Donnerstag, 11. März 2021

Die Stimme der Provinz: Die verdammte Heimat

 Heimat! Ach. Wohl dem, der eine hat, hieß es einst. Verdammt lang her.

Heute sprechen Misstrauische lieber von „Heimatt“ oder bekennen vorsorglich: „Eure Heimat ist unser Albtraum.“ Zu deren Beruhigung: Davon, dass wir in Deutschland ein „Heimatministerium“ haben, merkt man nicht viel. Und manch ein Siedlungsgebiet bekennt sich schon auf dem Ortsschild einfühlend zu bunter Weltoffenheit, damit ja keiner meint, dort lebten Verhockte und Verstockte, deren blonde Töchter Zöpfe tragen.

Mir scheint, nur in kosmopolitisch aufgeklärten Kreisen hat man ein solches Problem mit Heimat – ein Wort, das ja ganz unsentimental Zugehörigkeit benennt, Vertrautheit, Aufgehobensein. Weil das irgendwie Nazi wäre? Oder womöglich, weil Heimat in Deutschland so oft verlorengegangen ist? Die Schriftstellerin Petra Reski, Kind Vertriebener, hat ihre frühere Abneigung gegen Heimat so erklärt: „Ich nahm mir vor, mich in meinem Leben auf gar keinen Fall mit einer HEIMAT zu belasten. (...) Ich wollte überall leben können. Und nie Heimweh haben.“

Wachsende Anzahl von Betreuungs-, Beratungs- oder Gleichstellungsposten

Das Phänomen der Heimatverachtung ist natürlich nicht nur deutsch und wesentlich älter und war stets ein eher städtisches Phänomen. Städte sind ideale Orte für Entwurzelte und Heimatlose und für alle, die ihre Wurzeln als Fesseln empfinden. „Stadtluft macht frei“ galt schon zu Zeiten, als Leibeigene sich durch Flucht in die Stadt von ihrer Dienstherrschaft befreien konnten. Auch studentische Freiheit gibt es logischerweise nur in Universitätsstädten. Dort war „Heimatgemeinde“ einst ein Terminus, der eher verwaltungstechnisch bedeutsam war: Dahin konnte man nämlich jeden abschieben, der sich als unbequem erwies. Liegt also deshalb ein Schatten über dem Begriff? Wer weiß ...

Um die Kurve zu David Goodhart zu kriegen, demjenigen, der mit seiner Unterscheidung zwischen den „Somewheres“ und den „Anywheres“ präzise beschrieben hat, wo heute die kulturellen Bruchlinien liegen: Die Akademisierung von Bildung und Ausbildung hat ihren gehörigen Anteil an der Abwertung von Heimat und Provinz. Vor allem aber an der Missachtung aller Berufe, in denen es am wenigsten auf Buchwissen ankommt. Die Welt des Wissens schwebt über den Niederungen bloßer Praktikabilität, im guten Sinn ist sie mit Freiheit, Autonomie und Mobilität verknüpft. Im schlechten Sinn ist sie blind gegenüber dem Leben der anderen, die den Kopf nicht in den Wolken haben und deren Intelligenz sich nicht in akademischer Form äußert.

Gerade an den Universitäten triumphiert mittlerweile die Dekadenz der Woken, die sich redlich bemühen, Biologie und andere Naturgesetze außer Kraft zu setzen – bis hin zur intersektionalen Neuerfindung des Rads. So abgehoben, wie das meiste davon ist, müsste auch die Schwerkraft bereits erledigt sein. Kein Wunder, dass die Absolventen insbesondere von „Geschwätzwissenschaften“ außerhalb der Universität kaum noch Beschäftigung finden. Auch den „Medien“ und den Werbeagenturen geht langsam das Geld aus für all die kreativen Kulturarbeiter. Bleiben noch staatliche und andere Institutionen, die eine stetig wachsende Anzahl von Betreuungs-, Beratungs- oder Gleichstellungsposten schaffen, auch der „Kampf gegen Rechts“ generiert Arbeitsplätze. Bleibend Gutes für das Gemeinwohl ist da selten zu erkennen.

Überangebot von Taxifahrern mit akademischen Meriten

Die Akademisierung des Berufslebens ist selbst in einem Land wie Deutschland, das sich des dualen Bildungswegs rühmt, explosionsartig angestiegen. Die Zahl der Studenten ist heute zehnmal so hoch wie vor 50 Jahren. Jeden Herbst kommt es zu einer Völkerwanderung junger Leute in die Städte, im Glauben, ein akademischer Grad würde zu höherem Ansehen und Einkommen führen. Je standardisierter aber die kognitive Arbeit wird – in Recht, Medizin, Verwaltung – desto eher ist sie ersetzbar. Die Arbeit eines Buchhalters kann ein Programm übernehmen, die eines Müllfahrers nicht.

Längst erzeugen die Universitäten ein Überangebot von Taxifahrern mit akademischen Meriten. Gegen den vielberufenen Facharbeitermangel aber hilft keine zunehmende Akademisierung und erst recht kein stärkeres Maß unkontrollierter Einwanderung, sondern höchstens eine Aufwertung nicht-akademischer Tätigkeiten. Wie lebenswichtig die sind, sieht man in der Provinz womöglich eher als in den Städten.

Das akademische Proletariat, das zu etwas Nützlichem nicht mehr gebraucht wird, pflegt derweil in seiner Blase Lösungen (wie seltsame Sprachregelungen), für die es kein Problem gibt.

Jedenfalls keins, das uns hier in der Provinz bekannt wäre.

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