Dienstag, 17. November 2020

Hilf, Mutti! Der Ruf der Kultuschaffenden

 Aber wir waren doch brav! Haben alles mitgemacht, im Frühjahr, als noch niemand so recht wusste, was da auf uns zurollte. Haben Abstand gehalten und Masken genäht, obwohl die angeblich nichts nutzten. Vielleicht, weil es gerade keine gab, die hatte man nach China geschickt. (Unsere Regierung hilft gern. Am liebsten weltweit.) Gaststätten und Versammlungsorte haben vorbildlich alles umgesetzt, was so empfohlen wurde, auch wenn es den Umsatz halbiert hat. Völlig egal, wie Gäste und Gastgeber das fanden, dass auch draußen im Biergarten die Maske aufgesetzt werden musste, wenn man aufs Klo ging, aber nicht, wenn man am Tisch saß. Wir haben Abstand gehalten, uns zur Begrüßung mit den Ellenbogen geknufft, gelacht und das Spiel gespielt. Better safe than sorry.

Es hatte ja auch alles seine Vorteile. Diese Entschleunigung! Herrlich! Und im Theater oder Kino konnte man endlich bequem sitzen, weil niemand mehr neben einem herumlümmelte – himmlisch! Lerneffekte hatte das Ganze auch. Wir Autoren haben unsere Lesungen aus dem Wohnzimmer gesendet, alle Veranstaltungen mit Menschenkontakt waren ja abgesagt, seither ist digital kein Neuland mehr für uns.

Und im Sommer, hatten wir gedacht, hat unsere Regierung Zeit, sich Gedanken zu machen, wie man mit so einem Virus lebt, ohne gleich das ganze Land vor die Wand zu fahren, das Ding verschwindet ja nicht, ebenso wenig wie das Grippevirus. Sicher hat man daran gedacht, die Risikogruppen in Alten- und Pflegeheimen besser zu schützen und darauf zu achten, dass sich im Krankenhaus niemand mit einem anderen dort grassierenden gefährlichen Keim ansteckt. Haben wir gedacht. Und die Gesundheitsämter hat man gewiss ertüchtigt, falls sie kommt, die viel beschworene zweite Welle! 

Die Wirtshäuser, schon immer Hort des Widerstands. 

Doch nichts dergleichen. Wie schon zu Jahresbeginn war man offenbar auf nichts vorbereitet, obzwar doch immer wieder vor der nächsten Welle gewarnt worden war. Und jetzt – frisch nach der Devise: der Mensch ist das Problem, nicht das Virus – wird plötzlich wieder in den Sack gesteckt und zugebunden, was den Bürger ja bloß unterhalten würde. Kinos, Theater, Oper, Museen, Galerien. Und jene Stätten, wo er sich treffen könnte, um am Stammtisch zur Rebellion aufzurufen: die Wirtshäuser aller Preisklassen, schon immer Hort des Widerstands. 

Und warum? Nicht, weil von diesen Orten des Amusements und der Verbrüderung die stärkste Infektionsgefahr ausginge, ganz und gar nicht. Schließlich wisse man von 75 Prozent der mutmaßlichen Infizierten gar nicht, wo sie sich angesteckt hätten, gibt die Kanzlerin zu. Warum also dann? Weil man es mit den Bravsten der Braven ja machen kann?

Ja, wir waren brav. Und sind es immer noch. Insbesondere meine Branche, die der Autoren. Obwohl der neue Lockdown den ganzen November über uns nun ein weiteres mal tief trifft. Wenn ich allein die Lesungen der Autoren meines Verlages zusammenzähle, die im November ausfallen, dann komme ich auf die beachtliche Zahl von fast siebzig Veranstaltungen. Entsprechend sind die Verdienstausfälle, bei den Großverdienern der Branche kommen da hübsche Summen zustande.

Ach, uns geht es doch noch gold, rufen wir da einander zu! Schaut nach Frankreich! Da sind die Buchhandlungen geschlossen und aus Egalité und Fraternité dürfen nun auch in anderen Einkaufsstätten keine Bücher mehr verkauft werden. Die Franzosen müssen nicht mehr nur von körperlichem Kontakt absehen, das fällt wegen der dortigen Bussikultur besonders schwer, sondern auch geistiger Nahrung entsagen! 

Amazon – der absolute Krisengewinnler

Doch halt. Es gibt auch in Frankreich amazon – der absolute Krisengewinnler, der überlebt alles, was man von vielen kleinen Buchhandlungen nicht sagen kann.

Egal. Wir bleiben brav, schlucken ein wenig, legen die Ohren an und ziehen uns an den Schreibtisch zurück, das ist unser natürliches Habitat, und schreiben an gegen die Feinde von Freiheit und Menschenrecht. Das regelmäßige Lüften nicht vergessen, Kollegen!

Widerstand ist von unsereins nicht zu erwarten. Das überlassen wir lieber den 36 tapferen Bürgermeistern aus Baden-Württemberg, die nicht verstehen wollen, warum ausgerechnet jene dicht machen sollen, von denen fürs Infektionsgeschehen die geringste Gefahr ausgeht. Weil sie am ehesten entbehrlich wären? „Dieser Auffassung treten wir entgegen. Kunst, Kultur und Gastronomie machen das Leben in unseren Städten wesentlich aus. Sie einfach abzuschalten, gefährdet auf Dauer Bürgersinn, Zusammenhalt und Lebensgeist der Stadtgesellschaften. Wir sehen die Gefahr, dass die Maßnahmen“ – „abstrakte Verbote“, heißt es an anderer Stelle – „damit das gefährden, was wir zuallererst brauchen, um die Pandemie durchzustehen.“ „Allein mit Geld kann man Unternehmergeist, Kreativität und Leistungswillen nicht erhalten.“

So kritisch sind unsere Musiker und Humoristen nicht, von Peter Maffay bis Dieter Nuhr, die in ihrem Appell unter anderem an Monika Grütters, Olaf Scholz und Jens Spahn „politischen Dank“ für die Bemühungen des Kulturbetriebs bei der Bekämpfung der Pandemie eingefordert haben. Ist die Veranstaltungsbranche nicht der sechstgrößte Wirtschaftszweig hierzulande, mit 1.7 Millionen Menschen Beschäftigten? Also „systemrelevant“? „Helfen Sie uns! Sonst werden wir in ein paar Monaten kulturell ein ärmeres Land sein“ – mit Geld. Als ob das derzeit nicht wie Kamelle beim Karneval unters Volk geworfen wird, um die nahende wirtschaftliche Katastrophe möglichst lange hinauszuzögern. 

Wenigstens der Musiker Till Brönner beklagt, dass sich die meisten Künstler immer noch viel zu vorsichtig äußerten. In der Tat: Zu vorsichtig, zu untertänig, zu unkritisch. Sie bitten, wenn es hochkommt, um Hilfe, ohne in aller Deutlichkeit zu sagen: Wir tragen das nicht mit, diesen Irrsinn. 

Wir, die Braven. Seit Jahren haben sich die „Kulturschaffenden“ von dem verabschiedet, was einst ihr Markenzeichen war: eben nicht systemrelevant zu sein, sondern der Stachel im Fleische der Herrschenden. Allein, dass sie sich so titulieren lassen, ist schon verräterisch: So wurden sie in der DDR genannt, die Schriftsteller und Musiker, Arbeiter der Stirn, halt, als Hofnarren des Systems vereinnahmt. Und so verhalten sie sich auch jetzt. Um Hilfe wird gebettelt, um Anerkennung gebuhlt, die eigene Wichtigkeit hervorgehoben. Doch kaum einer wagt es, das Vorgehen dieser Regierung infrage zu stellen. Um Himmelswillen! Das nützt doch nur - na wem wohl?

Unsere „Kulturschaffenden“ werden schön stillehalten

Der Regisseur Leander Haußmann sagt’s, in einer herzzerreißenden Ergebenheitsadresse an die Kanzlerin - „lächeln Sie mal!“. Der Lockdown sei richtig, gewiss, aber es bestehe die Gefahr, „dass die rechtspolitischen Parteien als Gewinner aus der Krise hervorgehen“ und „das gemeinsame Lachen (...) der schmallippigen Fratze des Hasses“ weicht. Falls da was ironisch gemeint war: Das ist mir entgangen. 

Wenigstens Juli Zeh schert aus, Bestsellerautorin, Spitzenjuristin und Verfassungsrichterin in Brandenburg. Sie vermutet, dass der „Diskurs an den Lebensrealitäten vorbeigeht“. Und sie fürchtet, dass man nach der Pandemie in wieder ruhigerem Fahrwasser auf die Idee kommen könnte, „bei der nächsten massiven Grippewelle staatliches Eingreifen zu verlangen.“ Als ob der Staat Unsterblichkeit versprechen könne.

Es gibt, so kann man hoffen, noch Richter in diesem Land. Schon beim „Beherbergungsverbot“ haben sie eingegriffen. Unsere „Kulturschaffenden“ aber werden schön stillehalten, selbst jetzt noch, wo es ans Eingemachte geht. Und keinen Gedanken daran verschwenden, wie die Welt aussehen wird, wenn alles am Boden liegt, was Lebensqualität und Freiheit ausgemacht hat. 

Deutschland - eine Kulturnation? Ich fürchte, so wird das nichts mehr.

Dieser Beitrag erschien zuerst in der Tagespost vom 5. November 2020


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