Gerechtigkeit! Wer will sie nicht?
Schon deshalb zieht die SPD mit Martin Schulz unter diesem Banner
in die Schlacht. Ein Kampf für das, was alle wollen – das kann doch gar nicht
schief gehen!
Das Problem mit der Gerechtigkeit ist allerdings seit jeher,
dass jeder etwas anderes damit meint. Das, was die alte Klientel der SPD
darunter versteht, spricht die Partei jedenfalls nicht an: zum Beispiel die Entlastung
gerade der Haushalte mit mittlerem Einkommen vom Zugriff eines Staates, der
sich via kalter Progression mit jedem Hinzuverdienst bei ihnen über die Maßen bedient.
Derzeit verzeichnet der deutsche Staat milliardenschwere
Mehreinnahmen, zuzüglich zu den bereits vorhandenen. Ein Grund ist die gute
Konjunktur, ein weiterer die niedrigen Zinsen – die Geldpolitik der
Europäischen Zentralbank hat den Fiskus mittlerweile um fast eine
Viertelbillion Euro entlastet. Niedrige Zinsen sind prima für Schuldner, aber
schlecht für Sparer. Dazu aber gehören genau jene Leute, die einst zur
Stammgefolgschaft der Sozialdemokraten zählten, ganz zu schweigen von all
denen, die man für Wahlerfolge erst noch gewinnen muss. Auch die wissen, dass
das schöne Geld nicht vom Himmel gefallen ist, sondern von den Steuerzahlern
aufgebracht wurde.
Doch die SPD drückt sich davor, über Steuerentlastungen auch
nur zu sprechen. Und Martin Schulz hat erst Recht anderes vor. Sein
Schulterschluss mit dem frisch gewählten französischen Staatspräsidenten Macron
weist die Richtung: das Geld wird dringend gebraucht. Wofür? Ist doch klar: um
Frankreich unter die Arme zu greifen. Wegen Europa, wie Schulz die Europäische
Union nennt. Und um den Rechtspopulismus zu bekämpfen. Auch das leuchtet schließlich
jedem ein, oder?
Ja, man muss nur die Gefahr von Rechts bemühen, und schon
ist der Bürger fügsam. Glaubt man. In Wirklichkeit verbirgt sich hinter mancher
Warnung vor der realen (und der aufgebauschten) Gefahr die Verdrängung hausgemachter
Probleme. Nicht nur das konservative Lager, vor allem die klassische Linke ist schon
bei der Wahl in den Niederlanden gewaltig abgestraft worden. Und nun auch in
Frankreich. Emmanuel Macron ist keineswegs der strahlende Sieger angesichts der
großen Zahl der Wähler, die sich, wenn schon nicht für Le Pen, fürs Nicht- oder
Ungültigwählen entschieden haben.
Seine Pläne einer Europäisierung von Sozialleistungen und
eigener Steuerquellen für die EU sind insbesondere für Deutschland keine gute Nachricht,
sie laufen auf eine Transferunion hinaus, die naturgemäß das leistungsfähigste
Land am meisten belastet. Denn an echte Reformen, die Frankreich bitter nötig
hat, traut sich auch Macron nicht heran.
Glaubt man in der SPD wirklich, dass jetzt ein guter
Zeitpunkt ist, über einen europaweiten Sozialstaat nachzudenken? Womöglich gar
auf dem Niveau der deutschen Leistungen? Wo doch die anhaltende Zuwanderung schon
jetzt an die Grenzen des deutschen Sozialstaats geht, der nun mal auf eine
nationalstaatlich begrenzte Zahl Berechtigter beruht?
Alle, die über die Probleme unkontrollierter Zuwanderung im
Geiste der Menschenliebe nicht reden wollen, vergessen eines: offene Grenzen
und sozialstaatliche Leistungen für alle gehen nicht zusammen.
Vor allem aber haben die Sozialdemokraten um Schulz
versäumt, ein Problem aufzugreifen, das eine Mehrheit der Menschen beschäftigt,
die sich nunmal nicht als sozial Benachteiligte mit Gerechtigkeitsdefizit fühlen.
Es nennt sich „Sicherheit“. Der Kontrollverlust des Staates in der Zeit der
offenen Grenzen nach dem Herbst 2015 ist im Gedächtnis geblieben. Wer alles
nach Deutschland gekommen ist, aus welchen Gründen und mit welchen Zielen, ist
bis heute nicht gewiss. Dass sich sogar ein Bundeswehrsoldat erfolgreich als
syrischer Flüchtling hat ausgeben können, wird nicht dadurch in Vergessenheit
gebracht, dass nun eifrig nach Rechtsextremisten in der Bundeswehr gefahndet
wird. Dass die SPD Migrationsproblematik und Kontrollverlust des Staates nicht
thematisieren will, dürfte nicht nur ihren Anhängern wenig Freude bereiten.
-->
Gewiss: das Lager der Sozialdemokratie schrumpft europaweit,
das ist kein deutsches Problem. Ein Trost aber ist das nicht.
http://www.ndr.de/info/sendungen/kommentare/SPD-muss-muss-mehr-bieten-als-nur-Gerechtigkeit,sozialdemokratie102.html
http://www.ndr.de/info/sendungen/kommentare/SPD-muss-muss-mehr-bieten-als-nur-Gerechtigkeit,sozialdemokratie102.html
Sehr geehrte Frau Stephan, warum nennen Sie "Martin Schulz unter diesem Banner in die Schlacht", die anstehende Bundestagswahl eine Schlacht? Hätte ich von einer Historikerin nicht erwartet und mir gewünscht, daß Sie wissen was eine Schlacht ist, zumindest dem Wortstamm nach! Eine Wahl kann doch keine Schlacht sein, höchstens eine Farce!
AntwortenLöschenMit freundlichem Gruß
Wolfgang Martin