Dienstag, 20. September 2011

Der gute Krieg

Lassen wir Guido Westerwelle. Natürlich kann man nicht erst gegen den Nato-Eingriff in Libyen sein und sich dann den Erfolg zugutehalten, sobald es nach einem aussieht. Und natürlich hätte sich der deutsche Außenminister ein paar bessere Argumente gegen die Tyrannenjagd der Nato einfallen lassen können als faule Ausreden. Jetzt steht er als Drückeberger vor Bündnispflichten dar und schon wird wieder geraunt: über Deutschland im Abseits. Auf dem Sonderweg.
Geschenkt.
Deutschland fehlt nicht nur ein trittsicherer Außenminister. Uns fehlt vor allem eine öffentliche Debatte, in der Optionen abgewogen, Alternativen skizziert, Risiken und Chancen eingeschätzt werden. Statt dessen stehen sich wie gehabt zwar nicht mehr „Bellizisten“ und „Pazifisten“ gegenüber, aber die Entgegensetzung von Interventionisten und Drückebergern ist auch nicht viel schlauer.
Ja doch, man wünschte sich und dem Land manchmal mehr vom hochgemuten Interventionsgeist der Nachbarn, mehr ungetrübte Freude an freiheitstrunkener Begeisterung auf dem Tharirplatz oder anderswo. Wir haben hier in Deutschland eher zu wenig als zu viel Freiheitspathos. Und dennoch: man muss kein egoistischer Verweigerer oder prinzipienstarker Pazifist sein, um Bedenken gegen Einsätze wie den in Libyen zu haben. Bedenken ist man auf jeden Fall denen schuldig, die man im Falle des Falles entsendet sehen möchte, den Soldaten. Und den Fallstricken, die jeder Eingriff bereithält, und sei er noch so sehr von besten Absichten getragen.
Völkerrechtlich stehen derlei Interventionen auf schwankendem Boden. Sie sind erlaubt, um Zivilbevölkerung zu schützen. Faktisch aber laufen sie wie soeben in Libyen darauf hinaus, einen Regimewechsel zu unterstützen. Das ist ebensowenig wie die Jagd auf Gaddhafi – um ihn zu fangen oder zu töten – von der entsprechenden Resolution des Sicherheitsrates gedeckt.
Das kümmert niemanden, wenn alles gut geht. Bislang haben die Nato und die Aufständischen Glück gehabt. Es stimmt ja nicht, dass Gewalt nichts nützt und ein Krieg nur Verlierer kennt. Aber das Kriegsglück garantiert nicht, dass immer das Gute siegt. Gut ist höchstens eine schnelle und klare Entscheidung anstelle eines blutigen, lang anhaltenden Bürgerkriegs.
Doch die Sache ist eben noch nicht entschieden. Und gerade die Freunde der Freiheit wissen, dass nicht alles, was sich Volksbefreiung nennt, dieses Versprechen auch hält. Ist das Mullah-Regime im Iran vielleicht besser als die Schah-Diktatur? Und veredelt nicht oft erst der Sieg das ursprüngliche Ziel? Was nach Gaddafi kommt, ist unklar. Außerdem ist er noch nicht am Ende. Ohne (von wem? Von der Nato?) garantiertes Gewaltmonopol aber droht anhaltende Selbstzerfleischung.
War man also mit Gaddafi gut bedient, lange Liebling des Westens, der sein prunkvolles Beduinenzelt vor kurzem noch vorm französischen Präsidentenpalast aufbauen lassen durfte? Besser das Unglück, das man kennt?
Das ist das unfreundliche Gesicht der Realpolitik. Aber fragen muss man. Schließlich: wie glaubhaft ist die Pose ausgerechnet Sarkozys, der nun, wo es nichts mehr zu kosten scheint, verkündet, sein Land werde sich „überall engagieren, wo die Freiheit der Völker und die Demokratie bedroht sind“? Als ob nicht alle wüssten, dass der Anspruch, das Menschenrecht auch außerhalb der eigenen Grenzen zu verteidigen, nicht einzulösen ist. First we take Tripolis, aber wann kommen Damaskus und Teheran dran? Auch da gibt es befreiungswürdige Menschen.
Überhaupt, die Franzosen: Sarkozys neuerwachter Kampfesgeist wird von Intellektuellen wie Bernard-Henri Levy unterstützt. Da darf man annehmen, dass die napoleonischen Feldzüge präsent sind. Kaiser Napoleon pflegte seine kriegerischen Abenteuer hervorragend abzusichern: man wolle nur Gutes, lautete die Propaganda, nämlich den Nachbarvölkern die Flamme der Freiheit vorbeibringen. Dumm, wenn man sie dabei ein bisschen verbrennen musste.
Wer hängt schon an Unterdrückern, wer liebt Diktatoren und blutige Despoten? Doch Entrüstung ist keine politische Kategorie, wie man mit dem Realpolitiker Bismarck weiß. Im Krieg wie in der Liebe wird gelogen, dass sich die Balken biegen. Und stets soll es der hehre Zweck sein, der die Mittel heiligt. Gegen Propaganda wie Illusion zugleich setzen Völkerrecht und Rechtsstaat auf Regeln und Verfahren. Was sonst: Wer will entscheiden, was gut und richtig ist? Der Sieger, allein auf Grund der Macht des Faktischen? Dass der Sieger in einem militärischen Konflikt weder Grenzen versetzen noch das politische System verändern darf, ist keine Erfindung des moderne Kriegsvölkerrechts. Diese Regel fußt auf weit älteren Sitten und Gebräuchen. Eine Intervention, um das Volk einer gegnerischen Macht vom Tyrannen zu befreien, war kein legitimes Kriegsziel. Denn niemals hätten unsere Altvorderen einer Interventionsmacht abgenommen, dass sie marschiert, um Freiheit und Glückseligkeit zu bringen. Wer Soldaten riskiert, hat eigene Interessen. Und das ist auch gut so: Eigeninteresse bremst, der „höhere Auftrag“ (Gottes oder eines anderen „Prinzips“) entgrenzt.
Damit ist nicht der altbekannte Vorwurf gemeint, „der Westen“ marschiere nur ein, wo Öl oder anderer Reichtum winkt. Es ist die Selbstbeschränkung gemeint, die das Völkerrecht auferlegt. 1991 hatte man vereint Saddam Hussein daran gehindert, Kuweit zu annektieren, also eigenmächtig und völkerrechtswidrig Grenzen zu verändern. Für Saddam Husseins Entmachtung aber gab es kein Mandat.
Was also tun? Nichts tun? Abwarten – so quälend lange, wie im Kosovo, bis es fast zu spät ist? Sich beherzt in den Kampf stürzen, um sich im vormodernen Gefüge des „befreiten“ Landes zu verheddern wie in Afghanistan? Wer reingeht, muss wissen, wie es wieder rausgeht. Eine alte Soldatenweisheit, die überstürztes Handeln bremst. Dass sie entsetzlich unbefriedigend sein kann, jedenfalls wenn man Gefühl und Gewissen hat, wird man ertragen müssen, solange man nicht selbst den Kopf hinhält.
Nichts als Ambivalenzen? In der Tat. Umso mehr käme es darauf an, endlich auszuloten, welche Optionen bleiben, wenn man sich weder drücken noch moralisch-pathetisch belügen möchte. Oder ist es dafür bereits zu spät? Gut möglich, dass die Intervention in Libyen die letzte war, die sich die USA und ihre europäischen Verbündeten noch leisten konnten. Über die Folgen gilt es nachzudenken. Denn die Welt wird auch dadurch nicht gemütlicher.

Erschienen in: Die Welt, 14. September 2010

2 Kommentare:

  1. Sehr geehrte Frau Stephan,
    was in Libyen passiert, sollte nur Sache der Libyer sein.
    Ich vermute, daß es eine große Menge Libyer gibt, die sagen würden, daß sie lieber noch ein paar Jahre Gaddifi und sein Regime ertragen hätten, als die Feuerwalze des Todes über ihr Land hinweggehen zu sehen.
    Wenn dieser Krieg bisher 50.000 Tote gekostet haben sollte, ist das immerhin schon fast 1% der Bevölkerung, jede Familie im weiteren Sinne dürfte dann Opfer zu beklagen haben. Wir sollten daher die Vorgänge dort nicht zu sehr aus der Sicht des Westens betrachten, sondern uns in die Lage der Bevölkerung dort versetzen.
    Mit freundlichem Gruß
    Friedrich Sagemüller

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  2. Sehr geehrte Frau Stephan, ich habe gestern Ihr Buch beendet und bisher noch niemand getroffen, mit dem ich so einer Meinung bin. Das Gleiche gilt für Ihren Blog Beitrag. Als Offizier der Bundeswehr, der bei der NATO arbeitet, direkt von der deutschen Aussenpolitik betroffen, ist es zur Zeit nicht mit anzusehen, wie sich die deutsche Politik verhält. Wir haben in Libyen nichts verloren. Jetzt schreien wieder alle und wenn wir uns dort engagieren, sieht es in ein paar Monaten genau so aus wie in Afghanistan und die gleichen Leute rufen dann, die Bundeswehr führt Krieg in Libyen. Es wird Zeit, dass wir aus Afghanistan abziehen und gefälligst die Libyer ihre Sache selber regeln lassen. Interessiert noch irgendwen das Kosovo? Ich habe die Nase voll, mich ständig beschimpfen zu lassen für eine Politik die ich zwar leider gewählt habe, aber genau wie Sie nicht länger unterstütze.
    Mit freundlichen Grüßen,
    Christian Bell

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