Gut, dass es Donald Trump gibt, dieses „Monster“, über das
man sich so wunderbar erregen kann, der perfekte Anlass für die Wiedererweckung
alter Amerikaverachtung. Hoffentlich unterhält er die Empörungsbereiten noch
viele Wochen lang.
America First? Germany Förster!
Da muss dann niemand mehr über Sigmar Gabriel reden.
Schade eigentlich. Nicht nur wegen des Meisterstücks, an der
eigenen Partei vorbei seinen Abgang zu inszenieren und mit einem Aufstieg zu
verbinden. Sondern wegen der
Chuzpe, sich dabei auf den Großmut einer Kanzlerin zu verlassen, der ihr Vizekanzler jeden Grund geliefert hat, die Koalition mit der SPD aufzukündigen oder ihn wenigstens hochkant rauszuschmeißen.
Chuzpe, sich dabei auf den Großmut einer Kanzlerin zu verlassen, der ihr Vizekanzler jeden Grund geliefert hat, die Koalition mit der SPD aufzukündigen oder ihn wenigstens hochkant rauszuschmeißen.
Denn was Gabriel als Regierungsmitglied über die Arbeit seiner
Kanzlerin zu sagen hat, ist an Grobheit schwer zu übertreffen. Als ob er nicht
jahrelang an einem Strang mit Angela Merkel gezogen hätte, als ob er nicht
Andersmeinende schon mal als Pack beschimpft hätte, reiht er sich nun ein in
die Phalanx rechtspopulistischer Kritikaster.
Eine „Obergrenze“ für
„Flüchtlinge“ fordert er zwar schon länger, obzwar das Asylrecht eine solche
Grenze nicht kenne – denn die Mehrheit der „Migranten“ (sic!) beantrage ja auch kein Asyl. Nun aber
geht er einen Schritt weiter und gesellt sich zu jenen, die „Merkel ist Schuld“
intonieren.
„Die massenhafte unkontrollierte Zuwanderung des Jahres
2015“, lässt Sigmar Gabriel die Leser des „Stern“ wissen, die bei der
Bevölkerung das Gefühl eines Kontrollverlusts ausgelöst habe, sei auf
„Naivität“ oder „Übermut“ der Kanzlerin zurückzuführen. Das ist ein ziemlich
starkes Stück und offenbart einen erstaunlichen Einblick in den Charakter der Regierung
eines demokratischen Landes: wir werden von einem naiven und übermütigen
Mädchen regiert. Von einer verspielten Herrscherin, die tut, wonach ihr gerade
ist, und der niemand in den Arm gefallen ist, auch nicht ihr Vizekanzler.
Nicht nur Deutschland, verkündet Gabriel, auch Europa habe
Angela Merkel mit ihrer Politik der
offenen Grenzen in eine „Sackgasse“ geführt, man stehe vor einem „europäischen
Scherbenhaufen“. „Wenn man dann als Bundeskanzlerin auch noch niemanden in
Europa an der Entscheidung über eine unkontrollierte Grenzöffnung beteiligt,
darf man sich über den Ärger aller anderen nicht wundern. Keinen zu fragen,
aber hinterher von allen Solidarität zu verlangen, ist einfach naiv.“ Kein
deutscher Kanzler vor ihr hätte so gehandelt.
Stimmt. Der von Angela Merkel ausgesprochene
Souveränitätsverzicht dürfte ziemlich einmalig sein.
Aber war das alles naiv? Hilflos? Hochfahrend? Oder
vielleicht doch eine präzise Einschätzung der Stimmungslage unter
Meinungsführern? Angela Merkels Attitüde, nur Gutes im Sinn zu haben im
einsamen Kampf gegen eine „humanitäre Katastrophe“, verfing ja zunächst, fast alle
haben das hohe moralische Ross bestiegen, die meisten Abgeordneten im
konsensdemokratischen Parlament, viel zu viele in den Medien. Das moralische
Argument hat dabei nicht nur jeden sachlichen Einwand verdrängt, es hat auch
dafür gesorgt, dass die Kritiker der Regierungspolitik im rechten Abseits
landeten, was sich nicht nur als ruf-, sondern oft sogar als
geschäftsschädigend erwies.
Und nun kommt der Mann, der die große Koalition unter Angela
Merkel jahrelang mitgetragen hat, der sich nach demokratischem Ermessen
mitschuldig gemacht hat an dem, was er nun so vehement geißelt, und macht den
Gerhard Schröder: „Sie kann es nicht“. So, als ob Merkel die Kindkaiserin wäre,
die auf ihre Berater nicht hören will.
War Angela Merkel also all die Jahre über tatsächlich das,
was ihr die notorischen „Schreihälse“ vorwerfen, nämlich eine
Alleinherrscherin, die über die alleingültige Wahrheit verfügt, weshalb alles,
was sie dekretiert, „alternativlos“ sei? Sind Minister und Behörden willfährige
Handlanger gewesen, die sich von der „mächtigsten Frau der Welt“ im Gewande
moralischer Untadeligkeit blenden ließen? Hat ihr niemand gesagt, dass die
Hilfsorganisation der UN dringend die längst zugesagten Gelder auch von
Deutschland benötigte, um krisennahe Flüchtlingslager halbwegs menschengerecht
zu unterhalten? Hat keiner gesehen, dass die Menschen längst unterwegs waren,
von denen sich plötzlich alle so überrascht zeigten, als sie vor der Tür
standen? Hat niemand Merkel gewarnt, dass Selfies mit Migranten ein falsches
Signal sein könnten, dass eine carte blanche für alle Syrer nur den Fabrikanten
gefälschter syrischer Pässe nützen würde?
Kurz: Sigmar Gabriels Kritik ist ebenso treffend wie
verlogen. Vor allem kommt sie zu spät. Sie wird den Niedergang der SPD ebenso wenig
aufhalten wie das erbarmungsvolle Hinabbeugen zu den „Zukurzgekommenen“, die
von der Partei lange vernachlässigt wurden zugunsten modischer Symbolpolitik
für städtische Minderheiten. Sollte Martin Schulz im Kampf um die Kanzlermacht
auf Rotrotgrün setzen: viel Spaß dabei. Die Aussicht darauf wird CDU und AfD
nützen.
Was wird nun aber aus Sigmar Gabriel – und: interessiert das
noch jemanden? Vielleicht wird er nach den knapp 9 Monaten als Außenminister
endlich das tun, was seiner Gesundheit und seiner Familie dient: Privatmann
sein. Zu wünschen wäre es ihm.
Aufwischen müssen eben andere.
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