Montag, 20. Januar 2020

Zickenkrieg

„Angela vom anderen Stern. Merkel, der Superstar, der alle Starklischees überwand. Die absurde Karriere einer hoffnungslos überschätzten Dilettantin, die aus jedem Handicap einen Glamourfaktor machte. Ihr Spitzenplatz in US-Rankings der Topmagazine wurde zum Abonnement über Jahre. Ihre Rechtsverstöße mehrten ihren Ruhm. Jeder ihrer spektakulären Regelbrüche wurde unter Merkels Deutungsanweisung zum humanitären, ökologischen oder friedensstiftenden Sieg erklärt. Das Talent der Laien-Politikerin führte sie im politischen globalen Business auf den idealen Platz: zur Symbolpolitik.“
Wer noch immer Nachhilfe braucht beim Merkel-Bashing, ist hier richtig. Hell hath no fury than Gertrud Höhler: Die hat ihr Merkel-Trauma noch immer nicht verwunden und stimmt in ihrem jüngsten Buch ein Requiem auf die bereits ins Globale entrückte Kanzlerin an.
Boshaft kann die Höhler. Vernichtend auch. „Nichts, was (Angela Merkel) anfasste, wurde vollendet.“ Sie agiere „intransparent und entscheidungsscheu“, werde „mit den Mitteln der Demokratie die Demokratie überwinden“, und gerate „bei ihren amokhaften Ausbrüchen in Richtung Intensivtäterin“ zur „Rechtsbrecherin“. Puh. Merkel erledigt? Noch lange nicht.

Abräumen demokratischer Standards

Die Kanzlerin setze „auf Omnipräsenz, um den Eindruck der Omnipotenz zu erwecken“, betreibe nichts als Symbolpolitik, aber auch schon mal, wie in Griechenland, Kolonialpolitik. Die „Verächterin des Parlamentarismus“ trotte „wasserdicht durch ihre Geschichtssekunden“, doch wehe, wenn Merkel-Herrschaft und grüne Ideologie sich zusammentun! Dann „wird im Schlafsaal Rasen gemäht, und die Weltöffentlichkeit geht zur lange vernachlässigten Tagesordnung über, ohne Deutschland.“
Gertrud Höhler bricht sämtliche Stäbe über der Kanzlerin, vom Mikado bis Kantholz. Merkel betreibe die „Entmachtung des Rechtsstaates“, setze Recht, indem sie geltendes Recht ignoriert, sei eine Pioniergestalt beim Abräumen demokratischer Standards. Ihr Projekt: „die Ablösung der Demokratie durch eine internationale Weltregierung vorzubereiten“. Ausräumen, umräumen, abräumen!
Kurz: Merkel, der Superstar, ist „eine Regentin mit autistischen Zügen“, ihr Erfolg „die absurde Karriere einer hoffnungslos überschätzten Dilettantin, die aus jedem Handicap einen Glamourfaktor machte.“ „‚Merkel was here‘ singen die deutschen Wälder“: Das Wild ist erlegt. Jagdsignal Hirsch tot.

Wenn Bücher töten könnten!

Gegen Höhlers Wutausbruch war mein Bekenntnis von 2011, mich im Falle Angela Merkels zu ihren Gunsten geirrt zu haben, ein laues Lüftlein. Also immer feste druff, gnädige Frau! Ich bin dabei! Aber hätte es dafür ein ganzes Buch gebraucht?
Die Professorin kontert Merkels eher schlichte Sprache mit enormer Wortgewalt, da rollt jeder Satz wie eine Lawine zu Tale und erschlägt die paar triftigen Gedanken, die unterwegs aufkreuzen. Irgendwann schwindet das Vergnügen an inhaltlich identischen Boshaftigkeiten in variierendem Sprachspiel. Ein Drittel der 351 Seiten hätte auch genügt und seinen Zweck erfüllt: das Requiem auf eine Kanzlerin zu sein, die zur Abrissbirne Deutschlands geworden ist.
Denn in vielem hat Gertrud Höhler ja recht. Nur fehlt es ein wenig an analytischem Unterfutter – Höhler beruft sich da, wo sie erklären müsste, am liebsten auf die eigenen vergangenen Werke, die hier noch einmal in den Brei gerührt werden.
Angela Merkel kommt aus der DDR, hat also gelernt, dass alle Regelwerke vergänglich sind? Gewiss, das erklärt womöglich die Leichtigkeit, mit der sie darüber hinweggeht. Sie will ein neues Menschenbild? Sicher, das wollen die meisten Globalisierer. Schon in der DDR war der Kampf gegen Rechts Priorität? Stimmt, daraus hat allerdings nicht nur Merkels CDU gelernt.

„Zukunftsagentin auf einer Epochenfuge“

Über Höhlers Hauptthese aber ließe sich sinnvoll reden, wenn sie mehr als eine These wäre: Angela Merkel sei mit dem Oberteufel der digitalen Götterwelt im Bunde, als den Höhler Mark Zuckerberg enttarnt hat, und das gemeinsame Ziel sei eine „multipolare Weltordnung, die ökonomisch nicht mehr Marktwirtschaft und in ihren ethischen Standards nicht mehr demokratisch sein wird“. Adieu, kulturelle Differenzen und Nationalstaat.
Die zunehmende Überführung der Bürger in Sozialstaatsabhängigkeit kann man gewiss als Indiz dafür nehmen, ebenso den Angriff auf ursprüngliche Solidaritätsformen wie die Familie. Damit sind wir aber noch nicht beim Menschen als digitalem Datenträger angelangt, zumal der Kampf um kulturelle Identität oder gar die Beliebtheit des Nationalstaats weltweit, außer in Deutschland, zugenommen hat. Und warum Zuckerberg, warum nicht Jeff Bezos?
Egal. Angela Merkel als „Zukunftsagentin auf einer Epochenfuge“, die uns „präpariert für die Übernahme durch Maschinen ohne Seele“, ist auf jeden Fall eine eindrucksvolle These. Leider schnurrt sie zum Schluss zusammen wie das ganze Werk. Denn wer oder was steckt hinter dieser sinistren Figur, die einen „hohen Verschleierungsbedarf“ hat, derweil sie derart Weltumstürzendes anstrebt? Mark oder Jeff oder ein Algorithmus? Achwas. Eine Büroleiterin namens Beate Baumann, BBB also, sie ist „die dunkle Seite der Macht“. Der Beweis: eine in die Jahre gekommene Reportage aus dem „Stern“. Recht haben wir also, wenn wir uns vor solcher Frauenpower fürchten...
Kurz: Das Buch enthält ein paar starke Aussagen, verloren in einer wolkigen Suada, garniert mit ein paar englischen Blähwords aus der Unternehmensberaterszene. Vor allem aber fehlt der Analyse das, was viele Bürger in Deutschland womöglich am meisten interessiert: Wie sich das Agieren der so trefflich abgewatschten Kanzlerin auf das eigene Leben auswirkt, kurz: Wer den Preis zu bezahlen hat. Das scheint die eine ebenso wenig zu interessieren wie die andere.

„Angela Merkel. Das Requiem“ von Gertrud Höhler, 2019, Berlin: Ullstein, 351 Seiten, hier bestellbar.

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Sonntag, 12. Januar 2020

Kill me today...

Es ist das Jahr 2019. Der Diplomat Dr. Christian Zoet, einst Chef der größten (und teuersten) Mission der OSZE im Kosovo, ist Gast in der Sendung „Wolffsohns Historische Leckerbissen“. Im Hintergrund räkelt sich ein Bikinimädchen, im Vordergrund grillt der satt lächelnde Zoet Fisch und Gambas. Der Moderator Professor Michael Wolffsohn schmeichelt seinem Gast mit den Worten: „Im Gegensatz zu vielen anderen Diplomaten, die an der Champagnerfront ihren Mann stehen, kennen Sie menschliches Leid aus erster Hand.“ Darauf Zoet: „Und wir können gleich schon mal einen ersten Happen probieren.“
So geht Diplomatie, wie sie im Buche steht. Und das ist noch steigerungsfähig! Als der Moderator sich nach Zoets Zeit im Kosovo erkundigt und nach Verbindungen zu dessen Präsidenten, der seinen Weg zur Macht mit Drogen- und Waffenschmuggel, Frauen- und Organhandel finanzierte, antwortet der große Diplomat: „Mir ging es immer nur um die Menschen und darum, einen Raum für Vertrauen zu schaffen. Zum Fisch Chablis oder Pinot Noir?“ So kennt man es, das folgenlose Menscheln.
Natürlich ist die Szene fiktiv, auch wenn die Protagonisten vertraut sind. Im Film „Kill me today, tomorrow I’m sick“ spielt der Anwalt Joachim Steinhöfel den aasigen Chefdiplomaten. Michael Wolffsohn hat in real life leider noch keine eigene Talkshow. Die Szene steht am Schluss eines Films, der einen lachen und weinen lässt, meistens zugleich.
Er spielt in einer Region, die heute aus dem Blickfeld verschwunden zu sein scheint: im Kosovo, für das die Bundesregierung mit ihrem grünen Außenminister im Frühjahr 1999 den deutschen Pazifismus verabschiedete, um die Serben als eine Art neue Nazis am Massakrieren und Vertreiben der Kosovo-Albaner zu hindern. Seither sind die Fronten klar: Serben sind böse, alle anderen arme Opfer. Doch so einfach ist das in keinem Krieg. Die anderen sind auch nicht ohne. Das ahnt die junge Journalistin noch nicht einmal, die im Sommer 1999 am Flughafen Priština eintrifft, um ein „Netz freier Medien“ aufzubauen und dabei zu helfen, das Kosovo zu einer multiethnischen Vorzeigedemokratie zu machen.

Als „Serbenfotze“ beinahe gelyncht

Zur Freude des Zuschauers wird sie von einem bosniakischen Schlitzohr namens Plaka abgeholt („Ich bin intelligent, sehe gut aus und habe Humor“), der, nachdem er sein eigenes Auto den albanischen Paramilitärs von der UÇK hat spenden müssen, als Chauffeur bei der OSZE angeheuert hat. Anna trifft im Hauptquartier der OSZE auf eine skurrile Versammlung von Glücksrittern, verlorenen Seelen, versoffenen Zynikern und naiven Weltverbesserern. Sie registriert mit Erstaunen, dass nicht nur die Serben andere Ethnien hassen. In der Stadt sind alle serbischsprachigen Schilder durchgestrichen oder übermalt, und in Annas von Serben verlassener Wohnung wurden die Bilder aus den Rahmen geschnitten.
(Später stellt sich heraus, dass es die serbische Familie mitnichten bis nach Belgrad geschafft hat.) Alltäglich auch die Autobombe, quittiert mit dem Spruch „SFOR, KFOR, what for“. Als Anna beim Kauf einer Kerze in einem Tante-Emma-Laden drei Finger hochhält, um zu signalisieren, dass sie 3 Dollar zahlen möchte, wird sie von den anwesenden Frauen als „Serbenfotze“ beinahe gelyncht. Sie hat unwissentlich das serbische Siegeszeichen gemacht. So unschuldig reist man also in ein Krisengebiet!
Während Anna staunt, ist Plaka, ihr Chauffeur und erfindungsreicher Übersetzer, Realist, mithin im Eigeninteresse tätig. Mit seinem einst bei Mercedes in Deutschland angestellten albanischen Kumpel aus alten Zeiten organisiert er einen florierenden Schwarzhandel mit Waren, die er, via Müllabfuhr, aus dem englischen PX stehlen lässt.
Plaka und Burim sind wie die Rabenvögel, die seit je den Heeren hinterherziehen und vom Irrsinn des Krieges profitieren, Kriegsgewinnler, hier in ihrer sympathischsten Form. Ein prima Leben, wäre da nicht der Oberschurke der UÇK, Gazmend, rechte Hand (und Gehirn) des „Commanders“ Rhaci, der die beiden erpresst. Bei der OSZE aber legt man Wert auf gute Beziehungen zu dem dubiosen Commander, man braucht ihn, der Stabilität wegen: „unbedachte Maßnahmen“ zerstören Vertrauen, salbadert Zoet – da drückt man schon ein Auge zu, wenn Rhaci und seine Leute sich mit Drogen-, Waffen- und Organhandel finanzieren.

Hinreißende Verarsche der „Internationals“

Ebenso ungerührt lassen die friedensstiftenden Kräfte zu, dass ein junger Mann aus einer serbischen Enklave, der weder albanisch noch englisch spricht, ohne Begleitung in den Herrschaftsbereich der UÇK fährt. Obwohl doch jeder, der slawisch spricht, des Todes ist. Sdrjan weiß, dass er sich in Gefahr begibt, aber was soll’s: „Kill me today, tomorrow I’m sick“. Das ist furchtbar anzuschauen, wie sich dieser Junge ergeben darin fügt, dass er keine Zukunft hat. Im Film, der Tragödie und Komödie vereint, ist das Mitleid nicht nur für eine Seite reserviert. Selbst die absurdesten Szenen sind im Grunde nichts als todtraurig.
Das allerabsurdeste Projekt aber stammt von Anna, ein Projekt, das mitten ins fette Gewölk der hehren Reden und guten Vorsätze sticht. Sie überredet Plaka, ein multiethnisches Radioprogramm zu moderieren – Technik und Sender versteckt hinter den vielen Kisten mit gestohlener Ware. Alle unterdrückten Minderheiten sollen vorkommen: die Frauen und die Tiere, die Roma und die Schwulen. Das Ergebnis ist eine hinreißende Verarsche des Traums der „Internationals“ vom multiethnisch durchgegenderten Paradies unterdrückter Minderheiten. Dardana ruft im Beisein des erschütterten Gatten Burim zur Emanzipation von den Männern auf und empfiehlt Masturbation statt Sex, assistiert von einer schwulen Diva. Dino, der Sohn Plakas, kämpft für Tiere und Veganismus. Im Schlachthaus der UÇK, in dem menschliche Organe entnommen werden, rettet er das Schaf, nicht den Menschen.
Die skurrile Show provoziert natürlich alle, alte militante Serben ebenso wie die UÇK – und vor allem Gazmend, den albanisch-amerikanischen Psychopathen, den Plaka bei aufgezogenem Mikrofon entlarvt hat. So kommt es schließlich zum Showdown mit höchstens einem Achtel Happy End.

Die „richtige“ Seite gibt es nicht

Der Film von Joachim Schröder und Tobias Streck ist extrem unterhaltsam und dazu noch, ja! – pädagogisch wertvoll: Es empfiehlt sich tiefes Misstrauen in alle internationalen Hilfsprojekte. Die wenigsten der „Internationals“ kennen die Gegebenheiten vor Ort, die Sitten und Gebräuche, die Eigenheiten und Idiosynkrasien. Zugleich lehrt der Film Misstrauen in die Moralisierung des Krieges. Die säuberliche Einteilung in Täter und Opfer, Gut und Böse ignoriert die Grauzonen und Randbereiche, von denen es gerade im ehemaligen Jugoslawien reichlich gibt. Selten ist man auf der sicheren, der „richtigen“ Seite, das glaubt nur der Sieger der Geschichte, und oft genug gibt es den noch nicht einmal.
Der Film ist von einer wahren Geschichte inspiriert. Schroeders Schwester Henriette hat in der Abteilung „Media Affairs“ der OSZE im Kosovo erlebt, was hier bis zur Kenntlichkeit karikiert wird. Glaubwürdig sind jedenfalls die Darsteller – multiethnisch, Laien und Profis, Frauen und Tiere. Mein Favorit ist Carlo Lubjek als Schlitzohr mit Herz, auf dem Fuße gefolgt von Karin Hanczewski, bekannt als Tatortkommissarin und sonst nicht mein Typ. Großartig, wie sie als naives Mädel anfängt, bald das Theater der Friedensstifter durchschaut und dann deren gute Absichten auf den Punkt bringt: Leute, so funktioniert das nicht. Eure guten Absichten laufen auf Mord und Totschlag hinaus.
Furchtbar schön ist Tommy Sowards als Gazmend, der durchgeknallte albano-amerikanische Killer, und mit Boris Milivojevic als Commander Rhaci ist den Filmemachern einer der populärsten Schauspieler der Region ins Netz gegangen. Ansehnliche Nebenrollen spielen Sigi und David Zimmerschied, Henryk Broder und Joachim Steinhöfel, Nikola Rakocevic und Eray Egilmez. Bei dieser Produktion jedenfalls scheint der multiethnische Traum funktioniert zu haben. Insgesamt acht Jahre hat es gedauert, bis aus der Idee ein Film wurde, der nun in die deutschen Kinos kommt. Zeit, sich wieder zu erinnern an eine Region, die uns so nah und so fremd ist wie der Balkan. Im Übrigen: Man kann bei Mord und Totschlag echt Spaß haben. Geht bei Tarantino schließlich auch.

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Die Krone

The Crown

Die Krone ist keine Kopfbedeckung, sondern ein Mühlstein, den man um den Hals trägt. Und „The Crown“ ist ein Lehrstück, darüber, wie eine junge, unerfahrene Frau lernt, unter der jahrhunderteschweren Last zu gehen und zu stehen. Es ist die Geschichte einer Zurichtung – und selbst wer, wie ich, sich für „The Royals“ im wahren Leben nie sonderlich erwärmen konnte, dürfte nach der dritten Staffel der Netflixserie zwischen Mitleid und Respekt hin- und hergerissen sein.
Peter Morgan, der Kopf hinter der Serie, ist nicht gerade ein eingeschriebener Anhänger der Royals, dennoch scheint mir seine Serie das Beste zu sein, was der seit Jahren auf schmalem Grat balancierenden britischen Königsfamilie passieren konnte. Allein schon die Lehrstunden in europäischer Nachkriegsgeschichte machen die Serie sehenswert. Bis auf einige Interpretationen, die man ihm vorwerfen könnte – etwa die einer angeblichen Konkurrenz der Queen mit Jackie Kennedy – hatte ich nicht das Gefühl, einer Propagandaschau, einer rührseligen Sissi-Geschichte oder einem indezenten Schlüssellochdramolett beizuwohnen. Es fehlen Hohn und Spott mitsamt ironischer Distanzierung, wie es in Deutschland wohl unvermeidlich wäre. Was wir sehen, ist ein im besten und schlimmsten Sinn analytisches Stück darüber, was es heißt, als Mensch eine Institution sein zu müssen. Das verdankt sich vor allem den durchweg großartigen Schauspielern.
Was ist das Geheimnis der Royals? Die Queen, sonst nichts. Elizabeth II., die ihr Amt seit nunmehr 67 Jahren mit gleichbleibender Disziplin und stoischer Gelassenheit ausfüllt – als Repräsentantin einer Epoche. Keine andere Monarchin kommt ihr gleich. Geradezu heroisch hält sie seit Jahrzehnten den Laden aufrecht. Sie ist vor allem anderen The Sovereign – niemandem verantwortlich als Gott allein.
Das aber, Institution zu sein, nicht Person, hat sie, wenn man dem Film folgt, mühevoll lernen müssen. Ohne den frühen Tod ihres Vaters und die Flucht des Onkels vor der Verantwortung hätte Elizabeth, von der ihre Mutter im Film herzlos sagt, sie sei nicht nur unerfahren, sondern im Grunde auch unfähig, nicht 1952 bereits den Thron besteigen müssen. Sie bringt ein Opfer, das andere verweigerten. Ihr Onkel Edward VIII. hielt es kein Jahr unter der Krone aus, er zog die Liebe zu einer zweimal geschiedenen Frau dem Leben auf dem Thron vor. Doch auch Elizabeth liebte – und wäre gern vor allem Ehefrau und Mutter (und vielleicht Pferdezüchterin) geblieben. (Wer das für ein Luxusproblem hält, trete bitte kurz zur Seite. Auch die Geburt ins britische Königshaus kann unschöne Folgen haben.)

Eine gute Portion Selbstekel

Doch Liebe und andere private Vorlieben dürfen den von ungeschriebenen Traditionen, der Kirche, der Verfassung diktierten Regeln nicht im Wege stehen. Elizabeth lernt, unter Schmerzen, grausam zu sein. Sie hat als erstes ihren widerspenstigen Gatten zu demütigen: Sie müssen in den von beiden gehassten Buckingham Palace ziehen, der gemeinsame Nachname wird Windsor, nicht etwa Mountbatten, bei der Krönung hat Philip vor ihr zu knien, und selbstredend darf er nicht König an ihrer Seite sein. Immerhin setzt sie durch, dass er die Krönungsfeierlichkeiten organisieren darf: Dank Philip wird das Ritual zum ersten Mal im Fernsehen übertragen.
Philip rebelliert auf männliche Art, mit anderen Männern und wahrscheinlich auch anderen Frauen. Doch eine Scheidung kommt nicht in Frage – also bleibt nur so etwas wie Bestechung. Oder Schmerzensgeld? Eine der beklemmendsten Szenen zeigt, wie die Queen ihn, den nicht Ebenbürtigen, kostümieren lässt, damit er endlich, zum Prinzen erhoben, neben ihr sitzen darf. Im Gesicht von Matt Smith, der den jungen Philip gibt, liest man wenig Genugtuung, sondern vor allem eine gute Portion Selbstekel.
Philip ist nicht das einzige Opfer der Etikette, mindestens so furchtbar ist das Martyrium der Schwester Margaret, die sich für die bessere Wahl als Königin hält. Ein Irrtum – sonst hätte sie begriffen, warum Elizabeth ihr die Heirat mit dem geschiedenen Peter Townsend verweigern muss. Die Queen entsagt unter sichtbaren Schmerzen dem, was den anderen Familienmitgliedern wichtiger zu sein scheint: dem Gefühl, der Individualität, den Ansprüchen der Liebe.

Zu einer Geste des Mitgefühls außerstande

Es scheint, als hätten alle anderen Familienmitglieder nicht verstanden, was eine konstitutionelle Monarchie dem Leben abverlangt: immer freundlich sein, niemals die Contenance verlieren und stets neutral bleiben. Und – keine Gefühle zeigen, auch nicht angesichts einer Katastrophe. Am 21. Oktober 1966 rutscht nach drei Wochen stetigen Regens die Abraumhalde einer walisischen Kohlenzeche auf das Dorf Aberfan herab und verschüttet eine Grundschule, in der fünf Lehrer und 109 Kinder sterben. Elizabeth fühlt sich zu einer Geste des Mitgefühls außerstande.
Leider lässt das Drehbuch sie nun darüber klagen, dass sie nie etwas fühle – womöglich im Vorgriff auf die Kritik an ihr, als sie es nach dem Tod von Princess Diana Jahre später an Betroffenheit fehlen ließ. Unnötig – denn die ganze Serie macht deutlich, warum sie dafür nicht steht. (Ganz abgesehen davon, dass die kümmerlichen Betroffenheitsrituale heutiger Politiker auch nicht warm machen.)
Das Private und das Öffentliche sind derart geschickt verwoben, dass die Serie auch als Politdrama über das einst große Britannien durchgeht. Das Empire löst sich auf, das Vereinigte Königreich gleitet in eine tiefe ökonomische Krise, die Nachfolger des so charismatischen wie eitlen Churchills sind schwache Figuren. Als Harold Wilson von der nicht gerade monarchistisch gesonnenen Labourparty Premierminister wird, fürchtet die Queen zunächst, es mit einem Spion der Sowjetunion zu tun zu haben. Dass sich zwischen den beiden dann eine beinahe intime Partnerschaft entwickelt, ist ein wenig irritierend, die enge Beziehung zu dem charismatischen Churchill war glaubhafter. Doch vielleicht weiß das Drehbuch mehr, als unsereins auch nur ahnt. Ein Seitenhieb jedenfalls geht zugunsten von Wilson aus: Als er über die drohende Abwertung des Pfunds spricht, denkt die Queen an ihre Reise zu den Pferdeställen der Welt.

Eingebunden und uninspiriert wie die Queen

Die dritte Staffel der Serie schraubt das Drama um Gefühl und Pflicht noch ein wenig höher. Ich hätte mir nicht träumen lassen, dass ich einmal Mitleid mit den Mitgliedern des britischen Königshauses empfinden würde. Da ist Philip, der nach dem Sinn des Lebens sucht, nach Größe, nach Abenteuer, nach Action. Er ist privilegiert genug für eine Privataudienz mit der Besatzung von Apollo 11: Armstrong, Aldrin und Collins hätten sicherlich erreicht, was ihm nie gelungen sei? Die drei Mondfahrer, schwer erkältet, husten jedoch auf die Größe ihres Erlebnisses – sie hätten sich an Protokoll und Ablauf halten und Listen abhaken müssen und seien vor allem müde gewesen. Sogar die Männer der Tat erweisen sich als ebenso eingebunden und uninspiriert wie die Queen. Ein tief deprimierter Philip findet Erleichterung in einem „Konzentrationslager für geistig Geschädigte“, dem Gesprächskreis eines Priesters. (Schon gut, ihr Zyniker: die drei Apollopiloten hatten eben keine Zeit für Depressionen.)
Am Ende aber rührt mich der junge Charles beinahe zu Tränen. Erst muss er aufs Internat, dann wird er nach Wales verbannt. Zu sagen hat er nichts, und als er endlich Trost bei Camilla Shand findet, heiratet die einen anderen. Camilla wäre ja eh nicht standesgemäß gewesen.
Die Liebe, die in der britischen Monarchie eigentlich keinen Platz haben darf, spielt bei allen Mitgliedern der Royal Family eine geradezu niederschmetternde Rolle: Die Liebe, die nicht sein darf. Und die Liebe, die ins Unheil führt: vor allem bei Princess Margaret. (Hoffentlich nicht auch bei Prince Harry.) Und da noch weitere drei Staffeln in Planung sind: Wir dürfen uns aufs Schlimmste gefasst machen.
Was wird sein, wenn sie das Zeitliche segnet, die Queen? Außer, vielleicht, William, wirkt keiner der Royals, als ob er für die Bürde der Krone geeignet wäre. Also weg mit dem teuren Gerümpel? Nun, die Royal Family kostet den Staat nichts, heißt es, im Gegenteil: sie spüle Geld in die Kassen. Doch vielleicht ist ein King wie die Queen aus einem anderen Grund heute wertvoller denn je: als die Verkörperung eines Ethos, demzufolge die Pflicht über persönlichen Interessen steht. Womöglich braucht das brave Volk das, wenn es Politik nur noch als Wahlkampf erlebt, in dem es um keine höheren Ziele geht als um den Machterhalt.

Aktuelle Version eines Beitrags, der zuerst in der „Weltwoche“ No. 50, 2019 erschienen ist.
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Sonntag, 5. Januar 2020

Atomkraft? Ja bitte.


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Zur Beerdigung von Philippsburg am Silvesterabend 2019 kamen ein paar Veteranen, die das Ende der Atomkraft feierten, und ein paar weniger, die es bedauerten, dass ein voll funktionsfähiger Energielieferant abgeschaltet werden musste, der überdies den Vorteil hatte, CO2-neutral zu sein. Als Ersatz gibt es jetzt Atomstrom aus Frankreich und Kohlestrom aus Polen, jedenfalls, solange dort genug davon zur Verfügung steht.
Was hilft? Mehr Windkraft braucht das Land, meinen wenigstens die neuen SPD-Vorsitzenden, und schlagen vor, die Zustimmung der Bürger, die etwas gegen Schlagschatten und Schallwellen haben, mit Geld zu erkaufen. Das grenzt schon an Menschenverachtung.
Dabei verhält es sich im Grunde mit der Windkraft so, wie einst mit der Atomenergie: es wird eine Technologie durch Subventionen alternativlos gemacht, für die es keine vernünftige Infrastruktur gibt.
Es ist weder das Stromnetz vorhanden, das die erzeugte Energie unter möglichst geringen Verlusten von A nach B leiten könnte, noch kann man den erzeugten Strom speichern für Zeiten, in denen weder Windkraft noch Solarpaneele liefern.
Der Anteil von Windkraft und Fotovoltaik an der Primärenergie ist beinahe zu vernachlässigen, wie eine Studie im Auftrag der Bundesregierung ermittelt hat. Wie kann man angesichts dessen nicht nur aus der Atomkraft, sondern auch noch aus Kohle- und Gasverstromung aussteigen wollen – und zugleich auf Elektromobilität setzen?
Soll die dafür nötige zusätzliche Energie im Lande selbst erzeugt werden, müsste man ganz Deutschland mit Windkraftanlagen zubauen, im Abstand von schätzungsweise 1,5 Kilometern. Sicher gibt es Stadtbewohner, die Freude an verspargelten Küsten und Mittelgebirgen hätten. Doch die Folgen solcher Windparkdichte sind ja nicht nur ästhetischer Art.
Es ist, wie gesagt, wie einst bei der Atomkraft: es fehlt an einer soliden Technikfolgenabschätzung. Die allermeisten Fragen diesbezüglich sind offen.
Fragen wie: sind die Rotoren Vogel-, Fledermaus- und Insektenkiller? Tragen die nächtlich blinkenden Lichter zur Lichtverschmutzung bei? Was ist mit der Versiegelung der Böden? Welche Folgen haben die von den riesigen Dreiflüglern ausgehenden Schallwellen für die menschliche (und tierische) Gesundheit, wenn schon ein Abstand von einem Kilometer den Windkraftbefürwortern als zu hoch gilt? Ist die ländliche Provinz den Metropolenbewohner nur noch eine allen Zwecken offene, nicht weiter wichtige Nutzfläche?
Und was passiert, wenn die Dinger wieder abgebaut werden müssen – entweder, weil ihre Lebenszeit abgelaufen ist oder weil menschlichem Erfindergeist eine bessere Energiequelle eingefallen ist? Die Rotorflügel bestehen aus Verbundstoffen und können nicht recycled werden. Man muss sie verbrennen oder vergraben oder, eine ganz tolle Idee, in ärmere Länder weiterverkaufen.
Und wie steht es mit den Unmengen von Beton, mit denen man die Giganten im Boden verankern muss? Einst war die Versiegelung der Böden ein Thema, heute spricht davon keiner mehr. Dabei untersuchen Wissenschaftler, welchen Einfluss Windkraftanlagen auf Windströme und Wolkenbildung haben und ob sie womöglich zu Erwärmung und Trockenheit beitragen. Sollte es nicht selbstverständlich sein, dass man jeden Eingriff in die Natur auf seine Wirkung hin untersucht?
Schließlich: dass auf diese Weise „sauberer“ Strom erzeugt würde, erweist sich als pure Behauptung, rechnet man die Gestehungs- und Entsorgungskosten mit ein. Co2-frei ist da gar nichts.
Die Anhänger der sogenannten Energiewende argumentieren gern mit der Vorbildfunktion Deutschlands. Ich fürchte, wir sind eher ein abschreckendes Beispiel. Der deutsche Alleingang bewirkt weltweit rein gar nichts – was wir an Co2 einsparen, pusten statt dessen andere Länder in die Luft. Die bauen im übrigen neue, Co2 vermeidende Kohlekraftwerke oder gleich jene neue Generation von Atomkraftwerken, aus deren Entwicklung wir uns verabschiedet haben: Co2-freie, inhärent sichere Reaktoren ohne langlebige Rückstände. Vielleicht sollte man darüber auch hierzulande wieder nachdenken.







Wir Untertanen.

  Reden wir mal nicht über das Versagen der Bundes- und Landesregierungen, einzelner Minister, der Frau Kanzler. Dazu ist im Grunde alles ge...