranstaltet
hätten. „Solche Zusammenrottungen, Hetzjagden auf Menschen anderen Aussehens,
anderer Herkunft“ ließ die Bundesregierung umgehend aufs Schärfste verurteilen.
Gut so. Besser wäre gewesen, man hätte sichergestellt, dass es die auch gegeben
hat. Auch das Gerücht, die Polizei habe die Kontrolle über die Geschehnisse in
Chemnitz verloren, ist im Unterschied zu den G20-Krawallen in Hamburg 2017 für
Chemnitz nicht zu belegen.
Kann man nicht mal in aller Ruhe abwarten, bevor das
hysterische Geschwätz wieder losgeht?
Einen Generalverdacht sollte es auch gegenüber Deutschen,
Sachsen und Chemnitzern nicht geben. Oder muss man, wenn es gegen
Dunkeldeutsche geht, nicht allzu pingelig sein, was gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit
betrifft? Da wird schon mal getwittert: „Ich will Bomben auf Ostdeutschland“.
Oder „Bomber Harris, hilf uns doch, Chemnitz gibt es immer noch“. Oder gar
„Mauer um Sachsen, AfD rein, Dach drüber, Napalm und Tür zu“.
Ist das jetzt ein höheres Niveau als das, was ein
Schmerbauch zeigt, der den Arm zum Hitlergruß hebt? Ich jedenfalls finde die
Ausfälle auf beiden Extremen unerträglich und ich finde nicht, dass „wir“ jetzt
„radikal werden“ müssen, wie eine Politikerin twitterte, die Antifa gibt es nämlich
auch schon.
Radikalität haben wir mehr als genug, auf allen Seiten, es
mangelt eher an Vernunft. Am wichtigsten wäre die ruhige Analyse der Lage, in
der wir uns spätestens seit dem Herbst 2015 befinden. Man mag die weit
ausgebreiteten Arme der Willkommenskultur ja edel finden – aber es geht nicht
an, ihre Kosten zu unterschlagen, die materiellen wie die sozialen.
Die Einwanderung seit 2015 erfolgte überwiegend
unkontrolliert – und vor allem ungeplant und unorganisiert. Die dafür nötigen
Strukturen waren und sind nicht vorhanden, eine Überforderung der Sozialsysteme
und des Rechtsstaats zeichnet sich längst ab. Migrationsforscher wissen, dass Einwanderung
in ein gefestigtes soziales Gefüge ab einer bestimmten Größenordnung disruptiv
wirkt, vor allem dann, wenn unterschiedliche kulturelle Muster
aufeinanderprallen. Wer junge Männer in eine alternde Gesellschaft einlädt, die
allein deshalb die friedlichere ist, lädt sich Konfliktstoff auf – auch
übrigens die oft gewalttätig ausgetragenen Konflikte innerhalb der
Migrationsgruppen selbst. Rassismus und Antisemitismus sind keine deutsche
Spezialität, man findet sie auch bei Menschen aus dem arabischen Raum. Dass
massenweise dringend benötigte Fachkräfte zu uns gekommen seien, glaubt
mittlerweile kaum noch jemand, auch nicht, dass Vergewaltigungen oder das
Tragen und Anwenden von Messern bei Einheimischen genauso oft vorkommt wie bei
Zugewanderten.
Kann man es jemandem übelnehmen, dass er von
„Staatsversagen“ spricht, wenn man bedenkt, dass einer der beiden mutmaßlichen
Messerstecher von Chemnitz schon längst hätte abgeschoben werden können? Warum
geschah nicht, was hätte geschehen müssen? Auf diese Fragen muss es eine
Antwort geben.
Ich glaube nicht, dass wir Deutschen massenweise „Hetzjagden
auf Menschen anderer Herkunft“ machen würden, wenn die reichlich vorhandenen Konflikte
mit Migranten endlich offen diskutiert würden - und mir wäre lieb, Politiker
und Medien würden das nicht dauernd unterstellen. Es treibt die Spaltung in
diesem Land voran – und womöglich sind es gerade die propagandaerfahrenen
Ostdeutschen, die darauf am empfindlichsten reagieren. Bei manchen Linken hat
man langsam das Gefühl, sie nehmen den Ossis noch immer übel, dass sie ihre DDR
nicht behalten wollten.
Nein, nicht „die Rechten“ sind daran schuld, wenn das
Vertrauen in Politik, Institutionen und Medien Schaden nimmt, sondern die
ständigen Ausweichmanöver, mit denen das Problem bei den „schon länger hier
Lebenden“ verortet wird. Friedensfördernde Maßnahmen sind das jedenfalls nicht.
Zuerst: NDR Info, Die Meinung, 2. September 2018