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Dienstag, 15. Oktober 2019

Die Türen schließen


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Man rühme und lobe Türen, feste, solide, geschlossene Türen. Sie haben dafür gesorgt, dass ein Massaker in einer Synagoge in Halle an der Saale ausblieb. Sie schützten Gläubige, die Jom Kippur feierten, den heiligsten Tag des jüdischen Kalenders, vor der Mordlust eines Irrsinnigen, den offenbar nicht nur Hass auf Juden antrieb. Quälend lange Minuten mussten sie um ihr Leben fürchten, bis die Polizei kam. Eine vor der Synagoge zufällig vorbeikommende Frau sowie der Kunde einer Dönerbude aber mussten ihr Leben lassen. Ein Alptraum. Nein, die Wirklichkeit.
Manch einem fehlen da die Worte, der politischen Klasse natürlich nicht. Trauer, Wut, Betroffenheit: wir kennen die Floskeln, aber immerhin zeigte man Solidarität mit der jüdischen Gemeinde, selbst die sonst so zurückhaltende Bundeskanzlerin ließ sich blicken. Um die beiden Ermordeten aber trauerten zuerst die Betenden der Synagoge.
Wie wäre es mit ein wenig mehr Zurückhaltung auf Politikerseite, oder wenigstens eine Zeit der Besinnung vor der allfälligen „Einordnung“? Denn während ansonsten gern gewarnt wird vor „Instrumentalisierung“ eines „Einzelfalls“, ist man diesmal mit Generalverdacht und Ausdeuten der „geistigen Brandstifter“ schnell dabei. Gemeint ist, natürlich, der politische Gegner: die AfD.
Prima, wenn man derart von eigenen Versäumnissen ablenken kann. Springer-Chef Matthias Döpfner nennt das „Verharmlosung“ und sogar „Systemversagen“: Wenn in Limburg ein „Allah“ rufender Mann einen LKW stiehlt und damit acht Personen verletzt, sprechen Politiker von einem verwirrten Einzeltäter. Ein Syrer, der die Absperrung einer Synagoge überwindet und „Allahu Akbar“ ruft, während er ein Messer zieht, wird einen Tag später freigelassen. Was für ein Zeichen an Nachahmungstäter. Und als Kuwait Airways sich weigerte, jüdische Passagiere zu befördern, kam hierzulande niemand auf die Idee, der Airline die Lande- und Startgenehmigung zu verweigern. Wie war das noch mit der „besonderen deutschen Verantwortung“?
Auch jene „geistigen Brandstifter“, die mit antisemitischen Parolen durch Berlin ziehen, wie Palästinenser und Islamisten zum Al-Quds-Marsch am 1. Juni in Berlin, laufen offenbar unter dem Radar unserer Politiker, ebenso der importierte Antisemitismus vieler muslimischer Migranten, denen der Judenhass seit Kindesbeinen eingetrichtert worden ist. Da aber fragt niemand nach den gesellschaftlichen Ursachen oder den geistigen Brandstiftern oder dem ziemlich globalen Netzwerk, das diesen Antisemitismus stützt.
Völlig klar: es gibt Antisemitismus in Deutschland, wie überall auf der Welt, ein Wunder, wenn es anders wäre. Es gibt ohne Zweifel Rechtsextremisten in Deutschland. Und es gibt Menschen, die ihren Wahn gewalttätig ausleben. Nach allem, was man über den Täter von Halle weiß, worüber er selbst in einer Art Manifest und per Video Auskunft gibt, handelt es sich um einen psychisch extrem derangierten Mann. Ist er nun der Beweis dafür, dass es „dunkel wird in Deutschland“, wie die „Welt“ titelte, ja, dass ganz Deutschland „in großer Gefahr“ ist? Muss man ihn als Teil einer rechtsextremistischen Verschwörung sehen, steht hinter ihm ein national agierendes Netzwerk?
Ehrlich gesagt: Daran darf man zweifeln, wenn man sich das selbst gebastelte Waffenarsenal vor Augen führt.
Doch wäre es nicht bequemer, wenn er Teil von etwas Größerem wäre? Denn ein rechtsextremes Netzwerk könnte man womöglich aufspüren und ausschalten, ein deutsches Netzwerk zumal brächte einen nicht in Konflikt mit den eigenen Idealen namens „bunt und vielfältig“. Das, scheint mir, steckt hinter der Suche nach den „gesellschaftlichen Ursachen“: man möchte den Hebel finden, mit dem man all diesen Schrecken verhindern kann. Doch das kann nicht gelingen – es sei denn, man setzt auf Gedankenpolizei und Überwachungsstaat.
Denn man wird kaum jemanden daran hindern können, seine Vorbilder bei anderen Wahnwitzigen zu suchen. Ebenso wenig kann man übrigens jemanden daran hindern, aus dem Koran die Aufforderung zu gewalttätigem Menschenhass herauszulesen.
Was hilft? Keine Lichterketten, keine Demonstrationen und Betroffenheitsrituale. Manchmal solide Türen, noch solidere als die der Synagoge in Halle. Vor allem Polizeischutz und die Anwendung geltender Gesetze.




Montag, 26. Oktober 2015

Keine Toleranz den Intoleranten

An den westdeutschen Universitäten wurde lange Jahre gelehrt, Deutschlands zwölf dreckige Jahre verdankten sich einem „deutschen Sonderweg“, der es vom „Westen“ ab- und in die falsche Richtung geführt habe. Erst durch zwei militärische Niederlagen, also nur mit Gewalt, sei das Land auf den richtigen Weg gezwungen worden – in Richtung westlicher Demokratie.

Gegen diese These kann und konnte man viel einwenden. Das Deutsche Reich unter Wilhelm II. war natürlich keine Demokratie, hatte aber einen überaus lebhaften Parlamentarismus mit einer starken sozialdemokratischen Fraktion, die auch über ihre Presse ein wirksamer Öffentlichkeitsfaktor war. Überhaupt: was wäre denn der „normale Weg“ gewesen, von dem Deutschland abgewichen wäre? Frankreich in und nach der französischen Revolution? Oder gar Frankreich unter dem Blitzkrieger Napoleon?

Wäre demgegenüber nicht der britische Weg vorzuziehen gewesen, der Weg beständiger Eindämmung von Herrscherwillkür durch Eigentumssicherung, persönliche Freiheit und Gewaltenteilung? Es muss nicht immer Revolution sein.

Egal: heute ist Deutschland im Westen angekommen. Oder? Denn erst jetzt oder jetzt erst recht beschreitet es Sonderwege: in der Energiepolitik, der Eurostrategie und in der Frage nationalstaatlicher Grenzen, an denen nicht nur die EU-Staaten festhalten wollen – bis auf Kanzlerin Merkel, deren Toleranz bis zur Aufgabe der staatlichen Souveränität zu gehen scheint.

Was aber bedeutet Toleranz? Alles hinnehmen? Und was ist der Westen, was seine „Werte“? Der Publizist Alexander Kissler analysiert in seinem klugen neuen Buch „Keine Toleranz den Intoleranten“ die Wurzeln dessen, was er für verteidigenswert hält: die Freiheit des Individuums anstelle von Klientelismus und Paternalismus liegt am Grund von Europas Stärke, Wettbewerb hat uns für gut 500 Jahre zur Lokomotive von Wachstum und Fortschritt gemacht, die Trennung zwischen göttlichem und weltlichem Gesetz liegt an der Basis unserer religiösen Toleranz. Das alles unterscheidet den Westen von Kulturen mit islamischer Prägung, dort ist das Individuum nichts, die Umma alles und das göttliche Gesetz steht über allem – auch, für viele der hier lebenden Muslime, über dem Grundgesetz.

Üben wir Toleranz bis zur Selbstaufgabe?
Oder üben wir sie den Falschen gegenüber?

Eines der erhellendsten Kapitel in Kisslers Buch über die Werte des Westens und wo man sie verteidigen muss ist von aktueller Brisanz. Es geht um das gestörte Verhältnis vieler Deutscher zu Israel und den eklatanten Antisemitismus vieler Muslime. Das ist ein Thema, das in der aktuellen Berichterstattung ebenso zu kurz kommt wie in der Analyse der mit der massenhaften Migration verbundenen Probleme. Eine große Mehrheit der Zuwanderer dürfte muslimisch zu sein. Viele bringen den Judenhass mit, mit dem sie aufgewachsen sind.

Schon im letzten Sommer waren die Zeichen zu lesen. Auf deutschen Straßen wurde von muslimischen Demonstranten „Hamas, Hamas, Juden ins Gas“ skandiert (in Gelsenkirchen), „Kindermörder Israel“ (Frankfurt am Main) oder „Jude, Jude, feiges Schwein“ und „Scheiß-Juden, wir kriegen euch“ (Berlin). Die Polizei schaute zu oder reichte sogar hilfreich die Flüstertüte.

Muslimischer Antisemitismus, steht zu befürchten, könnte sich hierzulande mit einer Ablehnung Israels verbünden, die nicht nur im linken Milieu fest verankert ist, sondern bis weit in die bürgerliche Mitte reicht. Was derzeit in Israel geschieht, diesem winzigen Land, der einzigen Demokratie im Nahen Osten, ja: dem Bollwerk des Westens inmitten arabischer Feinde, ist den meisten Medien nur eine Randnotiz wert. Dabei ziehen seit zwei Wochen Palästinenser und israelische Araber durch die Straßen Jerusalems oder Tel Avivs, bewaffnet mit Messern und Äxten, Sprengstoff und Autos.

Doch von Judenhassern überfahrene, erstochene oder verletzte Israelis tauchen in den Schlagzeilen selten auf, lieber prangert man die „maßlose“ israelische Gegenwehr an. Überhaupt wird gern von einer „Welle der Gewalt“ oder von einer „Gewaltspirale“ gesprochen, als ob beide Seiten gleichermaßen dafür verantwortlich seien. Die Täter mutieren treu der palästinensischen Propaganda zu den eigentlichen Opfern, denen man „Verzweiflung“ zugutehält. Die Israelis hingegen – Kindermörder, die jüngst zwei minderjährige Palästinenser mutwillig erschossen haben. Das stimmt natürlich nicht, einer der beiden, ein Dreizehnjähriger, der mit seinem fünfzehnjährigen Cousin zwei Israelis mit Messerstichen verletzt hat, lebt und wird in einem israelischen Krankenhaus versorgt.

Auf welcher Seite, fragt sich da, stehen wir also jetzt und in Zukunft? Was ist die Erinnerung an den Holocaust wert, fragt Kissler, auf die man die Migranten und Neubürger wohl schwerlich verpflichten kann? Und wie steht es, frage ich, um die Solidarität mit Israel als westlich geprägter Demokratie, und zwar ganz abgesehen von der deutschen Vergangenheit? Anders herum: wie viel Toleranz muss man eigentlich seinen erklärten Feinden entgegenbringen?

Alexander Kissler zeigt mit Cicero und John Locke, der Bibel und Voltaire, wo Selbstvergewisserung zu finden wäre: „Wir Menschen des Westens müssen unsere gemeinsame Geschichte wieder erzählen können. Wir müssen wieder wissen, woher wir stammen, wie wir wurden, was wir sind, und diese Geschichte weitertragen – unverzagt, gelassen, nimmermüde. Wir müssen, um die Toleranz zu ihrer wahren Größe zu befreien, erkennen, dass sie nicht Ignoranz meint und nicht Desinteresse.“

Donnerstag, 15. Januar 2015

Generalverdacht

Man sah Ulli Wickert an, wie sehr ihm das gefiel: dass die Franzosen sich nach den Morden an Journalisten und Juden durch islaminspirierte Terroristen als ein Volk fühlen, dass sie zu ihren Werten stehen - und dass sie die Marseillaise singen. Ein ziemlich martialisches Lied, übrigens, in dem aufgefordert wird, Ströme von unreinem Blut zu vergießen, Blut ausländischer Horden, die über französische Heime gebieten und Söhnen und Gattinnen die Kehle durchschneiden wollen. Honi soit qui mal y pense. Gegen die Marseillaise ist „Deutschland über alles“ ein Wiegenlied.
Wir Deutschen sind da anders. Dass man sich hierzulande als ein Volk sieht, dass im Bewusstsein seiner Werte gemeinsam gegen Terror steht, kann uns gewiss niemand nachsagen. Im Gegenteil: wir sind uns selbst am meisten verdächtig, und insbesondere Politiker fühlen sich verpflichtet, die Dummdeutschen zur Ordnung und zum Selbstverständlichen aufzurufen: nämlich nicht alle Muslime unter „Generalverdacht“ zu stellen. Hierzulande gilt nicht die Meinungsfreiheit als bedroht, man nimmt auch nur nebenbei zur Kenntnis, dass einer der französischen Terroristen Menschen ermordet hat, weil sie Juden sind. Nein: hier gilt es, Muslime vor einer imaginierten Gefahr zu schützen.

Gefahr droht ihnen, gewiss, jedoch nicht von einem Häuflein Demonstranten, dass in Dresden vor einer schleichenden Islamisierung warnt. Die meisten Opfer islamistischer Terroristen weltweit sind Muslime. Käme es da nicht darauf an, hierzulande Werte hoch zu halten, deretwegen viele Muslime in dieses Land gekommen sind: Freiheit, Individualität, Rechtsstaatlichkeit, Gleichberechtigung? Sollte man nicht meinen, dass ein Beschwichtigen des militanten Islamismus Verrat ist an all jenen, die der Freiheit wegen in dieses Land gekommen sind?

Doch in Deutschland steht der Feind nicht nur felsenfest rechts, er ist vor allem deutsch. Das haben wir so gelernt und das verlernen wir so schnell nicht wieder, und wenn das Muster nicht gleich ins Auge fällt, kann man mit ein bisschen Interpretation nachhelfen. Sensible Beobachter erkennen Nazis auch da, wo sie weder Glatzen tragen noch Springerstiefel oder Hakenkreuztatoos. Das sind dann eben „Nazis in Nadelstreifen“, oder, ein Hochamt der Einfühlung, „Latenznazis“, wie sie Sascha Lobo bei Pegida entdeckt hat, „also Leute, die rechtsextreme Positionen vertreten, ohne zu wissen oder wissen zu wollen, dass sie rechtsextrem sind.“ Deutsche unter Generalverdacht?

Das soll mal einer über Muslime sagen. Das wäre dann wohl „Islamrassismus“, eine besonders interessante Vokabel, die neuerdings die Runde macht. Demzufolge wäre der Islam keine Religion, der man anhängen kann oder nicht, sondern die unveränderliche Eigenschaft einer Person, er ist den Muslimen sozusagen genetisch eingeschrieben. Das entspricht der Auffassung muslimischer Rechtsgelehrter, demzufolge der Islam nichts ist, aus dem man austreten kann – Apostaten haben der reinen Lehre zufolge ihr Leben verwirkt. Den Ideologen des Islam aber gelingt es damit zugleich, Religionskritik zum Angriff auf ihre Anhänger umzudeuten. Und schon ist die Lage wieder klar und das Muster deutlich: wer den Islam kritisiert, ist Rassist. Also Nazi. Und Muslime sind noch im Nachhinein Opfer Hitlers.

Das ist im übrigen der Höhepunkt benevolenter Arroganz: auch die Terroristen nicht als Täter zu nehmen, sondern zu Opfern (der Verhältnisse) zu erklären. Immer wieder wird Fanatismus und Gewaltverherrlichung lächelnd verständnisvoll als Reaktion auf angebliche Ausgrenzung erklärt und verklärt. „Auf eine perverse Art artikuliert sich hier ein paternalistischer Gutmenschenrassismus, der auch 50 Jahre nach der Entkolonialisierung den muslimischen Anderen nicht als Subjekt seiner Geschichte begreifen kann, sondern nur als reagierendes Objekt westlichen Handelns.“ (Ernst Hillebrand) Dazu passt, dass der Antisemitismus des radikalen Islam heruntergespielt wird, die jüdischen Opfer sind Nebensache. Doch der Antisemitismus ist dem Islam eingeschrieben, man will es nur nicht zur Kenntnis nehmen.

Während die Franzosen geeint gegen islamischen Terrorismus auf die Straße gehen, machen sich deutsche Politiker um die Spaltung der Nation verdient. Ich weiß nicht, womit wir einen Justizminister wie Heiko Maas verdient haben, dem es wichtiger zu sein scheint, dem politischen Gegner eins auszuwischen als die Dinge beim Namen zu nennen: „Terrorismus ist keine Reaktion, sondern Vollstreckung eines politischen Anspruchs, der in der islamischen Theologie eingebettet ist.“ (Hamed Abdel-Samad). Statt dessen wird Pegida ihr Demonstrationsrecht bestritten. Lächerlicher noch: dort, heißt es, dürfe man nicht um die französischen Terroropfer trauern. Das darf offenbar nur, wer am staatlich organisierten „Aufstand der Anständigen“ teilnimmt. Mit Steuergeldern finanzierte Demonstrationen sind, nebenbei, der Gipfel politischer Verkommenheit.

Den Vogel allerdings hat der Zeitungsverlegerverband abgeschossen. In vielen Zeitungen ist eine Karikatur erschienen, in der Pegidademonstranten, die „Lügenpresse“ rufen, mit den Mördern von Charlie Hebdo gleichgesetzt wird: „Die reden nur! Wir tun was!!“

Da stockt einem der Atem. Als ob die radikale Verhohnepiepelung des Islam durch Charlie Hebdo gemeint sei, wenn man in Dresden „Lügenpresse“ ruft. Mir scheint hier, im Gegenteil, der Terrorangriff von Paris instrumentalisiert zu werden für mediales Selbstlob. So schottet man sich ab gegen Kritik.
Ach, übrigens: auch, wenn man den Vorwurf der Lügenpresse nicht für gerechtfertigt hält, kann einem schon mal auffallen, dass Bilder trügen. Da ist etwa dieses herzzerreißende Foto, das Angela Merkel mit geschlossenen Augen an der Schulter von Francois Hollande zeigt. Wer die Szene im Film gesehen hat, weiß, dass dies ein überaus flüchtiger Moment war, ohne Pathos und ohne große Bedeutung, den ein Fotograf zu seinem Glück gebannt hat und der nun zur Ikone wird.
Auch das Bild all der Staatsmänner und –frauen, die als Avantgarde für das Gute und gegen das Böse vor Millionen in Paris aufmarschieren, ist trügerisch. Ein anderes Bild zeigt, wie sich hinter ihnen ein leerer Platz auftut.

Erkennen wir hierzulande wirklich den Feind nur dann, wenn er rechts steht?

Ich gebe zu: derzeit wäre ich lieber Franzose. Die scheinen zu wissen, zu welchen Werten sie stehen. Wir hierzulande müssen noch üben. Hoffentlich nicht mehr allzulange.


Zuerst in: Wirtschaftswoche, 13. Januar 2015

Samstag, 12. Januar 2013

Liebe Freunde Israels!

Es gibt Kritik an Israel, die ist antisemitisch. Das ist weder ein deutsches Privileg noch überrascht es. Im Gegenteil: danke für Ihre Offenheit, meine Damen und Herren! Weit peinlicher ist jene Kritik an Israel, die seine „Freunde“ üben. Dichter und Denker etwa, die eine so enge Freundschaft mit den Juden pflegen, dass sie sich verpflichtet fühlen, ihnen dabei zu helfen, sich als eingetragene Opfer gefälligst anständig zu benehmen. Oft ist das schlimmer als antisemitisch: nämlich noch dümmer.
Doch richtig duster wird’s, wenn Politiker feiertags vom „besonderen Verhältnis“ zwischen Deutschland und Israel schwadronieren. Könnte es sein, dass sich dahinter ein Missverständnis verbirgt? Unter den Nazis haben Deutsche versucht, alle Juden umzubringen, das ist richtig. Kein gestandener Zionist aber würde Hitler zugestehen, an Israel schuld zu sein. Die ersten Zionisten machten sich Ende des 19. Jahrhunderts nach Palästina auf. Aber vor allem: was ist im Ernstfall von diesem „besonderen Verhältnis“ zu halten?
Solche Feiertagsvokabeln klingen verdächtig nach der Schutzbehauptung dieser und anderer Dichterfürsten, sie seien ein „Freund des Staates Israel“, was die auf dem Fuße folgenden Belehrungen offenbar verdaulicher machen soll. Was soll das? Noch nicht mal auf Facebook bin ich mit Staaten befreundet, auch nicht mit ganzen Völkern, gar dem jüdischen, um Himmelswillen. Auch gehört es sich, zwischen Bevölkerung und Regierung zu unterscheiden, das gilt sogar für die Deutschen unter den Nazis. Im übrigen muss man den Israelis keine Nachhilfe geben, was Kritik und Selbstkritik betrifft, das ist da unten Volkssport. Dafür mag ich sie übrigens, die Israelis. Sofern das nicht schon wieder nach aufgenötigter Freundschaft klingt.
Wie wäre es also, die Beziehung zwischen zwei Ländern, dem westeuropäischen Deutschland und dem nahöstlichen Israel, mal ganz ohne wabernden Wortnebel zu betrachten? Ganz ohne Rekurs auf die Vergangenheit, auch wenn das, zugegeben, schwer fällt? Aber im Hinblick darauf, was im Notfall die „Freundschaft“ wert ist?
Ich bin auf der Seite Israels, wann immer es um die Verteidigung seiner Existenz geht. Dafür gibt es gute Gründe, ganz ohne Vergangenheit und besondere Verhältnisse. Israel, dieses verrückte, zerrissene Land, ist die einzige Demokratie im Nahen Osten. Es ist das Bollwerk des Westens. Es ist seit Jahrzehnten Objekt der zynischen Palästinenserpolitik seiner arabischen Nachbarn. Es wird nicht nur von einem durchgeknallten Despoten im Iran bedroht, auch der Vormarsch islamischer Fundamentalisten in den arabischen Ländern drängt das winzige Land an den Rand. Hinzu kommen seine Gegner im Lande selbst: viele orthodoxe Juden wollen und wollten keinen Staat Israel. Doch wenn es ihn schon gibt, hat der Lubawitscher Rebbe mal gesagt, dann soll es in Israel wenigstens orthodox zugehen. Schlechte Aussichten für das freie, das moderne Israel: auch die liberalen Juden der Welt zieht es nicht unbedingt in das furchtbar enge und ständig nervöse Land.
Doch nicht obwohl, sondern weil es zum Westen gehört, wacht man hierzulande mit Argusaugen darüber, dass die Israelis auch sauber bleiben. Raketen auf Israel sind kaum eine Nachricht wert. Israelische Gegenwehr schon. Zur Folklore friedensliebender Deutscher gehört, denen mit „andersartiger Kultur“ so gut wie alles zu verzeihen, auch Selbstmordanschläge mit voller Tötungsabsicht, während von der israelischen (oder amerikanischen) Armee verursachte „Kollateralschäden“, also versehentliche Ziviltote, skandalisiert werden. Man ist vielleicht nicht vor allem antisemitisch – aber in alter linker Tradition gegen den Westen.
Und gewiss, der „Arabellion“ konnte man zujubeln, zumal dem Abschied von kabarettreifen Despoten. Aber dass freie demokratische Wahlen auch jenen nützen, die mit Rechtsstaatlichkeit nichts am Hut haben und die Demokratie dazu benutzen, sie abzuschaffen, dürfte selbst Freunden des Volkes irgendwann dämmern. Angesichts der trostlosen Lage im Iran sei die Frage erlaubt, ob der Schah (mitsamt Farah Diba) nicht das kleinere Übel war. Und zwar nicht nur, aber auch deshalb, weil das Schahregime für den Westen eine kalkulierbare Größe war.
Womit ich am Punkt bin, an dem ich gerne wüsste, was die „Freunde Israels“ wollen, die schwierige Lage einmal zuendegedacht. Israel möge Frieden bewahren. Schön. Aber wie macht man das ohne verlässliche, ohne kalkulierbare Nachbarn? Die andere Wange hinhalten?
Israel möge die von vielen ersehnte Zweistaatenlösung nicht gefährden, etwa durch Siedlungsprojekte. Sofern die Stadt Maaleh Adumim gemeint ist, in der 4 000 Wohnungen gebaut werden sollen: wie kann ein Ort, der gerade mal sieben Kilometer von Jerusalem entfernt ist und allen bekannten Plänen zufolge einem künftigen Israel zugeschlagen werden würde, den Friedensprozess mehr gefährden als der Beschuss Israels durch die Hamas?
Und überhaupt: die Zweistaatenlösung. Sie gilt als Fortschritt gegenüber der Forderung nach Rückkehrrecht für alle Palästinenser, was angesichts ihrer erdrückenden Mehrheit in Windeseile dafür sorgen würde, dass Israel weder ein Judenstaat noch eine westliche Demokratie bliebe. Aber wie soll sie aussehen? Womöglich so, wie es Barry Shaw in der Jerusalem Post prognostiziert: Im Palästinenserstaat gewinnt die Hamas die demokratischen Wahlen und setzt ihr Programm um, nämlich ganz Palästina zu „befreien“. Mithilfe islamistischer Streiter aus Libanon, Syrien, Jordanien und Ägypten wird das strategisch geschwächte Rumpfisrael in die Enge getrieben. Denn die Hamas wäre damit so nahe gerückt, dass sie nicht nur den internationalen Flughafen kontrollieren, sondern auch jede Ecke des übriggebliebenen Israels bombardieren könnte.
Und dann?
Wir brauchen in Deutschland kein „besonderes Verhältnis“ zu Israel und auch nicht die Beschwörung des Holocaust, es reichte im Grunde das pure Eigeninteresse: das Interesse daran, im Nahen Osten nicht die letzte Bastion von westlicher Moderne, Rechtsstaatlichkeit und Demokratie zu verlieren.
Und jetzt kommt die Gretchenfrage: was wären wir bereit dafür zu tun?
Die Welt, 11.1.2013


Samstag, 18. Dezember 2010

Islamophobie II

Thomas von der Osten-Sacken in einer Antwort auf Alan Posener, der Islamophobie für rassistisch hält:

"Wie steht es nun mit namhaften Predigern, Politikern und Warlords, die ihr Tun und Denken aus dem Koran ableiten und angeblich im Sinne Allahs handeln? Von Ayatollah Khomenei bis zu Usama bin Laden auf der einen, Teilen der ach so moderaten AKP-Regierung auf der anderen - und unzähligen Mullahs dazwischen - erklären sie alle laut und deutlich, ihr langfristiges Ziel sei die Islamisierung Europas. Wer dies dokumentiert und analysiert, handelt nicht wahnhaft, sondern empirisch.

Rassistisch dagegen argumentiert, wer nun allen Menschen, die im weitesten Sinne Muslime sind (also ihren Glauben irgendwie leben und nicht nur als Kinder muslimischer Eltern geboren worden sind), deshalb unterstellte, sich zur Eroberung Europas unter der Fahne des Propheten verschworen zu haben."
Mehr:

Dienstag, 14. Dezember 2010

Was ist Islamophobie?

Pascal Bruckner in einem sehr lesenswerten Essay im Perlentaucher:

"Ende der siebziger Jahre haben iranische Fundamentalisten den Begriff der Islamophobie erfunden, den sie sich von der "Xenophobie" abgepaust haben. Sein Ziel ist, den Islam zu etwas Unberührbarem zu erklären. Wer diese neu gesetzte Grenze überschreitet, gilt als Rassist. Diese einer totalitären Propaganda würdige Begriff lässt absichtlich offen, ob er auf eine Religion zielt, ein Glaubenssystem, oder auf die Gläubigen aller Herren Länder, die ihr angehören.

Aber ein Bekenntnis lässt sich so wenig mit einer Rasse gleichsetzen wie eine säkulare Ideologie. Zum Islam bekennen sich wie zum Christentum Menschen aus Arabien, Afrika, Asien oder Europa, so wie Menschen aller Länder Marxisten, Liberale, Anarchisten waren oder sind. Bis zum Beweis des Gegenteils hat jedermann in einer Demokratie das Recht, Religionen als rückständiges Lügenwerk zu betrachten und sie nicht zu lieben. Man mag es legitim oder absurd finden, dass manche dem Islam - so wie einst dem Katholizismus - misstrauen und seinen aggressiven Proselytismus und totalen Wahrheitsanspruch ablehnen - aber es ist kein Ausdruck von Rassismus.

(...)
Der Begriff der Islamophobie hat mehrere Funktionen: Er leugnet die Realität einer islamistischen Offensive in Europa, um sie besser zu rechtfertigen. Er attackiert den Laizismus, indem er ihn mit einem Fundamentalismus gleichsetzt. Vor allem aber will er all jene Muslime zum Schweigen bringen, die den Koran in Frage stellen und die Gleichheit der Geschlechter fordern, die das Recht einklagen, einer Religion abzuschwören, und die ihren Glauben friedlich und nicht unter dem Diktat von Bärtigen und Doktrinären leben wollen. Also stigmatisiert man junge Mädchen, die den Schleier ablehnen, also geißelt man jene Französinnen, Deutschen oder Engländer maghrebinischer, türkischer, afrikanischer, algerischer Herkunft, die das Recht auf religiöse Indifferenz einfordern, das Recht, nicht an Gott zu glauben, das Recht im Ramadan zu essen. Man zeigt mit den Fingern auf jene Renegaten, liefert sie dem Zorn ihrer Gemeinschaft aus, um jede Hoffnung auf einen Wandel bei den Anhängern des Propheten zu unterdrücken.

Auf weltweiter Ebene wird ein neues Meinungsdelikt konstruiert, das stark an das Vorgehen der Sowjetunion gegen "Feinde des Volkes" erinnert. Und unsere Medien und Politiker geben ihren Segen. (...)

Wir Untertanen.

  Reden wir mal nicht über das Versagen der Bundes- und Landesregierungen, einzelner Minister, der Frau Kanzler. Dazu ist im Grunde alles ge...