Sonntag, 19. August 2012
Stürmchen der Würmchen
Liebe Männer,
könnt ihr eure Kontroversen nicht wieder so wie früher austragen? Verabredung im Morgengrauen, Pistole oder Säbel, ein Stoß, ein Schuss – fertig? Statt dessen Angriff aus dem Hinterhalt in pseudonymer Vermummung. Geht’s noch?
Die Rede ist von einem Autor, hinter dessen schwedischem Pseudonym, so stand es in der „Welt“, ein Feuilletonchef namens Thomas St. steckt, der in seinem Krimidebüt womöglich einen bekannten Feuilletonherausgeber namens Frank Sch. meuchelt und die Leiche, als letzte Demütigung, den Aasfressern vorwirft. Also eigentlich ein Feuilletonstreit. Aber heute wird ja gleich ein Krimi draus. Warum nur? Weil man im Genreroman sämtliche zivilisatorischen Hüllen fallenlassen und sich dem Blutrausch hingeben darf? Endlich mal Schwein sein? Oder nennt sich die Sache Krimi, weil der sich bekanntlich entschieden besser verkauft als eine Kolportage aus dem bewegten Leben im deutschen Feuilleton, geschmückt mit kulturpessimistischer Kapitalismuskritik?
Warum sich ein deutscher Autor besser hinter einem schwedischen Pseudonym versteckt, ist dabei das kleinste Rätsel, auch wenn es bislang niemand hat lösen können: kaum steht ein nordlichternder (neuerdings auch französischer) Autorenname auf dem Titel, verkauft sich das Buch in Deutschland wie geschnitten Brot. Ware von deutschen Krimiautoren geht nicht annähernd so flott raus. Dem real existierenden Qualitätsprodukt „deutscher Kriminalroman“ hilft das Verasmussen und Verlarsonnen natürlich gar nicht. Und dem Krimi als solchem tut es gewiss nicht gut, dass er neuerdings der Lastesel für alle ist, die schon immer mal was loswerden wollten.
Mal ehrlich: Wird das Genre nicht schon genug missbraucht? Wer hat sich nicht schon alles daran „mal ausprobiert“– als Verleger oder Anwalt oder Fernsehmoderator? Oder als E-Literat, der sein Ausprobieren vorauseilend „Schundroman“ genannt hat? Gleiches Recht für alle: auch mein Zahnarzt weiß seinen eigenen Krimi zu erzählen – gottlob hat er keine Zeit zum Aufschreiben. Der Leser dankt. Denn der hat langsam die Nase voll von der Resterampe namens Krimi.
Die Büchertische biegen sich unter all den Serienmörder- und Kinderschänderschinken mit versoffenen Kommissaren oder Sex-and-The-City-Ermittlerinnen, ergänzt von knödeligen Dorfkrimis mit dödeligen Dorfbullen. Und jetzt scheint das Genre auch noch für die windigen Rachegelüste beleidigter Hochfeuilletonisten herhalten zu müssen. Verblendung! Verdammnis! Verdummung?
Ja, doch, dafür spricht einiges. Offenbar halten deutsche Buchverlage kein Werk mehr für verkäuflich, das sie nicht mit einem branchenerschütternden Geheimnis oder wenigstens mit einem feuchten Skandälchen garnieren können. Für den Krimi heißt das: aus sich heraus überzeugt er nicht mehr. Das Genre liegt im Wachkoma, die Story ist egal, das Handwerk zählt nicht. Der Krimi hat seinen Schweinezyklus vollendet. Er ist die Restmülldeponie gescheiterter Literaten geworden, die auch mal mit den Schmuddelkindern spielen wollen, Spielfeld von Werbetextern und Marketingspezialisten, Hinterhof für literarische und sonstige Hütchenspieler. Also, liebe Leser: Augen auf beim Krimi-Kauf! Was da mit appetitlichem Autorenfoto wirbt, stammt womöglich gar nicht von einem sexy Schweden, sondern einem rotweingeschwängerten Lohnschreiber. Und hinter dem frischen Franzosen steckt, wer weiß, ein gut abgehangener Verleger aus Mittelhessen. Alles fake, alles gar nicht wahr, der Autor ist tot – die Piraten wissen das schon länger. Nur wir Autoren haben es womöglich immer noch nicht begriffen.
Insofern steht das Stürmchen im Wasserglas womöglich für das Zeichen an der Wand, das wir entziffern sollten. Wenn sich Verleger und Literaturkritiker künftig ihre Bestseller selbst schreiben – steckt hinter Jean-Luc Bannalec nicht Jörg Bong vom Fischer-Verlag? – dann brechen harte Zeiten an für uns ganz normale, bienenfleißige Krimiautoren mit den sperrigen deutschen Namen. Wir Ehrlichen, wir Dummen, die noch an die Story und das Handwerk glauben. Und die, egal, wie gut sie sind, nicht darauf hoffen dürfen, von Verlag und Feuilleton in die Bestsellerlisten gepuscht zu werden.
Ja, da geht selbst uns für ein paar Minuten unser mörderisch guter Humor aus: Was manch kritischer Mensch den Finanzmärkten ankreidet, scheint in der Buchbranche nicht weiter despektierlich zu sein. Was man in der Wirtschaft Insidergeschäfte nennt, und was dort verboten ist, scheint erlaubt, wenn es sich um Literatur handelt. Denn es ist nichts als ein Insidergeschäft, wenn Verleger und Literaturkritiker in schöner Eintracht selbst die Bestseller schreiben, die sie with a help from our friends in den Markt pressen. Sollte sich „Sturm“ als richtig steiler Titel entpuppen, sei’s verziehen. Wenn nicht, hat der Verlag in ein gutes Verhältnis zur Süddeutschen Zeitung investiert.
Wären wir Kulturpessimisten, hielten wir das eh schon angeschlagene Vertrauensverhältnis zwischen Verlagen und Autoren für endgültig zertrümmert. Macht ihr eure Insidergeschäfte – wir machen uns, mit dem E-Book, selbständig. War eine nette Zeit mit euch.
Für den Krimi aber heißt seine kalkulierte Kannibalisierung, dass wahrhaftige Liebhaber ihn ganz beiseite legen werden, vielleicht für viele Jahre. Bis die Zeit wieder gekommen ist für eine Neuentdeckung des Kriminalromans, der, bevor er in die Hände von Spekulanten geriet, eine großartige Literaturgattung war.
Cora Stephan hat unter dem Pseudonym Anne Chaplet zehn (auch preisgekrönte) Kriminalromane veröffentlicht und die längste Zeit kein Geheimnis draus gemacht. Literaturkritiker sind ihr bislang nicht zum Opfer gefallen.
Gekürzte Version in: Literarische Welt, 18. August 2012
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