Montag, 19. März 2012

Hier werden Sie geholfen!

Nur Gutes über die Deutschen! Sie sind liebenswürdig und hilfsbereit. Sie gucken nicht weg, zeigen Gesicht und kriegen den Arsch hoch, wenn’s irgendwo brennt. Sie geben gern und reichlich, bei jeder größeren oder kleineren Katastrophe, eine zweistellige Milliardensumme im Jahr. Der Sozialstaat ist ihnen heilig, Solidarität ihr täglich Gebet. Wer daran appelliert, erwirbt ihre stille Zustimmung zu fast allem, zu einer mittlerweile mehr als zwanzig Jahre alten Sondersteuer ebenso wie zu der riskanten „Rettung“ eines fallierenden EU-Mitglieds. Kurz: wer an deutsche Hilfsbereitschaft appelliert, kann von uns alles haben. Niemand soll uns nachsagen können, dass wir kaltherzige Egoisten sind. „Soziale Kälte“ ist und bleibt hierzulande der schlimmste denkbare Vorwurf.
Nur eine Kleinigkeit vergessen die guten Deutschen dabei oft: dass Geben seliger ist denn Nehmen. Und dass es passieren kann, dass sich der Empfänger von Wohltaten sträubt, das zu sein, was Helfer gern in ihm sehen möchten, nämlich hilfsbedürftig und dankbar, kurz: Opfer.
Dann fühlt man sich hierzulande missverstanden. Wenn die Griechen in unserer Hilfswilligkeit Herrschaftsbegehren sehen. Wenn afrikanische Intellektuelle darum bitten, von weiteren Spenden für notleidende Kinder abzusehen, da Hilfe nur die bestehenden Verhältnisse zementiere. Wenn Obdachlose die angebotene Sozialwohnung ablehnen, weil sie gar nicht sesshaft sein wollen. Und wenn die „Ossis“ trotz mehr als vier Jahrzehnten Päckchen nach Drüben und über zwei Jahrzehnten Solidarbeitrag immer noch klagen. Kurz: wenn diejenigen, die wir als Opfer betrachten, eigensinnig sind und auf ihrer Würde bestehen, ja: partout nicht hilfsbedürftig sein wollen.
Richtig helfen will gelernt sein. Im wiedervereinten Deutschland kann man noch heute studieren, was beim Helfen alles schief gehen kann. Fast jeder, der in einer geteilten Familie aufgewachsen ist, kennt geradezu tragische Geschichten über das prekäre Verhältnis zwischen den reichen Verwandten im Westen und den armen Schluckern im Osten. Die einen haben noch den Duft nach „gutem Bohnenkaffee“ in der Nase, der in die „Päckchen nach drüben“ kam, in die man Monat für Monat alles hineinsteckte, was Tanten und Cousinen in der „Zone“ auf ihre Wunschzettel geschrieben hatten. Die Röcke und Hosen und Stoffe, aus denen die Cousinen sich ihre Garderobe selbst schneiderten. Die Schokolade und das Parfüm und die Lebkuchen zu Weihnachten. Die Strumpfhosen. Die Pullover und Blusen aus dem Winterschlussverkauf. Alles war recht und wurde gern genommen, denn drüben „gab es doch nüscht“.
Und dann, mit der Wende, flog alles auf. Der ganze Schwindel. Die Brüder und Schwestern entdeckten, dass es weit luxuriösere Seifen gab als die gute Fa, mit der sie bis dato bedient worden waren. Und dass die Schlussverkaufsklamotten in den Liebespäckchen ziemlich popelig wirkten angesichts der Designermode schicker Wessibräute. Und dass auch nicht alles Gold war im Westen.
Plötzlich fühlten sich die einst Beschenkten betrogen und die Schenkenden waren – zu Recht – gekränkt. Mancher Ex-DDR-Bürger fühlte sich um etwas gebracht, das ihm doch eigentlich auch zugestanden hätte, wären die Umstände andere gewesen, oder? Und die Schenkenden, die glaubten, fleißig gewesen und es aus eigener Kraft zu etwas Wohlstand gebracht zu haben, von dem sie auch noch bereitwillig abgaben, kamen sich wie die verdienstlosen Nutznießer der Geschichte vor. Die Gabe und das Geben waren entwertet. Vor allem durch das, was danach geschah.
Gewiss: es gab keine Alternative zur Wiedervereinigung. Und niemand wusste, wie wenig das wert war, was die DDR in diesen Prozess einbrachte, deren blühende Industrielandschaft sich als Potemkinsche Kulisse entpuppte. Aber wer hätte geahnt, wie schnell die Ossis wieder zu armen Brüdern und Schwestern wurden, denen geholfen werden musste? Das vergiftet das Verhältnis noch heute.
Während die Polen aus eigener Kraft erfolgreich sind, sorgte das deutsche Helfersyndrom schnell für neue Abhängigkeiten (auch mit Hilfe der Lobbyisten des westdeutschen Arbeitnehmers, der Gewerkschaften, die verhinderten, dass die im Osten etwa mit niedrigen Löhnen Konkurrenz machten). In den blühenden Landschaften und restaurierten Kleinstädten leben alimentierte Menschen, zu wenige für die nagelneuen und überdimensionierten Klärwerke.
Hilfe schadet, nicht immer, aber oft. Mit sozialer Kälte hat dieser Hinweis nichts zu tun. Er zielt auf das übersteigerte Selbstbild der Helfenden. Es ist die alte deutsche Krankheit, die sich als Fürsorglichkeit tarnt: Wir sehen in Hilfsbedürftigen gerne Opfer, die auf Dauer unserer bedürfen, aber nicht Menschen, die es darauf angelegt haben, sich aus der Opferrolle zu befreien. Um dann, undankbar ist die Welt, unsere Konkurrenten zu werden. Immigranten etwa, deren Ehrgeiz den eines deutschen Normalarbeitnehmers übersteigt, der an sein bequemes soziales Netz gewöhnt ist und nicht daran denkt, mehr als die gesetzlich vorgeschriebenen Arbeitsstunden abzusitzen. Das Vorwärtsstreben der allzu Fleißigen droht, an gehätschelte Besitzstände zu gehen, ans Lohnniveau und die geregelte Arbeitszeit. Opfer sind bequemer.
Hilfe hilft vor allem den Helfenden. Griechenland jedenfalls ist auch mit milliardenschweren Rettungspaketen nicht zu retten. Das viele Geld verschafft vor allem den Helfern Zeit und verdeckt ihre Ratlosigkeit, wenigstens bis zur nächsten Wahl, hoffen Politiker. Fast versteht man die oft machohaft daherkommende Angst der Griechen vor Entwürdigung: Als ewig Hilfsbedürftige laufen sie auf Dauer an der Kandare der anderen. Denn keine Sparmaßnahme und keine Milliardenbeträge sind geeignet, die griechische Wirtschaft auf eigene Füße zu stellen, solange das Geld im unübersichtlichen Grabensystem einer unkontrollierbaren Staatsbürokratie versickert. Ganz so, wie die Spenden für ein hungerndes Afrika vor allem den Clanchefs und ihren bewaffneten Horden nützt. Und ebenso wie die Devisen, die Westdeutschland einst der DDR zuschob („aus humanitären Gründen“, versteht sich), ein längst marodes Regime stützten.
Richtig helfen ist schwierig. Richtig nehmen auch, jedenfalls für alle, die weder faul noch skrupellos sind, und das sind die meisten. Würde bedeutet, nicht abhängig zu sein. Auch deshalb muss nicht nur über Solidarität und Gerechtigkeit gesprochen werden, sondern ebenso über die Freiheit, auf eigenen Füßen zu stehen. Manch einem ist das (fast) jedes Risiko wert.
In: Die Welt, 19. März 2012

4 Kommentare:

  1. Die Überschrift finde ich persönlich unpassend. Schöner hätte ich "Wir sind doch keine Sozialdarwinisten!" oder "Wir helfen ihnen, ob sie es möchten oder nicht" gefunden

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  2. Wir helfen - Widerstand ist zwecklos! so in etwa?
    Tatsächlich ist die Überschrift ein Zitat. so sprach einst eine gewisse Jenny, bekannte Partygröße.

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    1. hieß die nicht Veronika? und wollte die nicht eher etwas verkaufen?

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  3. Ja, nee, das war doch die Verona, die äh Feldbusch!

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