Ja, Alice Schwarzer hat sich große Verdienste erworben. Sie ist ein Erfolgsmodell, das frau sich genau anschauen sollte, wenn sie lernen will, wie’s geht: Wie man sich als Inkarnation und Ikone einer Bewegung installiert, die geltend macht, die Interessen von mehr als die Hälfte der deutschen Bevölkerung zu vertreten. Wie man alle Konkurrentinnen um diese Position nachhaltig wegbeißt. Wie man mächtige Bündnispartner gewinnt. Wie man sich unangreifbar macht. Wie man damit ganz gut verdient.
Denn Frauen hat Alice Schwarzer am wenigsten gebraucht für ihren unaufhaltsamen Aufstieg zur Promifrau. Im Gegenteil: Von Beginn an machte sie sich zur Linienrichterin, die unter dem Schlachtruf „Frau sein allein genügt nicht“ die Genossinnen mit harter Hand auf ihre, die einzig richtige Linie also, einschwor. Alle, die nicht drauf waren, wurden im Zentralorgan „Emma“ als Kollaborateurinnen mit dem Feind entlarvt.
So agiert sie noch immer, wie ihr jüngster Ausbruch gegen Frauenministerin Kristina Schröder zeigt, die der grossen alten Dame des Feminismus respektvoll zu widersprechen wagte. Damit erweise Schröder sich als „schlicht ungeeignet“, sie solle besser Pressesprecherin der „rechtskonservativen Männerbünde“ werden. Ja, so kennen wir sie, unsere Alice! Die selbstbestellte Nachfolgerin in der „Emma“-Redaktion, Lisa Ortgies, hielt die Patronin schon nach einer Woche für „überfordert“ und jagte sie auf eine Weise von dannen, die sich kein Mann erlauben dürfte.
Der Protest dagegen blieb verhalten. Wie Joschka Fischer profitiert auch Alice Schwarzer von jener geheimnisvollen Omertá der Weggenossen: selbst die Opfer dieses Werdegangs schweigen eisern. Und will man sich vielleicht vorwerfen lassen, mit einer Kritik an den Ikonen der Bewegung dem Gegner zu dienen?
Schwarzer hat sich unangreifbar gemacht. Und so, wie Atomkraftwerke im Sozialismus schlagartig ungefährlich werden, ist es politisch völlig unanstößig, für die „Bild“-Zeitung zu werben, sofern Alice Schwarzer es tut.
Der Feind, der Mann, sah und sieht das alles ganz gelassen – achwas: er sieht das gar nicht ungern. Während sich einige Mitkämpferinnen aus der Frauenbewegung noch eine Weile wehrten gegen ein paar (damals heftig umstrittene) Kampfthesen a la „Alle Männer sind potentielle Vergewaltiger“, fielen ihnen die Männer reihenweise in den Rücken. Sie schienen zu glauben, „den Frauen“ entgegenzukommen, wenn sie noch den abstrusesten Thesen zustimmten, die Heterosexualität als Unterwerfung der Frauen unter die Männer denunzierten. Da mußte man dann über das andere Gedöns nicht mehr groß diskutieren.
Denn das ist das Schöne an den Männern: Sie können strategisch denken. Sie haben früh erkannt, daß der Kampffeminismus a la Schwarzer entlastet - nämlich sie. Nicht nur, weil keine Frau es gelassen nimmt, wenn man ihren Vortragsstil mit dem eines keifenden Marktweibs vergleicht, also mit der Furie Alice Schwarzer. Sondern weil man mit den großen Zugeständnissen an „die Sache“ von den Mühen der Ebene so fein ablenken kann.
Wer will noch über so Kleinigkeiten wie geteilte Arbeit im gemeinsamen Haushalt streiten, wo es doch um Grundsätzliches geht – ums Herrschafts- und Unterdrückungsverhältnis? Wer will noch den heterosexuellen Elternalltag aushandeln, an dem frau schliesslich selbst schuld ist, warum hat sie sich darauf auch eingelassen – wo es doch um den politischen Kampf weltweit geht? Für ihren Hinweis darauf, daß man gern auch das Private geklärt haben möchte, ohne es stets als Politisches diskutieren zu müssen, strafte Alice Schwarzer denn auch jene jüngeren Frauen ab, die sich der Verpflichtung aufs Grosse Ganze zu entziehen versuchten. „Post-Girlies“ seien das, schimpfte die weise Frau, die sich „ausschliesslich für ihre ganz persönlichen Belange, sprich: für Karriere und Männer“ interessierten.
Solche Frauen aber sind fürs Patriarchat in Wirklichkeit eher unbequem. Prima sind Frauen, die Männern keine Konkurrenz machen, etwa, indem sie sich mit feministischem Spezialistentum fernab weiblicher Lebenswirklichkeit einen der wenigen Frauenlehrstühle erobern, in Konkurrenz zu anderen Frauen. In der akademischen Welt glauben die meisten Männer gern, dass damit alle weiteren weiblichen Ansprüche auf Teilhabe abgegolten sind. Ein perfekter Deal.
Das muss wohl auch die Stadt Köln und den Mäzen Jan Philipp Reemtsma bewogen haben, der Ikone Millionenbeträge und eine Bleibe im „Bayen-Turm“ zur Verfügung zu stellen, als ob das schwer zugängliche „Frauen-Archiv“ mehr als ein Feigenblatt und also von allgemeinem Belang wäre. So ist man andere Ansprüche anderer los. Cool!
Schwarzer kann eben mit Männern. Und am besten ist sie, wenn sie eine potentielle Konkurrentin niedermacht. Wer sie kürzlich in einer Talkshow über den Kachelmann-Prozess gesehen hat, hat gewiss bemerkt, dass sie mit den männlichen Diskutanten respektvoll, ja geradezu flirtiv umging. Attackiert wurde die einzige Frau in der Runde, Gisela Friedrichsen, die unter dem Redeschwall der entfesselten Furie alsbald fassungslos verstummte.
Alice Schwarzer hat sich erfolgreich als Marke etabliert. Ihr geht es um sich, um nichts anderes. Das sollte man ihr nicht verübeln. Egoismus ist legitim. Kritisieren wir sie also dafür nicht: Denn von Alice lernen, heisst siegen lernen. Sucht euch ein moralisch und politisch in sich gerechtfertigtes Anliegen, macht euch zur einzigen legitimen Vertreterin dieser Idee auf Erden und ihr habt es geschafft, Mädels. Da ist noch weit mehr zu holen als ein Job als „Gleichstellungsbeauftragte“!
Die Sache mit dem Mülleimerruntertragen, ehrlich, ist wirklich nicht so wichtig.
In: Focus, 15. November 2010
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wenn man älter wird und als junger mensch in einer extremen bewegung war (in meinem fall die spontis), bemerkt man,wie man sich verarschen lassen hat und sich selbst verarscht hat.
AntwortenLöschendie großen ikonen sind auch nur menschen,wie mama und papa,denen man doch mithilfe der ikonen entkommen wollte.
der schmerz darüber ist bei mir jetzt vorbei,aber empören tut es mich immer noch.
ich muß mir eingestehen,dass ich damals sehr wahrscheinlich gerne gruppenführer in der hj gewesen wäre,alles natürlich sehr idealistisch.
wie Sie frau schwarzer darstellen,habe ich diese auch schon öfter gesehen.
schade,dass wir immer gerne irgendwelchen führern nachlaufen wollen.
ob es überhaupt hoffnung gibt,dass politik nicht nach gefühl gemacht wird,sondern nach sachlichem austausch zwischen mündigen bürgern,erscheint mir fraglich angesichts der auflagenhöhe der bildzeitung, sowie der unantastbarkeit der political correctness in linken kreisen.
für argumente nicht zugänglich - beide.
Ein sehr schöner und amüsanter Artikel.
AntwortenLöschenAllerdings bin ich immer wieder über die Divergenz zwischen Medienwelt und "realer" Welt verwundert. Sie scheinen geradezu zwei Parallelwelten oder in den letzten Jahren sogar sich immer weiter voneinander entfernende Welten zu sein.
In der einen Welt ist Frau Schwarzer ein wahrer Koloss, dem sich niemand entgegen stellen sollte, sonst wird er mit einer Hand beiseite gefegt und mit einem mächtigen Fußtritt zerschmettert.
In der anderen Welt wird diese Person bestenfalls für irre gehalten und man fragt sich wann endlich die Männer mit den weißen Kitteln kommen. Allerdings kenne ich wirklich niemanden, der diese Person auch nur ansatzweise ernst nimmt oder ihr gar zustimmt.
Vielleicht liegt es ja daran, dass ich erst nach 68 geboren bin oder mein Bekanntenkreis und ich haben einfach nicht das nötige Niveau um derlei nachvollziehen zu können.
Viele Grüße
Schade, dass über dem allgemeinen Alice-Schwarzer-Bashing, bei dem sich ja jetzt von der Welt bis zur Süddeutschen alle einig sind, die haarsträubenden Positionen von Familien- und Frauen(!)-Ministerin Schröder gar nicht mehr zur Kenntnis genommen werden. Alice Schwarzer hat ihre Fehler, aber der eigentliche Skandal ist doch, dass Schröder es geschafft hat, den Feminismus und Alice Schwarzer synonym zu setzen. Und so das eine mit dem anderen zu verdammen. Der Feminismus ist für mich ganz persönlich und aus völlig eigennützigen Gründen tatsächlich "die folgenreichste soziale Bewegung des 20. Jahrhunderts" , wie Schwarzer in ihrem Brief an Schröder schreibt.
AntwortenLöschenBegonnen hat das Ganze - auch das wird ständig vergessen - nicht in den Siebzigern, sondern vor weit über hundert Jahren. Und Schwarzer hat - zu ihrer Zeit und mit ihren zugegebenermaßen penetranten Mitteln - ihren Teil dazu beigetragen, dass wir heute ein paar Schritte weiter sind als im 19. Jahrhundert. Was man von Kristina Schröder nun wirklich nicht behaupten kann.
Viele Grüße
Liebe Gina,
AntwortenLöschendiese Gleichsetzung von Feminismus und Alice hat allein sie zustandegebracht - und all jene, die ihr da nie in die Parade gefallen sind. Übrigens ist Schröder sehr respektvoll und nicht verdammend mit AS umgegangen - im Unterschied zu Alice, die diese Contenance nunmal nicht hat. Und überall Alice-Bashing? Nö - im Stern eine ganze Strecke mit ihr, wo sie sich mißverstanden fühlen darf. Sie ist halt ein PR-Profi - q.e.d.
@ Satori: machen Sie sich keine Sorgen. Auf manches Niveau will man doch gar nicht erst kommen, oder?
AntwortenLöschenJa, da da gebe ich Ihnen unumwunden recht.
AntwortenLöschenViele Grüße