Donnerstag, 28. März 2013

Wenn Frauen zu viel lesen

Fernsehen mag verderblich sein. Doch schlimmer noch ist Literatur.
Dass Lesen die geistige Gesundheit gefährdet, weiß man, seit Gutenberg es demokratisiert hat. Sittsame Frauen lasen zwar lange Zeit nur die Bibel, doch schon das bedeutete, bedenkt man den Inhalt, einen Schritt ins Verderben. Geradezu katastrophale Wirkung hatte die Lektüre von Gebetbüchern, wie Gustave Flaubert am Beispiel der Landarztfrau Emma Bovary zeigte. Als Klosterschülerin verliebte sie sich in den leidenden Jesus; die Gleichnisse vom himmlischen Geliebten versetzten sie in süße Schauer. Im Alter von fünfzehn Jahren wurde die Droge stärker. Emma las Romane, in denen es von tugendsamen Herren auf hohen Rössern, Küssen, Schwüren, Gondelfahrten und schluchzenden Nachtigallen nur so wimmelte. Das Verhängnis begann, als die junge Frau nach all dem Schönen zu suchen begann - in der Wirklichkeit. Dort aber gab es keine weißen Ritter. Das Ende von Madame Bovary ist bekannt. Was blieb, war Arsen.
Lehren aus der Geschichte? Schon. Seit einigen Jahren scheint die Gefahr erkannt. Literatur von und für Frauen beugt heutzutage dem Bovary-Effekt vor. Insbesondere, wer Krimis liest, möglichst aus Schweden oder Dänemark, ist schon nach hundert Seiten gegen Irrtum gefeit. Hier gibt es keine tugendsamen Herren, hier sind Männer Schweine, die zur Strecke gebracht werden müssen. Das Böse ist männlich. Das Böse muss sterben.
In meiner Arbeit als Jurorin beim Deutschen Kurzkrimipreis habe ich diesen Eindruck bestätigt gefunden. Das Gros der eingesandten Arbeiten kreiste nur um eines. Kurzgeschichtenschreibende Frauen haben unendlich viel Spaß daran, Männer umzubringen. Manchmal einfach nur so, in der Tradition Ingrid Nolls: will ja nur spielen. Manchmal aus frommer Lust an der Bereicherung - als Witwe, das ist bekannt, lebt es sich gänzlich ungeniert. Und immer öfter in höherem Auftrag: so etwa, wenn sich eine Truppe patenter Freundinnen zusammentut, um die geschlagene, entwürdigte, entrechtete und geknechtete Freundin von ihrem gewalttätigen Gatten zu befreien. Der Trend ist eindeutig. Männer werden ihrer gerechten Strafe zugeführt, mehr und mehr per Lynchjustiz, denn es herrscht die Überzeugung vor, dass der Rechtsstaat (vulgo: das patriarchalische System) zu „Gerechtigkeit“ oder wenigstens einem ordentlichen Verfahren nicht in der Lage ist. Henning Mankell lässt grüßen.
Dieses Muster taucht nur wenig variiert in Büchern auf, die es auf die Spiegel-Bestsellerliste geschafft haben, woraus man schließen muss, dass es auch bei den Leserinnen beliebt ist. Es sind ja nunmal Frauen, die jene Bücher kaufen, die Männer nicht lesen. Mir jedenfalls ist noch kein Mann begegnet, der seine Lesefreude daran zugegeben hätte, so dass ich noch immer auf Antwort warte auf die Frage: wie fühlt man sich eigentlich nach der Lektüre von Männer-schlagen-Frauen-und-missbrauchen-Kinder-Romanen? Oder nach dem zigsten Tatort darüber? Lässt euch das kalt? Oder macht ihr vorsichtshalber bei jedem #aufschrei mit, damit alle wissen, dass ihr anders als die anderen seid?
Beim neuesten Bestseller von Nele Neuhaus, „Böser Wolf“, geht es um Kinderschändung, zu der sich Männer aus den besten Kreisen der Gesellschaft verschwören. In Camilla Läckbergs friedlich-freundlich betiteltem Krimi „Der Leuchtturmwärter“ geht es um etwas, das im schwedischen Fjällbacka offenbar Tradition hat: um Frauenmisshandlung, die mindestens jede zweite Frau des ansehnlichen Romanpersonals erdulden musste. Alternativ: Missbrauch, als Kind. Oder beides. Auch hier scheint nur Eigeninitiative der Opfer zu helfen, denn die halbwegs netten Männer sind so, wie einer der ihren heißt: Matte.
Dass es solche Verbrechen und solche Verbrecher gibt – keine Frage. Thema für einen Krimi? Gewiss doch. Aber die Sache scheint sich zum Trend auszuwachsen, der weit über die Kriminalitätsstatistik hinausschießt. Heißt das was? Und wenn ja – was genau?
Überraschende Erkenntnis: ein Dauerbestseller passt auf den ersten Blick gar nicht, auf den zweiten um so besser zu den Krimis auf dem Nachttisch – Shades of Grey, Softporno und Romanze in einem. Der Roman erzählt mitnichten von der weiblichen Lust an der Unterwerfung und männlicher Dominanz, er erzählt ganz im Gegenteil von der Umerziehung des Biestes zum überirdisch perfekten Liebhaber: niemand macht es so gut wie der reiche, schöne und auch ansonsten perfekte Mr. Grey. Shades of Grey ist die ultimative Kampfansage an den Mann.
Im Krimi wird er als Monster umgebracht. In Shades of Grey wird er umerzogen. Gefährlicher für den Mann als die mörderische ist die erotische literarische Phantasie. Der Mann zwischen Verteufelung, Verachtung und Überforderung: wenn Frauenlektüre Gebrauchsanweisung wäre, hätte die Beziehung zwischen Mann und Frau keine Chance mehr.
Hat Flaubert in seiner „Madame Bovary“ den Einfluss der die weibliche Phantasie stimulierenden Literatur überschätzt? Aber sicher doch. Heute verwechselt natürlich keine Leserin mehr den Roman mit der Wirklichkeit. Und wenn doch?


Aus Literarische Welt, 30. 3. 2013

Samstag, 16. März 2013

Das öffentlich-rechtliche Sturmgeschütz

“In Deutschland gründet sich gerade eine neue Partei, die Alternative für Deutschland, deren Hauptziel eine Auflösung der Währungsunion in ihrer gegenwärtigen Form ist. Darüber wird bislang im öffentlich-rechtlichen Fernsehen nicht berichtet, wohl aber auf der Website der Tagesschau, so geschehen am 12. März. Ohne näher auf die (absolut verfassungskonformen) Ziele der Partei einzugehen, wird sie dort als rechtspopulistisch und in der Nähe des Rechtsextremismus eingestuft und heftig gegen sie polemisiert. Das Interessanteste ist aber die anschließende Diskussion des Artikels im Forum der Website: Nach etwa 150 Kommentaren, von denen die meisten positiv zur neuen Partei und befremdet über die Polemik Stellung nehmen, schließt der Moderator das Forum; alle Argumente seien ausgetauscht, heißt es da. Man kann zu der neuen Partei stehen, wie man will. Aber das das staatliche Fernsehen Propaganda der übelsten Sorte betreibt, ist widerwärtig. Man hätte es eher dem iranischen Staatsfernsehen zugetraut, zumal die Tagesschau-Website ja mit einer “Demokratieabgabe” finanziert wird. Der Begriff bekommt eine ganz neue, geradezu “volksdemokratische” Dimension.”
Freytag in der Wirtschaftswoche

Die Volten, die Patrick Gensing hier schlägt, sind in der Tat atemberaubend:
Tagesschau

Und was sich alles so Experte nennt! Alexander Häusler jedenfalls hält auch auf glatter Fahrbahn Richtung: hier.
Immer schön nach links

Donnerstag, 14. März 2013

Alternative für Deutschland

Na klar, die Piraten haben mehr Spaß gemacht. Nicht der Nerds und Sandalenträger wegen, Medienmenschen mochten die ansehnlichen Piratinnen. Und vor allem konnte man sich einbilden, mit den Piraten der Jugend auf der Spur zu sein.
Das hat die „Alternative für Deutschland“ nicht zu bieten. Gepflegte ältere Herren mit korrektem Schuhwerk und eine Minderheit ebensolcher Damen prägten das Bild während der Auftaktveranstaltung der frisch gegründeten Partei in Oberursel. Doch die hatten das Taunusstädtchen für kurze Zeit an den Rand des Zusammenbruchs gebracht, nicht durch Demonstrationen, sondern durch Kolonnen von Mittelklassewagen auf der Suche nach einem legalen Parkplatz. So sittsam sind die Rebellen von heute. Ich entschied mich nach einem längeren Autokorso für einen illegalen.
Die Stadthalle Oberursel war mit schätzungsweise 1200 Besuchern überfüllt. Und obzwar man unter den Anwesenden überwiegend CDU- und FDP-Wähler vermuten durfte, knisterte die Spannung. Aufbruch! Wann, wenn nicht jetzt? Applaus und Pfiffe wie einst beim Teach-In 1968. Wutbürger unterwegs? Oder Alt-68er, die sich mit dem Aufstand noch auskennen?
Es sollte ursprünglich nur eine Diskussionsveranstaltung zwischen Konrad Adam und Alexander Gauland, Beatrix von Storch und Joachim Starbatty werden, zwischen zwei konservativen Publizisten also, einem von Beginn an eurokritischen Ökonomen und der Vorsitzenden der „Zivilen Koalition“, die erfolgreich gegen die „Altparteien“ mobilisiert. Statt dessen gab es die begeistert beklatschte Auftaktveranstaltung einer neuen Partei: „Die europäische Schulden- und Währungskrise hat viele Menschen davon überzeugt, dass die Altparteien zu einer nachhaltigen, transparenten, bürgernahen, rechtsstaatlichen und demokratischen Politik nicht imstande oder nicht willens sind. Wir formulieren Alternativen zu einer angeblich alternativlosen Politik“, heißt es im Programm.
Altparteien? Nachhaltig? Bürgernah? Alternativ? Vokabeln aus der Schublade aller alternativ Bewegten der letzten 30 Jahre. Ein Signal an jene Protestwähler, die einst Piraten wählten? Aussichtsreicher ist, dass die Neo-Alternativen mit ihren beiden eher konservativen Frontmännern Adam und Gauland bei der CDU abräumen. Nicht auszuschließen, dass die Neuen der FDP den Todesstoß versetzen, falls es dessen noch bedarf. Gut möglich, dass man nicht zuletzt die größte Partei von allen zu mobilisieren vermag: die Nichtwähler.
Wer nach der Stimmung in Oberursel geht, könnte ans Gelingen glauben. Sicher, die „Alternative“ ist mit ihren konservativen Häuptlingen Adam (71) und Gauland (72) nicht gerade das Flaggschiff der Jugend. (Die stellt allerdings auch nicht die Masse der Wähler.) Und die Vielzahl von Professoren unter den Erstunterstützern legt den Schimpfnahmen „Professorenpartei“ nahe – wir erinnern uns an den Wahlkampfschlager von einst: „Professor aus Heidelberg“. Doch der dritte Häuptling hat wenig akademisch-Steifes an sich, obwohl Bernd Lucke Ökonomieprofessor in Hamburg ist. Eloquenz, Selbstironie und jungenhafter Charme machen den 50jährigen zu jemandem, der das nötige Charisma liefern könnte.
Es mag der „Alternative“ an Optik fehlen und am Charme eines großspurigen „Projekts“ wie der „liquid democracy“. Doch sie liefert etwas, was die auf Gefühl getrimmten „Altparteien“ nicht mehr im Angebot haben: gute und gut begründete Argumente. Es dürfte eine nicht geringe Anzahl von Wählern geben, die das Menscheln der politischen Drückerkolonien und die schummrige Beleuchtung dank der zu Wahlkampfzeiten üblichen Nebelwerferei satt haben und die bemerkt haben, dass es in einigen vitalen Fragen im Bundestag keine Opposition mehr gibt. Sie dürften sich vom klaren, knappen Programm der „Alternative“ angezogen fühlen.
Auf die Eurorettungspolitik bezogen: der Bundestag hat bislang Vertragsbruch (Aufgabe der No-bail-out-Klausel und Übergang zur Transferunion) sowie Selbstentmachtung (Verzicht auf das Budgetrecht) weitgehend klaglos mitgetragen. Schließlich, so heißt es ja stets, gehe es um geheiligte Werte: Solidarität, Europa, Frieden. Dabei entgeht keinem aufmerksamen Beobachter, dass der Euro Europa nicht zusammengeführt, sondern die Beziehungen in der Eurozone bis zur Feindseligkeit verschlechtert hat. Die wahren Verhältnisse liegen unter einem Dunst vom Newspeak: da wird als „Solidarität“ (mit den Griechen etwa) verkauft, was höchstens den Banken und der Nomenklatura nützt. Und in der Gleichung „der Euro ist die EU ist Europa“ kommt dem Euro alles zugute, was man sich von Europa erwünscht: Frieden, vor allem. (Dabei ist die lange Friedensperiode der Nachkriegszeit eher Ergebnis des Kalten Kriegs – aber wen schert das?) Auch, dass nur ein geeintes Europa China und den USA Paroli bieten könnte, ist wenig glaubwürdig, solange sich die Mehrheit der Euroländer an der Klippe zum Abgrund bewegt. Zur Not greift man in den deutschen „Altparteien“ zum erpresserischen Manöver, Deutschland habe die Transferunion mitsamt Schuldenberg und Rechtsbruch „der Vergangenheit wegen“ hinzunehmen.
Ob die „Alternative“ in der Ecke steht, in die sie wahrscheinlich schon bald gestellt wird? Konrad Adam nennt die Auflösung des „Eurozwangsverbandes“ und damit die Freiheit für diejenigen Staaten, die nicht mehr mithalten können, eine Frage des Anstandes, das Beharren auf der Einhaltung von Gesetz und Vertrag eine Frage des Rechts, und eine Volksabstimmung für den Fall, dass das Grundgesetz angetastet wird, eine Forderung des Bundesverfassungsgerichts. Das sollten nicht nur Konservative und Liberale mittragen können. Und ist es schon „rechts“, wenn die Partei sich „Alternative für Deutschland“ nennt? Noch gibt es Bundestagswahlen. Und dort treten nunmal deutsche Parteien an.
Wenn die neue Partei es schafft, in wenigen Monaten nicht nur das für den Wahlkampf nötige Geld, die nötigen Köpfe (vielleicht auch weibliche und jüngere?) und die Stimmen zu organisieren, die sie braucht, um zur Wahl zugelassen zu werden, wird die Bundestagswahl 2013 spannend.
Und wenn sie nur dazu dient, der FDP einen Tritt in den Hintern zu versetzen, die offenbar glaubt, dass es schon reicht, wenn sie ihr Personal geordnet hat. Die großen Themen, die liberale Stimmen brauchen, zu denen neben der Eurokrise auch das „Energiewende“-Chaos gehört, hat sie anderen überlassen – zum Beispiel der neuen Partei, die sich schon deshalb als „Alternative“ anpreisen darf. Wie nennt man das noch, wenn jemand aus Angst vor dem Tod Selbstmord begeht?

Mittwoch, 13. März 2013

So macht Journalismus Spaß!

Es ist immer wieder lustig, die Berichterstattung über Angelegenheiten zu lesen, die man selbst beobachtet hat. Der junge Mann, der für das Wallstreetjournal über die erste Veranstaltung der neugegründeten „Alternative für Deutschland“ berichtete, hat mir viel Vergnügen bereitet. Dass er noch einigermaßen jung ist, weiß ich aus eigener Anschauung. Die Frage des Alters ist hier wichtig, wie man bald sehen wird…
Erste Beobachtung von Christian, wie ich ihn mal nennen will: auf die AFD „trifft zu“, was Lenin über deutsche Revolutionäre sagte: bevor sie den Bahnhof stürmen, kaufen sie eine Bahnsteigkarte. „Trifft zu“? Von Revolution war bei dieser Versammlung nicht die Rede, soweit ich es mitgekriegt habe.
Doch was ist es anders als eine Revolution, wenn die Alternativler „die Verhältnisse in Europa auf den Kopf stellen“ wollen, insistiert mein Gewährsmann? Das wäre es womöglich, wenn sie das denn wollten. Aber soweit ich das verstanden habe, wollen sie die Verhältnisse in Europa ganz konservativ in Ordnung bringen: wo Rechtsbruch herrscht (Bruch der Maastricht-Verträge), soll wieder Rechtsstaatlichkeit einkehren.
Aber das hätte dem Kollegen ja den Gag verhagelt: denn siehe da, die Anhänger der Alternative (Anhänger? War da nicht auch bloßes Publikum dabei sowie jede Menge JournalistInnen?) kommen „wenig umstürzlerisch daher“. Klar. Wenn sie doch gar keine Umstürzler sind?
Nun gut. Die wenig umstürzlerischen Revolutionäre mit den grauen Schöpfen waren in der Mehrheit. Kommen wir zum Frauenanteil der Versammlung. Der war nicht nur schmal, er wurde überdies von „Gattinnen“ gebildet. Hat der Kollege etwa alle Frauen auf ihre Gattinnenhaftigkeit überprüft? Das wäre bei 1200 Anwesenden eine steile Leistung. Und was soll der Terminus „Gattin“ signalisieren? Dass diese Frauen weder aus eigenem Antrieb noch eigenem Interesse anwesend waren? Wenn es sich um junge Frauen gehandelt hätte, müsste man Christian wohl einen Sexisten nennen. Aber bei älteren - womöglich gar kinderlosen Rentnerinnen oder pensionierten Studienrätinnen – darf man sowas ja wohl mal sagen, oder? Die kann man doch gar nicht mehr beleidigen, gell?
Halten wir dem Berichterstatter zugute, dass der Gattinnenbegriff sich aus der Behauptung erklärt, dass es „die alte Bundesrepublik“ sei, die sich hier getroffen habe, Menschen, „die Wiederaufbau und Wirtschaftswunder selbst (sic!) erlebt haben“ und die „zurück zur D-Mark“ wollen. Klar, so Leute haben Gattinnen.
Aus eigener Anschauung möchte ich dem Befund allerdings widersprechen. Die Wi-Wi-Generation findet sich eher bei den Jahrgängen 1920 ff. Was sich in Oberursel versammelte, war, zum Teil deutlich sichtbar, eher die Alt-68er Generation. Die tatsächlich einst im Mai dazugehört haben, kennen sich aus mit Aufruhr, d. h. sie wissen oft aus eigener Erfahrung, wie öde Revolutionen sind und wie schön ein respektabler Rechtsstaat sein kann.
Aber macht nix, der Punkt ist gesetzt: alte Säcke, keine schönen Piratinnen dabei, und rückwärtsgewandte Nostalgie: D-Mark! Das riecht nicht gut.
Und dann auch noch dieses: Im Saal wird gebuht, als „eine Unterstützerin aus England“ (Gattin? Von wem?) (oder gibt es „Gattinnen“ nur bei diesen reaktionären Deutschen?), als also eine Dame den Namen „Alternative für Europa“ vorschlägt, weil, so unser Beobachter, das „Deutschland“ im Namen die Initiative in die rechte Ecke stellen könnte. Das aber schert die Graubeschopften mit ihren Gattinnen nicht. Wehret den Anfängen?
Ehrlich gesagt: ich hatte das Gefühl, dass der eine oder andere Unmutslaut eher damit zu tun hatte, dass die Partei zu den Wahlen zum deutschen Bundestag antreten will und nicht zur Europawahl und dass es daher zunächst um eine Alternative „für Deutschland“ gehen muss, auch wenn die sich auf Europa segensreich auswirken könnte. Aber lassen wir das.
Denn dass die Sorge, „die falschen Leute“ anzuziehen, nicht unberechtigt sei, meint unser Beobachter, zeige sich am Ende der Veranstaltung. Da versuchte sich „die NPD als Trittbrettfahrerin“ und verteilte „Flyer in Form von wertlosen Euro-Scheinen“.
Ach, Christian. Wenn Du wüsstest, was für irrsinnige Flugblätter schon bei Versammlungen von SPD und Grünen verteilt wurden! Aber das weiß man vielleicht nicht, wenn man noch jung ist.
Ja, schon schade, dass die AFD so wenig hübsche junge Frauen zu bieten hat. Aber es war irgendwie beruhigend, dass keine Männer in Sandalen anwesend waren. Soweit ich das beobachten konnte.

Am Gängelband

"Die glücklichen Sklaven sind die erbittertsten Feinde der Freiheit." (Marie von Ebner-Eschenbach)

Er meint es gut. Und deshalb fällt es so schwer, etwas gegen ihn einzuwenden. Er will doch nur unser Bestes! Und das nimmt er sich gegebenenfalls auch, unser Vater Staat: Die Freiheit.
Der Wolf trägt einen blütenweißen Schafspelz. Die Zeit der unterdrückenden Staatsmacht ist lange vorbei. Wir haben es heute statt dessen mit einem Rundumsorglos-Paket zu tun, mit dem sich der Ammenstaat empfiehlt: Von der Wiege bis zur Bahre gegen alle Fährnisse des Lebens versichert. Vorausgesetzt, wir gehen kein Risiko ein, meiden jedes Abenteuer, rauchen nicht, trinken keinen Alkohol, haben keinen Sex mit dem Falschen, essen das aktuell als Richtige erkannte und auch das nur in Maßen – kurz: mäßigen uns, bis in die Weltanschauungen hinein. Ein selbstbestimmtes Leben? Mit der Freiheit, das Falsche zu tun und das Maßlose zu denken? Nichts da. Hauptsache gesund, bevor wir sterben!
Es ist schwer, Menschen und Institutionen mit guten Absichten zu widersprechen. Wer wollte ernstlich bezweifeln, dass der moderne Staat westlicher Prägung ein Segen ist? Gewaltmonopol, Gewaltenteilung, Rechtsstaatlichkeit – alles Errungenschaften, die private Willkür eindämmen. Gleiches gilt für den Sozialstaat. Er verhindert, dass Hilfsbedürftige von der womöglich unzuverlässigen Großzügigkeit der anderen abhängig werden.
Doch mittlerweile wirkt der Sozialstaat wie eine Agentur für Brot und Spiele – und wir wie glückliche Sklaven, die ihre Freiheit nicht vermissen, solange da einer ist, der sich „kümmert“.
Deutschland, so liest und hört man, ist ein Land mit einer gut ausgebildeten, kreativen, fleißigen Bevölkerung, innovativ und vorwärtsstrebend. Alles keine Egoisten und Solidaritätsverweigerer, sie spenden viel und gern und zahlen Steuern auch für Dinge, die man für Geldverschwendung halten könnte. Womit also haben sie es verdient, dass sie von Politikern wie Meinungsmachern wie eine Versammlung von hilfsbedürftigen Kreaturen behandelt werden, die nur dann das Richtige tun, wenn man sie moralisch erpresst? Und die man, falls das nicht reicht, maßregelt, per Gesetz? Sind sie alle kleine Häwelmanns, die man mit milden Gaben ruhigstellen muss, damit sie nicht andauernd „Mehr! Mehr!“ rufen?
Und die so bedürftig aus der Wäsche schauen, dass Politiker sich tröstend über sie beugen müssen, um mit heiligem Ernst zu verkünden, „die Menschen“ „an die Hand“ oder „in die Mitte“ oder gar „in den Arm“ nehmen zu wollen, um sie „abzuholen, wo sie stehen“?
Ja, der Staat hat seine Menschen lieb. Möchte sie mit sozialer Wärme überfluten. Will ihnen helfen. Fördert, statt zu fordern. Egal, ob sie das brauchen. Egal, ob sie sich hilfsbedürftig fühlen. Denn sind sie nicht alle irgendwie notleidend/behindert/diskriminiert/unterdrückt, wenn schon nicht direkt, dann doch wenigstens potentiell? Also auch: potentielles Objekt der Fürsorge? Irgendwas findet sich doch immer!
Ach, Demokratie ist großartig. Sie hat nur ein paar kleine Nachteile. Politiker, die sich in einer Demokratie Wahlen stellen müssen, lieben Objekte der Fürsorge. Denn nur an ihnen können sie beweisen, wie unentbehrlich sie sind. Und so versprechen sie vor jeder Wahl – und wann steht schon mal gerade keine an? – Wohltaten aller Art. Das Ergebnis ist ein ausufernder Sozialstaat, der nur noch am Rande tut, was er soll: den Hilfsbedürftigen helfen. Vor allem unterhält er eine stetig wachsende Hilfsindustrie. Das Helfen ist ein boomender Erwerbszweig. Und wie das so ist, wenn ein Modell erfolgreich ist: es muss wachsen. Schon deshalb wird die Art der Notlagen immer bunter und die Zahl Hilfsbedürftigen beständig größer. Auch das vermeintlich einfach nur Gute hat seine Lobby.
Der Kollateralschaden, den der Rundumsorglosstaat anrichtet, ist nicht zu unterschätzen. Seine Fürsorge löst Lähmung aus. Manch einer schafft es gerade noch zum empörten Aufschrei oder zur deprimierten Klage, aber nicht mehr zur Selbsthilfe. Das Leben wirkt wie weichgespült von all den Wärmewellen, die Politiker in Sonderheit zu Wahlkampfzeiten durch das Land schicken.
Gewiss, Hilfe und Fürsorge tun hier und da not, auch in einem so wohlhabenden Land wie Deutschland. Der Ammenstaat aber gebiert Respektlosigkeit. Denn wem geholfen werden muss, der ist nicht auf Augenhöhe. Der ist abhängig. Egal, wie lieb man ihn in den Arm nimmt. Der umarmungsfreudigen Kuschelkultur fehlt es an Respekt, den zivilisierter Kontakt braucht.
Gewiss ist es respektlos, ältere Menschen übersehen. Noch respektlos ist womöglich, sie zu unterschätzen. Man ist ja nicht qua Lebensalter hilfsbedürftig. Doch viele Debatten um die allgemein gestiegene Lebenserwartung kreisen nicht um die Chancen, die sich daraus ergeben, sondern beklagen die Risiken. Ja, gewiss, die Wahrscheinlichkeit ist groß, sagen jedenfalls die Gesundheitsstatistiker, dass etwa ein Drittel der Menschen über 80 pflegebedürftig wird. Aber was ist mit den restlichen zwei Dritteln? Die weder Rollator noch Seniorenpass benötigen?
Ähnlich die Diskussion ums „Prekariat“ oder die Generation Praktikum. Kann man Studenten ernsthaft zu den Armen im Lande zähen? Sind junge Menschen bemitleidenswert, nur weil sie nicht direkt nach der Ausbildung das Glück einer Festanstellung bis zur Bahre genießen? Gibt es keine anderen Träume als die aus der Angestelltenwelt? Könnte es nicht entschieden reizvoller sein, das Risiko der Selbständigkeit oder gar des Unternehmertums einzugehen? Der Ammenstaat, unterstützt von der Medienlust an den schlechten Nachrichten, fördert Ängstlichkeit, Muckertum und Anspruchsdenken. Er macht hilflos.
Das sind die schuftigen Seiten der Hilfsbereitschaft. Auf Dauer Hilfsbedürftige sind nämlich viel bequemer als alle, die sich aus der Abhängigkeit lösen und sich womöglich anschicken, aufzuschließen, ja zu überholen. Helfen, mit Geld und liebevoller Zuwendung, ist einfacher, als Konkurrenz zu ertragen. Und deshalb zieht auch der helfende Staat es vor, wenn seine „Klientel“ immer genau das bleibt. Klienten und Patienten. Im gut gepolsterten Handschuh der Fürsorglichkeit lauert die Entmündigung.
Nein, das ist kein Plädoyer gegen Hilfsbereitschaft oder gar für. Aber wahres Mitgefühl ist keine gefühlstriefende Betroffenheit, die jede Distanz vermissen lässt. Respekt heißt auch, niemanden, im Guten wie im Bösen, zu unterschätzen.



Wir Untertanen.

  Reden wir mal nicht über das Versagen der Bundes- und Landesregierungen, einzelner Minister, der Frau Kanzler. Dazu ist im Grunde alles ge...