Geprügelte Hunde beißen um sich. Der Kampf um die
Deutungshoheit türmt sich zur Schlacht auf, nicht nur in den
„Altparteien“ (längst inklusive Grüne), auch in den Medien rüstet man sich zum
Endkampf gegen das Böse – von der AfD bis zu einer oftmals lediglich
herbeifabulierten „Neuen Rechten“. Angst macht bissig.
Denn Angst muss man nicht nur dort haben, wo man Angela
Merkel weg haben will, auch wenn es existenzbedrohende Folgen haben kann, auf
der falschen Seite gesehen zu werden. Schwindendes Vertrauen in sie ängstigt
auch die etablierten Parteien. Vor allem aber zähneklappert es in den Medien,
die nicht von öffentlich-rechtlichen Zuwendungen zehren. Die Auflagen der Printmedien
sinken beschleunigt und offenbar unaufhaltsam.
Woran liegt es? An äußeren Faktoren wie dem Wegfall des
Anzeigengeschäfts und dem Monopol auf „News“, also dem Internet; an der
abnehmenden Leselust, oder am unbelehrbaren Volk, wie Zeitungsenthusiasten
meinen? An der Konkurrenz durch eine immer stärker werdende Gegenöffentlichkeit,
von der Achse des Guten angefangen über Tichys Einblick und zahlreiche
Autorenblogs bis zu Print wie Cicero, Junge, Freiheit, Cato?
An einer trotzigen Bunkermentalität bei den Journalisten
selbst, am Widerstand gegen die uneinsichtige Leserschaft? Oder gar an einem
wirklichkeitsblinden Betriebsjournalismus, immer mal wieder regierungsamtlicher
Propaganda verdächtig nah?
All das und vieles mehr.
Und doch – hier kommt das Positive – gibt es ihn noch, den
guten, den unverzichtbaren Journalismus, kritisch und aufklärend im besten
Sinn.
Man denke an Robin Alexanders penible Untersuchung der Tage
im September 2015, an denen die deutschen Grenzen allen offenstanden, die aus
welchen Gründen auch immer hierhin wollten.[1]
Nach dem Buch war er anderer Meinung als vor dem Buch, nämlich deutlich
kritischer gegenüber der Politik der Bundeskanzlerin. Warum? Weil er das getan
hat, was Journalismus tun sollte: hinschauen, möglichst vorurteilsfrei. Er hat
sich schlicht von Evidenzen überzeugen lassen.
Ein zweites Beispiel. Der Schweizer Fotograf und Autor Rudolph
Jula war im September 2015 in Syrien, als Selfies von Angela Merkel Arm in Arm
mit einem syrischen Migranten um die Welt gingen. Zeigten diese Bilder der
„Willkommenskultur“ Wirkung? Ja. Ab da herrschte Aufbruchstimmung unter jungen
Syrern, viele verließen Syrien nicht aus Not, sondern weil sie sich eingeladen
fühlte. Und warum stand das nicht in deutschen Zeitungen? Weil außer Jula offenbar
niemand die Aufbrechenden gefragt hatte.[2]
Ein anderes Beispiel von gewiss anderer Qualität. Der
Zeitreporter Henning Sußebach, 45, verließ an einem Sommertag die
journalistische Filterblase und machte sich zu Fuß vom Norden Deutschlands in
den Süden, unter Vermeidung asphaltierter Flächen, um zu schauen, ob das Land
abseits von Straßen und Städte mit dem Bild übereinstimmt, das man als
Zeitungsleser und Fernsehzuschauer von ihm hat. Dabei erlebt er die seltsamsten
Dinge: etwa, dass es ein Leben außerhalb der Großstadt gibt, dass auch
AfD-Wähler nette Leute sein können, dass man auf dem Land die Kosten für die
moralischen Urteile der Stadt trägt und dass das Leben dort dennoch nicht das
schlechteste ist. Was hat er dabei gelernt? Einmal, wie verdammt klein die
eigene Filterblase ist. Zum anderen, dass auf dem Land Themen Dauerbrenner
sind, die in den Redaktionen längst abgehakt sind, etwa die sogenannte
„Energiewende“. Ja, Zitat: „dass es überhaupt viel weniger Arschlöcher gibt,
als wir denken“ und dass Journalismus sich zu sehr aufs urbane Milieu
konzentriert: „Wir übersehen bei aller Bedeutung des Extremen das Normale.“
Kurz: Journalisten sollten häufiger in die „toten Winkel“ ihrer Wahrnehmung schauen,
sich aus ihrer Filterblase heraus bewegen und das Andere entdecken, das im
Grunde das Normale ist.
Dass man für solche Erkenntnisse meilenweit gehen muss, ist
das wahrhaft Schockierende an dem unterhaltsamen Buch, das er darüber
geschrieben hat.[3] Man
beginnt zu fürchten, dass die wenigsten Journalisten noch in der Lage sind, mit
freiem Blick Neues zu erfahren.
Warum ist das so?
Nicht alle sind schließlich beschränkt und bösartig, obwohl
es dafür viel zu viele Beispiele gibt. Selbst heute, wo das tatsächlich Gesagte
so einfach zu überprüfen ist, werden die „Rechten“ bewusst falsch zitiert oder
im Kreuzverhör in eine bestimmte Richtung gedrängt, entlarvt, oder, wie es
heute pikanterweise heißt, „gestellt“.[4]
Beispiele gibt es genug, eines der Jüngeren: Als ein AfD-Abgeordneter den
Schulzzug in den Hochofen fahren lassen wollte, fühlten sich erregte Kritiker
an die Krematorien der Nazilager erinnert – dabei kommt der Redner aus dem
Ruhrgebiet und meinte exakt, was er sagte: in einem Hochofen wird Eisenschrott
in seinen ursprünglichen Aggregatzustand zurückgeführt. Er meinte den Zug,
nicht Martin Schulz.[5]
Verblüffend, was alles Erinnerungen an die Nazis triggert. Caroline
Fetscher vom „Tagesspiegel“ etwa gemahnte die Forderung der „Erklärung 2018“,
wonach die „rechtsstaatliche Ordnung an den Grenzen unseres Landes
wiederhergestellt“ werden solle, prompt an das „Gesetz zur Wiederherstellung
des Berufsbeamtentums“, „das 1933 Juden und Oppositionelle aus ihren Posten
warf“.[6]
So eine Volte muss man erstmal hinkriegen! Derartig bösartige Verdrehungen,
Fake und Hatespeech in einem, dürften der „Erklärung“ viele Unterzeichner
zugeführt haben.
All das nennt man „Runterschreiben“ – im Gegensatz zum
„Raufschreiben“, wie man es ja anfangs mit Martin Schulz betrieben hat. („Rudeljournalismus“
nennt Hans-Martin Tillack das in einer bemerkenswerten Infragestellung der
eigenen Branche.[7])
Richtigstellungen nützen wenig, irgendetwas bleibt immer hängen, dafür sorgen
schon eifernde Missionare bei Wikipedia. So gerät manch Falsches in die
Netzwelt, aus der es nie mehr verschwinden wird.
Selbstkritik ist bei Journalisten eine Rarität. Giovanni di
Lorenzo[8]
hat es das eine oder andere Mal versucht, auch Matthias Döpfner von der „Welt“.
Dabei bekommt Gesinnungsjournalismus in den Online-Kommentaren kontinuierlich
Rückmeldungen von entgeisterten Lesern. Doch die scheint man nicht sonderlich
zu schätzen, lieber jammert man über Pöbeleien und verrohte Sitten, statt sich
selbst der Frage auszusetzen, ob an der womöglich ruppigen Kritik nicht etwas
dran sein könnte.
Man kann Journalisten heute durchaus zugutehalten, dass sie
unter erheblichem Druck stehen. Die Aufgaben nehmen zu, die Mitarbeiter werden
weniger, Recherche dauert und unterbleibt deshalb oft. Man schreibt voneinander
ab. Auch der Gruppendruck dürfte erheblich sein: in politisch angespannten
Zeiten scheuen sich viele, sich allzu sehr aus dem Fenster zu hängen, wenn das
der Mehrheitsmeinung der Kollegen widerspricht (oder man eigentlich lieber bei
der Süddeutschen Zeitung wäre). Meinungsfreiheit also nur nach Abstimmung in der
Peer-Group? Davon berichtet auch Matthias Matussek in seinem jüngsten Buch[9],
in dem er Abschreckendes und Belustigendes aus dem Journalistenleben erzählt.
Seine Klage darüber, dass man ihn, den Komplizierten und Eigensinnigen, bei seiner
letzten Station bei einem sogenannten Qualitätsmedium, nämlich der „Welt“,
nicht feierte und noch nicht einmal duldete, sondern auf eine stillose und
hinterhältige Weise hinauswarf, mündete auch im Vorwurf an Chefredaktion und Herausgeber,
sich nicht vor ihn gestellt zu haben. Vielleicht kann man von den heutigen
Zeitungsverwaltern tatsächlich nicht mehr erwarten, dass sie auch den
unabhängigen Geist Einzelner fördern und pflegen, dass sie den genialen
Spinnern Platz geben. Das mag bei den großen leidenschaftlichen Blattmachern
wie Rudolf Augstein oder Erich Böhme noch anders gewesen sein. Dem allseits
geforderten „gesellschaftlichen Diskurs“ bekommt der Ausschluss der Quertreiber
nicht.
Immerhin: Selbst im linkslastigen Spiegel stellte man jüngst
fest, dass auch die Gebildeten, deren Zuneigung man sich sicher glaubte, mit
den „Mainstream-Medien“ nicht mehr richtig glücklich sind und ein
„Meinungskartell politischer Korrektheit“ am Werk sehen. Woran das nur liegt?
Die Autorin bleibt vorsichtig.[10]
Immerhin räumt sie ein, dass Journalisten mehr und mehr das Persönliche mit dem
Politischen verwechseln, dass sie nicht an Fakten orientiert schreiben, sondern
„Geschichten“ erzählen wollen, in denen individuelle Schicksale aufs Große
Ganze hochgerechnet werden. Das ist nun allerdings schon lange die Masche des
Spiegels: das Einzelschicksal pars pro toto zu nehmen, nicht nur der
Anschaulichkeit halber, sondern um „Betroffenheit“ zu erzeugen. Das Medium als
Missionsriemen? Leser wollen nicht bevormundet, sondern respektiert werden.
Lassen wir mal die Bösartigen in der Branche weg, davon gibt
es reichlich. Doch ganz offenbar beruht die wachsende Kluft zwischen Medien und
Rezipienten auch auf einem strukturellen Problem. Drei jüngere Studien geben
Aufschluss.[11]
Zu 73 % haben Politikjournalisten ein Studium absolviert.
Die meisten Journalisten leben in der Stadt und kommen aus einer ähnlichen
sozialen Schicht. Diese urbane Elite steht vor allem Grün oder Rot nahe. 46 %
aller Journalisten, die eine Parteipräferenz haben, bevorzugen die Grünen, 32
Prozent die SPD.[12]
Sind sie deshalb auf Parteilinie? Nicht notgedrungen. Doch
es ist bezeichnend, dass sie zwei politische Strömungen präferieren, die
dezidiert missionarisch sind.
SPD und Grüne haben sich nie als Partei sui generis begriffen,
die Interessen bündelt und vertritt, sondern als Vertreter der „Gattung“. Bei
der alten SPD standen die Arbeiter sozusagen für die ganze Menschheit, bei den
Grünen und der immer grüner werdenden heutigen SPD sind es die Natur, die
Umwelt, die ganze Menschheit oder doch wenigstens alle Frauen, die sie zu
vertreten glauben. Das macht ihre Forderungen im schlimmsten Sinne
„alternativlos“ – wer will es sich schon mit der Natur, der Menschheit oder mit
den Frauen verderben? Genau – das wäre menschenverachtend oder frauenfeindlich.
Wer die Welt retten will, muss als Häresie empfinden, wenn jemand die
„Klimakatastrophe“ leugnet oder für Atomkraft optiert, denn das ist ja
Versündigung an der Gattung. Dass es auch bei angeblichen Menschheitsfragen um
Interessen etwa des ökologisch-industriellen Komplexes geht – ach, darüber
reden wir lieber nicht.
Die religiöse Inbrunst beim Weltretten entspricht dem
Missionierungsbedürfnis vieler Journalisten, im Dienste der Menschheit bringen
sie ihre Leser auf Linie. Interessen sind verhandelbar – doch wer sich auf
höchste Güter bezieht, dem kann man nicht widersprechen. Das ist das Autoritäre
der rotgrünen Missionsbewegung.
Sind unsere Medien „Mainstream“? Sicher, wenn man bedenkt,
wie grün und links mittlerweile Merkels CDU geworden ist. „Linksgrüne“
Journalisten sind heute alles andere als regierungskritisch; tatsächlich hat
eine von Michael Haller betreute Studie minutiös gezeigt, in welchem Ausmaß
sich Medien und Regierung in Sachen Migration seit dem Jahr 2015 einig waren.[13]
Unter Merkel hat sich auch die CDU zu einer Partei
entwickelt, die auf Moral setzt und von Interessen schweigt. Diese Verbindung
macht ein strukturelles Problem des Journalismus besonders spürbar. Gemeint ist
das, was die Medienforschung „Indexing“ nennt: „Politik wird in den Medien
überwiegend nicht als Prozess der Entscheidungsfindung, sondern als
Schlagabtausch unter Mandatsträgern inszeniert.“[14]
Die Bevölkerung und die Sache spielen dabei eine Nebenrolle. Kommentare richten
sich nicht an den Leser, sondern, im Sinne eines guten Ratschlags, an die
Politik.
In der sogenannten Flüchtlingskrise im Herbst 2015, sagt
Haller, „dienten die Kommentare grosso modo nicht dem Ziel, verschiedene
Grundhaltungen zu erörtern, sondern dem, der eigenen Überzeugung bzw. der regierungspolitischen
Sicht Nachdruck zu verleihen.“ „Mit dem „Framing“ des Komplexes
Flüchtlingspolitik/Willkommenskultur (wurde) eine spezifische Diktion
verbreitet, die im Frühsommer 2015 die öffentliche Meinung so stark prägte,
dass abweichende Positionen nicht mehr gehört wurden.“
Matthias Döpfner von Springer sagt es noch schärfer: „Manche
Journalisten verstehen sich inzwischen als Politikberater und betreiben einen
Journalismus, der sich an ein paar Eingeweihte richtet, denen sie Codewörter
zurufen. Der eigentliche Empfänger ist nicht mehr der normale, intelligente,
aufgeschlossene, aber nur bedingt informierte Leser, sondern die Kollegen, Politiker,
Künstler oder Wirtschaftsführer.“[15]
Das erklärt die drastische Diskrepanz zwischen Artikel und Lesermeinungen, die
man dank Online mittlerweile kennenlernen kann, was offenbar nur wenige
Journalisten irritiert. Die Quittung: Ende 2016 hielten in einer
repräsentativen Bevölkerungsbefragung 55% es für möglich, dass „die Bevölkerung
in Deutschland von den Medien systematisch belogen“ werde.[16]
Hans Mathias Kepplingers im Sommer vergangenen Jahres
erschienene Studie „Todschweigen und Skandalisieren“ kommt auf der Basis
umfangreichen Materials über das Selbstverständnis von Journalisten zum
Schluss, dass im Kampf um die Deutungshoheit das eine skandalisiert und das
andere, was nicht in die ideologische Botschaft passt, verschwiegen wird.
Pegida etwa und die AfD würden skandalisiert, wann immer es sich anbietet,
entlastende Berichte hingegen über die Reaktorpanne von Fukushima (Unscear-Report
von 2013)[17] würden
verschwiegen. Pegida schüre Angst, heißt es. Was die Gefahren der Atomkraft
betrifft, schüren wiederum die deutschen Medien und die Regierung Angst: ganz,
wie es gefällt.
Kepplinger zufolge hat die Entfremdung zwischen Medien und
Bevölkerung mit der Debatte um das Buch „Deutschland schafft sich ab“ von Thilo
Sarrazin begonnen.[18]
Sagen wir es anders: damals nahm sie Fahrt auf. Mit dem Verschweigen und
Beschwichtigen, was die Ereignisse der Kölner Silvesternacht 2015 betrifft,
ging es weiter. Die Märchen, die über die Massenmigration nach Deutschland
erzählt wurden – alles hochausgebildete Fachkräfte, vor allem Frauen mit
Kindern usw. – zerrütteten die fragiler gewordene Beziehung weiter. Geschönte
Interpretationen der Kriminalstatistik tun ihr übriges.
Wir können es alle mittlerweile besser wissen. Doch Politik
und Medien sind auf ein sehr hohes Ross gestiegen. Die wenigsten werden den
Abstieg schaffen.
Die Nähe von Politik und Medien ist im Prinzip nichts Neues.
Oder hat sich etwas verändert, seit Berlin Hauptstadt ist?
Lukas Haffert meint, einen Zusammenhang zwischen dem
Aufstieg der AfD und dem Wiederaufstieg der Metropole Berlins feststellen zu
können.[19]
Anders als in Bonn seien Abgeordnete nicht mehr von Mitarbeitern umgeben, die
sich als Parteisoldaten sehen und dafür Bonn in Kauf nahmen, sondern von
„Kosmopoliten“, die Politik in Kauf nehmen, um in Berlin leben zu können. Sie
stammen überwiegend aus der Blase der Kulturarbeiter, ein Korrektiv durch eine
starke Wirtschaftspräsenz fehle, und während in Bonn die Medienzentralen fern
waren, sind die mittlerweile fast alle in Berlin angesiedelt. Das begünstige
Konformität und nähre den Eindruck, dass Medien und Politik im selben Mustopf
sitzen.
Stimmt ja auch. Politikjournalisten berichten gemeinhin
nicht über das, was draußen im Lande vor sich geht, sondern im Parlament und in
den Ministerien. Hinzu kommt die Einbildung, hip zu sein, wenn man die Sprache
der kulturellen Avantgarde spricht, die für den Normalbürger kaum verständlich
ist, den man eh nicht mag; exotische Minderheiten und ihre Wünsche sind
interessanter. Einen Handwerker in der Provinz allerdings gewinnt man nicht mit
der progressiven Forderung nach Unisextoiletten, denn ihn hat man vor Jahr und
Tag gezwungen, für Frauen, so wenige er auch beschäftigen mag, eine extra
Toilette einzubauen. Für viel Geld.
Dem politischen Sprechen kommt das Allgemeine abhanden – so,
wie das generische Maskulinum plötzlich ein Geschlecht erhalten hat, ein
männliches, dem man ein weibliches entgegensetzen zu müssen glaubt. Gerade die
Diskussion über Gender zeigt die Kluft zwischen städtischen Avantgarden und dem
„Normalbürger“, dem das Gedöns am Allerwertesten vorbeigeht und der sich schon
lange nicht mehr repräsentiert fühlt.
Man kann von einer Mehrheit oder einer Minderheit
unterdrückt werden, das Ergebnis ist in beiden Fällen unangenehm. Wer sich
anschaut, was heute in Regierung und Parteien eine Rolle spielt, sieht Proporz
und Quote am Werk, Frau, schwul, Migrationshintergrund scheinen wichtiger zu
sein als Qualifikationen und manch einer scheint zu glauben, „Betroffene“
könnten nur von „Betroffenen“ vertreten werden. Ach ja? Dann sollte man sich
ehrlicherweise vom Gedanken der Repräsentation verabschieden.
Ja, die Gesellschaft ist gespalten. Nicht im Sinne konkurrierender
Interessen, das ginge ja noch. Es ist weit alarmierender. „Diversity“,
Identitätspolitik, der Abschied vom Begriff des „Normalen“ und die snobistische
Verachtung hergebrachter Orientierungen und Bindungen wie etwa Familie oder
Nachbarschaft, Kultur und Tradition oder gar „Heimat“ – all diese Versatzstücke
„progressiver“ Weltsicht verfehlen nicht nur die Lebensrealität der Vielen. Sie
laufen letztendlich auf etwas hinaus, was ihre Verfechter gar nicht zu bemerken
scheinen: Wenn alles in diverse und womöglich gar noch verfeindete Identitäten zerfällt,
alle herkömmlichen Bindungen aufgelöst sind, bleibt das Individuum zurück, nackt
und bloß, allein und damit staatsabhängig in nie zuvor gekannter Weise, dem
Druck konformer Meinungen mehr ausgesetzt als vielleicht jemals bevor.
Wie Nassim Nicholas Taleb schreibt: in dieser Situation kann
eine kompromisslose Minderheit von noch nicht einmal drei oder vier Prozent
diktieren, was die Gesellschaft insgesamt zu denken, zu glauben oder zu essen
hat – welche Bücher zu verbieten und welche Leute auf die schwarze Liste zu
setzen sind.[20]
[1] Robin
Alexander, Die Getriebenen, Merkel und die Flüchtlingspolitik: Report aus dem
Inneren der Macht, München 2017
[2]
Rudolph Jula, Der vierte September, https://blendle.com/i/cicero/der-vierte-september/bnl-cicero-20160825-60191?sharer=eyJ2ZXJzaW9uIjoiMSIsInVpZCI6ImFubmVjaGFwbGV0IiwiaXRlbV9pZCI6ImJubC1jaWNlcm8tMjAxNjA4MjUtNjAxOTEifQ%3D%3D
[3]
Henning Sußebach, Deutschland ab vom Wege. Eine Reise durch das Hinterland,
Hamburg 2017
[4] Beispiele gibt es genug: man denke
an den sogenannten Schießbefehl an der Grenze
)https://www.welt.de/politik/deutschland/article151685758/Von-Storch-bejaht-Waffengebrauch-auch-gegenueber-Kindern.html ) oder an Akif Pirinçcis angebliche Forderung
nach einem KZ für Flüchtlinge oder an die Kampagne der FAS gegen Alexander
Gauland, Stichwort Boateng.[4]
http://meedia.de/2016/05/31/wie-serioes-ist-der-afd-aufreger-der-fas-die-maer-vom-ungeliebten-nachbarn-boateng/
[5] https://www.publicomag.com/2018/02/er-hat-hochofen-gesagt/
[6] https://www.tagesspiegel.de/politik/sarrazin-tellkamp-herman-unterzeichner-der-erklaerung-2018-sind-besorgnis-erregende-buerger/21151466.html
[7]
Hans-Martin Tillack, Warum wir Jounalisten den Schulz-Hype aufarbeiten müssen, https://www.stern.de/politik/deutschland/tillack/martin-schulz--wir-journalisten-muessen-den-hype-um-ihn-aufarbeiten-7859916.html
[8] http://meedia.de/2016/07/11/mitgestalter-statt-beobachter-giovanni-di-lorenzo-kritisiert-medien-in-der-fluechtlingsfrage/
[9]
Matthias Matussek, „White Rabbit“, FBV, Edition Tichys Einblick, München 2018
[10] http://www.spiegel.de/spiegel/journalismuskrise-warum-viele-leser-den-medien-misstrauen-a-1195175.html
[11] Uwe
Krüger, Mainstream. Warum wir den Medien nicht mehr trauen, München 2016; Hans
Mathias Kepplinger: Totschweigen und Skandalisieren, Was Journalisten über ihre
eigenen Fehler denken, Köln 2017; sowie eine große Studie unter der Ägide von
Michael Haller im Auftrag der Otto Brenner-Stiftung über die „Flüchtlingskrise
in den Medien“, https://www.otto-brenner-stiftung.de/otto-brenner-stiftung/aktuelles/die-fluchtlingskrise-in-den-medien.html
[12]
Politische Präferenzen von Journalisten, Statistiker-Blog vom 28. 2. 18
[13]
https://www.otto-brenner-stiftung.de/otto-brenner-stiftung/aktuelles/die-fluchtlingskrise-in-den-medien.html;
https://www.cicero.de/innenpolitik/medienkrise-journalismus-fluechtlingskrise-berichterstattung
[14]
Haller-Studie, S. 135
[15]
Zitiert bei Haller, S. 146
[16] Haller-Studie,
S. 142
[17]
Kepplinger, S. 131: Report des Scientific Commitee on the Effects of Atomic
Radiation der United Nations
[18]
Kepplinger, S. 18
[19]
Lukas Haffert, Metropole des Populismus – Berlin als Totem der Elitenkritik,
in: Merkur, 30. Januar 2018, https://www.merkur-zeitschrift.de/2018/01/30/metropole-des-populismus-berlin-als-totem-der-elitenkritik/
[20]
Nassim Nicholas Taleb, Skin in the Game, 2018
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