Am Sonntag wird es auf buchmarkt.de ein Gespräch über das Thema geben - und heute hat bereits die NZZ einen Essay über die Zukunft des Buchs, des Buchhandels, der Verlage, der Autoren veröffentlicht. Hier ist er:
Es ist nur eine Frage der Zeit, bis das E-Book dem herkömmlichen Buch den Platz streitig machen wird. Eine ganze Branche fürchtet sich vor einer technologischen Revolution, die kaum aufzuhalten ist. Hart treffen wird es den Buchhandel und Verlage mit hohen Fixkosten. Den Autoren indes bieten sich Chancen.
«Niemals. DAS BUCH wird nicht sterben. Nicht nach 500 Jahren Erfolgsstory. Und nicht ausgerechnet jetzt.»
Wenn man genau hinhört, vernimmt man das Pfeifen im Keller. Dort sitzen Verlage, Buchhandel und Autoren beisammen, halten sich Augen und Ohren zu und beteuern, dass es sie auch in Zukunft noch geben werde, weil die Welt sie brauche. Kann sein. Oder auch nicht. Die Branche taumelt im Sturm einer technologischen Revolution, und bei Revolutionen geht es bekanntlich nicht zimperlich zu. Da fürchtet jeder um seinen Kopf.
Enteigner am Werk
Am meisten fürchten sich wie immer die Autoren – und das nicht ohne Grund. Wir regen uns zu Recht darüber auf (siehe die «Leipziger Erklärung»), wenn Feuilleton und Verlag es lässig nehmen, dass eine 17-Jährige aus der Generation Copy and Paste ein bisschen abgekupfert hat. Während man in der Musikbranche dafür bitter büssen muss – der deutsche Rapper Bushido wird wegen ähnlicher Vorwürfe ganze elf Alben schreddern müssen –, jubelte das Feuilleton den Pubertätsaufschrei «Axolotl Roadkill» mit seiner «Ästhetik der Intertextualität» in die Bestsellerlisten. Das mobilisiert alle Ängste, die ein Autor so hat, der vom Verkauf seines geistigen Eigentums leben will.
Denn da sind ja noch ganz andere Enteigner unterwegs. Noch nie war Raubkopieren so einfach wie heute. In seiner digitalen Form kann man im Internet jedes halbwegs erfolgreiche Buch kostenlos herunterladen. Schliesslich gebe es, meinen die Urheberrechtsverletzer, ein Menschenrecht auf Informationsfreiheit. Für die Autoren ein schwacher Trost: Immerhin sind es ihre Fans, die so scharf auf ihre Bücher zu sein scheinen, dass ihnen der Umweg über die Ladenkasse zu mühselig ist.
Wundertüte Internet
In düsteren Autorenträumen dauert es nicht mehr lange, und kreative Leistung ist gar nichts mehr wert. Das Internet, glauben viele, ist nicht ihr Freund: Diese Tüte voller Wunder, für die man nicht bezahlen muss, hat die Preise verdorben. Auch deshalb klammern Autoren sich ans Fortleben des BUCHS: Denn das E-Book wird billiger sein müssen, soll es eine Chance auf einem Markt haben, dessen Nutzer «Bezahlt wird nicht!» gewohnt sind. Für Autoren aber ist der Buchpreis noch immer das Mass aller Dinge, solange sich ihr Honorar in Prozenten daran bemisst.
Und so pfeifen sie eben mit im Keller und machen sich Hoffnungen: Noch ist es einigermassen mühsam, als Leser illegal an seinen Stoff zu kommen. Noch sind E-Book-Reader zu teuer und nicht elegant genug, damit Leserinnen sie gerne mit ins Bett nähmen. Noch lieben alle die nette Buchhändlerin in dem kleinen Laden gerade um die Ecke. Noch wollen die meisten Belletristik auf die gewohnte Weise lesen.
Noch gibt es wahre Lesefreunde, die jederzeit ein Plädoyer für DAS BUCH halten würden: Nichts gehe über dieses Kultobjekt aus Druckerschwärze und Papier, in feines Leinen oder Leder gebunden, gar noch mit Lesebändchen; einen edlen Gegenstand eben, in dem man nicht nur lesen, sondern den man auch streicheln, betrachten und ins Regal stellen kann. Ein Buch, das einen ordentlichen Ladenpreis auch wert ist!
Doch die dingliche Form des Buchs stellt in den meisten Fällen keinen Wert mehr dar, der für seinen Preis bestimmend wäre. Das Teure am Buch ist nicht seine gegenständliche Existenz. Die Druckkosten sind marginal in Relation zu den bis zu 50 Prozent vom Buchpreis, die an den Buchhandel gehen. Oder im Vergleich mit den Kosten eines Verlages, der eine teure Geschäftsleitung und viele Mitarbeiter beschäftigt, die für Vertrieb und Marketing sorgen. Auch die inhaltliche Arbeit am Buch bestimmt den Buchpreis nicht, nicht die im Lektorat und erst recht nicht die des Autors, der, wenn es hochkommt, 10 Prozent vom Ladenpreis eines Hardcovers und 6 Prozent von dem eines Taschenbuchs erhält.
In der Klemme
Fragen wir also einmal andersherum: Wäre es nicht geradezu eine Befreiung, wenn der Zwang zur Körperlichkeit mitsamt dem kostenaufwendigen Vertrieb wegfiele? Könnte es nicht sein, dass die Revolution der Gutenberg-Galaxis gerade für die Autoren die grössten Chancen bereithält?
Nehmen wir die Verlage. Insbesondere die grossen Tanker unter ihnen sitzen in der Klemme. Sie werden für eine womöglich recht lange Übergangszeit Bücher sowohl in der gewohnten handfesten Weise als auch als elektronisches und körperloses Wesen auf den Markt bringen müssen. Der ganze Vertriebsapparat muss also erhalten bleiben. Das mindert die Chancen, die im E-Book liegen: nämlich an den Kosten für den teuren Verkehr mit den Buchhändlern sparen zu können.
Die Macht der Ketten
Durchaus möglich, dass manch ein Verleger davon sogar träumt. Davon, endlich die Macht der grossen Sortimenter brechen zu können, die ihm nur noch das abnehmen, was sich massenhaft verkauft. Und die ihm ein «Warenkostenzuschuss» genanntes Bestechungsgeld abverlangen, wenn er möchte, dass seine Neuerscheinungen einen guten Platz auf den Verkaufstischen bekommen.
Solche Träume könnten wahr werden. Die Macht der grossen Ketten bröckelt. Denn wozu braucht man sie noch? Gewiss nicht ihrer alten Kernkompetenz der Beratung wegen. Angesichts der Fülle von Neuerscheinungen und des Triumphzugs des Online-Handels ist Beratung höchstens noch ein Pluspunkt der kleineren Buchläden. Die deutsche Grossbuchhandlung Hugendubel spart folgerichtig qualifiziertes Personal ein und will überdies ein Drittel seines Sortiments mit «Non-Books» bestücken. Konsequenter ist die Buchhandelskette Thalia, wo man selbst ins E-Book-Geschäft einsteigen will, denn dafür braucht man keinen Buchhändler mehr.
Braucht man womöglich auch keine Verlage mehr in Zeiten des E-Books? Doch, doch, pfeifen die Verleger im Keller: Wo wären alle ohne uns als Vermittlungsinstanzen, ohne unser verlegerisches Eros, ohne unsere Aufzucht und Pflege von Autoren, ohne unsere Leidenschaft für schöne Bücher . . . Gewiss. Der Dankbarkeit ihrer Autoren können sie gewiss sein: Wo wären wiederum wir ohne Verlagsvorschüsse, die uns von Existenznot befreien und vom mühseligen Geschäft des Werbens und Verkaufens? Wo wären wir ohne Lektoren? Also mucken wir nicht lange und unterschreiben Verträge, in denen uns immerhin 20 Prozent vom niedrigen Preis eines E-Books zugesichert werden. Was soll's: Wir glauben ja fest an DAS BUCH! Also die Augen zu und weiterschreiben. So sind wir Autoren.
Mehr Selbstbewusstsein
Ein bisschen mehr Selbstbewusstsein wäre gewiss nicht schlecht. Auch das Internet braucht «Content» – also Urheber. Auch gibt es immer wieder von der Marketingabteilung und den auf garantierte Verkäuflichkeit setzenden Sortimentern nicht vorhergesehene Wunder. Es sind die Leser, die das Kalkül unterlaufen, indem sie einen unbekannten Autor mit einem unbekannten Titel zum Bestseller machen.
Die Wiederbeatmung der Autoren aber kommt heute aus einer ganz anderen Richtung. Es wird Amazon sein, der Online-Handels-Riese, der das Bündnis zwischen Buchhandel, Verlagen und Autoren zerschlagen könnte. Amazon stellt seit kurzem eine Plattform zur Verfügung, auf der Autoren ihre Bücher selbst veröffentlichen können – und zwar auch ohne Verlag. Man will dabei die Autoren mit 70 Prozent am Erlös beteiligen (zum Vergleich: An den Buchhandel gehen bis anhin um die 50 Prozent). Auch Apple verhandelt momentan mit den sechs grössten amerikanischen Verlagsgruppen über ähnliche Konditionen. Eine Revolution? Zweifellos. Nur in Europa versucht man die Sache zu verschlafen.
Auch die Autoren schlummern fest. Sie sollten vielleicht einfach einmal nachrechnen: 70 Prozent von 3 Euro oder 10 Prozent von 20 Euro oder 6 Prozent von 9 Euro? Ach? Genau.
Veränderter Auswahlprozess
Es sind also nicht die Autoren, die sich vorm E-Book am meisten fürchten müssten, sondern vor allem der Buchhandel. Und jene Verlage, die sich auf ein neues Bündnis mit ihren Autoren nicht einlassen wollen, die, wenn sie geschickt sind, die Verhandlungsmacht des Buchhandels übernehmen könnten. Denn anderswo locken bereits andere Partner: kleine, wendige, von vornherein auf E-Books spezialisierte Agenten, die jene Overhead-Kosten, unter denen die grossen ächzen, gar nicht erst anhäufen. Gewinnen werden Verlage und Autoren, denen es gelingt, aus dem bloss anderen Aggregatzustand des zum E-Book gewordenen Buchs etwas Genuines, Überraschendes, auch junge Leser Begeisterndes zu machen.
Sicher, wird man in der Verlagswelt vielleicht sagen. Demnächst also wird jeder Mist veröffentlicht, den wir bisher durch unsere sorgfältigen Qualitätskontrollen verhindert haben!
Nun – diese Kontrollen hat bisher erstaunlich viel Mist passiert, Bücher als Massenware, die sich entschieden weniger leicht entsorgen lassen als elektronische Impulse. Und vieles ist den Verlagen auf ihrer Jagd nach dem garantiert Verkäuflichen sogar entgangen.
Es muss nicht schaden, wenn sich in Zukunft der Prozess umkehrt: Gedruckt wird nur noch, was sich in seiner digitalen Form bereits bewährt hat – und auch nur, wenn der Leser es will. Was dann noch auf einem Büchertisch landet, ist es wert, ins Regal gestellt zu werden.
So wird es womöglich weiterleben: DAS BUCH.
In: NZZ vom 1. April 2010
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das mit dem Raubkopieren ist noch schlimmer. Es gibt unzählige Foren, Blogs und was auch immer. Manchmal gibt es eine ganze Rubrik "E-Books" und da wird ge-downloaded ohne Ende. Alles macht den Eindruck der Legalität und immer weniger Besuchern ist der Rechtsbruch überhaupt noch bewusst.
AntwortenLöschenIn einem Forum diskutierten sie einmal ein wissenschaftliches Thema. Einer brachte einen Link zu einem E-Book sozusagen fleich als Quelle seines Zitats ein. Da habe ich einmal höflich angefragt, ob der Forumbereiber sich eventuell strafbar machen würde, wenn er es toleriert. Es entbrannte eine heftige Diskussion über meine Anfrage und als Ergebnis hielt ich eine völlig unterentwickeltes Rechtsbewusstsein der meisten Teilnehmer fest.
E-Books, Software, Musik, ...: mir kommt es so vor wie der Ausverkauf einer zum Untergang verdammten westlichen Kultur. Etwas neues wird es kaum noch geben. Rentiert sich einfach nicht, solange man nichts anderes als gelegentlich anerkennende Worte in Retour bekommt, wovon man seine Miete nun einmal nicht bezahlen kann.
Beste Grüsse aus FFM
mein kommentar bei "Buch neu erfinden§ gehört eigentlich hier hin, da war es aber noch nicht im blog - und als nzz-kommentar zu lang.
AntwortenLöschenmit Erlaubnis von Gerhard Georg Ortmann:
AntwortenLöschenMit Interesse verfolge ich Ihre bisherigen Beiträge zum Thema "Zukunft des
Buches" und beziehe Ihre Ausführungen auf den weltweiten Musikmarkt.
Mit dem bereits mehr als zehn Jahre andauernden Niedergang der
Musikindustrie haben sich bislang für Musiker keine ausgleichendenden
Vermarktungschancen via Internet ergeben. In seinem Buch "You're Not A
Gadget" vertritt Jaron Lanier die Meinung, die Internet-Vermarktung von
Musik sei überwiegend auf die Musik der Vergangenheit gerichtet. Er selbst
habe bislang keinen Musiker gefunden, der mit den Mitteln des Internets
in irgendeiner Weise Bedeutung erlangt habe. Neue Künstler werden weiterhin
nur durch die "alten" Plattenfirmen aufgebaut, dabei scheint
Internet-Marketing nur stützend wirken zu können.
Fraglich bleibt, ob die Option der Direktvermarktung der Autoren etwa bei
Amazon so effektiv wie von Verlagen geübt werden kann. Jedenfalls hat es
i-tunes, der mittlerweile größte Musikvermarkter der Welt, es bislang noch
nicht vermocht, eigenständig bedeutende neue Namen ans Publikum zu bringen.