Warum ist links, "wo das Herz schlägt“, also warm und gut, liberal hingegen kühl, „verkopft“ und irgendwie unmenschlich? Das kommt einem beim Blick in die Geschichte nicht nur unlogisch, sondern geradezu herzlos vor. Sozialistische Experimente in der Sowjetunion, in China, in Korea oder Kambodscha haben Millionen an Menschenopfern gekostet, und immer noch gilt die „Idee“ als irgendwie richtig, auch wenn die Ausführung zu wünschen übrig ließ? Und was ist „warm“ am Marxismus, an diesem grauen hochaufgetürmten Theoriegebäude, das nur mit erheblichem Abstraktionsvermögen, aber gewiss nicht mit menschlicher Wärme zu erfassen ist? Was ist „fortschrittlich“ an einem linken Dogmatismus, der keinen abweichenden Gedanken zulässt? Und warum müssen Liberale sich das Prädikat „mitfühlend“ zulegen – weil es ihnen niemand glaubt, wenn sie es nicht extra erwähnen? Ja, den Liberalen fehlen die „Pathosformeln“ – positiv formuliert: sie werfen nicht mit Nebelkerzen.
Der olle Spruch „Wer mit 20 nicht links war, hat kein Herz, wer es mit 30 immer noch ist, keinen Verstand“, erklärt zwar nicht die vielen linken Terrorgreise der Geschichte, aber er löst womöglich einen Teil des Rätsels: idealistische Jugend möchte Gerechtigkeit. Ich wollte das als Dreizehnjährige auch und fand es herzlos, dass mein Vater, Landgerichtsrat liberaler Prägung, mich mit dem Satz abspeisen wollte: „Gerechtigkeit gibt es nicht, höchstens ein Urteil nach Recht und Gesetz.“ Als Bärbel Bohley nach der „Wende“ enttäuscht rief, sie habe Gerechtigkeit erwartet, aber den Rechtsstaat bekommen, konnte ich darüber längst lächeln und „glücklicherweise“ sagen.
Doch seit der Wiedervereinigung geht es in Deutschland nicht liberaler zu, im Gegenteil: seit Angela Merkel die Wahl gegen Gerhard Schröder 2005 nur knapp gewann, wird Politik im Wohlfühlmodus betrieben. Denn was war die Bazooka, mit der Gerhard Schröder die Kanzlerin beinahe geschlagen hätte? Sie nannte sich „Projekt Wärmestrom“, ihre Projektile hießen Solidarität, Menschlichkeit, Gerechtigkeit, die dem „kalten“ Marktliberalismus, den Angela Merkel damals noch pflegte, entgegengeschleudert wurden. Das hat sich die Kanzlerin gemerkt – und das haben wir nun davon. Oben moralisierende Symbolpolitik, unten die Müllhalde gescheiterter Großprojekte zum Wohle der Menschheit (der Frauen, der Umwelt, des Globus). Und dafür schlägt das Herz? Der Kopf schüttelt sich.
Der erzliberale Buchautor und FAZ-Redakteur Rainer Hank hat über das Phänomen „Links, wo das Herz schlägt“, ein Buch geschrieben, und wer sich bislang als Konvertit zum Liberalismus allein gefühlt hat, darf sich beruhigt zurücklehnen: auch Rainer Hank war mal einer von denen, die er heute zu seinen Feinden zählt – ein Linker, so ein bisschen nach Herz-Jesu-Art, als ehemaliger Ministrant. Und als gelernter Theologe geht er mit dem eigenen und dem Irrtum anderer durchaus liebevoll um, hier wird nicht, mit Renegatenfuror, scharf abgerechnet und polemisiert.
Nein, es ist viel schlimmer. Hank möchte dem linken Mainstream sein Liebstes wegnehmen: den Glauben, links sei gerecht, solidarisch, menschlich und gut. Denn der Liberalismus ist in seiner Geschichte nicht nur mit entschieden weniger Menschenopfern ausgekommen, er verfügt auch über die besseren Lösungen für die Frage aller Fragen: wie können wir dafür sorgen, dass es sowohl gerecht als auch frei zugeht im Zusammenleben?
Uns bessern und gute Menschen sein? Das ist die Antwort der „Gutmenschen“, wie boshafte Liberale den linken Mainstream nennen. Doch Gerechtigkeit ist keine Frage der individuellen Moral, die ist Privatangelegenheit, und am Gutmenschentum stören nicht die guten Menschen, sondern die Weigerung, auch die womöglich und wahrscheinlich unerwünschten Folgen einer guten Tat zu bedenken.
Gleiche Löhne für gleiche Arbeit? Damals, kurz nach der Wende, als es die DDR noch gab, waren im deutschen Westen alle gutwilligen Kreise dafür, dass das östliche Lohnniveau dem westlichen lieber gestern als heute angeglichen wurde, egal, ob das die Produktivität der sich gerade erst wieder entwickelnden Betriebsamkeit erlaubte – die nicht nur, aber auch daran schnell zugrunde ging. Dass man den Menschen in der DDR damit einen wenn auch vielleicht nur befristeten Wettbewerbsvorteil nahm, hatten nur die westdeutschen Gewerkschaften begriffen, wo man nicht daran dachte, sich von den Brüdern und Schwestern die Butter vom Brot nehmen zu lassen. Egoismus also, der unter falscher Flagge segelte.
Ähnlich der Mindestlohn, auch er dient weniger dem Schutz jener, die von unten in den Arbeitsmarkt hineindrängen und dazu jede Chance ergreifen, sondern dem Schutz der Arbeitsbesitzenden vor Konkurrenz.
Aber gegen Kinderarbeit sind wir doch alle? Nein. Es ist, etwa in Bangladesch, ein Weg hinaus aus der Armut. Ein Verbot der Kinderarbeit tut unseren warmen Herzen gut, schadet aber den Kindern in der Dritten Welt, denen doch eigentlich geholfen werden soll.
„Es ist so einfach, gut zu sein – solange man sich weigert, die ungeliebten Konsequenzen einer Moral des warmen Herzens zur Kenntnis zu nehmen.“ Dabei haben wir das doch eigentlich bereits in der Schule gelernt, dass man den Satz des Mephisto besser umkehrt – und vor der Kraft warnt, die stets das Gute will und doch das Böse schafft. Dass jeder Eingriff, so gut er auch gemeint sein mag, unerwünschte Folgen haben kann, ist in der Naturwissenschaft unbestritten – nur dort nicht, wo es um das geht, was „das Soziale“ heißt und was nicht selten lediglich gut getarnte Abhängigkeit bedeutet.
Warum ist es so schwer, das Mumbojumbo der Menschheitsretter zu durchschauen und das Menschenfreundliche des Liberalismus zu erkennen? Rainer Hank gibt einen wichtigen Hinweis, der für seine und meine Generation der in den 70er Jahren politisch Sozialisierten womöglich ganz entscheidend ist: Chiles Diktator Augusto Pinochet holte 1973 liberale Ökonomen, um das wirtschaftlich bettelarme Land zu reformieren. Das Bündnis mit einem reaktionären Regime, Wohlstand also ohne Freiheit, bekam der liberalen Idee schlecht.
Und dann ist da noch eine wortmächtige Kaste, der diese ganze liberale Skepsis nicht passt, so karg und vernunftgesteuert, wie sie daherkommt, ganz ohne wehenden Talar und wenigstens ein bisschen Pathos: die Intellektuellen, jene öffentlichen Mandarine, die, mit der ganzen „Anmaßung des Wissens“ (Hayek) ihre „paternalistische Praxis als moralischen Auftrag“ begreifen. Ihnen ist das Besetzen der Begriffe bestens gelungen, sie sind die kaum getarnten Ablassprediger, die ihrem Publikum, mit der Apokalypse drohend, die Taler aus der Tasche ziehen. Sie sind die Propheten eines wuchernden Steuerstaates geworden, der alle, die seinen höheren moralischen Auftrag nicht würdigen, passenderweise als „Sünder“ bezeichnet.
Doch in diese Kirche muss man nicht gehen. Hinter dem Nebel der Wohlfühlfloskeln liegt klarer Himmel. Man nennt das Aufklärung.
Zuerst in: Wirtschaftswoche, 17. März 2015,
Sonntag, 22. März 2015
Dienstag, 3. März 2015
Euroland ist abgebrannt
„Wir als Deutsche“ – klar: das darf in keiner Rede fehlen, in der die deutsche Regierung das renitente Staatsvolk zu irgendetwas überreden will. Auf dem Fuße folgt das Wieselwort „Solidarität“, das ist mindestens so wirksam wie der Appell an die „Menschlichkeit“. Wer will schon ein unsolidarischer Unmensch sein?
Niemand, vor allem hierzulande nicht. Und deshalb hat vieles auch außerhalb des Parlaments eine Mehrheit, was ökonomisch widersinnig sein mag. Die „Rettung“ Griechenlands gehört dazu. Jeder mit ein bisschen Gefühl möchte „den Griechen“ helfen, zumal „die Deutschen“ (mit ihrer Vergangenheit, klar). Erbarmen fordern daher nicht nur diejenigen, die den Lederjackencharme von Alexis und Yanis unwiderstehlich finden – frisch, frech und sexy. (Über Geschmack lässt sich ja nicht streiten.) Doch gerade den notleidenden Griechen wird eine weitere Verlängerung der Agonie nicht helfen – mal abgesehen davon, dass Erbarmen gewiss nicht der primäre Beweggrund der Euro-Elite ist. Im Falle Griechenland hilft jeder vor allem sich selbst.
Die Debatte im Bundestag darüber war unter Niveau, aber immer noch besser als jene, in der sich damals die FDP als Opposition erledigt hat. Diesmal muss man es einigen CDU-Abgeordneten danken, dass das deutsche Parlament nicht völlig ohne Opposition dastand. Genau das wird der Grund gewesen sein, warum man diesmal Widerspruch zuließ, das macht sich einfach besser. Ja, soviel Zynismus darf man unseren Politikern durchaus zutrauen. Doch selbst der CDU-Politiker und „Abweichler“ Klaus-Peter Willsch hat am Thema vorbeigeredet, denn die Pointe zündete nicht, dass wohl niemand von der griechischen Regierung einen Gebrauchtwagen kaufen würde – wozu auch? Als Autohändler brauchen wir die Griechen nicht.
Im Ernst: es geht doch längst um etwas anderes. Der Euro hat Europa augenscheinlich nicht nur nicht geeint, er hat es auch nicht, wie verkündet, zu einem mächtigen global player gemacht. Die Kosten dieses politischen Experiments zum Nachteil der ökonomischen Vernunft sind unüberschaubar, aber eines zeichnet sich bereits jetzt ab: von Krise zu Krise geht Vertrauen verloren. Das schwindende Vertrauen in die Demokratie ist bedenklich genug. Doch das Fundament einer gedeihenden Gemeinschaft besteht nicht nur darin, dass seine Mitglieder regelmäßig zur Wahl gehen – auch die Demokratie kann schließlich abgewählt werden. Jüngst hat die „Arabellion“ ihren begeisterten Zuschauern im Westen diesen Zahn gezogen. Die Basis des friedlichen Zusammenlebens und von wirtschaftlichem Erfolg besteht weit mehr noch aus Vertragssicherheit, Rechtsstaatlichkeit, funktionierenden Institutionen. In Euroland aber regiert mittlerweile der Vertragsbruch.
Was „die Griechen“ betrifft, so sind sie so wenig schuld am Desaster wie „die Deutschen“ – es ist schon seltsam, wie beliebt nationale Klischees neuerdings wieder sind. Wenn wir anständigerweise zwischen Regierung und Bevölkerung unterscheiden, dann wird man „den“ Griechen die Herrschaft raffgieriger Familienclans seit Beginn der souveränen staatlichen Existenz im Jahre 1830 nicht vorwerfen können. Und wer möchte ernstlich Steuerehrlichkeit gegenüber einem korrupten Staatswesen empfehlen? Vor allem aber fehlt Rechtssicherheit in einem für wirtschaftliches Gedeihen ganz entscheidenden Punkt: noch heute hat Griechenland keine Rechtssicherheit, was das Grundeigentum betrifft, da es kein verlässliches Katasterwesen gibt. „Es bewahrt vor Willkür und Korruption. Ohne ein Kataster investieren keine Unternehmen. Ohne ein Kataster fließen keine Agrarsubventionen. Es ist die Bedingung für eine funktionierende Marktwirtschaft“, analysiert Richard Fraunberger.
Daran ändern die „Hilfen“ für Griechenland auf absehbare Zeit nichts. Dafür hat das Gezacker um die Euromitgliedschaft des Pleitestaates unübersehbaren Flurschaden bei den „Helfern“ angerichtet. Dass Deutschland und Frankreich die ersten waren, die gegen die Maastricht-Kriterien verstoßen haben, dass die ganze „Rettungspolitik“ auf Vertragsbruch basiert und an den nationalen Parlamenten und der Bevölkerung vorbeigewinkt wird – all das hat Vertrauen zerstört, Konkurrenz durch neue Parteien, die dann gern als „rechtspopulistisch“ abgewatscht werden, war die Folge.
Vor allem aber haben Alexis und Yanis, sexy, frisch und jung, wie sie sind, die Euroelite nach Strich und Faden vorgeführt: sie haben gezeigt, dass Euroland erpressbar ist.
Kühl kalkuliert sind es zwei Aspekte, mit denen man die Euroelite unter Druck setzen kann. Zum einen könnte ein Grexit, die vom Standpunkt ökonomischer Vernunft beste Lösung, das Scheitern des ganzen Euro-Projekts nach sich ziehen, eine unendliche Blamage für ein Politpersonal, dass seine Bevölkerung jahrelang mit dem Versprechen goldener Zeiten an der Nase herumgeführt hat.
Der zweite Aspekt: nach dem Ende der Blockkonfrontation und der Friedhofsruhe der bipolaren Welt ist Bewegung ins internationale Spiel gekommen. Die USA ziehen sich zurück, Russland unter Putin prescht in imperialer Absicht vor. Wie zur Zeit des kalten Krieges haben Staaten wieder die Wahl zwischen zwei Blöcken, ist das Dominospiel wieder möglich, jene Theorie der Eskalation, die damals die USA in Abenteuer wie das Engagement in Vietnam gezogen hat. Fällt Griechenland aus dem Einfluss des Euroraums heraus, folgt es den Schalmeientönen Putins, wozu einige führende Mitglieder der griechischen Syriza aus vergangenen und gegenwärtigen Sympathien neigen, dann bricht ein Steinchen aus einem eh schon brüchigen Konstrukt. Europa ist so mächtig nicht, wie es gern wäre. Manch einer wird es daher vorziehen, die Treue der griechischen Regierung zu kaufen.
Damit nun allerdings bricht endgültig das ökonomische Argument zusammen: it’s the politics, stupid, again and again
.
Yanis Varoufakis hat frisch und frech ausgeplaudert, was in den jüngsten Verhandlungen um eine Verlängerung der „Hilfe“ als Gesichtswahrung gedacht war: man hat alles schön unbestimmt formuliert, um den Parlamenten im Euroraum die Zustimmung zu erleichtern. Denn man ist in einer ausweglosen Situation. Die europäischen Staatsmänner und –frauen sind verstrickt ins eigene Konstrukt, das ihnen ihre Vorgänger eingebrockt haben, angewiesen auf einen Zusammenhalt, der längst Papiertiger ist: Europa sei nur gemeinsam mächtig. Der Euro hat sich als der falsche Weg dahin erwiesen.
Wirtschaftswoche Online, 3. März 2015
Niemand, vor allem hierzulande nicht. Und deshalb hat vieles auch außerhalb des Parlaments eine Mehrheit, was ökonomisch widersinnig sein mag. Die „Rettung“ Griechenlands gehört dazu. Jeder mit ein bisschen Gefühl möchte „den Griechen“ helfen, zumal „die Deutschen“ (mit ihrer Vergangenheit, klar). Erbarmen fordern daher nicht nur diejenigen, die den Lederjackencharme von Alexis und Yanis unwiderstehlich finden – frisch, frech und sexy. (Über Geschmack lässt sich ja nicht streiten.) Doch gerade den notleidenden Griechen wird eine weitere Verlängerung der Agonie nicht helfen – mal abgesehen davon, dass Erbarmen gewiss nicht der primäre Beweggrund der Euro-Elite ist. Im Falle Griechenland hilft jeder vor allem sich selbst.
Die Debatte im Bundestag darüber war unter Niveau, aber immer noch besser als jene, in der sich damals die FDP als Opposition erledigt hat. Diesmal muss man es einigen CDU-Abgeordneten danken, dass das deutsche Parlament nicht völlig ohne Opposition dastand. Genau das wird der Grund gewesen sein, warum man diesmal Widerspruch zuließ, das macht sich einfach besser. Ja, soviel Zynismus darf man unseren Politikern durchaus zutrauen. Doch selbst der CDU-Politiker und „Abweichler“ Klaus-Peter Willsch hat am Thema vorbeigeredet, denn die Pointe zündete nicht, dass wohl niemand von der griechischen Regierung einen Gebrauchtwagen kaufen würde – wozu auch? Als Autohändler brauchen wir die Griechen nicht.
Im Ernst: es geht doch längst um etwas anderes. Der Euro hat Europa augenscheinlich nicht nur nicht geeint, er hat es auch nicht, wie verkündet, zu einem mächtigen global player gemacht. Die Kosten dieses politischen Experiments zum Nachteil der ökonomischen Vernunft sind unüberschaubar, aber eines zeichnet sich bereits jetzt ab: von Krise zu Krise geht Vertrauen verloren. Das schwindende Vertrauen in die Demokratie ist bedenklich genug. Doch das Fundament einer gedeihenden Gemeinschaft besteht nicht nur darin, dass seine Mitglieder regelmäßig zur Wahl gehen – auch die Demokratie kann schließlich abgewählt werden. Jüngst hat die „Arabellion“ ihren begeisterten Zuschauern im Westen diesen Zahn gezogen. Die Basis des friedlichen Zusammenlebens und von wirtschaftlichem Erfolg besteht weit mehr noch aus Vertragssicherheit, Rechtsstaatlichkeit, funktionierenden Institutionen. In Euroland aber regiert mittlerweile der Vertragsbruch.
Was „die Griechen“ betrifft, so sind sie so wenig schuld am Desaster wie „die Deutschen“ – es ist schon seltsam, wie beliebt nationale Klischees neuerdings wieder sind. Wenn wir anständigerweise zwischen Regierung und Bevölkerung unterscheiden, dann wird man „den“ Griechen die Herrschaft raffgieriger Familienclans seit Beginn der souveränen staatlichen Existenz im Jahre 1830 nicht vorwerfen können. Und wer möchte ernstlich Steuerehrlichkeit gegenüber einem korrupten Staatswesen empfehlen? Vor allem aber fehlt Rechtssicherheit in einem für wirtschaftliches Gedeihen ganz entscheidenden Punkt: noch heute hat Griechenland keine Rechtssicherheit, was das Grundeigentum betrifft, da es kein verlässliches Katasterwesen gibt. „Es bewahrt vor Willkür und Korruption. Ohne ein Kataster investieren keine Unternehmen. Ohne ein Kataster fließen keine Agrarsubventionen. Es ist die Bedingung für eine funktionierende Marktwirtschaft“, analysiert Richard Fraunberger.
Daran ändern die „Hilfen“ für Griechenland auf absehbare Zeit nichts. Dafür hat das Gezacker um die Euromitgliedschaft des Pleitestaates unübersehbaren Flurschaden bei den „Helfern“ angerichtet. Dass Deutschland und Frankreich die ersten waren, die gegen die Maastricht-Kriterien verstoßen haben, dass die ganze „Rettungspolitik“ auf Vertragsbruch basiert und an den nationalen Parlamenten und der Bevölkerung vorbeigewinkt wird – all das hat Vertrauen zerstört, Konkurrenz durch neue Parteien, die dann gern als „rechtspopulistisch“ abgewatscht werden, war die Folge.
Vor allem aber haben Alexis und Yanis, sexy, frisch und jung, wie sie sind, die Euroelite nach Strich und Faden vorgeführt: sie haben gezeigt, dass Euroland erpressbar ist.
Kühl kalkuliert sind es zwei Aspekte, mit denen man die Euroelite unter Druck setzen kann. Zum einen könnte ein Grexit, die vom Standpunkt ökonomischer Vernunft beste Lösung, das Scheitern des ganzen Euro-Projekts nach sich ziehen, eine unendliche Blamage für ein Politpersonal, dass seine Bevölkerung jahrelang mit dem Versprechen goldener Zeiten an der Nase herumgeführt hat.
Der zweite Aspekt: nach dem Ende der Blockkonfrontation und der Friedhofsruhe der bipolaren Welt ist Bewegung ins internationale Spiel gekommen. Die USA ziehen sich zurück, Russland unter Putin prescht in imperialer Absicht vor. Wie zur Zeit des kalten Krieges haben Staaten wieder die Wahl zwischen zwei Blöcken, ist das Dominospiel wieder möglich, jene Theorie der Eskalation, die damals die USA in Abenteuer wie das Engagement in Vietnam gezogen hat. Fällt Griechenland aus dem Einfluss des Euroraums heraus, folgt es den Schalmeientönen Putins, wozu einige führende Mitglieder der griechischen Syriza aus vergangenen und gegenwärtigen Sympathien neigen, dann bricht ein Steinchen aus einem eh schon brüchigen Konstrukt. Europa ist so mächtig nicht, wie es gern wäre. Manch einer wird es daher vorziehen, die Treue der griechischen Regierung zu kaufen.
Damit nun allerdings bricht endgültig das ökonomische Argument zusammen: it’s the politics, stupid, again and again
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Yanis Varoufakis hat frisch und frech ausgeplaudert, was in den jüngsten Verhandlungen um eine Verlängerung der „Hilfe“ als Gesichtswahrung gedacht war: man hat alles schön unbestimmt formuliert, um den Parlamenten im Euroraum die Zustimmung zu erleichtern. Denn man ist in einer ausweglosen Situation. Die europäischen Staatsmänner und –frauen sind verstrickt ins eigene Konstrukt, das ihnen ihre Vorgänger eingebrockt haben, angewiesen auf einen Zusammenhalt, der längst Papiertiger ist: Europa sei nur gemeinsam mächtig. Der Euro hat sich als der falsche Weg dahin erwiesen.
Wirtschaftswoche Online, 3. März 2015
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