Dienstag, 3. März 2015

Euroland ist abgebrannt

„Wir als Deutsche“ – klar: das darf in keiner Rede fehlen, in der die deutsche Regierung das renitente Staatsvolk zu irgendetwas überreden will. Auf dem Fuße folgt das Wieselwort „Solidarität“, das ist mindestens so wirksam wie der Appell an die „Menschlichkeit“. Wer will schon ein unsolidarischer Unmensch sein?
Niemand, vor allem hierzulande nicht. Und deshalb hat vieles auch außerhalb des Parlaments eine Mehrheit, was ökonomisch widersinnig sein mag. Die „Rettung“ Griechenlands gehört dazu. Jeder mit ein bisschen Gefühl möchte „den Griechen“ helfen, zumal „die Deutschen“ (mit ihrer Vergangenheit, klar). Erbarmen fordern daher nicht nur diejenigen, die den Lederjackencharme von Alexis und Yanis unwiderstehlich finden – frisch, frech und sexy. (Über Geschmack lässt sich ja nicht streiten.) Doch gerade den notleidenden Griechen wird eine weitere Verlängerung der Agonie nicht helfen – mal abgesehen davon, dass Erbarmen gewiss nicht der primäre Beweggrund der Euro-Elite ist. Im Falle Griechenland hilft jeder vor allem sich selbst.

Die Debatte im Bundestag darüber war unter Niveau, aber immer noch besser als jene, in der sich damals die FDP als Opposition erledigt hat. Diesmal muss man es einigen CDU-Abgeordneten danken, dass das deutsche Parlament nicht völlig ohne Opposition dastand. Genau das wird der Grund gewesen sein, warum man diesmal Widerspruch zuließ, das macht sich einfach besser. Ja, soviel Zynismus darf man unseren Politikern durchaus zutrauen. Doch selbst der CDU-Politiker und „Abweichler“ Klaus-Peter Willsch hat am Thema vorbeigeredet, denn die Pointe zündete nicht, dass wohl niemand von der griechischen Regierung einen Gebrauchtwagen kaufen würde – wozu auch? Als Autohändler brauchen wir die Griechen nicht.

Im Ernst: es geht doch längst um etwas anderes. Der Euro hat Europa augenscheinlich nicht nur nicht geeint, er hat es auch nicht, wie verkündet, zu einem mächtigen global player gemacht. Die Kosten dieses politischen Experiments zum Nachteil der ökonomischen Vernunft sind unüberschaubar, aber eines zeichnet sich bereits jetzt ab: von Krise zu Krise geht Vertrauen verloren. Das schwindende Vertrauen in die Demokratie ist bedenklich genug. Doch das Fundament einer gedeihenden Gemeinschaft besteht nicht nur darin, dass seine Mitglieder regelmäßig zur Wahl gehen – auch die Demokratie kann schließlich abgewählt werden. Jüngst hat die „Arabellion“ ihren begeisterten Zuschauern im Westen diesen Zahn gezogen. Die Basis des friedlichen Zusammenlebens und von wirtschaftlichem Erfolg besteht weit mehr noch aus Vertragssicherheit, Rechtsstaatlichkeit, funktionierenden Institutionen. In Euroland aber regiert mittlerweile der Vertragsbruch.

Was „die Griechen“ betrifft, so sind sie so wenig schuld am Desaster wie „die Deutschen“ – es ist schon seltsam, wie beliebt nationale Klischees neuerdings wieder sind. Wenn wir anständigerweise zwischen Regierung und Bevölkerung unterscheiden, dann wird man „den“ Griechen die Herrschaft raffgieriger Familienclans seit Beginn der souveränen staatlichen Existenz im Jahre 1830 nicht vorwerfen können. Und wer möchte ernstlich Steuerehrlichkeit gegenüber einem korrupten Staatswesen empfehlen? Vor allem aber fehlt Rechtssicherheit in einem für wirtschaftliches Gedeihen ganz entscheidenden Punkt: noch heute hat Griechenland keine Rechtssicherheit, was das Grundeigentum betrifft, da es kein verlässliches Katasterwesen gibt. „Es bewahrt vor Willkür und Korruption. Ohne ein Kataster investieren keine Unternehmen. Ohne ein Kataster fließen keine Agrarsubventionen. Es ist die Bedingung für eine funktionierende Marktwirtschaft“, analysiert Richard Fraunberger.

Daran ändern die „Hilfen“ für Griechenland auf absehbare Zeit nichts. Dafür hat das Gezacker um die Euromitgliedschaft des Pleitestaates unübersehbaren Flurschaden bei den „Helfern“ angerichtet. Dass Deutschland und Frankreich die ersten waren, die gegen die Maastricht-Kriterien verstoßen haben, dass die ganze „Rettungspolitik“ auf Vertragsbruch basiert und an den nationalen Parlamenten und der Bevölkerung vorbeigewinkt wird – all das hat Vertrauen zerstört, Konkurrenz durch neue Parteien, die dann gern als „rechtspopulistisch“ abgewatscht werden, war die Folge.

Vor allem aber haben Alexis und Yanis, sexy, frisch und jung, wie sie sind, die Euroelite nach Strich und Faden vorgeführt: sie haben gezeigt, dass Euroland erpressbar ist.

Kühl kalkuliert sind es zwei Aspekte, mit denen man die Euroelite unter Druck setzen kann. Zum einen könnte ein Grexit, die vom Standpunkt ökonomischer Vernunft beste Lösung, das Scheitern des ganzen Euro-Projekts nach sich ziehen, eine unendliche Blamage für ein Politpersonal, dass seine Bevölkerung jahrelang mit dem Versprechen goldener Zeiten an der Nase herumgeführt hat.

Der zweite Aspekt: nach dem Ende der Blockkonfrontation und der Friedhofsruhe der bipolaren Welt ist Bewegung ins internationale Spiel gekommen. Die USA ziehen sich zurück, Russland unter Putin prescht in imperialer Absicht vor. Wie zur Zeit des kalten Krieges haben Staaten wieder die Wahl zwischen zwei Blöcken, ist das Dominospiel wieder möglich, jene Theorie der Eskalation, die damals die USA in Abenteuer wie das Engagement in Vietnam gezogen hat. Fällt Griechenland aus dem Einfluss des Euroraums heraus, folgt es den Schalmeientönen Putins, wozu einige führende Mitglieder der griechischen Syriza aus vergangenen und gegenwärtigen Sympathien neigen, dann bricht ein Steinchen aus einem eh schon brüchigen Konstrukt. Europa ist so mächtig nicht, wie es gern wäre. Manch einer wird es daher vorziehen, die Treue der griechischen Regierung zu kaufen.

Damit nun allerdings bricht endgültig das ökonomische Argument zusammen: it’s the politics, stupid, again and again
.
Yanis Varoufakis hat frisch und frech ausgeplaudert, was in den jüngsten Verhandlungen um eine Verlängerung der „Hilfe“ als Gesichtswahrung gedacht war: man hat alles schön unbestimmt formuliert, um den Parlamenten im Euroraum die Zustimmung zu erleichtern. Denn man ist in einer ausweglosen Situation. Die europäischen Staatsmänner und –frauen sind verstrickt ins eigene Konstrukt, das ihnen ihre Vorgänger eingebrockt haben, angewiesen auf einen Zusammenhalt, der längst Papiertiger ist: Europa sei nur gemeinsam mächtig. Der Euro hat sich als der falsche Weg dahin erwiesen.

Wirtschaftswoche Online, 3. März 2015

1 Kommentar:

  1. "Wer will schon ein unsolidarischer Unmensch sein?"

    Kann damit leben. Also bin ich ab jetzt der Niemand.

    "Jeder mit ein bisschen Gefühl möchte „den Griechen“ helfen, zumal „die Deutschen“ (mit ihrer Vergangenheit, klar). "

    Ich habe ein bisschen mehr Gefühl und möchte den Griechen nicht helfen. Warum auch? Wer hat betrogen? Wer hat Schulden noch und nöcher gemacht?

    Wer stampft mit dem Fuß auf uns schreit: Ich will aber?

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