„Versöhnen statt spalten“, forderte einst ein Bundespräsident. Das war eine eher alberne Floskel und wurde damals weidlich verspottet. Und doch kommt einem der Spruch von Johannes Rau heute erheblich menschenfreundlicher vor als das manichäische Weltbild, das neuerdings Joachim Gauck verbreitet.
„Es gibt ein helles Deutschland, das sich hier leuchtend darstellt“, sagte der Bundespräsident beim Besuch einer Flüchtlingsunterkunft in Berlin, „gegenüber dem Dunkeldeutschland, das wir empfinden, wenn wir von Attacken auf Asylbewerberunterkünfte oder gar fremdenfeindlichen Aktionen gegen Menschen hören.“
Es kommt einem undenkbar vor, dass Joachim Gauck, einst Bürger und Bürgerrechtler der DDR, nicht wusste, was der da sagte. „Dunkeldeutschland“ war das Kosewort der Wessis für die ehemalige DDR, deren Bewohner sie als politisch rückständig und irgendwie dumpf-rechts empfanden. Viele waren überdies entsetzlich gekränkt darüber, dass Zonen-Gaby und all die anderen Bananenhungrigen nichts mehr vom Sozialismus wissen wollten. Und nun kommt ausgerechnet ein Ex-Ossi mit einer Kollektivbeschimpfung der sogenannten fünf neuen Länder?
Das gibt allen Zucker, die auf der Suche nach einem Sündenbock sind. Mich beschleicht langsam das helle Grausen, wenn ich mir anschaue, wer alles die hier ankommenden Asylsuchenden, Flüchtlinge und Migranten, funktionalisiert: da sind, natürlich, die Rechtsradikalen von der NPD bis zu noch unappetitlicheren Grüppchen, die die Gunst der Stunde nutzen. Da ist die Antifa, die sich über jeden Einsatz an vorderster Front freut. Da sind die Promis, die zeigen wollen, dass sie ein Herz haben. Da sind die Politiker, die sich als edle Kämpfer für den Anstand darbieten. Doch am meisten dürften sich über die Hitparade der Nießnutzer des Leids anderer Leute all jene freuen, denen daran liegt, dass die Debatte über das, was sich derzeit in Europa abspielt, möglichst unter der Decke bleibt.
Wie viel schöner, wenn man über das „Pack“ schimpfen kann! Ja doch, man versteht den Zorn, einerseits. Doch hat Sigmar Gabriel wirklich nicht begriffen, dass sich von solchen Invektiven auch jene angesprochen und verunglimpft fühlen könnten, deren Anwalt die SPD doch so gerne wäre, nämlich die am unteren Rand der Gesellschaft, die nicht ganz zu Unrecht Konkurrenz um schwindende Ressourcen fürchten, wenn hunderttausende Menschen mit berechtigten und unberechtigten Ansprüchen ins Land strömen?
All die starken Sprüche gegen das, was hierzulande nunmal geächtet ist und wogegen Widerstand vaterländische Pflicht ist – die ganze Nation kämpft schließlich „gegen rechts“! - , all diese zur Schau gestellte Verachtung dient auch der Ablenkung davon, dass „besorgte Bürger“ in der Tat Grund zur Sorge haben.
Gabriel hatte völlig recht, als er anstelle eines Aufstands der Anständigen den „Anstand der Zuständigen“ forderte. Zu diesem Anstand aber gehört als erstes, dem Bürger die Wahrheit zuzumuten. Und als zweites, die Ergebnisse polizeilicher Ermittlungen abzuwarten, bevor man einen weiteren Brandanschlag zu einem gesellschaftlichen Befund hochrechnet. Es ist ziemlich oft anders, als man denkt. Auch spielende Kinder und moderner Haushaltsgeräte unkundige junge Männer können Brände verursachen. Nein, keine Sorge, dieser Hinweis dient nicht der „Verharmlosung“, ein wenig Abwarten vorm Skandalisieren ist jedoch die erste Maßnahme gegen schwindendes Vertrauen.
Denn auch die in „Dunkeldeutschland“ wissen und sehen ja, dass nicht alle, die kommen, Bürgerkriegsflüchtlinge sind, denen man helfen muss. Es kommen eben auch viele, die keinen Anspruch auf Asyl haben und gehen müssten, hielte man sich hierzulande an die Gesetze. Deutschlands „Willkommenskultur“ offenbart der Weltöffentlichkeit nicht nur, dass hier ganz viele liebe Menschen leben, sondern auch, dass wir hier Weicheier sind, die jeden Gesetzesbruch akzeptieren. Die Botschaft, die viele verstanden haben: jeder kann hier bleiben, der die Ellenbogen dazu hat.
Nüchterne Zahlen aber lassen eine Zukunft erkennen, die es verbietet, beschönigend das „Bunte“ und „Kulturbereichernde“ zu beschwören. Migranten sind keine besseren Menschen, sie bringen ihre Konflikte mit. Aus Afrika und dem Nahen Osten kommen überdies vor allem junge Männer, darunter in der Mehrzahl Muslime, deren Integration an Sprache und Ausbildung scheitern dürfte. Das begünstigt die Entstehung ethnisch und kulturell abgegrenzter No-go-Areas, in denen das Gewaltmonopol des Staates nicht gilt. Die Polizei ist jetzt schon überfordert, während die Bundeswehr als Technisches Hilfswerk anderswo beschäftigt ist.
Die Lage verbessert sich übrigens nicht gerade dadurch, dass die vielen jungen Männer im Zweifelsfall keine Frau finden. Das ist seit Menschengedenken die denkbar ungünstigste Basis für ein friedliches Zusammenleben. Man nehme das islamistische Frauenbild hinzu und man ahnt, dass sich Jahrzehnte des Kampfs um Gleichberechtigung der Frauen als vergebens erweisen könnten.
Die derzeitige Debatte aber sieht nur eine Gefahr: die einer rechtsradikalen deutschen Minderheit. Das ist Wunschdenken. Oder der Versuch, die explosive Situation zu verschleiern.
Natürlich gibt es rechtsradikalen Mob und Trittbrettfahrer. Rechtsradikalismus ist in Ost wie West ebenso wenig verschwunden wie Antifa-Terror und Antisemitismus, der allerdings längst keine deutsche Spezialität mehr ist. Das alles beschränkt sich nicht auf das Territorium der ehemaligen DDR, obwohl es Gründe gibt, warum es dort besonders virulent sein könnte.
Mir fällt bei vielen Gesprächen allerdings immer wieder etwas anderes auf, das die in „Dunkeldeutschland“ lebenden zu den helleren Köpfen macht: eine besondere Empfindlichkeit gegen jede Form von „Neusprech“, ein Misstrauen gegenüber allen Beschönigungsvokabeln, eine ausgeprägte Wachsamkeit, wenn Politiker von „(unseren) Menschen“ und dem Guten und Richtigen schwadronieren oder die rauhe Wirklichkeit schön lügen. Sprachkosmetik macht misstrauisch, wenn man die Verschleierungsvokabeln der SED und ihrer gleichgeschalteten Presse noch im Kopf hat.
Im Westen ist man „Fremde“ eher gewohnt, das ist sicher richtig. Aber man ist auch, Verzeihung, in vieler Hinsicht besser domestiziert. Das ist in härteren Zeiten nicht immer von Vorteil.
Eins sollte jeder Politiker wissen: „Versöhnen statt Spalten“ gilt heute erst recht. Markiges Herumgepolter verstärkt lediglich das eh schon wachsende Misstrauen. Das aber können wir derzeit am allerwenigsten gebrauchen.
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