Frauen das friedliche, Männer das
gewalttätige Geschlecht? Obwohl Frauen als Mörder und Totschläger statistisch
weniger auffällig werden, ist die Sache weitaus komplexer.
Gewalt ist kein Charaktermerkmal ausschließlich
von Männern, auch Frauen sind, auf je spezifische Weise, zu Grausamkeiten aller
Art in der Lage. Auch waren und sind sie weder nur Opfer noch Unbeteiligte. Zu
allen Zeiten und in allen Kulturen applaudierten Frauen männlicher Gewalt,
forderten Männer und Söhne dazu auf, in die Schlacht zu ziehen, zur Verteidigung
von Clan, Stamm oder Vaterland. Oder sie amüsierten sich in den Arenen bei
blutigen Schaukämpfen.
Sie waren, als diejenigen, die für
den Erhalt der Gattung zuständig waren, begehrte Beute und kostbare Ressource. Sie
waren Anstifterinnen, Ursachen, Ziele und Opfer zugleich. Und nicht nur Jeanne
d’Arc war aktiv beteiligt am Krieg, wie eine Ausstellung im Militärhistorischen
Museum in Dresden zeigt.
Sie spielten ihre Rolle im Tross, als
Prostituierte und Marketenderinnen, sie versorgten als Krankenschwestern
Verwundete, sie leisteten Dienste hinter der Front, sie waren ausschlaggebend
in der Kriegsproduktion.
Sie waren mitnichten vor allem
Opfer. Bis ins 20. Jahrhundert stellen Männer die meisten Opfer des Krieges, so
wie vor allem Männer Opfer von männlicher Gewalt sind. Selbst sexualisierte Gewalt
gegen Frauen wird von Männern oft als Demütigung anderer Männer verstanden und
eingesetzt – das gilt für Massenvergewaltigungen durch die Sieger im Krieg
ebenso wie für sexuelle Übergriffe von Männern aus stark paternalistisch
geprägten Kulturen, wie man sie zu Silvester 2015 in Köln und anderswo erlebt
hat. Männer demütigen andere Männer, indem sie ihnen handgreiflich
demonstrieren, dass sie nicht in der Lage sind, ihre Frauen, Schwestern und
Töchter zu beschützen.
Ohne Männer gäbe es keinen Krieg?
Sicher. Dasselbe lässt sich von den Frauen sagen.
Teilen wir uns also den Schaden,
möchte man denken. Im Verteidigungsfall müssen eben beide Geschlechter ins Gefecht
ziehen. Noch nie waren die Bedingungen dafür so günstig wie heute.
Gewaltausübung im Kriegsfall bedarf keiner besonderen Befähigung oder eines aufwendigen
Trainings mehr, jedenfalls nicht mehr so wie einst, als das Kriegshandwerk ein
Monopol derjenigen war, die körperliche Kraft besaßen und die nicht, etwa durch
Schwangerschaften, am beständigen Üben gehindert waren. Menschliche Kulturen
haben über tausende von Jahren das Waffenmonopol einer Kriegerkaste gekannt, in
Japan mit den Samurai sogar bis ins 19. Jahrhundert hinein.
Warum? Schwertkampf will ebenso
geübt sein wie Reiten und Bogenschießen. Das ist das eine. Das andere: Gewaltausübung
und Krieg durch Stellvertreter entlastet die Gemeinschaft, die sich ja auch
noch um anderes kümmern muss, etwa um Behausung und Lebensmittel. Und nicht
zuletzt beschäftigte das Kriegshandwerk all die jungen Männer, die als dritte,
vierte, fünfte Söhne weder erben noch heiraten durften und frustriert in hellen
Scharen durchs Land marodierten, ein Problem, das an der Wiege des
mittelalterlichen Rittertums stand.
Das ist heute anders. Moderne Waffen
sind im Wortsinn kinderleicht zu bedienen. Ihre Handhabung ist also nicht mehr
auf jene beschränkt, die das mühevoll lernen mussten – man denke an so anspruchsvolle
Waffen wie das Schwert, den Bogen oder die Muskete. Die modernen Massenkriege
des 19. und 20. Jahrhunderts wurden ermöglicht durch einfach zu bedienende und
in Massen produzierte Waffen.
Ein Heckler & Koch
verallgemeinert Krieg. Weder Waffenkunst noch Tradition stehen Frauen also heute
noch im Weg. Ein Sieg der Gleichberechtigung ist das weniger als vielmehr der
Mangel an männlichem „Menschenmaterial“. Unser „Kriegsindex“ ist historisch
niedrig. Eine im Schnitt ältere Gesellschaft ist schon deshalb eine friedfertigere.
Es gibt immer weniger wehrtaugliche
junge Männer, während junge Frauen nicht mehr dazu verurteilt sind, ihre Tage
schwanger oder im Kindbett zu verbringen. Nichts scheint also dagegen zu
sprechen, die Armee für Männer wie Frauen zu öffnen, zumal es auch hinter der
Front reichlich zu tun gibt. Und nichts spräche gegen eine allgemeine Wehrpflicht
auch für Frauen. Darüber aber ist im Gleichstellungsdiskurs merkwürdigerweise selten
die Rede.
Der israelische Militärhistoriker
Martin van Creveld erkennt im Zustrom von Frauen zum Militär allerdings keinen Sieg
für die Frauen, sondern hält das für ein Zeichen dafür, dass die entwickelten
Länder keine Kriege sui generis mehr führten. Dort, wo das noch der Fall sei, in
Gesellschaften mit vielen jungen Männern, gäbe es in den Streitkräften so gut
wie keine Frauen.
Die israelische Armee wäre als
Gegenbeispiel zu nennen. Andererseits signalisiert dort die Beteiligung der
Frauen, wie sehr sich das Land im permanenten Verteidigungszustand befindet.
Eine ganze Gesellschaft unter Waffen ist kein wünschenswerter Zustand,
höchstens eine bittere Notwendigkeit. Und in Zeiten sogenannter „Volkskriege“
erscheinen männliche Stellvertreterkriege erst recht als nachgerade
zivilisatorische Errungenschaften.
Deshalb sei hier eine Lanze für die
Männer gebrochen - eine Lanze für eine männliche Kultur des Krieges.
Kultur des Krieges – genau.
Männliche Gewalt hat ihre dunkle und ihre helle Seite. Denn es ist Männern,
nicht Frauen, gelungen, der Kriegsgewalt eine Form zu geben, die sie bremst,
die sie einhegt, die sie beschränkt und die dazu beigetragen hat, dass die
Menschheit sich noch nicht ausgerottet hat, was geschehen wäre, wenn es in
Kriegen immer schon und generell um die möglichst gründliche Vernichtung des
Gegners ginge.
Tatsächlich gab es kriegerische
Kulturen, denen es weit vor der kriegsvölkerrechtlichen Kodifizierung im 19.
Jahrhundert gelang, einen stellvertretenden Krieg nach Regeln zu führen, der
das Gewebe der jeweiligen Gesellschaften nicht zerstörte.
So verabredeten sich die freien
Bauern im Griechenland des 7. bis 4. Jahrhunderts vor unserer Zeitrechnung im
Streitfall zum Kampf auf einem abgelegenen Schlachtfeld. Eine Hopliten-Phalanx
umfasste vielleicht 100 Mann in einer Reihe, 4 bis 25 Mann tief, in Brustpanzer,
Helm und Beinschienen, in der Linken den Schild, mit dem zugleich die rechte
Seite des Nebenmannes geschützt wurde, in der Rechten den Speer. Jeder Mann
zwischen, sagen wir: 16 und 60 konnte sich in diese Phalanx einreihen, es gab
keine Hierarchie und erst recht kein individuelles Heldentum, Alleingänge
hätten die Phalanx gesprengt und alle in Todesgefahr gebracht.
Man muss sich die Sache äußerst
brutal vorstellen: Unter sengender Sonne rannten die gerüsteten Männer aufeinander
zu. Nach dem Zusammenprall begannen sie in fest geschlossenen Reihen mit aller
Kraft zu drücken, um die Phalanx des Gegners zu sprengen. Wenn eine Phalanx
brach, war die Schlacht vorbei – eine Entscheidung, so einfach und so klar wie
ein demokratischer Mehrheitsentscheid. Darin lag ihr Vorteil: die Schlacht
kostete nicht viel Zeit, man brauchte keine besondere Ausbildung dafür, also gab
es kein Spezialistentum und damit auch keine Kriegerkaste, deren Unterhalt kostspielig
gewesen wäre.
Auch die mittelalterlichen Ritter stehen
für den erfolgreichen Versuch, Krieg und Gewalt einzuhegen. Sie sind vielleicht
das beste Beispiel für die Selbstdisziplinierung gewalttätiger Männer – nämlich
genau jener „überflüssigen“ Söhne, die im frühen Mittelalter weder das Erbe
antreten noch zum Klerus gehen konnten, statt dessen auf Raubzüge gingen und zu
einer Landplage wurden. Ritterturniere holten die jungen Männer von der Straße,
das Reiterspiel galt nicht nur der Ausbildung gepanzerter Reiter, es bot auch
den Erfolgreichen unter den Rittern eine legale Einnahmequelle. Man kämpfte
dabei nach strengen Regeln und um die Gunst der Damen, Vorteilsnahme und
Distanzwaffen galten als unritterlich, da sie, man staune, „tödlich“ seien.
Denn der Sinn der Schlacht lag nicht im möglichst effizienten Töten des
Gegners, sondern in der Herbeiführung einer Entscheidung, die den Charakter
eines Rechtsverfahrens hatte.
Die offene Feldschlacht ersparte
überdies der Bevölkerung die kriegerische Aktion, sie erfüllte das Diktum
Friedrichs des Großen, wonach der Bürger nicht merken solle, wenn der König
seine Bataillen schlägt.
Seinen Höhepunkt erlebte der
eingehegte Krieg in den sogenannten Kabinettskriegen der Zeit nach dem
verheerenden 30jährigen Krieg. Man ersetzte im späten 17. Jahrhundert die undiszipinierten
Söldnerscharen durch wohlausgebildete Soldaten stehender Heere und fragte sich,
ob man dieses herrliche Spielzeug der Könige wirklich in etwas so blutigem wie
einer Schlacht aufs Spiel setzen sollte. Da diese Heere sich zwecks Schonung
der Bevölkerung nicht mehr vom Land ernährten, durch das sie zogen, sondern
sich mit Proviant aus Depots entlang der Aufmarschrouten versorgen mussten,
genügte es, den Gegner von seinen Nachschublinien abzuschneiden, und schon war
die Sache entschieden, ohne dass das „Spielzeug der Könige“ Schaden nahm. Napoleon
machte diesem (von Clausewitz als unernst verachteten) „bloßen“ Spiel ein Ende
– wie so oft in der Geschichte siegt auch hier derjenige, der sich an die
Regeln nicht hält. Die Kosten trugen die von ihm „befreiten“ Völker – so wie es
auch selbsternannte Befreiungskämpfer im „Volkskrieg“ halten.
Ja, Männer und Frauen unterscheiden
sich. Im Unterschied zu Frauen haben Männer Kulturen der Selbstdisziplinierung
entwickelt und als Stellvertreter den Frauen manches erspart. Manch schriller Angriff
auf den Mann, insbesondere den „alten weißen Mann“, erinnert heute eher an das
unfreundliche Diktum Friedrich Schillers in seiner „Glocke“: „Da werden Weiber
zu Hyänen und treiben mit Entsetzen Scherz“.
Männer und Frauen sind nicht gleich,
aber sie kooperieren im Guten wie im Schlechten. Das macht die Frauen weniger
edel und die Männer weniger schurkisch. Mit dieser banalen Einsicht wären wir einen
großen Schritt weiter.
Der Text beruht auf einem Vortrag
zur Eröffnung der Ausstellung „Gewalt und Geschlecht“ im Militärhistorischen
Museum in Dresden am 26. April 2018, zuerst in der NZZ vom 11. Juni 2018.
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