Samstag, 3. September 2011

Renaissance der Dummheit

Die Zeiten sind hart. Nur im deutschen Feuilleton sind sie heiter. Dort walten Feingeister, die uns Analysen bescheren, die von aller Erdenschwere (und den Erkenntnissen auf den vorderen Seiten) befreit sind. Was soll man sich auch mit Ursachen und Auswirkungen der Staatsschuldenkrise herumschlagen, wenn man doch einfach gleich den „Raubtierkapitalismus“ zu Grabe tragen kann? „Wir leben in falschen System!“ heißt es triumphierend. Endlich ist sie resozialisiert, die „linke Gesellschaftskritik“, rufen die Trendsetter.
Ja, die derzeitigen Krise bietet schöne Möglichkeiten für Wohlstandsverwahrloste, den sozialistischen Traum zu propagieren: Armut für alle (die es sich leisten können). Dagegen kann sich doch nur der hässliche Deutsche sträuben, oder? Der Solidaritätsverweigerer, der Egoist, der nur an die eigenen Interessen denkt, womöglich sogar die der Nation. Einer, vor dem das Ausland wieder Angst haben muss. Weil er sich von Europa abwendet – wehret dem deutschen Sonderweg! Oder, im Gegenteil, weil er unter der Tarnkappe des Euro-Retters erreichen will, „was dem Land mit Waffen nicht gelang“, wie man es raunen hört: „Die Herrschaft über den ganzen Kontinent“. Also: ein Viertes Reich! Müssen unsere Nachbarn da nicht fürchten, unter das „Diktat Berlins“ zu geraten?
Schwachsinn? Sicher. Aber wir kennen unseren wunden Punkt. Die anderen auch. Bei jedem Nazivergleich zucken wir schuldbewusst zusammen und verzeihen allen: den Briten, wg. Humor. Und den armen Griechen, die auch mal mit dem Hakenkreuz fuchteln dürfen.
Und so darf die frisch resozialisierte „linke Gesellschaftskritik“ den alten Käse wieder aufbacken, den üblichen antinationalen und antideutschen Affekt, der im sozialistischen Paradies mündet: Am Ende sind alle gleich arm. Darauf läuft der Aufruf zur „Solidarität“ und die Warnung vor „nationalem Egoismus“ hinaus: Das (noch) prosperierende Deutschland soll ohne Wenn und Aber und auf Dauer einspringen – was an den Ursachen der Schuldenkrise zwar nichts ändert, aber wenigstens Deutschland solidarisch mitruiniert.
Schwache Analyse scheint irgendwie Zeitgeist zu sein. Selbst kluge konservative Politiker, die es besser wissen, beklagen enthemmte Finanzmärkte, wenn sie auf Beifall aus dem Publikum schielen, der ihnen dafür sicher ist. Ablenkungsmanöver im Eigeninteresse: Nicht die Banken haben den verschuldeten Ländern ihr Geld aufgedrängt, sondern Politiker haben es dankend entgegengenommen. Um natürlich nichts als Gutes zu tun – auch wenn man einigen milden Gaben ansieht, dass sie Wähler bestechen sollten.
Die Politik billigen Geldes hat alle ermutigt, über ihre Verhältnisse zu leben, die Bürger wie die Staaten. Was jetzt geschieht, ist die fällige Korrektur: Schuldenmachen auf Kosten künftiger Generationen geht nicht mehr. Punkt. Warum ausgerechnet die linke Gesellschaftskritik von dieser „Aufklärung durch die Märkte“ (Botho Strauss) profitieren soll – schleierhaft.
Ach, und das „Vierte Reich“. Mit dem ist es auch nicht weit her. Selbst wenn die deutsche Regierung sich trauen würde, für Zahlungsbereitschaft Bedingungen zu stellen, wie es im übrigen die Selbstachtung gebietet, würde es schwerlich gelingen, alle EU-Partner zum deutschen Wirtschaften zu bringen. Hinter solchen populistischen Parolen steckt nur eine Botschaft: moralische Erpressung. Weil der Euro ja schließlich nur erfunden worden ist, um Deutschland in Schach zu halten ...
Ach? Deutschland bleibt Deutschland, ob Demokratie oder nicht? Gut, dass wir darüber geredet haben...
Eine bescheidene Bitte: Ob sich unsere Repräsentanten für die Bundestagsdiskussion Ende dieses Monats intelligentere Einlassungen überlegen könnten? Ob man wohl auf moralisch aufgeblasene Vokabeln wie „Solidarität“ und „Egoismus“, auf Empörungssprech a la „Monster“ oder „Gier“ der „enthemmten Finanzmärkte“ verzichten kann? Auf alle Parolen, die den Blick nur vernebeln?
Denn der deutschen Demokratie droht ja in der Tat Gefahr. Allerdings nicht in Gestalt eines „Vierten Reichs“, sondern vom Gegenteil: Vom Wunsch, der solidarische EU-Musterknabe zu sein. Vom Wunsch der Kanzlerin, als Europaretterin ins Geschichtsbuch einzugehen. Koste es was es wolle. Und von all den antikapitalistischen Schwätzern, die den Ursprung der Staatsschuldenkrise nicht begreifen wollen: Auch der deutsche Sozialstaat, der heißgeliebte, ist auf Pump finanziert worden. Nehmet den Reichen, gebt den Armen? Die Kosten für die Eurorettung und die bereits jetzt vorhandenen 2 Billionen Schulden dürften noch nicht einmal durch an Enteignung grenzende Steuersätze reingeholt werden können.
Und gerade deshalb ist es keine Kleinigkeit, wenn der Bundestag in Sachen Eurorettungsfond seine Entscheidungshoheit einschränkt. Das Budgetrecht des Parlaments ist das Herzstück der Demokratie und nicht erst ab dreistelligen Milliardenbeträgen in Gefahr.
Zu Misstrauen gibt es jeden Grund. Die Regierung Merkel lässt eine Freude am Regelbruch erkennen, den sich der Bundestag viel zu lange gefallen ließ. Gefühlter Notstand und gefühlte Volksstimmung – schon wird herrschende Beschlusslage zu Makulatur erklärt oder Recht und Gesetz gebogen, ob bei der „Energiewende“ oder beim Eurorettungsfond. Das Parlament wurde übergangen, ließ sich übergehen und nur wenige maulten halbherzig. So kann man sich auch überflüssig machen: Wer braucht schon Repräsentanten, wenn es auch mit Volksabstimmung á la Angela Merkel geht?
Das Rechtsbewusstsein schwindet – bei denen, die eigentlich dafür einstehen sollten. Wie will man etwa den Gegnern von Stuttgart 21 plausibel machen, dass nach Recht und Gesetz zustande gekommene Beschlusslagen nicht je nach Volkslaune geändert werden können, wenn sich die Kanzlerin selbst mehr als flexibel verhält, sobald es ihr in den politischen Kram passt? Eben noch Klimakanzlerin, dann Atomaussteigerin, jetzt Europaretterin: Langsam wünscht man sich ein Ende dieser kostspieligen Suche nach dem passenden Eintrag ins Geschichtsbuch.
Der Bundespräsident, dessen Unterschrift an letzter Stelle steht, hat Widerstand gegen eine Selbstermächtigung der Kanzlerin und die Selbstentleibung des Parlaments angekündigt. „In freiheitlichen Demokratien müssen die Entscheidungen in den Parlamenten getroffen werden. Denn dort liegt die Legitimation.“ Das sind klare Worte, die man Christian Wulff schon gar nicht mehr zugetraut hatte.
Hoffentlich hält er sich dran.

Erschienen in: die Welt, 2. September 2011


1 Kommentar:

  1. Sehr geehrte Frau Stephan,

    schöner und sehr richtiger Artikel! Und danke auch auf Ihre Buch "Angela Merkel. Ein Irrtum".

    Herzlichen Gruß,
    Jürgen Studt

    P.S. juergen-studt.blogspot.com

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