Samstag, 4. Dezember 2010

Zur "PorNo"-Kampagne von Alice Schwarzer (1988)

Wiedergefunden...


Heim zu Mama? Eine Polemik
von Cora Stephan

Das wohlausgewogene Urteil, zu dem ich mich gerne durchgerungen hätte, ist mir im Laufe der Beschäftigung mit Alice Schwarzers Porno-Kampagne im Hals steckengeblieben. Wenn es wirklich darum ginge, daß Frauen angesichts einer wachsenden pornografisch-gewalttätigen Bilderflut der Porno-Industrie ein kämpferisches "Mit uns nicht!" zuriefen, könnte ich verstehen, daß sich insbesondere Journalistinnen mit ihren Bedenken gegen eine weitere Verrechtlichung des öffentlichen und privaten Lebens weitgehend zurückhalten und der Kampagne respektable Intentionen unter stellen. Betrachtet man sich indes den schwerlich zu übersehenden Diskurs hinter dem Diskurs, dann entpuppt sich diese Frauensolidarität als einigermaßen fatal und der hinterhereilende Gehorsam mancher Männer als überaus peinlich.
Das Buch der Amerikanerin Andrea Dworkin, auf das sich Schwarzers Kampagne verkaufsförderlich bezieht, ist, worüber die Lektüre einiger weniger Seiten bereits nachdrücklich belehren sollte, keineswegs eine "Analyse der Funktion von Pornographie" (Vorwort von Alice Schwarzer), und der Feminismus müßte hierzulande völlig heruntergekommen sein, wäre seine Autorin wirklich eine "der be deutendsten Theoretikerinnen des neuen Feminismus" (ebd.). Man mag es dem Spiegel-Kulturchef Karasek, sicherlich kein Connaisseur feministischen Gedankenguts, noch verzeihen, daß er sich ausgerechnet bei Frau Dworkin über Pornografie belehren lassen muß. Den niveauvollen, realexistierenden Theoretikerinnen des Feminismus hierzulande aber wäre ein gequältes Stöhnen nicht zu verdenken.
Silvia Bovenschen und Gertrud Koch wenigstens haben sich gegen diese Verluderung dessen, was Theorie und was Feminismus genannt werden kann, zur Wehr gesetzt: Die erstere attestiert Andrea Dworkin ein "monochromes Geschichtsbild", die zweite rubriziert deren Buch unter "paranoische Phantasie".
Zutreffenderweise: das Buch reiht essentialisti che Sätze aneinander, die weder mit einer Analyse von Pornografie zu tun haben noch mit der theoretischen Abhandlung patriarchaler Strukturen, sondern plattesten und nachgerade spiegelbildlich pornografischen Männerhaß kundtun: Der Mann sei ein "Parasit", schreibt die gelehrte Autorin, "Terror strahlt aus vom Mann, Terror erleuchtet sein We sen, Terror ist sein Lebenszweck", "der Charakter des Mannes: Er ist gefährlich", "Männer sind gefährlich, Männer werden gefürchtet", "der Penis verursacht Schmerz", "ficken ist also automatisch sadistisch" (S.24, 25, 26, 55) - undsoweiter undsofern.
Kein Wunder, daß dieses Buch der Emma-Chefin in den Kram paßt, die selbst Aids noch dazu funktionalisiert, ihre uralte Botschaft zu verkünden, daß das, was sie "Penetration" nennt, nur für Männer, keinesfalls aber für Frauen ein Vergnügen sei und insofern besser zu unterbleiben hätte. Der unermüdliche Kampf gegen das, was Heterosexualität von lesbischer Liebe unterscheidet, ist der Diskurs hinter dem Diskurs über Pornografie, was schon für Alice Schwarzers Buch "Der 'kleine Unterschied' und seine großen Folgen" aus dem Jahre 1975 galt: "Eine homosexuelle Propagandaschrift wurde irrtümlich als eine feministische Kampfschrift aufgefaßt" (Bernd Nitzschke, Sexualität und Männlichkeit, S. 117).
Ich möchte hinzufügen: nichts gegen eine homosexuelle Propaganda schrift, wenn sie sich als solche auch zu erkennen gibt. Was Alice Schwarzers unzählige Kampagnen aber immer wieder auszeichnet, ist, daß sie die Entscheidung gegen Männer und insbesondere gegen die Lust an deren primärem Geschlechtsorgan zur einzig richtigen und einzig feministischen Strategie erklärt. Ihr Kampf gegen die Männer ist damit stets, und zwar keineswegs am Rande, ein Kampf gegen Frauen, die an Männern auch das lieben, was anders ist: Die geißelt sie dann als Frauen, die den Jungs "nach dem Maul reden", die ihre eigene "Vernuttung" betreiben, die "nur noch schwer zu unterscheiden sind von denen, die sich ihre blauen Scheinchen ganz hart an der Ecke verdienen müssen". Spiegel-Redakteurin Ariane Barth, die gegen die Indienstnahme von Aids zum Nachweis der schädlichen Heterosexualität durchs Zentralorgan Emma und Chefin Schwarzer polemisierte, wird im Gegenzug mit unverhüllter Rachsucht aufs rechte Maß gebracht: Als Frau, die lediglich "ihren Jungs zu Freude" schreibe, als geduldete Plappertasche "der Männerwelt", als eine der (vielen?) "Denunziatorinnen". Der Artikel ist namentlich nicht gezeichnet, er dürfte kaum ohne Zustimmung der Emma-Chefin ins Blatt gerutscht sein.
Die beschäftigt sich ohnehin in bewährter Manier damit, alte Mit streiterinnen der Frauenbewegung wie Simone de Beauvoir, Kate Millett oder Frauen wie Anais Nin und Susan Sontag abzustrafen, die zu einer etwas differenzierteren Sicht sowohl der Pornographie als auch des Geschlechterverhältnisses fähig sind. Ein solcher wahnhafter Kampf gegen ein trotz allem ja immer noch erstaunlich weitverbreitetes Phä nomen wie Heterosexualität ist kaum noch versteckter Wunsch nach einem "Verbot der Männer" (Bovenschen) - ihre Abschaffung wäre die einzige logische Konsequenz. Gottlob steht ja die Wissenschaft schon mit der Retorte bereit, sollten autonome Frauen einmal den autonomen Wunsch nach einem Kind verspüren. Also weg mit den Mackern.
Ebenso unnötig sind natürlich auch jene Frauen, die nicht nur auf ihre Klitoris, sondern auch auf die Vagina noch Wert legen. Denn sie ist nicht nur den dümmsten Stammtischwitzen nach (oder bei Männern according to Karasek, dazu weiter unten) ein empfindungsloses, rabenschwarzes Loch, das nur dazu dient, gestopft zu werden, sondern auch im avancierten radikalfeministischen Diskurs a la Schwarzer. Wenn der Schwanz ein Terror ist, dann ist jede Möse masochistisch, die ihn auf nimmt - und jede Frau eine fromme Selbstbetrügerin, die eine ozeanische Lust dabei empfindet. Eine Enteignung der Frauen von ihrem primären Geschlechtsorgan in einer auch ganz schön gewalttätigen Zangenbewegung und eine unheilige Allianz zwischen dumm-brutalen Männern, ängstlichen Frauen und der strafenden Mutter. Jokaste strikes again.

Der Diskurs hinter dem Diskurs über Pornografie kreist in einem nachgerade klassischen Sinn um Sexualpolitik: Am "richtigen" Sexualverhalten soll wieder einmal die Welt genesen. Und damit ist der Kampf gegen die Pornografie, so wie er von Andrea Dworkin und Alice Schwarzer geführt wird, kurioserweise eine Neuauflage eben jener Sexualpolitik, die zu kritisieren er vorgibt. Dworkin ortet die Verfechter und Betreiber der Frauen entwürdigenden Pornografie im linken Spektrum: Es seien die Linken, die mit ihrer Rhetorik von der Befreiung der Sexualität zur Zeit der wilden sechziger Jahre das Übel verteidigt und verbreitet hätten. Das ist gar nicht mal so falsch gesehen: Damals schien die Propaganda allgemeiner Schamlosigkeit nicht nur ein wunderbares Mittel, die bürgerlichen Autoritäten zu schockieren, sondern auch der richtige Weg zu sein, sexuelle Verklemmungen, wie es immer so schön hieß, "abzubauen". Die Sexualrevolutionäre waren der festen Überzeugung, die gute, heile, richtige und befreite Sexualität werde schon leicht und locker auf dem Fuße folgen, wenn erst einmal alle Tabus gebrochen, alle Restriktionen aufgehoben und alle Hüllen gefallen seien.
So einfach war die Sache bekanntlich nicht. Nicht nur ist der gesunde, heile und womöglich auch noch gute Mensch in dieser Gesellschaft nicht so ohne weiteres zu haben, auch die Sexualität hat ihre abgründigen Seiten: Aus dem heiteren körperlichen Spiel kann Liebe werden, eine bekanntlich hinderliche Größe, derart intime körperliche Begegnungen von Menschen machen verletzbar, und wo bliebe schließlich das wilde, womöglich auch schmerzhafte Begehren, wenn alle Welt nur heitere, leidenschaftslose Nummern schöbe, wie technisch ausgereift auch immer? Die Welt aus einem Punkt, nämlich an der Sexualität, kurieren zu wollen, erwies sich als trügerisches Heilsversprechen; mit Sexualität ist weder Politik noch Staat zu machen, obzwar es auch die andere Seite immer wieder versucht, wie die Aids-Debatte zeigt.
In einem Punkt wiederholt Andrea Dworkin dieses Versprechen der Enderlösung, der Herstellung natürlicher, friedlicher und freudiger sexueller Beziehungen, der Erreichbarkeit eines Zustandes der Freiheit. Sie schreibt: "Wir wissen alle, daß wir frei sein werden, wenn es keine Pornographie mehr gibt." Man müßte eigentlich hinzufügen: und keine Männer mehr bzw. nur noch solche, die ihr exquisites Terrorinstrument, den Schwanz, willig an der Garderobe abzugeben bereit sind.
Der Diskurs hinter dem Diskurs über Pornografie enthüllt ein identisches Bild dessen, was sexuelle Utopie sein soll: Für die Sexualrebellen von damals wie für die Pornogegnerinnen von heute offenbar ein von jeglicher Obsession, von Aggressivität, Heftigkeit, Lustschmerz, von bodenloser Hingabe und abgründigem Verlangen, vor allem allerdings von der Geschlechterspannung bereinigter Spaß.
Nun mag es ja sein, daß es angesichts des verbreiteten ehelichen Elends besser wäre, im Ehebett fände wenigstens Spaß statt - Kerzenlicht, Zärtlichkeit und Handfertigkeiten auf gehobenem Niveau. Nur schreibt dieses Bild von einer "gelungenen" Sexualität die unsere Kultur prägende Angst vor der Sexualität fort, die Angst vor dem Anderen, Fremden, auf die mit Abwehr oder Eingemeindung reagiert wird. Damit betrügt man sich um die Potenzen der Sexualität: um diese einzigartige Möglichkeit, sich aufzugeben und wiederzufinden, um den Abgrund des leidenschaftlichen Begehrens, der zugleich magisch anzieht. Viele Männer und Frauen haben Angst vor dem jeweils anderen Geschlecht, vor dieser Differenz, die eine Spannung entstehen lassen kann, die prekär balanciert ist. Und da sich die Geschlechter nicht im schönen Zustand des gleichen Ranges gegenüberstehen, mag sich diese Balance immer wieder zugunsten männlicher Aggressivität auflösen. Die Differenz deshalb zu leugnen, das Fremde "einzugemeinden", hat jedoch eine ebenso totalitäre Komponente, die weit über den Sexualakt hinaus wirkt. Denn Abwehr oder Eingemeindung sind auch in der öffentlichen Begegnung die zwei Seiten einer Medaille: Das Fremde kann nicht aus ehalten werden, es muß - durch Ausstoßung oder Assimilation - vernichtet, unschädlich gemacht werden.
Darüber, daß Männergewalt gegen Frauen diese Komponente aufweist, herrscht Konsens. Das Männerbild der Porno-Gegnerinnen weist aller dings die gleiche Komponente auf.
Vielleicht ist das der Grund, warum sich die feministischen Theoretikerinnen hierzulande aus der Porno-Kampagne heraushalten: Die ewige Wiederholung des Altbekannten und schon oft Gesagten nötigt keinen großen literarischen und kämpferischen Eros mehr ab. Und überdies wurde die Emma-Kampagne in den Massenmedien in erstaunlich hohem Maße von Männern aufgegriffen - und verteidigt. So legte Spiegel-Redakteur Karasek auf einer öffentlichen Veranstaltung ein Ge ständnis ab - stellvertretend für "die Männer" - und bekannte in der ersten Person Plural, daß "wir Frauen demütigen, daß wir Männerphantasien auf das Schmutzigste beflügeln" - wir "Ferkel". Im Spiegel schließlich gibt er preis, was er, als Geschlechtsgenosse, ja wissen muß: "Für Männer (da muß Dworkin gar nicht vergröbern) geht es darum, daß die Frau aus Öffnungen und Löchern besteht, die nur eines wirk lich wollen: nämlich penetriert zu werden." Darum scheint es in der Pornografie der bunten Heftchen und immergleichen Filme ja tatsäch lich zu gehen - trifft das aber damit auch auf Männer zu, sui generis, umstandslos und schlicht: auf alle? Zuviel Buße getan oder zuviel Dworkin gelesen? Denn auch für sie gibt es den Unterschied zwischen Phantasie und Wirklichkeit nicht, der indes für Pornografie konstitutiv ist.

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