Es ist ein gutmütiger Geist, der ab und an durchs Haus weht und mir mit kühlen Fingern das Haar streichelt. Er mag es, wenn es draußen kalt ist und drinnen die Holzdielen knacken. Wenn der Sturm an den Dachziegeln zupft und durch den Kamin ruft. Wenn Regentropfen unter den Ziegeln hindurchgeschlüpft sind, durch den brüchigen Lehmstrich dringen und Klopfzeichen geben. Er fächelt mir zu, wenn mir am Schreibtisch warm geworden ist. Und manchmal erinnert mich der alte Herr (schon knorrige 170 Jahre alt) an die Zeiten, als man drei mit Holz und Briketts zu heizende Öfen brauchte, um das Haus auch nur annähernd warmzukriegen – wenn er mich auf dem Flur und im Treppenhaus eiskalt anhaucht.
Prosaische Gemüter bestreiten natürlich, dass es ein guter Geist ist, der dieses Haus beseelt. Ein kleines, unscheinbares Fachwerkhaus mitten in einem 30-Seelendorf. Innen alte Eichenbalken und Dielenboden aus gewachster Lärche, zwischen den Gefachen Lehmstrich, draußen Rauhputz. Keines dieser aufgebrezelten Fachwerkidyllen, die von außen nach Museum aussehen, aber auch keine mit Metzgerfliesen oder für die Ewigkeit gedachtem Eternit vollverkleidete Hofreite wie bei den Nachbarn. 3 ZKB. Vorne schmal, nach hinten heraus lang. Im ehemaligen Stall ist heute das Esszimmer.
Prosaische Gemüter nennen Zugluft, was mich in diesem Haus bewegt. Mangelnde Wärmedämmung. Energetischer Sündenfall. Die Kinder der Nachbarn sind längst in einen Neubau gezogen, genau deswegen. Und weil es in einem neuen Haus gerade Wände und rechte Winkel gibt.
Besucher aus der Stadt, begeisterte Leser von Zeitschriften in hohen Auflagen, deren trügerische Titel „Land“ mit „Lust“ oder „Liebe“ kombinieren, finden das Haus idyllisch. Gemütlich. Putzig. Verträumt. Und sind, trotz Auto mit Allradantrieb, natürlich immer falsch angezogen, wenn sie mal vorbeikommen, um die gute Landluft zu atmen – was ihnen auffällt, sobald ihnen mein Geist spielerisch unters Hemd geht. Dann empfehle ich tief Durchatmen und reiche einen Pullover. Wann haben sie in ihrem durchklimatisierten städtischen Alltag schon mal die Chance, ihre Haut und ihre Sinne dem Tanztheater auszusetzen, das die Klimazonen eines alten Hauses mit seinen Bewohnern anstellt?
Schluss. Alles Unsinn. Alte Häuser sind nicht putzig. Sie sind erstens unpraktisch und machen zweitens Arbeit und sehen, wie meins, auch nicht unbedingt schön aus. Muss ja auch nicht, in dem Alter. Energiesparend beheizen kann man so eine alte Hütte nur, wenn man Thilo Sarrazins Empfehlung folgt: warm anziehen und beim guten alten Glühbirnenlicht lesen. Das wärmt nämlich zusätzlich. Oder den Kaminofen anzünden. Holz wächst nach. Auch wenn die Feinstaubbelastung dank alter Schornsteine in der Energiebilanz zu berücksichtigen wäre.
Man kann natürlich auch die beiden alten Eichenfenster im Schlafzimmer oder das Flurfenster durch Dreifachisoliergläser ersetzen – Uw-Werte unter 0,8 W/m2K! Aber das kommt mir nicht ins Haus. Energetisch gesehen bin und bleibe ich ein Sünder, der in den Ökobioablasskasten zahlen muss, und zwar kräftig. Da hilft auch nicht der biodynamische Salatanbau im Vorgarten, der Komposthaufen hinter dem Schuppen und die saubere Mülltrennung. Oder das gute AAA-Rating der Elektrogeräte. Mein altes Haus passt nicht ins neue Deutschland, wie es einst Angela Merkel sah, die auf die Frage der Bildzeitung, was sie an Deutschland schätze, antwortete: „Ich denke an dichte Fenster! Kein Land kann so dichte und so schöne Fenster bauen.“ (29. 11. 2004).
Mag sein. Es ist noch niemand erstunken, aber schon viele erfroren. Und vielleicht hocken Politiker ja gern in der heißen Luft, die sie produzieren. Doch für ein Fachwerkhaus sind allzu dichte Fenster der Anfang vom Ende. Und was seinen sicheren Tod bedeutet: Luftdichter Verschluss außen und innen plus Silikon für die letzten widerstrebenden Ritzen. Manches Eichenfachwerk wird heute schon nur noch von den Eternitplatten zusammengehalten, die findige Handlungsreisende meinen Nachbarn in den 60er und 70er Jahren angedreht haben.
Wer ihnen den Geist austreibt, die federleichte Luftbewegung, die sie durchzieht, tötet Fachwerkhäuser ab, da hilft weder Stoß- noch Zwangslüften. Tatsächlich sind Holz und Lehmstrich Baustoffe, die ein Leben haben – sie müssen atmen. Luftdichte Verpackung erledigt selbst jahrhundertealtes, eisenhartes Eichenholz binnen weniger Jahre. Die kann man dann, ganz ohne Vorarbeit durch Holzwürmer, mit dem Zeigefinger durchbohren. Die Leichen sind zu besichtigen – in allen Landstrichen, in denen in den 60er Jahren der Charme alter Häuser wiederentdeckt wurde, wobei die wenigsten Handwerksbetriebe noch wussten, wie Fachwerk funktioniert. Vielen Häusern wäre es besser bekommen, man hätte sie in Wind und Wetter und Würde vergehen lassen. Zerstörung bracht keinen Luftangriff oder die Abrissbirne, das geht auch auf die sanfte Tour.
Ich habe mein altes Geisterhaus 1981 für wenig Geld gekauft, ohne auch nur eine Idee, was ich mir damit einhandelte. Eigentlich sollte das seit Jahren leerstehende Rattennest abgerissen werden, eines der ältesten, aber gewiss das kleinste Haus im Ort. Früher Sitz eines Schneiders, der auch Bürgermeister war, bis Solms eingemeindet wurde und nicht mehr fürstlich sein durfte. Des Schneiders Arbeitsplatz ist heute mein Schreibtisch, ich sehe, wenn ich schreibe, die Spuren des Rollschneiders auf dem Holz, mit dem der alte Keil die Stoffe zugeschnitten hat. Der Blick geht durch zwei (dichte!) Fenster hinaus, auf den Weg hoch zum Friedhof. Und wenn ich diese Fenster sehe, weiß ich, wie viel auch ich falsch gemacht habe. Gottlob nicht alles.
Fachwerk bewegt sich. Fachwerk muss atmen, weshalb es durchlässig bleiben sollte. Und deshalb atmen auch andere Lebewesen in einem Fachwerkhaus freier: Ich habe keinen Schimmelpilz in den Wänden und keinen Sporenflug in der Luft und leide höchstens ab und an unter dem Duft nach Schweinegülle und Silage, der von draußen eindringt. Soll ich deshalb mein Home and Castle zum Bunker ausbauen?
Für die Kriegsgeneration, die gehungert und gefroren hat, war das Draußen feindlich, weshalb es ausgeschlossen werden musste. Lange vor der „Energiewende“, schon zu Zeiten, als das Öl noch spottbillig war, hat man in meiner Familie das Wohnen in versiegelten Räumen zum Maßstab des Glücks erklärt. Ich reagiere auf solche Behausungen mit Atemnot. Wer unter der Energiewende großflächige Dämmaßnahmen versteht, weiß nicht, was er sich oder anderen antut.
Die Burka für das Haus ist ein Todesurteil – für die großbürgerlichen Gründerzeitwohnungen in der Stadt ebenso wie für die letzten verbliebenen Fachwerkhäuser, die das romantische Bild von Deutschland prägen und deretwegen man so viele Japaner in Rothenburg trifft. Ich habe schon einige alte Häuser sterben gesehen, an Eternitplatten und undurchlässigen Silikonanstrichen, und habe nur eine Hoffnung: dass die relative Armut des Landstrichs, in dem ich lebe, verhindert, dass das Fachwerkhaussterben dank moderner Wärmedämmung Tempo aufnimmt.
Woanders wird sich zeigen, dass Vollverdämmung die Bewohner krank und die Vermieter arm macht und nur einer Menschengruppe nützt: Bau- und Abrissunternehmen. Vielleicht ist das sogar der Sinn des Ganzen?
Doch wen kümmerts? Ganze Landstriche werden aussterben, versichern die Demographen, der Vogelsberg liegt vorn, was die Bevölkerungsflucht betrifft. Sie werden also mehr oder weniger würdig vergehen, die alten Häuser, bei denen sich teure Wärmedämmung erst gar nicht lohnt. Und mit ihnen ihre Bewohner, im warmen Pullover, gebeugt, aber abgehärtet. Im Winde klirren die Fahnen. In den verwaisten Bauerngärten abgenagte Kohlstrünke und fliehende Katzen. Zeitenende.
Doch es kann auch ganz anders kommen...
Es ist ja geradezu augenfällig: der sogenannten Energiewende fehlt Sinn und Verstand. Bald ist jede Anhöhe im Vogelsberg mit Windanlagen bestückt. Auf den Dächern der Scheunen um mich herum blitzen Solarpaneele, chinesischer Provenienz, natürlich, der Landwirt ist schließlich sparsam. Und irgendwann wird man in der Ferne die Masten der Starkstromleitung sehen, die Windenergie von Nord nach Süd transportieren soll. Und selbst die Menschen in den wärmegedämmten Ställchen mit eingebauter Stoßlüftung werden für eine Politik zahlen, die nach Opportunität verfährt.
Und ich? Schraube mir keine Solardinger aufs Dach. Nicht aus ästhetischen Gründen oder weil bloß die schmale Giebelfront nach Süden ausgerichtet ist, man kann dank Subventionsgelder mit der Sache ja Geld machen ganz ohne Effizienz. Sondern weil ich kaum etwas vernünftiger finde, als an fossilen Energieträgern zu sparen. Fragt sich nur: wie.
Während andere auf die Sonne warten, träume ich nachts, wenn sich die Katzen an mich kuscheln, weil der Hausgeist kühl durch die Räume streift, vom Dachs. Und von Robert Stirling, einem auf den ersten Blick nicht sonderlich attraktiven Herrn. Schottischer Geistlicher, 1790-1878. Erfand den Stirling-Motor, der mit minimalem Energieinput Wärme erzeugt. Heute sitzt er in Blockheizkraftwerken, die es mittlerweile klein und handlich auch für Einfamilienhäuser gibt. Wenn ich genau hinsehe, sieht mein Hausgeist aus wie Robert Stirling.
Abonnieren
Kommentare zum Post (Atom)
Wir Untertanen.
Reden wir mal nicht über das Versagen der Bundes- und Landesregierungen, einzelner Minister, der Frau Kanzler. Dazu ist im Grunde alles ge...
-
Reden wir mal nicht über das Versagen der Bundes- und Landesregierungen, einzelner Minister, der Frau Kanzler. Dazu ist im Grunde alles ge...
-
Die Kanzlerin hat ihr klimapolitisches Schicksal eng an das Potsdamer Institut für Klimafolgenforschung geknüpft, insbesondere an seinen Grü...
-
Wer ist unterdrückt und müsste dringend befreit werden? Der dressierte Mann. Und das könnte er eigentlich seit 50 Jahren wissen. Wenn man ...
Sehr geehrte Frau Dr.Stephan,
AntwortenLöschenIhr Artikel in der WamS vom 5.2. spricht mir aus der Seele ! Und das schreibt einer, der seit vielen Jahren beruflich plant und baut...
Aus meiner Sicht ist der aktuelle CO2- und Energiespar- Wahn nur eine der vielen Kosequenzen, welche die kritiklosen Huldigung des Gottes Wachstum logischerweise nach sich ziehen muss ! Mich erinnert das zunehmend an die Hexenverfolgung des Mittelalters. Auch damals durfte nicht existent sein, was auch nur im Ansatz das System in Frage gestellt hat. Auch damals war eine differenzierte Betrachtung der Realität nicht erwünscht.
In meiner beruflichen Tätigkeit kommt mein (hoffentlich noch) gesunder Menschenverstand
deshalb leider immer wieder in Konflikt mit aktuellen Ideologien, Verordnungen und Glaubensfragen. Das ist nicht einfach.
Um so mehr freut es mich, wenn solch subversives, gegen den Zeitgeist gerichtetes Gedankengut den Weg in eine große Wochenzeitung findet ! Ihnen und der WamS sei Dank !
Das macht Hoffnung - bitte mehr davon !
Vor einigen Jahren war ein solches altes Haus zu renovieren/sanieren. Wir wußten gar nicht was sich hinter 8 Schichten Tapete verbarg, bis wir Stroh und Lehm zu sehen bekamen. Da ist nun guter Rat "teuer". Wir entschieden und danach für eine Sanierung mit Lehm (ja auch heute gibt es noch ein paar Firmen die das können) und verzichteten ganz auf Tapete. Was für eine glückliche Entscheidung. Ja wir müssen mehr heizen und ja es gibt kein Haus was in der Heizperiode gemütlicher ist. Also keine Plastiktüte für ein ca 120 Jahre altes Haus und es wird dann noch stehen wenn die Windräder alle schon abgerissen werden müssen... ;-(
AntwortenLöschenSehr geehrte Frau Stephan,
AntwortenLöschenIhren gleichlautenden Artikel in der WamS v.5.2. hatte ich mir zurück gelegt, weil ich zu Ihren begeisterten Lesern zähle. Auch dieser Artikel hat mir aus der Seele gesprochen. Was die sog."Energiewende" zusätzlich noch an Einschränkungen der individuellen Freiheit bringt, wird uns sicher zusätzlich noch beschäftigen.
Mit einer Bemerkung am Schluss ist der Hausgeist mit Ihnen aber durchgegangen: Mit dem Stirling Motor wird keine Wärme erzeugt, sondern mit zugefügter Wärme kann er mechanische Energie (Bewegung) erzeugen. Deshalb heißt er ja auch Motor. Im Haus kann er als Stromerzeuger eingesetzt werden. Die Abwärme kann dann gleichzeitig für die Hauswärme genutzt werden. Zwar hatte der Stirlingmotor im 19. Jh. einen sensationellen Wirkungsgrad von 19%. Aber inzwischen liegen die normalen Wirkungsgrade für z.B. Dieselmotoren in der Spitze um 40% für Elektromotoren um 80%. D.h. der Stirlingmotor hat eine lausige Efizienz. Wir müssen weiter träumen und an den verschiedensten Alternativen arbeiten!
Gert Maichel, Dortmund
Lieber Herr Maichel, danke, ein Laie ist immer für Aufklärung dankbar! Ich bin dem Dachs jetzt auf der Spur und werde gleich nach der "lausigen Effizienz" fragen. Denn ich will ja nicht immer nur träumen!
LöschenLiebe Frau Stephan,
AntwortenLöschendie in Deutschland grassierende Klimahysterie geht nicht nur Ihnen auf die Nerven. Deshalb habe ich gemeinsam mit einem Freund einen Blog über dieses und ähnliche Themen eröffnet: "FIKTIONEN UND FAKTEN" - http://istdaswirklichso.blogspot.com/ . Wir würden uns freuen, wenn sie, nach eingehender Prüfung, unsere Adresse in Ihrem Blog als Link veröffentlichen würden. Wir werden uns dann selbstverständlich revanchieren.
Herzliche Grüsse
ekke