Donnerstag, 25. Februar 2021

Die Stimme der Provinz: Im Untergrund

 Es gibt Dinge, die bleiben. Zum Beispiel die deutsche Wertarbeit an der flämischen Kanalküste oder am französischen Atlantikstrand: Bunker aus dem zweiten Weltkrieg. Beton – kommt drauf an, was man draus macht! Insofern könnte ich die Frage einer Bekannten kühl beantworten, ob mir der Braunkohletagebau womöglich besser gefallen würde als die von mir geschmähten Windkraftanlagen am Horizont. Natürlich nicht! (Allerdings braucht man, wenn es schlecht läuft übers Jahr, ein paar tausend Windräder für ein Kohlekraftwerk).

Ich mag nichts, was mir allzu nah auf die Pelle rückt. Dennoch Einspruch in Anbetracht der Vergangenheit und im Sinne der Zukunft: Stahlbeton im Boden hat eine weit längere Lebensdauer als die Wunde, die der Kohleabbau in die Landschaft schlägt, samt Dörfern, die im Weg sind. Denn siehe da: Daraus kann eine ansehnliche Seenplatte werden, zur Freude von Wasservögeln, Badelustigen, Seglern und der Touristikbranche.

Kann man über den immerwährenden Kriegsbeton ähnlich Positives sagen? Touristenattraktion sind die Bunker allemal – und ein freundliches Habitat für Fledermäuse. Na also. Vielleicht wird man einst auch die Windmühlenruinen mit wohligem Schauer umrunden: seht her, so sehr können Menschen sich irren... (Kreisch! Hat sie jetzt den Bau von Windkraftanlagen mit dem 2. Weltkrieg verglichen? Ruhig, Brauner: hat sie nicht.)

Gewiss verändert der Mensch die Natur, und das nicht nur an der Oberfläche. Der menschliche Maulwurf gräbt, soweit wir das wissen, seit mindestens tausend Jahren, durchlöchert die Berge, holt alles heraus, Gold und Silber, Eisenerz und Blei, Kohle und Diamanten. Manch einer ist auf der Suche nach Schätzen blind geworden. Viel zu viele sind unten geblieben. 

1963 geschah das Wunder von Lengede: 129 Bergleute der Mittagsschicht wurden in einer überfluteten Grube eingeschlossen. 79 von ihnen konnten sich in den ersten Stunden retten. Die anderen blieben eingeschlossen, niemand glaubte mehr an ihr Überleben. Doch nach vierzehn Tagen gelang es tatsächlich, elf der Bergleute zu befreien. Ein Wunder aus einer heroischen Zeit, vergangen und vergessen, Stoff für Legenden. 

Mehr als 3 Millionen Tonnen Erzkonzentrat

Mittelgebirge wie der Harz sind porös wie ein Schwamm, von Schächten durchzogen, in denen man noch heute nach verborgenen Schätzen sucht: nach Nazigold oder dem Bernsteinzimmer. Nach den sieben Zwergen oder nach Hitlers Wunderwaffe, der V2. Deren Produktion wurde im August 1943 in einen Bergwerkstollen bei Nordhausen im Harz verlegt. Steuerteile für die Rakete setzte man auch andernorts zusammen, etwa, unter dem Decknamen „Grasmücke“, in einem Eisenbahntunnel in Freienseen, ganz in meiner Nähe. 

Wir haben hier nicht nur Wiesen und Äcker, wir haben Untergrund, wovon man meistens nichts merkt. Doch vor einigen Wochen tat sich direkt nebenan auf einer einsamen Landstraße ein großes Loch auf. Unter der Straße fand sich ein alter Grubengang. 

Ja, so ist sie, die Vergangenheit, sie meldet sich gern zurück, vor allem, wenn man nicht mit ihr rechnet. Dort, wo ich wohne, wurde beinahe hundert Jahre lang Eisenerz abgebaut, bis in die späten 60er Jahre des verflossenen Jahrhunderts. Aus 25 Grubenfeldern gewann man mehr als 3 Millionen Tonnen Erzkonzentrat. Der Bergbau war eine der wichtigsten Einnahmequellen, bis zu 600 Bergleute arbeiteten in den Gruben. Naturschön war da natürlich nichts, kilometerlange Seilbahnen, riesige Erzaufbereitungsanlagen, Verladestationen an den Bahnhöfen der Eisenbahnstrecken bestimmten die Landschaft. Heute ist davon nichts mehr zu sehen – doch: ein paar Tümpel, die Nichteingeweihte für Bombentrichter halten könnten. 

Es liegt ja nahe. Erst kürzlich wurde in Frankfurt am Main ein Stadtteil evakuiert, weil man eine Weltkriegsbombe gefunden hatte. An der ehemaligen Westfront des Ersten Weltkriegs gehen noch über hundert Jahre später Blindgänger hoch, die ein Bauer beim Pflügen in ihrer Ruhe gestört hat. 

Erdbewegungen sind selten so befriedigend wie in dem betörenden Film „The Dig“, der von einer wahren Begebenheit erzählt – und auf völlig unerwartete Weise versöhnlich ist. Im Sommer 1939, Wochen vor dem Beginn des Zweiten Weltkriegs, beschließt die Witwe Edith Pretty, die merkwürdigen Hügel auf Sutton Hoo in Suffolk erforschen zu lassen. Sie heuert Basil Brown an, einen Ausgräber ohne akademische Würden, aber mit Gespür für das, was unter der Grasnarbe verborgen sein könnte. In einem der Hügel findet er die Überreste eines Schiffs – und eines Toten, begraben mit Helm, Schild und Schwert, Gold, Edelsteinen und einer Lyra. 

Der Tote war kein Römer. Er war auch kein Wikinger. Er war ein Angelsachse, und er war kein Barbar. „Sie besaßen Kultur und Kunst.“ 

Ausgerechnet die alten Germanen. 


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