Donnerstag, 9. Juni 2011

Die Zukunft des Buchmarkts - finster

Keynote auf den Buchtagen des Börsenvereins des Deutschen Buchhandels zum Thema „Im Sog der Evolution“, Berlin, 9. Juni 2011

Ich komme als Überbringerin guter Nachrichten, sehr geehrte Damen und Herren. Von uns deutschen Autoren haben Sie nichts zu befürchten. Wir bleiben, was wir sind: Treue Anhänger des „Buchs, das nicht untergehen darf“, weshalb wir nicht müde werden, von ihm zu schwärmen – von diesem Mysterium aus Papier, Leim und Druckerschwärze, das uns seit unserer Jugend begleitet, von seinen innewohnenden Geheimnissen, von seinen haptischen und olfaktorischen Reizen. Davon, was es heißt, es in den Händen zu halten unter dem sanften Licht einer Leselampe. Wir pflegen deshalb sein digitales Derivat ähnlich angeekelt zu betrachten wie kultivierte Leser einst das Taschenbuch, dieses Einfallstor für Schmutz und Schund.
Und so ist uns auch das angestammte Reich dieses Mysteriums heilig – die kleine Buchhandlung um die Ecke, wo gebildete Damen und Herren den Kunden an der Nasenspitze ansehen, mit welchen Preziosen der Dicht- und Denkkunst sie ihnen eine Freude machen können. Nicht mit Massenware, natürlich. Weshalb wir auch die kleinen Verlage lieben, diese unermüdlichen Entdecker köstlich unbekannter Autoren und Werke, die es, genau wie wir, nicht des Profits, sondern der Sache wegen tun.
Autoren, mit anderen Worten, haben ein sozusagen natürliches Missverhältnis zur Realität. Kundige Verlegerpersönlichkeiten halten sie deshalb fern von den unschönen Seiten des Geschäfts. Die meisten Autoren sind über Verlagsverträge so glücklich, dass sie jeden unterschreiben würden. Und dass sie recht eigentlich „Contentproduzenten“ sind, ohne die kein Verlag die Geschäftsführung und die Buchhaltung bezahlen könnte, hören sie ungern. Das klingt so gefühlsarm. So kühl kalkulierend. Mit dem Rechnen haben wir Autoren es nämlich nicht so.
Und deshalb sitzen wir lieber mit all den anderen netten Menschen im Keller und pfeifen. Es wird schon so schlimm nicht kommen. Nicht im kultivierten Deutschland. Dort hat im Jahre 2010 schließlich nur ein verschwindend geringer Teil der Buchkäufer ein E-Book erworben, es handelt sich dabei angeblich vor allem um Männer, jüngere, während wir ja alle zu wissen glauben, dass es die älteren Frauen sind, die Bücher kaufen. Die aber scheinen bislang noch nicht so recht bereit zu sein, ihren Schmöker im Bett auf dem IPad oder dem Kindle zu lesen.
E-Book-Käufer sind also eine Minderheit, und damit die sich nicht auch noch vermehrt, haben die Verlage beschlossen, so ein digitales Teil möglichst teuer zu machen. Also: normaler Mehrwertsteuersatz statt des ermäßigten und höchstens zwanzig Prozent billiger als in gedruckter Form. Das wird den Leuten die Lust auf diesen digitalen Kram schon vermiesen!
Applaus. Es danken: die Autoren, die den alten Schlachtruf „Macht unsere Bücher billiger“ noch immer nicht verstanden haben.

Hochverehrtes Publikum, ich weiß ja, wo ich hier stehe, bei meinen Verbündeten, meinen Gegnern, meinen großzügigen Unterstützern, meinen gnadenlosen Profiteuren, meinen Fans und meinen Verächtern, und Sie werden von mir nicht verlangen, dass ich es mir mit Ihnen allen auf einen Schlag zu verderben versuche. Lassen Sie mich deshalb bei den Autoren bleiben, und zwar bei denen, die, wie trotzige Kinder, dem Gängelband von Verlagen und Buchhändlern entfliehen und sich selbständig machen möchten. Das sind diejenigen, die sich anschicken, ein Bündnis mit dem Teufel zu schließen. Mit amazon, dem bösen Versucher, der mittlerweile in großem Stil auf Verlag macht.
Sie kennen diesen Autorentypus. Der hat schon anno dunnemals gemault, als ihm sein Verlag nicht honorieren wollte, dass er die bis dato teure und ineffiziente Texterfassung selbst übernahm, mit dem teuer finanzierten Computer, was den Verlag Geld sparte und Fehler reduzierte. Und als sich die Verlage, ohne ihre Autoren groß zu fragen, auf 20 % Autorenanteil beim EBook geeinigt hatten, hat der wieder aufgemuckt, und zwar mit dem weltfremden Argument, dass doch der Buchhandel normalerweise 40 und mehr % vom Ladenverkaufspreis kassiere, während die meisten Autoren sich mit weit unter 10 % bescheiden müssten. Und dass man das digitale Äquivalent des E-Book ja sozusagen bereits frei Haus geliefert habe. Wieso beim Wegfall der Herstellung, des Vertriebs und der Lagerung des handfesten Buchs also nicht mehr für ihn abfalle?
Das sind übrigens die Autoren, die auch schon mal fragen, wieso sie den Buchhandel eigentlich lieben müssten, all die vielen netten Menschen, die ihre Bücher jedenfalls nicht verkaufen, sondern nur das anbieten, was bereits in den Bestsellerlisten steht oder eine ähnlich sichere Nummer ist. Einen Buchhandel, der sich dann auch noch wundere, wenn die Kunden gelangweilt wieder rausgehen aus dem Schatzkästlein für Entdeckerfreudige, weil sie in dem nur noch vorfinden, was schon überall herumliegt, beim Supermarkt und an den Tankstellen.
Solche Autoren erzählen gern davon, dass etwa Liza Marklund ihre Bücher in schwedischen Tankstellen verkauft habe und Nele Neuhaus ihre Krimis über Metzgereitheken gehen ließ, bevor sich ein Verlag für die neue Krimikönigin interessierte. Es waren die Autorin selbst und die Kunden, die den Buchhandel auf Neles Taunuskrimis aufmerksam gemacht haben – das gilt, wie man hört, übrigens auch für Thilo Sarrazins Buch, auf das der Buchhandel erst nichts gab.
Wenn man diese Autoren auf die Gatekeeper- und Portalfunktion von Buchhandlungen und Verlage aufmerksam erntet man nicht selten Hohngelächter. Die Verlage, sagen sie, hielten ja keineswegs die Flut des immergleichen Immerseichten von den Lesern fern, verpassten aber dennoch oft das Bestsellerträchtige und müssten – wie viele Buchhändler auch – von den Autoren und den Lesern zum Jagen getragen werden.
Wenn also Verlage und Buchhandlungen ihre Bücher nicht mehr an- oder verkaufen, denken solche Autoren, weil sie nur noch auf Bestseller setzen, kann man es getrost auch selbst tun. Das Einfallstor dafür: das E-Book und amazon, wo man Autoren 70 % vom Verkaufspreis anbietet.
Ich weiß, dass Sie alle, die Sie hier sitzen, weit besser rechnen können als ich, ich bin ja schließlich eine Autorin. Aber ich versuche es trotzdem einmal: bei 10 % von einem Ladenpreis von 20 Euro erhält der Autor pro Buch 2 Euro. Bei sechs Prozent von neun Euro für ein Taschenbuch erhält er 54 Cent.
Bei 20 % von einem 15 Euro teuren E-Book erhält er 3 Euro. Bei 70 % von einem 6 Euro teuren amazon-E-Book erhält er pro verkauftes Exemplar hingegen 4 Euro 20 – mit guter Aussicht auf einen erheblich höheren Umsatz und, nebenbei, auf die abnehmende Attraktivität digitaler Piraterie.
Hohe E-Book-Preise halten die Käufer fern, die nicht einsehen, dass sie dafür nur unwesentlich weniger zahlen müssen als für ein „richtiges“ Buch, das sie in der Hand halten und ins Regal stellen können. Sie bedenken nicht, dass das Teure am Buch in den seltensten Fällen noch seine gegenständliche Existenz ist. Auch die inhaltliche Arbeit am Manuskript bestimmt den Buchpreis nicht, nicht die im Lektorat und erst recht nicht die des Autors. Es sind die Overheadkosten der Verlage und der Vertrieb, die die Kosten treiben. Das alles aber kann sich der Autor sparen, der seine Seele an amazon verkauft.

Nun, die Einwände dagegen sind bekannt und werden übrigens besonders oft von den Autoren geäußert. Was wären Bücher ohne ein anständiges Lektorat! Wie kommen sie an ihre Leser ohne Werbung! Ohne professionelle Pressearbeit! Ohne engagierte Buchhändler!
Lassen Sie mich die Antwort kurz machen. Für ein ordentliches Lektorat hat man in vielen Verlagen keine Zeit mehr. Autoren haben mittlerweile nicht nur Texterfassung, sondern auch professionelles Layout gelernt und helfen sich im übrigen längst untereinander aus: mit intensivem gegenseitigem Lektorat ebenso wie mit neuen Marketing-Tricks im Internet. Eine gut gepflegte mailing-list ist selbstverständlich bei Autoren, die eine eigene Website unterhalten – auch die, selbstredend, auf eigene Kosten.
Und ob sich das E-Book-Publishing lohnt? Mal sehen. Ein deutscher Kollege hat jüngst einen Roman bei amazon eingestellt und binnen zweier Monate 900 Stück davon verkauft. Für einen Preis von 4,99. Ganz ohne Werbung.

Aber hatte ich Ihnen nicht versprochen, dass die deutschen Autoren treu zum Buch und seinen Marktagenten halten?
Nun, garantiert ist das natürlich nicht. Auch wage ich nicht zu hoffen, dass mein kleiner Bericht vom Denken und Trachten der Autoren, den weithin unbekannten Wesen, bei Ihnen zum Aha-Erlebnis wird. Es fällt schon auf, wie gut hierzulande die Diskussion über die digitale Zukunft des Buchs ohne die Autoren funktioniert, die offenbar weder von den Verlagen noch von den Buchhändlern in ihr Kalkül einbezogen geschweige denn umworben werden. Dabei wäre ein neues Bündnis durchaus nicht auszuschließen, da wir ja wissen, wie treu Autoren sind und sein wollen.
Wie also wird das Spiel ausgehen? Lesen wir die Zeichen.
Die britische Buchhandelskette Waterstone’s will unter der Leitung von James Daunt vom Diktat des Zentrallagers abrücken und qualifizierten Buchhändlern ihren alten Job zurückgeben: kundenorientiert auszuwählen. Buchhändler, die ihre Kunden besser kennen als die Bestsellerlisten, dürften auch in E-Book-Zeiten überleben.
Unter den Verlagen werden die schnellen Eingreiftrupps eine gute Chance haben, die keinen großen Apparat benötigen, also Kosten nicht ausgerechnet und ausschließlich beim „Content“, das heißt den Autoren einsparen müssen.
Amazons verführerisches Angebot an die Autoren wird nicht heute, aber morgen von vielen genutzt werden – die Leser danken es ihnen. „Das Buch“ ist damit natürlich nicht an seinem Ende. Ausserdem muss es ja gar nicht schaden, wenn sich in Zukunft der Prozess umkehrt: gedruckt wird nur noch, was sich in seiner digitalen Form bereits bewährt hat – und auch nur, wenn der Leser es will. Was dann noch auf einem Büchertisch landet, ist es womöglich sogar wert, ins Regal gestellt zu werden.

© 2011 by Cora Stephan

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