Die DDR ist nicht untergegangen, sie heißt nur heute anders: Deutschland, das Land der Gerechtigkeit und menschlichen Wärme, Brot und Spiele inklusive. Die Störenfriede im Schlaraffenland: Agenten der Kälte, die dauernd „Wer soll das bezahlen?“ rufen. Die von Leistung erzählen und daß die sich lohnen müsse. Gut, daß bei denen die Republikflucht wieder in Mode ist.
Der Rest des Landes beschäftigt sich eh lieber mit der Frage, wie man den Globus, die Natur, das Klima retten kann. Am besten durch Nichtstun. Denn wer nichts macht, der macht auch nichts kaputt.
Ein Zukunftsmodell ist das allerdings nicht. Es belohnt nicht Kreativität und Produktivität, sondern Stillehalten. Ein System der falschen Anreize erzieht zu Gleichgültigkeit und Unbeweglichkeit. Vielleicht kann man damit Staat machen. Aber mehr auch nicht.
Das System basiert auf zwei Säulen, die sich vortrefflich ergänzen: Auf mutlosen Politikern und entmutigten Bürgern. Das sind sie nicht naturnotwendig. Beide Seiten folgen vielmehr einem rationalen Kalkül: sie tun das, was sich für sie auszahlt. Kurzfristig. Langfristig ist eine Mesalliance entstanden, die der Marke Deutschland schadet, auch wenn sie noch Gewinne abwirft.
Politiker, das ist logisch, wollen die nächste Wahl gewinnen. Dazu brauchen sie Wählermehrheiten, und die finden sie bei den unproduktiven Klassen wie Rentnern oder Empfängern staatlicher Leistungen aller Art. Wahlen, glauben jedenfalls Politiker, gewinnt man daher nur mit „sozialer Wärme“, mit jener „Verteilungsgerechtigkeit“, die dieser Mehrheit entgegenkommt. Auch deshalb menschelt es in der Politik: wenn es weder ums Allgemeinwohl geht noch um objektiv benennbare Ziele, obsiegt das Werben mit individuellen Merkmalen und persönlichen Vorzügen. Politiker sorgen nicht für „soziale Gerechtigkeit“, sie vergeben Wahlgeschenke.
Die arbeitende Mittelschicht, längst in der Minderheit, spielt in diesem Kalkül keine Rolle. Doch bei diesen allseits Vergessenen reagiert man darauf keineswegs mit lautem Protest. Die deutsche Mittelschicht ist ein eigenartiges Wesen, eher zurückhaltend als auftrumpfend, eher depressiv als leistungsfroh. Sie orientiert sich nicht nach oben, da sie sich keine Hoffnung auf Aufstieg macht, sondern sorgt sich vorausschauend ums soziale Netz, damit es auch sie einmal auffangen kann. Auch deshalb ist bei ihr ein Ressentiment gegen Hartz IV-Empfänger selten zu finden.
Zwar wäre der Mittelschicht im Grunde gedient mit der konsequenten Umsetzung des Satzes: „Leistung muß sich wieder lohnen“. Doch Leistung ist hierzulande längst nicht mehr das, was man tut, sondern was man empfängt. Wir sind ein Land der Leistungsempfänger.
Der Affekt gegen „Leistungsträger“ aber ist mächtig. Dabei ist es kein Affront gegen Hilfsbedürftige, wenn man darauf besteht, daß Arbeit „sich lohnen“ soll – sondern die Warnung vor der Entmutigung jener, die es noch tun. Entmutigung aber sind sie gewohnt. Die gebetsmühlenhaft klappernde Warnung vor Gier und Selbstsucht begleitet sie seit Kindesbeinen. Dabei ist der Egoismus des Individuums seit Menschengedenken eine mächtige Produktivkraft. Zu Leistung ist nur bereit, wer sie sich auch zumessen und ihre Früchte genießen darf. Paternalismus (was einer schafft, wird an alle verteilt) ist, siehe Afrika, die beste Methode, ein Land an den Bettelstab zu bringen. Wir sind auf einem guten Weg dahin.
Denn auch zu einer gemeinschaftlichen Anstrengung kann man sich hierzulande nicht aufraffen. Menschen kämpfen für das, was ihnen wichtig ist. Aber was ist den Deutschen wichtig? Jahrzehntelang haben sie sich jede Wertschätzung ausgetrieben für die eigene Leistung oder alles mögliche andere, was in die gefährliche Ecke „Nationalstolz“ führen könnte. Deutschland? Interessiert uns nur während der Fußballweltmeisterschaft.
Wir kämpfen nicht, weil nichts sich lohnt. Weil jeder Herausforderung der Stachel genommen ist. Der bevormundende Staat hat längst begonnen, die menschliche Produktivkraft zu zerstören, die doch sein Überleben sichert.
Wie man mit einer Gesellschaft, von der eine Mehrheit keine produktive Zukunft hat und der Rest vorausschauend zukunftsmüde ist, künftige Herausforderungen meistern will, bleibt das Geheimnis einer Regierung, die es versäumt hat, ihre Arbeit zu tun.
DeutschlandRadio, Politisches Feuilleton, 20. Juli 2010
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