Mittwoch, 23. Februar 2011

Honeckers Rache

Wer ein Buch über Politik und Politiker schreibt, lernt dazu. Auch, ganz nebenbei, über die Stimmungslage seiner Zeitgenossen, eine zugegeben statistisch nicht relevante Population. Doch immerhin: wen auch immer man fragt – die meisten haben zum Thema etwas zu sagen. Ach was: alle wissen es besser. Vor allem, wenn das Sujet die Bundeskanzlerin ist.
Eine der typischen Reaktionen ist unschwer dem hedonistisch-großstädtischen Milieu zuzuschlagen:

„Ein Buch über …? Ach, das tut mir aber leid für Dich!“
Wieso Mitleid? Wegen Angela Merkel? Jein. Das Mitleid wäre mindestens so groß, wenn das Thema Sigmar Gabriel hieße. Die Antwort lässt erkennen: Politikerverdrossenheit, hart an der Grenze zur Verachtung, ist weit verbreitet und findet sich auch in sonst tolerant empfindenden Kreisen.
In den allerbesten Kreisen, beim kreativen, produktiven, intelligenten deutschen Metropolenbürger, ist sie gemildert durch freundliches Desinteresse. Dort nimmt man den Staat noch nicht einmal mehr als Störfaktor wahr, man regelt längst seine Belange ohne ihn – Parallelgesellschaften gibt es eben nicht nur im Kiez. Solche Menschen ignorieren Politik mit Souveränität und Humor. Da sie aber gutwillig sind, empfehlen sie nach dem zweiten Riesling, die Gehälter für Kanzler und Minister und überhaupt die Diäten radikal heraufzusetzen. „Damit wir da mal eine positive Auslese reinkriegen.“
Nach dem dritten Glas aber lassen sie erkennen, dass sie sich unter Niveau regiert fühlen: „Die Merkel will das Weltklima retten, und bringt noch nicht mal eine vernünftige Steuerreform zustande.“
Das stimmt. Die ungeheure Diskrepanz zwischen globalem Anspruch und politischem Alltagsgeschäft fiel schon in der großen Koalition auf. Das machte die Arbeit am Buch zu einer Abenteuerreise in die postdemokratische Moderne, in der es schon längst nicht mehr um eine politische Agenda oder gar um Problemlösungen geht. Man beschränkt sich auf die Ruhigstellung des Bürgers mit Brot und Spielen – und auf das Verwalten der Probleme. Die Klimakatastrophe dient dabei als ordnungspolitische Peitsche, als übergesetzlicher Notstand, der jegliches Regierungshandeln, auch das fehlende, als alternativlos erscheinen lässt. So wenig Politik war selten.

„Ach das Merkel. Ein Irrtum. Und das merkst Du erst jetzt?“
So etwas sagen herablassend die, die eh schon alles wissen und gewusst haben. Eher links anzusiedeln im Meinungsspektrum. Sie unterscheiden sich allerdings in nicht ganz unwichtigen Nuancen. Die einen gehören zu der Fraktion, die Politiker generell für entweder korrupt und intrigant oder dumm und bestechlich halten. Die irren sich nie. Das wappnet gegen jede Enttäuschung. Die finden es naiv, überhaupt noch was zu erwarten von den Fehlzündern da oben. Wenn sie jünger sind, empfehlen sie die Revolution. Wenn älter, trauern sie ihr hinterher.
Ein Irrtum in Bezug auf Angela Merkel wäre schon deshalb undenkbar, weil in diesem Milieu niemand die CDU wählen würde, die man in Verkennung der Realität für eine rechte Partei der sozialen Kälte hält. Und wenn es schon eine Ostfrau sein muss, dann steht man dort auf Regine Hildebrandt selig und nicht auf einem „Wendehals“ wie Angela Merkel.
Die Primitiveren rufen „Wie die schon aussieht!“ Bei denen helfen kein pinkes Kostüm und kein Promifriseur. Und auch nicht der Hinweis, dass Schmähungen, die das Äußere einer Person betreffen, auch wenn sie weiblich ist, keineswegs politisch korrekt sind. Doch wenn es um „das Merkel“ geht, sind auch Frauen und Feministen nicht frei von Menschenverachtung. Wäre Merkel als schwarze Alice aufgetreten, als Superfeministin, hätte sie sich unangreifbar gemacht. So aber musste sie sich gefallen lassen, ungezähmt und rücksichtslos angerüpelt zu werden.
Dass gerade die Frauen, die am lautesten nach der Quote rufen, so wenig zur Kenntnis nehmen, dass Merkel dem ersten Kabinett vorsteht, das zu mehr als einem Drittel mit Frauen besetzt ist, gibt allerdings zu denken.

„Sie will doch auch nur die Macht.“
Ja, sicher. Im Reich der Macht kann man von der Macht nicht schweigen. Da geht es nun einmal darum, wer das Sagen hat. Und das hat sich Angela Merkel hart erkämpfen müssen, bis zuletzt. Schon der knappe Wahlsieg 2005 wurde ihr streitig gemacht – von einem bräsigen Gerhard Schröder, der seine Niederlage nicht erkennen wollte, man erinnere sich an die legendäre Elefantenrunde. Bei den darauffolgenden Koalitionsverhandlungen wollten ihr die Koalitionspartner sogar die Richtlinienkompetenz streitig machen. Und die Jungs vom „Andenpakt“, ihre Konkurrenten aus der CDU, hielten die „Krankenschwester“ für einen Unfall der Geschichte. Merkel erlegte einen nach dem anderen. Wer sich nicht frustriert zurückzog, wurde, wie Christian Wulff, weggelobt. Man darf gespannt sein, wie sie mit ihrer weiblichen Konkurrenz verfährt.
Auch das war ein Lehrstück in Sachen politischer Kultur: Die Männer haben Angela Merkel unterschätzt – ihr Machtgespür, ihr taktisches Geschick und ihre Rachsucht. Doch Macht kann sie. Dafür scheint sich Angela Merkel sogar die Bewunderung Gerhard Schröders eingehandelt zu haben. Und der versteht was davon.

„Merkel? Das ist die Rache Honeckers.“
Dieser Aufschrei kommt eher von denen, die ihre CDU nicht mehr wiedererkennen: Vollfeminin und durchsozialdemokratisiert, pfui Teufel! Die brechen angesichts der Tatsache, dass eine Frau die Kanzlerin auch kritisch sehen möchte, schon mal in ein frustriertes „Ich versteh Sie nicht!“ aus. „Nun ist mal eine Frau ganz oben, und das reicht Ihnen auch wieder nicht. Was wollen Sie denn noch?“
Hier liegt ein Missverständnis vor. Ich halte es da mit Angela Merkel, die mal gesagt hat: „Ich glaube nicht, dass es ein Vorteil oder ein Nachteil ist, eine Frau zu sein. Es kommt mehr darauf an, dass man sich durchsetzt.“ Und sie hat sich durchgesetzt. Prima, nur von ihren einst so mutigen Projekten ist nichts übrig geblieben. Man würde sie allerdings beleidigen, wenn man sie dafür nicht kritisieren dürfte – nur, weil sie eine Frau ist.
Ob sie die Rache Honeckers ist? Nun ja. Wer Bücher „nicht hilfreich“ und Entscheidungen alternativlos nennt, muss sich nicht wundern, wenn jemand das totalitär findet. Doch die Ähnlichkeiten liegen woanders. Auch im vereinigten Deutschland lebt man, wie einst in der DDR, auf Kosten anderer, werden milde Gaben ohne finanzielle Deckung verteilt. Merkel macht, was vor ihr alle taten: den Sozialstaat füttern, um Verfügungsmasse für Wahlgeschenke zu haben. Die DDR war ein Reich der Wunder: dort gab es Vollbeschäftigung ohne produktive Arbeit. Auch im vereinigten Deutschland gibt es Wunder über Wunder. Dort entstehen ständig neue Arbeitsplätze, die der Verwaltung der Nichtarbeit dienen. In der Sozialbürokratie.
2005 noch wollte sie das ändern. Warum ihr das nicht gelungen ist, ist ein spannender Krimi, der viel verrät über die Mechanismen unseres Wahlsystems und unserer Politik.

„In einer Demokratie hat das Volk die Regierung, die es verdient.“
Das sagen die ganz Süffisanten. Außerdem hätten die Deutschen ja schon Hitler gewählt. Dumm, wie sie sind.
Respektvoll ist der Vergleich nicht. Vor allem aber stimmt er nicht. Nicht die Wähler, die Parteien der Weimarer Republik haben Hitler den Weg zur Macht geebnet. Selbst in den Wahlen nach der „Machtergreifung“ erzielte die NSDAP nicht die absolute Mehrheit der Wählerstimmen.
Und Angela Merkel? Ist 2005 mit dem schwächsten Ergebnis für die CDU/CSU zur Kanzlerin geworden. 2009 haben gerade noch 14,6 Millionen Wahlberechtigte sie gewählt. Die größte Partei auch dieser Bundestagswahl stellten mit 18 Millionen die Nichtwähler. Keine von Merkels Regierungen hatte also eine Mehrheit der Wahlberechtigten hinter sich.
Die deutsche Crux ist das im Grundgesetz eingebaute Misstrauen gegen „das Volk“. Föderalismus und Wahlrecht sollten nach den Erfahrungen mit Hitlerdeutschland dafür sorgen, dass in Deutschland nicht „durchregiert“ werden kann, weil Koalitionen Kompromisse erzwingen. Die aber werden umso unwahrscheinlicher, je öfter sich die Koalitionspartner in Wahlkämpfen gegeneinander profilieren müssen. In solchen Zeiten bleibt man besser vage. Da der von Angela Merkel angekündigte „Herbst der Entscheidungen“ ausgeblieben ist, wird es angesichts des Superwahljahrs 2011 auch kein Frühjahr der Entscheidungen geben.
Es kommt hinzu, dass die beständig wahlkämpfenden Politiker am liebsten jene Klientel bedienen, die Stimmen versprechen. Und das sind alle, die ungern am Ast sägen, auf dem sie sitzen. Rentner, Beamte, Staatsangestellte. Arbeitslose und Hartz-IV-Empfänger. Auch deshalb lohnt es sich nicht, die Minderheit der produktiven, am Bruttosozialprodukt arbeitenden Bürger, ohne die das ganze nicht funktionieren kann, zu umwerben. Sie sind die Kuh, die zu melken ist. Zu sagen haben sie rein gar nichts. Im öffentlichen Diskurs kommen sie nicht vor.
Die intelligente und produktive Mitte der Gesellschaft liegt nicht falsch, wenn sie sich unter Niveau regiert fühlt. Die Zahl der Nichtwähler zeigt, dass sie daran weitgehend unschuldig ist.

Ein Irrtum? Wohl eher enttäuschte Liebe, oder?
Ja. Auch das habe ich gelernt bei der Arbeit an diesem Buch: Was für eine historische Chance verspielt wurde. Angela Merkel war DDR-sozialisiert und damit unbeleckt vom westdeutschen Politikkiez, diesem Biotop der Seilschaftler, in dem es warm nach Stall riecht. Sie kam von außen, teilte die westdeutschen Minderwertigkeitskomplexe nicht, aber auch nicht die Ideologeme und schlechten Angewohnheiten. Sie war das, was Evelyn Roll in ihrer großartigen Merkel-Biografie einen „Maverick“ nennt, einen Menschen ohne die „Brandzeichen“ der Clique oder Klasse, unabhängig und frei von Rücksichten. Und: sie war, fünfzehn Jahre nach der deutschen Einheit, die erste gesamtdeutsche Kanzlerin.
Deshalb war ihr zuzutrauen, was andere vorher nicht geschafft haben: ohne Rücksicht auf althergebrachte Ansprüche von Klientel und Lobbys jene Reformen durchzusetzen, die Deutschland so dringend nötig hat. Mein Irrtum. Und nicht nur meiner.

Wo bleibt der Respekt?
Gewiss: sie und ihr Amt verdienen Respekt. Doch den darf auch das Land und seine Menschen einfordern. Dort aber wächst das Gefühl, missachtet zu werden. Die Predigt von der Alternativlosigkeit existentieller Entscheidungen - man denke an die Europäische Union – ist schlimmer als respektlos. Es tut nicht gut, Wähler und Bürger zu unterschätzen. Die lassen sich nicht mehr mit durchschaubaren Parolen abspeisen. Das zeigen die mehr als 1,3 Millionen Protestkäufer des Buchs von Thilo Sarrazin - und die Kritiker von „Stuttgart 21“, die Angela Merkel mütterlich glaubte maßregeln zu dürfen. Doch deren Einwände sind nicht renitent, sondern wohlinformiert.
Mit der Informiertheit der Bürger sollten alle Parteien rechnen. Denn die Alternative zu Angela Merkel ist nicht rot oder gelb oder grün. Die Alternative heißt: aus der Postdemokratie auswandern. Das Spiel nicht mehr mitspielen. Die Zustimmung verweigern.
Ungültig wählen.

Literarische Welt, 19. 2. 2011
© Cora Stephan 2011

2 Kommentare:

  1. Warum immer so kompliziert? Ich stelle mir einfach vor, bei der Kandidatur Frau Merkels wäre in den Machtzirkeln von CDU und CSU bereits bekannt gewesen, was an Unheil in den verschiedenen Landesbanken, in KfW, IKB und HRE so schlummert. Und wie das in Bosnien, Kosovo und Afghanistan so weiter geht, war auch unsicher. Da läßt man auch mal jemanden ran, der sich verschleißen darf. Politisches Verschleißmaterial sozusagen. Um so überzeugender kann man hinterher als vom Schicksal gesandter Weltenretter auftreten. Vielleicht sollte das Guttenberg übernehmen. Na gut, manchmal geht eben auch Glorreich schicksalhaft in die Hose.

    Ich sage Ihnen, dieses abfällige "DasMerkel", das ist die Essenz in uns allen, die gerne mitbestimmen möchte und auch in Themen, wo man keine Ahnung hat. Die Demokratie ist dabei, zum Makel des kulturellen Forschritts zu verkommen. Die Regierung Merkel ist dafür nur eine Metapher. Es ging bei sämtlichen Wahlen seit der Einheit nur noch darum, wer die große Schar der Lobbyisten für die weitere vier Jahre an ihren Ärschen zu lecken hat, drum gibt es über Personalien und Parteien wenig zu streiten. Der Mensch konnte von Ameisen und Blattläusen etwas lernen. Bravo! Aber nun schauen wir uns mal etwas weiter um.

    Egon Honecker steht da, das würde eine lustige Whiskymarke geben.

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  2. Ja. Man sollte Lobbyist werden. Vielleicht für die Betäubungsmittelmarke "Egon Honecker"? Danke für die Anregung!

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