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Wenn man dem bestehenden Misstrauen gegenüber Politik und
Medien noch ein wenig Schubkraft verleihen will, mache man es so wie jüngst Monika
Grütters, CDU, Staatsministerin für Kultur und Medien. In einem Gastbeitrag fürden „Tagesspiegel“ konstatiert sie, das Internet ermögliche, Zitat, „derzeit
mehr Freiraum, als die Demokratie vertragen kann“. Ein verblüffender Satz. Was
genau meint sie mit „derzeit“? Also nicht mehr lange? Überhaupt: wer
entscheidet darüber, wieviel Freiraum die Demokratie verträgt? Und was
legitimiert denjenigen? Kann man bei eingeschränktem Freiraum überhaupt noch
von Demokratie sprechen? Und auf welch geheimnisvolle Weise dient eine Freiheitsbeschränkung
dem „Recht auf freie Meinungsbildung“, wie sie an anderer Stelle sagt?
In den Onlinekommentaren zu ihrem Gastbeitrag erntet Frau
Grütters reichlich Widerspruch. Selbst Schuld, möchte man ihr zurufen. Denn in
ihrer Begründung geht einiges durcheinander – zum Beispiel Demokratie und
Rechtsstaat. „Lügen, Hass und Hetze“ zu verbreiten ist bereits jetzt
strafbewehrt. Allerdings hat das Netzwerkdurchsetzungsgesetz des Heiko Maas die
Entscheidung darüber, welche Meinungsäußerung dazu zählt, nicht den Gerichten,
sondern anonym agierenden „Entscheidern“ überlassen, eine Maßnahme fern
jeglicher Legitimität. Bereits das könnte man als Schwächung des Rechtsstaates
ansehen.
Auch, sich künstlerischer und geistiger Leistungen zu
bedienen, ohne dafür zu bezahlen, ist nicht allein Schuld des Internets, wir verdanken
es der Blauäugigkeit der Medien, die ihre Inhalte bereits vor Jahren kostenlos
ins Netz gestellt haben und nun mühsam zurückzurudern versuchen.
Und was heißt, das Internet erlaube, „Deutungsmonopole“
aufzubauen? Was heißt die Behauptung, dass „soziale Netzwerke in der
demokratischen Öffentlichkeit zunehmend eine moderierende und damit auch für
die Meinungsbildung relevante Rolle übernehmen“ – und wenn ja: was ist schlimm
daran? Weil ein „Algorithmus“ darüber bestimme, was etwa ein Facebooknutzer zu
sehen bekommt? Bei anderen Medien entscheidet die Redaktion, was Leser, Hörer
oder Fernsehzuschauer zuzumuten ist – und da sitzen auch nicht gerade wenige in
ihrer Filterblase oder schielen nach Klickraten.
Bei aller Kritik an dubiosen Praktiken gerade bei Facebook: Grütters’
Beitrag durchzieht das allzu bekannte Lamento über das Volk, den dummen Lümmel.
Der lässt sich mit Algorithmen abspeisen, ist nicht in der Lage, selbst zu
entscheiden, was er wahrnehmen will, hält sich am liebsten in Filterblasen bei
Hetze, Falschmeldungen und Verschwörungstheorien auf und ist zu dämlich, um
selbsttätig jene Angebote zu finden, die Grütters für
„meinungsbildungsrelevant“ hält. Also die gewohnten Medien, nehme ich an. In
diesem Sinne will Grütters die „Medienkompetenz“ der Bürger stärken, schon,
damit sie wissen, welch finstere Mächte da am Werk sind – etwa bei Facebook,
Stichwort: Datenmissbrauch. Wieder einmal soll der Bürger an die Hand genommen
werden, politisch behütet eben. Davon hat er die Nase schon lange voll.
Die Warnung vor einer Informationsflut, die den Untertan
verwirren könnte, ist nun schon einige Jahrhunderte alt, sie erscholl mit dem
Buchdruck, mit dem Radio, mit dem Fernseher, mit jeder Erfindung, die es
leichter machte, öffentlich zu kommunizieren. Priester mochten es noch nie,
wenn das Volk sich ohne ihre Hilfe kundig machte und ihr Monopol auf Wahrheit
bestritt. Das sollte eine Kulturministerin wissen. Auch, dass
Gegenöffentlichkeit beim Kampf gegen Diktatur und autoritäre Regime eine
entscheidende Rolle spielt und dass sie in einer Demokratie ebenfalls
unverzichtbar ist, die von allen Regierungsformen die beste sein mag. Aber
gerade dort, wo das Volk nicht gezwungen werden kann, sondern überredet werden
muss, geht es selten ohne Lüge, Manipulation und Propaganda auf der Seite der
legitim Regierenden zu. Dass Freiheit auch viel Unsinn in die Welt entlässt –
geschenkt. Das ist der Preis, den man für Demokratie und Meinungsfreiheit
zahlt.
Es ist mit dem Internet etwas in der Welt, das man nicht
zurückdrehen kann, wenn man sich nicht dem Verdacht aussetzen will, dass man in
Wirklichkeit nur das Meinungsmonopol, die eigene Deutungshoheit erhalten will,
die man lange Jahre in bewährten Kanälen sicher wusste. Das ist vorbei.
Die Lehre aus den zurückliegenden Monaten ist doch im Grunde
nicht schwer zu verstehen: der Demokratie schadet am meisten, wer die Bürger durch
Beschweigen und Beschwichtigen für dumm verkaufen will.
Zuerst: NDR, Die Meinung, 10. Mai 2018
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