Dienstag, 5. Juni 2012

Wozu braucht Deutschland den Islam?

Rätselhaftes Deutschland. Nachdem man sich über eine „deutsche Leitkultur“ nicht einigen konnte, wird die Debatte neuerdings unter der Überschrift „Was gehört zu Deutschland“ fortgesetzt. Die Diskussion hat ihre skurrilen Seiten, aber vielleicht sollte man sie ernstnehmen. Schließlich hat Deutschland heute eine Schlüsselposition, nicht nur in der EU. Da wüsste man schon gern, mit wem man es zu tun hat, nicht nur als Grieche oder Franzose. Was handelt man sich mit Deutschland ein? Es hat sozialistisch und protestantisch sozialisiertes Führungspersonal. Eine Mehrheit seiner Bürger stellt die Gerechtigkeit vor die Freiheit. Es besteht aus stupender und stupider Wirtschaftsmacht. Es gehört zum freien Westen – und kokettiert mit kuscheligem Paternalismus. Und es ist friedliebend und tolerant bis zur eigenen Wehrlosigkeit. Die neuerdings (vor allem bei Männern) beliebte Aussage „Der Islam gehört zu Deutschland“ dürfte kaum Klarheit schaffen. Erst recht nicht öffentliche Überlegungen, ob man den Rechtsstaat durch Elemente der Scharia veredeln und „Islamfeindlichkeit“ ächten sollte. Oder gar, ob man es als kulturelle Besonderheit verstehen müsse, wenn Männer mit „Hintergrund“ Frauen, Schwestern oder Töchter misshandeln. Ruprecht Polenz, CDU, ist Vorsitzender des Auswärtigen Ausschusses des Bundestags, und müsste eigentlich wissen um die Außenwirkung deutscher Debatten. Als Aktivist auf Facebook macht er sich für den EU-Beitritt der Türkei stark. Dort stieß er jüngst eine Debatte über Monika Marons Essay an, in dem sie gute Gründe angeführt hat, warum der Islam nicht zu Deutschland gehört. „Der Islam“, widerspricht Polenz, „wirkt mit an der Ausprägung dessen, was wir die deutsche Identität nennen.“ Mit Weitblick auf die muslimische Geburtenrate dekretiert er: „Jede und jeder gehört dazu, wenn es darum geht, (die) Zukunft zu gestalten“. Ein hübscher Gruß an die Frauen. Aber wie soll der Islam deutsche Identität prägen? Sollen mit solchen Floskeln verängstigte deutsche Muslime beruhigt werden? Will der CDU-Mann „Biodeutsche“ zu mehr Sensibilität und Toleranz ermahnen? Oder möchte er kämpferischen Islamisten signalisieren, dass wir die Guten sind, also nach der Machtübernahme geschont werden müssen? Etwa den Salafisten, die in Deutschland auf Mission gehen? Für einen von der Überlegenheit des Islams und des muslimischen Mannes Überzeugten ist solch deutsche Gutherzigkeit nichts anderes als ein Unterwerfungsangebot – ohne Gegenleistungen. Recht hat er: Wer die eigene Identität als buntes Warenhausangebot deutet und Beliebigkeit predigt, die er als weltoffen phantasiert, darf von anderen keinen Respekt vor den eigenen „Errungenschaften“ erwarten (etwa denen der Frauenbewegung, der unsere Politiker so gern symbolisch entgegenkommen). Und deshalb muss man an dieser Stelle Christian Wulff in Schutz nehmen. Der hat nämlich nicht nur den mittlerweile totzitierten Satz gesagt, sondern auch „Das Christentum gehört zweifelsfrei zur Türkei!“ Das übrigens ausgerechnet vor dem türkischen Parlament und verbunden mit der Aufforderung, Christen doch bitte die gleichen Rechte und Freiheiten zu gewähren wie sie Muslime in Deutschland genießen. Die Türkei habe nun die Chance, zu zeigen, dass Islam und Rechtsstaat kein Widerspruch sind. Vom Jubel der Christen in der Türkei hat man nicht viel gehört, wahrscheinlich gab es keinen Grund dafür. Doch auch in Deutschland ist nur der andere Satz im Gedächtnis geblieben, dessentwegen er nun der Präsident der Herzen aller beleidigten Muslime ist. Das wären andere Politiker offenbar auch gern. Machen sie sich keine Gedanken über den Preis, der dafür zu zahlen ist? Um es zu wiederholen: ja, sie sind eine Minderheit, die deutschen und in Deutschland lebenden Muslime, die patriarchalische Vorstellungen vom Zusammenleben (und dem Verhältnis der Geschlechter) mit einer der orthodoxeren Interpretationen des Islam verbinden und hierzulande für sich und ihre Familien „ausleben“ (eine entlarvende Formulierung der Bundesjustizministerin). Doch sie sind eine lautstarke Minderheit, manche haben die Saudis, manche die Regierung Erdogan im Rücken, die in den türkischen Deutschen eine Art 5. Kolonne zu sehen und Integration für Teufelszeug zu halten scheint. Nicht nur die Salafisten sehen deutsche Toleranz nicht als Ausdruck von Souveränität und Stärke, sondern begreifen sie als Symptom für die Schwäche unserer Kultur. Wo sich der Dominanzanspruch des Islam mit einem patriarchalisch gestimmten Kulturstolz verbindet, prallt den deutschen Weicheiern nur Verachtung entgegen. Verachtung, weil sie ihre eigene Kultur preisgegeben haben, ja noch nicht einmal eine eigene „Leitkultur“ kennen, geschweige denn eine Identität besitzen, die gefestigt wäre und nicht offen für alles und jedes. Verachtung, weil die „Bio-Deutschen“ nicht begreifen, dass sie verachtet werden. Wenn es eines Beweises bedurfte, dass die westlichen Werte nicht weiter ernstzunehmen sind, dann liefern ihn die Phrasendrescher unter unseren Politikern tagtäglich. Doch nicht die westlichen Werte machen uns schwach, sondern all die, die sie nicht verteidigen. Die Meinungsfreiheit. Die Gleichberechtigung. Den Rechtsstaat. Die Menschenrechte. Die Freiheit, eben. Ach ja, die Freiheit. Als Joachim Gauck Bundespräsident werden sollte, warf man ihm als erstes vor, über der Freiheit die Gerechtigkeit zu vernachlässigen. Als ob „Gerechtigkeit“ hierzulande präsidiale Befürworter brauchte, die irreale Sehnsucht danach hat längst die Wertschätzung der Freiheit abgelöst, der Wunsch, in warmer Gemeinschaft aufgehoben zu sein, schiebt sich vor die Fröste, die das Risiko der Selbstverantwortung begleiten. Längst hat der Bürger dem Staat die Entscheidung darüber in die Hand gegeben, wie er sein Leben zu führen hat. Nicht zuletzt im Streit ums Erziehungsgeld lugt hinter staatlicher Fürsorglichkeit der Wunsch nach Steuerungsmacht hervor. Vielleicht macht ja diese Sehnsucht nach paternalistischer Fürsorge den Islam attraktiv? Seine orthodoxen Strömungen geben feste Regeln und Rollen vor, versprechen Halt, Ordnung und Bindung in der frostig-offenen Welt und geben dem Individuum das Gefühl, Teil eines schützenden Ganzen zu sein. Nie mehr selbst entscheiden müssen, wie man leben will – wäre das nicht schön? Ein Albtraum. Männer mögen das gelassen sehen, schreibt Monika Maron. „Als Frau kann ich das nicht.“ Ich auch nicht. Die Welt, 5. Juni 2012

5 Kommentare:

  1. Ja, ja, und ja. Nur, wo das "deutsche Männer" - (hier sind wohl eher nicht die ökodeutschen gemeint) angeblich gelassen sehen sollen, kann ich nicht erkennen.

    Ok, schien vielleicht zur Kontrastierung hilfreich. Muss aber nicht. Mannfrau wird schon zu oft strapaziert.

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    1. Ja, das war zugespitzt, ich gestehe. Mir ging es vor allem um Politiker wie Polenz. Die Frauen kommen dann das nächste Mal dran... ;-)

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  2. was sie schreiben , klingt heutzutage bereits MUTIG.
    keine sorge,wo viel islam drinnen ist,wird es auch wieder roher zugehen.erst,wenn die biodeutschen alle
    wattebällchen verbraucht haben werden ,ändert sich
    .etwas.ich fürchte ,dann sind sie für "etwas."gut möglich,daß tariq ramadans phantasien von der mogelpackung euroislam eintreten.

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  3. Was so kurz vor dem Sommerloch passieren würde, wenn in diesem Artikel als Überschrift stehen würde: "Wozu braucht Deutschland das Judentum ?" u. ä. ? Erinnert Sie das an was ? Da die Juden heutzutage ja zum "unantastbar- heiligen" Tabu geworden sind, was auch dem Götzendienst entspricht, sind wir Muslime wohl zum Ersatzfeindbild geworden. Bei den meisten islamkritischen Artikeln bräuchte eigentlich nur das Wort "Salafisten" gegen "Juden" ausgetauscht werden, schon unterscheiden solche Artikel sich nicht sonderlich von der Hetze, die es während der NS- Zeit gegeben hatte. Wer aber nur einseitige Lehren aus der Geschichte gezogen hatte, merkt offensichtlich nicht diesen feinen Unterschied, wie z. B. die intelligenzverschonten Wutbürger der islamfeindlichen neuen Rechten.

    Nun ja, wenn auch nur ein Viertel von der Kritik, die gegen den Islam und die Muslime in der Politik sowie in den Medien vergleichsweise gegen die Juden veröffentlicht worden wäre, dann wäre fast schon mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit eine “Antisemitismus- Bombe” explodiert, deren Wellen der Empörung noch am anderen Ende unserer Galaxie spürbar wären. So eine Einseitigkeit ist wirklich bemerkenswert, nicht wahr, Frau Cora Stephan ?

    Auf der anderen Seite sind die Juden paradoxerweise vom "Antisemitismus" abhängig, weil sie diesen zu ihrem eigenen Vorteil ausnutzen, denn durch diesen rollt bzw. gleitet vielmehr der Rubel am einfachsten auf den üblichen Krokodilstränen in Richtung Israel, weil vorher Schuldgefühle an Verbrechen suggeriert wurden, an denen die heutigen Politiker nicht einmal selbst beteiligt waren. Führt aber im Endeffekt immer zu einer verzwickten Situation für die jüdischen Zionisten. Nebenbei erwähnt wird seltsamerweise die Demokratie als politisches System sehr energisch für islamische Länder gefordert, die auch nur annährend Israel "gefährlich" werden könnten. Von Forderungen, die Demokratie in Nordkorea, Kuba und China einzuführen, hört man vergleichsweise sehr selten in den Medien. Im Gegensatz zum Islam ist die Demokratie das genaue Gegenteil von Perfektion. Das liegt darin begründet, daß Allah (Deutsch: einziger Gott) mit dem Islam (Deutsch: Gottergebenheit) als Religion für seine Diener zufrieden ist, was aus Koran und Sunna hervor geht.

    Meine Äußerungen waren bestimmt "antisemitisch". Das ist aber trotzdem irrelevant, weil ich nicht zu den Leuten gehöre, die das Spielchen mitmachen, sich unbedingt bei "Antisemitismus- Verdächtigungen" mit Händen und Füssen dagegen zu wehren. Bitte sonstige Anschuldigungen [... hier ...] einsetzen, aber in dem Zusammenhang sollten Leute, die den Islam kritisieren, zuerst vor der eigenen Tür kehren.

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    1. Lieber Abdullah,
      sind Muslime der Islam? Ich halte den Unterschied für wesentlich. Woher nehmen Sie das Recht, alle Muslime zu vereinnahmen?
      Ihre Gleichung geht schon deshalb nicht auf.
      Allah mag zufrieden sein. Alle anderen, die nicht seine Diener sind, halten es besser mit dem unvollkommenen System der Demokratie.

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