„Wo ein Wille ist, ist auch ein Weg.“ Die Kanzlerin will, auch, wenn der Weg sich als Sackgasse erweisen sollte. Doch mittlerweile ist sie ziemlich allein unterwegs in die falsche Richtung.
Dass sich das Griechen-Drama nun schon seit fünf Jahren dahinschleppt, unter Missachtung aller Regeln, die der begnadete Drehbuchschreiber Aristoteles für ein spannungsreiches Geschehen einst entwickelt hat, ohne Höhepunkt, ohne Läuterung, ohne Ende, verdankt sich nicht zuletzt dem zähen Willen von Angela Merkel. Womöglich macht ihr das sogar Spaß, das Agieren in aussichtsloser Lage: Die Kanzlerin liebt das Verhandeln, egal, worüber – und womöglich auch egal, zu welchem Ende.
Und so wird in Sachen Griechenland weiter und weiter getagt und verhandelt, ohne vorzeigbares Resultat, außer einem: der griechischen Regierung gelingt es, die angeblich mächtigste Frau der Welt nach Strich und Faden vorzuführen. Hätten wir hierzulande soetwas Altmodisches wie Nationalstolz, müssten wir uns schämen.
Wie sagte schon im Januar Finanzminister Varoufakis: „Was immer die Deutschen sagen – sie werden zahlen.“ Jetzt ist es Sommer und Angela Merkel hinterlässt den Eindruck, dass Varoufakis recht haben könnte. Was in jedem anderen Fall Insolvenzverschleppung wäre, mit der man sich strafbar macht, wird Griechenland erlaubt – womit sich auch die strafbar machen, die dem nicht entgegentreten.
Wie auch immer das Debakel endet – die Verluste sind schon jetzt gigantisch, mal ganz abgesehen von den materiellen: der Verlust an Vertrauen in die Regelförmigkeit politischer Entscheidungen steht vielleicht an erster Stelle. Ebenso das Vertrauen darin, dass die Kanzlerin sich ihres Amtseides erinnert.
Warum tut Angela Merkel sich das also an – und vor allem: uns allen?
Ich vermute mal: ihres Nachruhms wegen. Darum sorgen sich wohl alle Politiker, vor allem, wenn sie Kanzler sind. Sie möchten ihren Namen mit etwas Großem, mit etwas Einzigartigem verbunden sehen und nicht mit dem alltäglichen Kleckerkram normalen Regierungshandelns. So, wie Angela Merkel vor ihrer Regierungszeit angetreten ist, als Rentenreform-Angie oder Königin der Spardose, möchte sie offenbar nicht in die Geschichte eingehen, da muss schon mehr her.
Seinem Volk in Sturmflut oder Oderhochwasser beigestanden zu haben, macht sich besser, wie man an Helmut Schmidt und Gerhard Schröder gesehen hat. Helmut Kohl hat im richtigen Moment beherzt nach dem Mantelsaum der Geschichte gegriffen und Deutschland zur Einheit geführt, an diesem Nachruhm ändert auch sein unschöner Abgang nichts.
Gegen solche gesamtnationalen Großtaten schmiert die Abschaffung der kalten Progression oder eine vernünftige Rentenreform ab, mit Kleinigkeiten wird man keine große Staatsmännin. Am besten ist also, man schickt sich an, die Welt zu retten. Oder wenigstens Europa.
Als Klimakanzlerin, das ist gewiss, wird Angela Merkel uns lange im Gedächtnis bleiben, spätestens dann, wenn es an den Abriss all der Windkraftanlagen geht, die dank hoher Subventionen heute auch dort stehen, wo sie wenig Nutzen bringen. Der deutsche Alleingang in Sachen „Energiewende“ wird noch in Jahrzehnten allüberall belächelt werden, während sich nur noch wenige an deutsche Ingenieurskunst erinnern. Die Chinesen haben schließlich längst dazugelernt und begnügen sich nicht mehr mit dem bloßen Abkupfern europäischer Erfindungen.
Auch der Kanzlerin Kampf gegen CO2 wird womöglich keine Ehrfurcht mehr auslösen vor dem kühnen Bemühen, das Klima zu retten, wenn sich erweisen sollte, dass „Treibhausgase“ die Welt nicht erhitzen, sondern womöglich sogar vor einer neuen Eiszeit bewahrt haben. Was also bleibt?
Richtig: Europa bzw. der Euro. Und während man sich auf Regierungsebene kaum oder nur wenig Sorgen darüber zu machen scheint, dass sich die Briten anschicken könnten, EU-Europa goodbye zu sagen, wird um Griechenland und gegen den Grexit gekämpft, als ob von der griechischen Olivenproduktion das Überleben des Kontinents abhinge.
Für dieses „höhere Ziel“ wird nicht nur Geld in unvorstellbarem Ausmaß geopfert, es wird auch die Souveränität der Parlamente in Frage gestellt. Und seit Angela Merkel, der französische Staatspräsident Francois Hollande und der EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker die „Rettung“ Griechenlands außerinstitutionell zu ihrer persönlichen Sache gemacht haben, dürfen sich auch alle anderen Mitglieder der Eurozone übertölpelt fühlen.
Und das alles nur, damit der Big Bang ausbleibt, bis die Amtszeit von Kanzlerin Merkel zuendegeht?
Das ist, scheint mir, ein verdammt hoher Preis für das bisschen Nachruhm.
Freitag, 19. Juni 2015
Montag, 15. Juni 2015
Ehe für alle? Warum eigentlich? Teil 2
Wird "Ehe für alle" die Verhältnisse zum Tanzen bringen? Werden demnächst Geschwister heiraten? Wird sich die Vielweiberei durchsetzen?
Mag sein, dass solche angstvolle Visionen übertrieben sind. Und doch ist die Furcht, „Ehe für alle“ bedeute eine Erosion des Fundaments der Gesellschaft, nicht gänzlich unberechtigt. Es ist der Generationenzusammenhang, der auf dem Spiel steht.
Kleiner Ausflug in die Vergangenheit. Die Ehe setzte sich in Europa nicht durch, weil die Kirche das wünschte, sondern erst, als weltliche Interessen sich des kirchlichen Segens versichern wollten. Ab dem 11. Jahrhundert legten adlige und bäuerliche Familien verstärkten Wert auf eine geregelte Nachfolge, denn der Besitz sollte unvermindert vererbt und dem Zugriff räuberischer Verwandter entzogen werden. Mit der Einführung von Familiennamen und der formellen Eheschließung entstand Herkunft im Dienste der Zukunft: so sollte sichergestellt werden, dass der Erbanspruch folgender Generationen als legitim anerkannt wurde.
Die Ehe hatte also mit Eigentum, Erbfolge und Familie im Sinne eines generationenübergreifenden Zusammenhangs zu tun. Erben konnte nur der Älteste, für seine Brüder blieben Klerus und Soldatentum. Die Frauen durften oder mussten heiraten: Ehe unter Angehörigen mächtiger Familien vergrößerte deren Macht.
Eine „Ehe für alle“ gab es auch in den folgenden Jahrhunderten nie. Ein Mann durfte lange Zeit nur heiraten, sofern er in der Lage war, einen eigenen Hausstand zu begründen. Handwerksgesellen bedienten sich der Möglichkeit, nach dem Ableben des Meisters dessen Witwe zu ehelichen. Ehe erhöhte den gesellschaftlichen Status, war also überaus erstrebenswert; Liebe war möglich, aber nicht nötig, und „bis dass der Tod euch scheidet“ erschien angesichts damaliger Sterblichkeit nicht als Zumutung. Auch die sexuelle Neigung der Eheleute war von geringer Bedeutung, Hauptsache, es wurden Nachkommen geboren – auf welche Weise auch immer.
Der Siegeszug der Liebesheirat ist noch nicht einmal zweihundert Jahre alt und hat sich global im übrigen keineswegs schon durchgesetzt.
Doch der historische Sinn der Ehe schwindet hierzulande nicht nur dank des Primats der Liebe und des offenbar unaufhaltsamen Trends zur „Ehe für alle“. Auch die Vorstellung vom Familienerbe hat sich verändert: nicht nur, aber vor allem seit dem blutigen 20. Jahrhundert mit Flucht, Vertreibung und Enteignung. Besitz, der über viele Generationen hinweg weitergegeben wurde, der Familie konstituierte, ging verloren, das Band zwischen Herkunft und Zukunft wurde fragiler. Das allerdings kündigte sich bereits mit dem Bedeutungsverlust bäuerlichen Grundeigentums seit der Jahrhundertwende an. Nicht die Landbevölkerung, sondern städtisches Bürgertum und Proletariat obsiegten. (Zum ganzen Stolz eines Arbeiterhaushalts gehörte im übrigen, wenn die Frau nicht arbeiten musste.)
Kleine Abschweifung: „die“ Griechen, heißt es, hätten die Demokratie erfunden. Doch wenn man genauer hinschaut, ist es die bäuerliche Kultur um 700 bis 500 vor unserer Zeitrechnung, in der sie entstand – als die griechische Polis ihre Basis in autonomen Landbesitzern hatte. Im konservativen Denken aber verbindet, frei nach Edmund Burke, Grundbesitz Herkunft und Zukunft in einer generationenbezogenen Gemeinschaft.
Was das mit der Ehe für Alle zu tun hat? Genau: nichts. In konservativer Lesart ist die „Ehe für alle“ ein Angriff auf das über Generationen bewahrte Erbe. Liberal Denkende sehen darin hingegen den bloßen Vollzug des eh Vonstattengehenden: kaum einer baut noch ein Haus, das man Familiensitz nennen könnte – insbesondere Angehörige einer Generation, die noch erfahren haben, wie schnell sich Erbe erledigt, wenn Krieg und Sozialismus zusammenwirken. Erhöhte Mobilität entwertet im übrigen ortsgebundenen Besitz. „Eigenheime“ sehen heute genauso aus: wie jederzeit ablegbare Hüllen vorübergehender Gemeinsamkeit.
Kommt jetzt das Klagelied über die Atomisierung des Individuums? Natürlich nicht. Der Rechtsstaat und sein Gewaltmonopol entwickelten sich aus dem Sieg einer Zentralmacht über mächtige Familienclans. Und zu den segensreichen Folgen der Individualisierung zählt das, was in paternalistischen Stammesstrukturen fehlt: jeder kann sich seine Verdienste selbst zurechnen, niemand muss seinen Reichtum an die Familie abgeben – oder auch nur mit einer Ehefrau oder einem Ehemann teilen. In einer Meritokratie zählt nicht die Abstammung, sondern die eigene Leistung.
Dazu passt der immer wieder aufflammende Streit ums Erben und Vererben: Keinem, so lautet die geläufige Vorstellung, gebühre qua Geburt die Verfügung über ein womöglich über Jahrhunderte erarbeitetes und aufgehäuftes Vermögen. Beifällig wird dem Staat zugestanden, voll versteuertes Vermögen ein weiteres Mal zu besteuern – bis hin zur Gefährdung sogar des produktiven Eigentums von Familienbetrieben.
Mal abgesehen vom volkswirtschaftlichen Schaden, der damit in Kauf genommen wird: mit der Erbschaftssteuer greift der Steuerstaat im Namen von „Gleichheit und Gerechtigkeit“ in eine Enklave privater Solidarität ein und entmachtet einen Bereich, in dem er nichts zu sagen hat, weder als Arbeitgeber noch als Verteilungsagentur. Und das ist ganz und gar absichtsvoll: der Steuerstaat trachtet danach, Abhängigkeit zu schaffen. Wer sich also von der Macht der Familie befreit wähnte, sieht sich unversehens in den Fängen von Vater Staat und unter den Fittichen von Mutti Merkel.
Ist also die „Ehe für Alle“ nur das Wetterleuchten am Horizont?
Die vertraglich und kirchlich beglaubigte Ehe war einst nicht auf zwei Menschen und ihre Nachkommen ausgelegt, sondern auf das, was man heute Nachhaltigkeit nennt: auf den Zusammenhalt und die Mehrung des Besitzes über Generationen hinweg. Heute haben wir statt dessen einen Staat, der von Politikern gesteuert wird, die notgedrungen von Wahlperiode zu Wahlperiode denken, welche hierzulande gerade einmal vier Jahre dauert. Das wäre nicht weiter schlimm, wenn der Staat sich darauf beschränkte, die Rahmenbedingungen für freie Bürger zu sichern, anstatt sich „Gestaltungsmacht“ anzumaßen. Nicht nur in Deutschland aber hätte es manch einer offenbar gern, wenn alle Wähler in der einen oder anderen Weise staatsabhängig wären.
Auf die Idee, dass die mangelnde Fortpflanzungsbereitschaft hierzulande auch damit zusammenhängen könnte, dass der Steuerstaat immer mehr in die Gestaltungsfreiheit der Bürger eingreift, kommt offenbar niemand mehr. „Kinder für alle“, also (auch mithilfe von Leihmüttern) für homosexuelle Paare, erhöht indes die Geburtenrate nur unwesentlich. Angesichts all des Getöses, was um die Ehe unter Gleichgeschlechtlichen gemacht wird, sollte man doch mal festhalten: sie ist und bleibt die Sache einer Minderheit.
Tatsächlich ist die „Ehe für alle“ ein Verfallsprodukt, das den Abschied von der Institution selbst einleitet. Denn warum soll man den Staat an rein privaten Entscheidungen teilhaben lassen? Das Nötige regelt die Vertragsfreiheit. Der Rest ist der Phantasie überlassen. Fragt sich dann nur noch, warum man das alles ausgerechnet „Ehe“ nennen muss.
Mag sein, dass solche angstvolle Visionen übertrieben sind. Und doch ist die Furcht, „Ehe für alle“ bedeute eine Erosion des Fundaments der Gesellschaft, nicht gänzlich unberechtigt. Es ist der Generationenzusammenhang, der auf dem Spiel steht.
Kleiner Ausflug in die Vergangenheit. Die Ehe setzte sich in Europa nicht durch, weil die Kirche das wünschte, sondern erst, als weltliche Interessen sich des kirchlichen Segens versichern wollten. Ab dem 11. Jahrhundert legten adlige und bäuerliche Familien verstärkten Wert auf eine geregelte Nachfolge, denn der Besitz sollte unvermindert vererbt und dem Zugriff räuberischer Verwandter entzogen werden. Mit der Einführung von Familiennamen und der formellen Eheschließung entstand Herkunft im Dienste der Zukunft: so sollte sichergestellt werden, dass der Erbanspruch folgender Generationen als legitim anerkannt wurde.
Die Ehe hatte also mit Eigentum, Erbfolge und Familie im Sinne eines generationenübergreifenden Zusammenhangs zu tun. Erben konnte nur der Älteste, für seine Brüder blieben Klerus und Soldatentum. Die Frauen durften oder mussten heiraten: Ehe unter Angehörigen mächtiger Familien vergrößerte deren Macht.
Eine „Ehe für alle“ gab es auch in den folgenden Jahrhunderten nie. Ein Mann durfte lange Zeit nur heiraten, sofern er in der Lage war, einen eigenen Hausstand zu begründen. Handwerksgesellen bedienten sich der Möglichkeit, nach dem Ableben des Meisters dessen Witwe zu ehelichen. Ehe erhöhte den gesellschaftlichen Status, war also überaus erstrebenswert; Liebe war möglich, aber nicht nötig, und „bis dass der Tod euch scheidet“ erschien angesichts damaliger Sterblichkeit nicht als Zumutung. Auch die sexuelle Neigung der Eheleute war von geringer Bedeutung, Hauptsache, es wurden Nachkommen geboren – auf welche Weise auch immer.
Der Siegeszug der Liebesheirat ist noch nicht einmal zweihundert Jahre alt und hat sich global im übrigen keineswegs schon durchgesetzt.
Doch der historische Sinn der Ehe schwindet hierzulande nicht nur dank des Primats der Liebe und des offenbar unaufhaltsamen Trends zur „Ehe für alle“. Auch die Vorstellung vom Familienerbe hat sich verändert: nicht nur, aber vor allem seit dem blutigen 20. Jahrhundert mit Flucht, Vertreibung und Enteignung. Besitz, der über viele Generationen hinweg weitergegeben wurde, der Familie konstituierte, ging verloren, das Band zwischen Herkunft und Zukunft wurde fragiler. Das allerdings kündigte sich bereits mit dem Bedeutungsverlust bäuerlichen Grundeigentums seit der Jahrhundertwende an. Nicht die Landbevölkerung, sondern städtisches Bürgertum und Proletariat obsiegten. (Zum ganzen Stolz eines Arbeiterhaushalts gehörte im übrigen, wenn die Frau nicht arbeiten musste.)
Kleine Abschweifung: „die“ Griechen, heißt es, hätten die Demokratie erfunden. Doch wenn man genauer hinschaut, ist es die bäuerliche Kultur um 700 bis 500 vor unserer Zeitrechnung, in der sie entstand – als die griechische Polis ihre Basis in autonomen Landbesitzern hatte. Im konservativen Denken aber verbindet, frei nach Edmund Burke, Grundbesitz Herkunft und Zukunft in einer generationenbezogenen Gemeinschaft.
Was das mit der Ehe für Alle zu tun hat? Genau: nichts. In konservativer Lesart ist die „Ehe für alle“ ein Angriff auf das über Generationen bewahrte Erbe. Liberal Denkende sehen darin hingegen den bloßen Vollzug des eh Vonstattengehenden: kaum einer baut noch ein Haus, das man Familiensitz nennen könnte – insbesondere Angehörige einer Generation, die noch erfahren haben, wie schnell sich Erbe erledigt, wenn Krieg und Sozialismus zusammenwirken. Erhöhte Mobilität entwertet im übrigen ortsgebundenen Besitz. „Eigenheime“ sehen heute genauso aus: wie jederzeit ablegbare Hüllen vorübergehender Gemeinsamkeit.
Kommt jetzt das Klagelied über die Atomisierung des Individuums? Natürlich nicht. Der Rechtsstaat und sein Gewaltmonopol entwickelten sich aus dem Sieg einer Zentralmacht über mächtige Familienclans. Und zu den segensreichen Folgen der Individualisierung zählt das, was in paternalistischen Stammesstrukturen fehlt: jeder kann sich seine Verdienste selbst zurechnen, niemand muss seinen Reichtum an die Familie abgeben – oder auch nur mit einer Ehefrau oder einem Ehemann teilen. In einer Meritokratie zählt nicht die Abstammung, sondern die eigene Leistung.
Dazu passt der immer wieder aufflammende Streit ums Erben und Vererben: Keinem, so lautet die geläufige Vorstellung, gebühre qua Geburt die Verfügung über ein womöglich über Jahrhunderte erarbeitetes und aufgehäuftes Vermögen. Beifällig wird dem Staat zugestanden, voll versteuertes Vermögen ein weiteres Mal zu besteuern – bis hin zur Gefährdung sogar des produktiven Eigentums von Familienbetrieben.
Mal abgesehen vom volkswirtschaftlichen Schaden, der damit in Kauf genommen wird: mit der Erbschaftssteuer greift der Steuerstaat im Namen von „Gleichheit und Gerechtigkeit“ in eine Enklave privater Solidarität ein und entmachtet einen Bereich, in dem er nichts zu sagen hat, weder als Arbeitgeber noch als Verteilungsagentur. Und das ist ganz und gar absichtsvoll: der Steuerstaat trachtet danach, Abhängigkeit zu schaffen. Wer sich also von der Macht der Familie befreit wähnte, sieht sich unversehens in den Fängen von Vater Staat und unter den Fittichen von Mutti Merkel.
Ist also die „Ehe für Alle“ nur das Wetterleuchten am Horizont?
Die vertraglich und kirchlich beglaubigte Ehe war einst nicht auf zwei Menschen und ihre Nachkommen ausgelegt, sondern auf das, was man heute Nachhaltigkeit nennt: auf den Zusammenhalt und die Mehrung des Besitzes über Generationen hinweg. Heute haben wir statt dessen einen Staat, der von Politikern gesteuert wird, die notgedrungen von Wahlperiode zu Wahlperiode denken, welche hierzulande gerade einmal vier Jahre dauert. Das wäre nicht weiter schlimm, wenn der Staat sich darauf beschränkte, die Rahmenbedingungen für freie Bürger zu sichern, anstatt sich „Gestaltungsmacht“ anzumaßen. Nicht nur in Deutschland aber hätte es manch einer offenbar gern, wenn alle Wähler in der einen oder anderen Weise staatsabhängig wären.
Auf die Idee, dass die mangelnde Fortpflanzungsbereitschaft hierzulande auch damit zusammenhängen könnte, dass der Steuerstaat immer mehr in die Gestaltungsfreiheit der Bürger eingreift, kommt offenbar niemand mehr. „Kinder für alle“, also (auch mithilfe von Leihmüttern) für homosexuelle Paare, erhöht indes die Geburtenrate nur unwesentlich. Angesichts all des Getöses, was um die Ehe unter Gleichgeschlechtlichen gemacht wird, sollte man doch mal festhalten: sie ist und bleibt die Sache einer Minderheit.
Tatsächlich ist die „Ehe für alle“ ein Verfallsprodukt, das den Abschied von der Institution selbst einleitet. Denn warum soll man den Staat an rein privaten Entscheidungen teilhaben lassen? Das Nötige regelt die Vertragsfreiheit. Der Rest ist der Phantasie überlassen. Fragt sich dann nur noch, warum man das alles ausgerechnet „Ehe“ nennen muss.
Freitag, 12. Juni 2015
Ehe für alle? Wieso eigentlich? Teil 1
Warum wollen sie plötzlich alle heiraten? Auch noch ausgerechnet schwule Männer, die einst als schillernder Gegenpol zum bürgerlichen Spießertum auftraten? Warum wollen sie normal, warum „gleich“ sein, wohingegen die schwule Männerbewegung der 70er Jahre doch alles andere als das zum Ziel hatte? Und wieso reicht plötzlich die „eingetragene Partnerschaft“ nicht mehr aus, warum muss jetzt ganz in Weiß oder Schwarz oder Himmelblau und auch noch vor dem Traualtar ewige Treue geschworen werden?
Die Gefühle, die Romantik? Das wenigstens kann ich nachvollziehen. Ich habe meine Freundin G. immer verstanden, die davon träumte, ihre Liebste auf Händen über die Schwelle der gemeinsamen Wohnung zu tragen. Eine schöne Vorstellung! Doch warum braucht es dafür die Ehe, warum die staatliche Beglaubigung, warum den kirchlichen Segen? Kann man sich keine anderen Riten und Gebräuche vorstellen? Und überhaupt - wieso ist, wenn hier von Ehe gesprochen wird, immer nur von „Liebe“ die Rede? Hat es sich bei Schwulen und Lesben noch nicht herumgesprochen, dass die beste Voraussetzung für eine Scheidung die Ehe ist?
Kurz: was hat die ganze Romantik mit einem höchst pragmatischen Institut wie der Ehe zu tun? Liebe jedenfalls war seit deren Erfindung nie der Sinn von Ehe, sie kam vor, sie durfte sein, sie diente dem gemeinsamen Projekt: Der geteilte Hausstand half Wirtschaften – ohne Frauen ist bäuerliche Landwirtschaft schwerlich denkbar. In nicht ganz so hart arbeitenden Kreisen sollte die Ehe vor allem die Erbfolge sichern, nur ein männlicher Nachkomme schützte das Erbe vor dem Zugriff der lieben Anverwandten oder verfeindeten Familien, wobei in früheren Zeiten wechselnder Herrschaftsverhältnisse die Beglaubigung durch die Kirche half. Die Kirche aber hat das Institut der Ehe nicht erfunden und daher auch keinen Anspruch darauf, sie zu definieren.
Bereits jetzt wird die Bereitschaft steuerlich anerkannt, in einer Partnerschaft füreinander zu sorgen, das gilt für kinderlose Ehepaare ebenso wie für homosexuelle Paare. Auch der Adoption eines Kindes steht nichts im Wege, sofern es das leibliche Kind eines der Partner ist. Dass homosexuelle Paare dafür auch schon mal eine Leihmutter bezahlen, deutet auf ein Dilemma hin: selbst wenn demnächst Schwangerschaften in der Retorte erfolgen, sind für die Zeugung eines Kindes Mann und Frau vonnöten. Doch auch das wäre nur dann ein Argument gegen die Ehe, wenn Ehe Kinder voraussetzte – das aber tut sie nicht. Auch Frauen nach der Menopause und unfruchtbaren Männern verwehrt niemand die Ehe. Es gibt heute weit mehr kinderlose Heteropaare als gleichgeschlechtliche Ehe- bzw. Partnerschaftsverhältnisse ohne Nachwuchs.
Ehe ist also offenbar auch ohne Kinder ein Wert – warum? Weil sich zwei Menschen dazu verpflichten, einander in guten und in schlechten Zeiten beizustehen. Das ist Subsidiarität im besten Sinne des Wortes: Solidarität als eine private Verpflichtung, zwar staatlich beglaubigt, aber nicht staatsabhängig.
Jonathan Rauch brachte in einem Essay vor knapp zehn Jahren ein noch stärkeres Argument ins Spiel, das übrigens auch in der Vergangenheit schon von Bedeutung war: Ehe ist dazu geeignet, Männer zu zivilisieren. Wenn in schwule Partnerschaften das Couchpotatotum vieler Heteroehen einzieht – umso besser! Dann sind die Männer von der Straße und richten keinen Schaden an. (Oder holen sich beim anonymen Sex Aids.) Vom konservativen Standpunkt aus spricht also nichts gegen die „Homoehe“.
Ehe bedeutet überdies soziale Kontrolle: wer heiratet, teilt der anteilnehmenden und kritisch zuschauenden Öffentlichkeit seinen Bindungswillen und sein Treueversprechen mit. Das wäre dann wohl, nach Aids, der letzte Sargnagel für die schwule Libertinage der 70er Jahre. Zuletzt: wenn Männer junge Frauen heiraten, die später bei Pflegebedürftigkeit als ihre Krankenschwestern fungieren – warum sollte das nicht auch für Schwule und Lesben gelten?
Das Institut Ehe hat also vielerlei soziale Vorteile, die gesellschaftlich und staatlich honoriert – „privilegiert“ - werden sollten. So gesehen, gibt es kein Argument gegen „Ehe für alle“ – und den schrillen Schrei nach „Gleichheit“ und Abschaffung von „Privilegien“ (der Heteroehe) könnten sich die Lobbyisten der Homoehe sparen: Eheschließung ist ein sozialer Akt, der gesellschaftlich nützlich sein kann. Kein schöner Ersatz für das romantische Liebesideal, vielleicht, aber ein weit wirkungsvolleres Argument. Jonathan Rauch geht allerdings noch weiter: Ehe sei etwas, das die Gesellschaft von Paaren erwarten sollte, schon, damit Singles bei Alter und Krankheit nicht dem Staat zur Last fallen. Ehe sei weit mehr als eine Frage des „Lifestyle“. Ob das alle so sehen, die in der Ehe lediglich ein Privileg sehen, das ihnen nicht vorenthalten werden sollte?
„Man darf sich durchaus davor gruseln“, schreibt der irische Schriftsteller John Banville , „stämmige Männer mittleren Alters in taubenblauen Klamotten und mit Orangenblüten im Haar zu sehen oder stämmige Frauen mittleren Alters mit Frack und Zylinder. Und doch, nach all der Zeit, die sie ein Schattendasein führen mussten, wer wollte ihnen da wohl diesen einen Tag im Rampenlicht missgönnen?“ Spießbürgerlichkeit ist ein Menschenrecht.
Ist die Furcht, „Ehe für alle“ bedeute eine Erosion des Fundaments der Gesellschaft, also gänzlich unberechtigt? Ja. Und nein. Mehr dazu in Teil 2
Die Gefühle, die Romantik? Das wenigstens kann ich nachvollziehen. Ich habe meine Freundin G. immer verstanden, die davon träumte, ihre Liebste auf Händen über die Schwelle der gemeinsamen Wohnung zu tragen. Eine schöne Vorstellung! Doch warum braucht es dafür die Ehe, warum die staatliche Beglaubigung, warum den kirchlichen Segen? Kann man sich keine anderen Riten und Gebräuche vorstellen? Und überhaupt - wieso ist, wenn hier von Ehe gesprochen wird, immer nur von „Liebe“ die Rede? Hat es sich bei Schwulen und Lesben noch nicht herumgesprochen, dass die beste Voraussetzung für eine Scheidung die Ehe ist?
Kurz: was hat die ganze Romantik mit einem höchst pragmatischen Institut wie der Ehe zu tun? Liebe jedenfalls war seit deren Erfindung nie der Sinn von Ehe, sie kam vor, sie durfte sein, sie diente dem gemeinsamen Projekt: Der geteilte Hausstand half Wirtschaften – ohne Frauen ist bäuerliche Landwirtschaft schwerlich denkbar. In nicht ganz so hart arbeitenden Kreisen sollte die Ehe vor allem die Erbfolge sichern, nur ein männlicher Nachkomme schützte das Erbe vor dem Zugriff der lieben Anverwandten oder verfeindeten Familien, wobei in früheren Zeiten wechselnder Herrschaftsverhältnisse die Beglaubigung durch die Kirche half. Die Kirche aber hat das Institut der Ehe nicht erfunden und daher auch keinen Anspruch darauf, sie zu definieren.
Bereits jetzt wird die Bereitschaft steuerlich anerkannt, in einer Partnerschaft füreinander zu sorgen, das gilt für kinderlose Ehepaare ebenso wie für homosexuelle Paare. Auch der Adoption eines Kindes steht nichts im Wege, sofern es das leibliche Kind eines der Partner ist. Dass homosexuelle Paare dafür auch schon mal eine Leihmutter bezahlen, deutet auf ein Dilemma hin: selbst wenn demnächst Schwangerschaften in der Retorte erfolgen, sind für die Zeugung eines Kindes Mann und Frau vonnöten. Doch auch das wäre nur dann ein Argument gegen die Ehe, wenn Ehe Kinder voraussetzte – das aber tut sie nicht. Auch Frauen nach der Menopause und unfruchtbaren Männern verwehrt niemand die Ehe. Es gibt heute weit mehr kinderlose Heteropaare als gleichgeschlechtliche Ehe- bzw. Partnerschaftsverhältnisse ohne Nachwuchs.
Ehe ist also offenbar auch ohne Kinder ein Wert – warum? Weil sich zwei Menschen dazu verpflichten, einander in guten und in schlechten Zeiten beizustehen. Das ist Subsidiarität im besten Sinne des Wortes: Solidarität als eine private Verpflichtung, zwar staatlich beglaubigt, aber nicht staatsabhängig.
Jonathan Rauch brachte in einem Essay vor knapp zehn Jahren ein noch stärkeres Argument ins Spiel, das übrigens auch in der Vergangenheit schon von Bedeutung war: Ehe ist dazu geeignet, Männer zu zivilisieren. Wenn in schwule Partnerschaften das Couchpotatotum vieler Heteroehen einzieht – umso besser! Dann sind die Männer von der Straße und richten keinen Schaden an. (Oder holen sich beim anonymen Sex Aids.) Vom konservativen Standpunkt aus spricht also nichts gegen die „Homoehe“.
Ehe bedeutet überdies soziale Kontrolle: wer heiratet, teilt der anteilnehmenden und kritisch zuschauenden Öffentlichkeit seinen Bindungswillen und sein Treueversprechen mit. Das wäre dann wohl, nach Aids, der letzte Sargnagel für die schwule Libertinage der 70er Jahre. Zuletzt: wenn Männer junge Frauen heiraten, die später bei Pflegebedürftigkeit als ihre Krankenschwestern fungieren – warum sollte das nicht auch für Schwule und Lesben gelten?
Das Institut Ehe hat also vielerlei soziale Vorteile, die gesellschaftlich und staatlich honoriert – „privilegiert“ - werden sollten. So gesehen, gibt es kein Argument gegen „Ehe für alle“ – und den schrillen Schrei nach „Gleichheit“ und Abschaffung von „Privilegien“ (der Heteroehe) könnten sich die Lobbyisten der Homoehe sparen: Eheschließung ist ein sozialer Akt, der gesellschaftlich nützlich sein kann. Kein schöner Ersatz für das romantische Liebesideal, vielleicht, aber ein weit wirkungsvolleres Argument. Jonathan Rauch geht allerdings noch weiter: Ehe sei etwas, das die Gesellschaft von Paaren erwarten sollte, schon, damit Singles bei Alter und Krankheit nicht dem Staat zur Last fallen. Ehe sei weit mehr als eine Frage des „Lifestyle“. Ob das alle so sehen, die in der Ehe lediglich ein Privileg sehen, das ihnen nicht vorenthalten werden sollte?
„Man darf sich durchaus davor gruseln“, schreibt der irische Schriftsteller John Banville , „stämmige Männer mittleren Alters in taubenblauen Klamotten und mit Orangenblüten im Haar zu sehen oder stämmige Frauen mittleren Alters mit Frack und Zylinder. Und doch, nach all der Zeit, die sie ein Schattendasein führen mussten, wer wollte ihnen da wohl diesen einen Tag im Rampenlicht missgönnen?“ Spießbürgerlichkeit ist ein Menschenrecht.
Ist die Furcht, „Ehe für alle“ bedeute eine Erosion des Fundaments der Gesellschaft, also gänzlich unberechtigt? Ja. Und nein. Mehr dazu in Teil 2
Montag, 8. Juni 2015
Deutsche Treue, deutscher Wein
Es gab eine Zeit in unserem Land, da vaterlandslose Gesellen regierten: an der Spitze des Staates stand nicht die Bonn- oder Berlin-, sondern die Toskana-Fraktion. Das waren Sozialdemokraten und Grüne, die ihre Ferien mit Vorliebe in Italien verbrachten, darunter Peter Glotz, Oskar Lafontaine und Otto Schily, und die gern schwerem italienischen Rotwein zusprachen, wie Gerhard Schröder und Joschka Fischer. Das durfte dann ein mit Tanninen protzender Barolo sein oder ein männlich-erdiger Brunello di Montalcino, wenn schon denn schon, jedenfalls nicht sowas schlappes wie ein Spätburgunder. Deutscher Rotwein galt als flaches Wässerchen und deutscher Weißwein als irgendwie spießig und provinziell, so überholt wie die zweite Strophe des Deutschlandliedes, wo sich der deutsche Wein mit Weib, Ehre und Gesang zu paaren hat. Man war schließlich weltoffen und nicht etwa national verbohrt!
Sogar bei offiziellen Anlässen wurde italienischer Wein ausgeschenkt, obwohl man bei den Staatskarossen dann doch deutsche Wertarbeit vorzog. Riesling von der Mosel oder aus dem Rheingau stand wohl noch immer im Verdacht, süßer Traubensaft zu sein, den ältliche Fräulein mit spitzem Mund aus zierlichen Gläschen schlürften, aufgezuckerte Massenplörre, nach deren Konsum Touristen mit Tirolerhut grölend durch die Drosselgasse ziehen. Wein, Weib, Gesang eben - während Italien für den lässigen Genuss stand, Brioni, Havanna and all.
Mal abgesehen von dem schnöden Vorurteil den nationalen Kronjuwelen gegenüber, hatte die gerümpfte Nase, was deutschen Wein betrifft, leider durchaus seine Gründe. Manche Leute haben ein zu kurzes Gedächtnis – und manche ein zu langes. Das goldene Zeitalter des deutschen Weins an Rhein und Mosel im mittelalterlichen Klimaoptimum Anfang des 16. Jahrhunderts, als „Rhenish“ in England ein ebenso großer Luxus war wie „Malmsey“, lag schon eine Weile zurück, ebenso die Karriere von Riesling und Spätlese seit Ende des 18. Jahrhundert. Vergangen, vorüber: Den Rest seines Ansehens verlor der deutsche Wein mit dem ersten Weltkrieg, seither trank man auch in der britischen Köngsfamilie keinen „Hock“ mehr (Hochheimer Riesling).
Fürs kurze Gedächtnis aber reichte der jähe Absturz deutscher Weine seit dem Weingesetz 1971, das Masse statt Klasse begünstigte, und vor allem seit den vielen Weinskandalen, die ihren Höhepunkt Mitte der 80er Jahre mit der Glykolpanscherei hatten. Es ist verblüffend, wie schnell Legenden vergehen – und wie lange sich Vorurteile halten.
Doch schon zu rotgrünen Zeiten hatte sich der Wind längst gedreht. Nur in der politischen Elite war womöglich noch nicht rum, was weltweit längst bekannt war. Überall schwärmten Kenner von deutschen Weinen, vor allem von den Weißweinen. Gibt es irgendetwas, das einem deutschen Riesling vergleichbar wäre? Natürlich nicht.
Aber das kennt man ja schon: der Prophet gilt nichts im eigenen Land. Und es ist ja überdies richtig: nichts wurzelt fester in deutschem Boden als eine kräftige Rebe, das allein ist manch einem schon verdächtig. Als eine ganze rotgrüne Generation mit Literweinen in Korbflaschen sozialisiert wurde, entstand deren Inhalt im Keller, wo es dem Kellermeister egal sein mochte, woher die Trauben kommen, die in seinen Fässern liegen, also: multikulti, gerade dann, wenn „Kalterer See“ auf dem Etikett stand. Doch heute, unter modernen Qualitätswinzern, ist Wein das, was (bei entsprechender Pflege) das Terroir aus den Trauben macht, also Klima, Boden und Landschaft. Und nicht zuletzt das, was in den Bodenschichten steckt, durch die sich die Pfahlwurzel des Rebstocks arbeitet: Wein, der auf Löss gedeiht, schmeckt anders als Wein, dessen Wurzeln sich durch Kalkmergel oder Schiefergestein gearbeitet haben. Und schließlich heißt es, dass es Wein gut tut, wenn er sich anstrengen muss. Wein wächst an seinen Herausforderungen, er ist ein echter Streber. Also urdeutsch?
Das könnte dem, der ihn trinkt, egal sein: Hauptsache, die Flüssigkeit schmeckt. Doch damit entginge ihm das Schöne an Wein – ob aus Deutschland, Kalifornien, Südafrika oder Frankreich: dass er besonders ist, dass er abstammt, dass er Identität hat. Und dass er, insbesondere der Riesling, ein Talent zum Altern hat. Jeder Schluck eines gut gealterten Weines erzählt also eine Geschichte, lässt den Geist einer vergangenen Zeit und Kultur aus der Flasche.
Guter Wein ist ein Individuum, so, wie die meisten seiner Erzeuger. Wie dickköpfig und freiheitsliebend Winzer sind, zeigt ein schönes Beispiel: Grünberg in Schlesien war einst eine bedeutende deutsche Weingegend. Unterm Kommunismus wollte es nicht mehr klappen mit der Weinproduktion: Wein soll genossen werden, aber ein Genosse ist er nicht. Erst seit der Wende gibt es im ehemaligen Schlesien wieder Winzer, die, an die deutsche Kultur anknüpfend, ihrem Terroir den alten Geist entlocken wollen, um ihn auf die Flasche zu ziehen.
Das Vorurteil gegen deutsche Weine ist alles andere als weltoffen, es ist, im Gegenteil: provinziell bis auf die Gräten. Vor deutschem Sang und deutschen Weibern mag sich fürchten, wer will, aber gegen deutschen Wein gibt es schlechterdings kein gutes Argument. Wie schriebt Stuart Pigott über die jungen Winzer: „Gefestigt in der eigenen Identität, aber ohne eine Spur von Xenophobie.“
Und im übrigen: die guten deutschen Winzer gehören zu den hidden champions, den Helden unseres Wirtschaftswachstums. Sie lassen sich keiner EU-Norm unterwerfen, sie erzeugen Qualitätsprodukte, die weltweit einmalig sind, und: sie können ihre Produktion nicht ins Ausland verlagern.
Deutsche Treue zu deutschem Wein kann also nicht ganz verkehrt sein.
Sogar bei offiziellen Anlässen wurde italienischer Wein ausgeschenkt, obwohl man bei den Staatskarossen dann doch deutsche Wertarbeit vorzog. Riesling von der Mosel oder aus dem Rheingau stand wohl noch immer im Verdacht, süßer Traubensaft zu sein, den ältliche Fräulein mit spitzem Mund aus zierlichen Gläschen schlürften, aufgezuckerte Massenplörre, nach deren Konsum Touristen mit Tirolerhut grölend durch die Drosselgasse ziehen. Wein, Weib, Gesang eben - während Italien für den lässigen Genuss stand, Brioni, Havanna and all.
Mal abgesehen von dem schnöden Vorurteil den nationalen Kronjuwelen gegenüber, hatte die gerümpfte Nase, was deutschen Wein betrifft, leider durchaus seine Gründe. Manche Leute haben ein zu kurzes Gedächtnis – und manche ein zu langes. Das goldene Zeitalter des deutschen Weins an Rhein und Mosel im mittelalterlichen Klimaoptimum Anfang des 16. Jahrhunderts, als „Rhenish“ in England ein ebenso großer Luxus war wie „Malmsey“, lag schon eine Weile zurück, ebenso die Karriere von Riesling und Spätlese seit Ende des 18. Jahrhundert. Vergangen, vorüber: Den Rest seines Ansehens verlor der deutsche Wein mit dem ersten Weltkrieg, seither trank man auch in der britischen Köngsfamilie keinen „Hock“ mehr (Hochheimer Riesling).
Fürs kurze Gedächtnis aber reichte der jähe Absturz deutscher Weine seit dem Weingesetz 1971, das Masse statt Klasse begünstigte, und vor allem seit den vielen Weinskandalen, die ihren Höhepunkt Mitte der 80er Jahre mit der Glykolpanscherei hatten. Es ist verblüffend, wie schnell Legenden vergehen – und wie lange sich Vorurteile halten.
Doch schon zu rotgrünen Zeiten hatte sich der Wind längst gedreht. Nur in der politischen Elite war womöglich noch nicht rum, was weltweit längst bekannt war. Überall schwärmten Kenner von deutschen Weinen, vor allem von den Weißweinen. Gibt es irgendetwas, das einem deutschen Riesling vergleichbar wäre? Natürlich nicht.
Aber das kennt man ja schon: der Prophet gilt nichts im eigenen Land. Und es ist ja überdies richtig: nichts wurzelt fester in deutschem Boden als eine kräftige Rebe, das allein ist manch einem schon verdächtig. Als eine ganze rotgrüne Generation mit Literweinen in Korbflaschen sozialisiert wurde, entstand deren Inhalt im Keller, wo es dem Kellermeister egal sein mochte, woher die Trauben kommen, die in seinen Fässern liegen, also: multikulti, gerade dann, wenn „Kalterer See“ auf dem Etikett stand. Doch heute, unter modernen Qualitätswinzern, ist Wein das, was (bei entsprechender Pflege) das Terroir aus den Trauben macht, also Klima, Boden und Landschaft. Und nicht zuletzt das, was in den Bodenschichten steckt, durch die sich die Pfahlwurzel des Rebstocks arbeitet: Wein, der auf Löss gedeiht, schmeckt anders als Wein, dessen Wurzeln sich durch Kalkmergel oder Schiefergestein gearbeitet haben. Und schließlich heißt es, dass es Wein gut tut, wenn er sich anstrengen muss. Wein wächst an seinen Herausforderungen, er ist ein echter Streber. Also urdeutsch?
Das könnte dem, der ihn trinkt, egal sein: Hauptsache, die Flüssigkeit schmeckt. Doch damit entginge ihm das Schöne an Wein – ob aus Deutschland, Kalifornien, Südafrika oder Frankreich: dass er besonders ist, dass er abstammt, dass er Identität hat. Und dass er, insbesondere der Riesling, ein Talent zum Altern hat. Jeder Schluck eines gut gealterten Weines erzählt also eine Geschichte, lässt den Geist einer vergangenen Zeit und Kultur aus der Flasche.
Guter Wein ist ein Individuum, so, wie die meisten seiner Erzeuger. Wie dickköpfig und freiheitsliebend Winzer sind, zeigt ein schönes Beispiel: Grünberg in Schlesien war einst eine bedeutende deutsche Weingegend. Unterm Kommunismus wollte es nicht mehr klappen mit der Weinproduktion: Wein soll genossen werden, aber ein Genosse ist er nicht. Erst seit der Wende gibt es im ehemaligen Schlesien wieder Winzer, die, an die deutsche Kultur anknüpfend, ihrem Terroir den alten Geist entlocken wollen, um ihn auf die Flasche zu ziehen.
Das Vorurteil gegen deutsche Weine ist alles andere als weltoffen, es ist, im Gegenteil: provinziell bis auf die Gräten. Vor deutschem Sang und deutschen Weibern mag sich fürchten, wer will, aber gegen deutschen Wein gibt es schlechterdings kein gutes Argument. Wie schriebt Stuart Pigott über die jungen Winzer: „Gefestigt in der eigenen Identität, aber ohne eine Spur von Xenophobie.“
Und im übrigen: die guten deutschen Winzer gehören zu den hidden champions, den Helden unseres Wirtschaftswachstums. Sie lassen sich keiner EU-Norm unterwerfen, sie erzeugen Qualitätsprodukte, die weltweit einmalig sind, und: sie können ihre Produktion nicht ins Ausland verlagern.
Deutsche Treue zu deutschem Wein kann also nicht ganz verkehrt sein.
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