Freitag, 1. Juni 2012

Die neue Menschlichkeit

Männer, so die Legende, waren einst dafür bekannt, einen Streit auszutragen, also durch eine ordentliche Prügelei zu beenden, als anhaltend beleidigt zu sein, was als weibisch galt. Verdammt lang her. Heute sind vor allem die Männer beleidigt. Wir haben Religionskrieg. Und der endet, wie man weiß, mit der Auslöschung oder wenigstens der Konversion des Gegners. Dabei hatte man doch einst aus der blutigen Tragödie des 30jährigen Kriegs gelernt, der ein verheerender Religionskrieg war. Wir verdanken in Sachen Streitkultur dem Westfälischen Frieden mindestens so viel wie der Aufklärung: Die Schlacht beendet den Krieg wie die Prügelei den Streit. Wer siegt, hat Glück gehabt, mehr nicht. Über Gut und Böse, über wahr und nicht wahr aber ist damit nicht entschieden. Übrigens auch nicht über „Schuld“ oder den rechten Glauben. Im Krieg hatte das einen ganz und gar pragmatischen Grund: es stiftete Nachkriegsfrieden. Die deutsche Sprache kennt viele Worte für Zwist. Hader etwa, ein dumpfer Hauch, der klingt, als hätte sich etwas tief ins Gewebe hineingebohrt und dort entzündet. Oder Zwietracht, schrill wie ein Zahnarztbohrer. Streit hingegen ist der weg ins Offene, wie das reinigende Gewitter: jeder macht seinen Standpunkt klar, und auch wenn niemand überzeugt ist – wir haben wenigstens darüber geredet. Der Respekt vor dem Gegner ist die Grundlage des Streits. Er ist nicht Feind, sondern Kontrahent, „auf Augenhöhe“, wie Politiker gern sagen, und hat, genau wie die eigene Seite, jedes Recht, seinen Standpunkt zu vertreten und zu verteidigen. Die zivile Seite dieses Respekts vor dem Gegner ist die Meinungsfreiheit. Streit im aufgeklärten Sinne fordert keine Konversion. Er ist der temperamentvolle Schlagabtausch zwischen Menschen, die Argumente haben und sich nicht, sollten die sich als schwach erweisen, auf ihren Glauben oder ihre Gefühle herausreden. Oder auf ihr eigenes Erleben. Diese Flucht aus der Logik in die reine Subjektivität galt mal als „weibisch“. Heute gilt sie als „menschlich“. Welch Fortschritt. Jede mittlere Talkshow zeigt: Wer heute im Kampf um die Definitionshoheit siegen will, kommt gänzlich ohne Argumente aus, ach was: von ihrem Einsatz ist dringend abzuraten. Am besten, man zeigt verletzte Gefühle vor. Ist nicht ein logisches Argument per se irgendwie kalt und also unmenschlich? Na bitte. Auch verallgemeinernde Schlüsse kann man auf diese Weise kontern. Was soll mir eine Statistik oder eine Durchschnittsgröße, wenn ich persönlich die Realität doch ganz anders wahrnehme? Fühlen und Glauben, das bringt Szenenapplaus. „Ich glaube“ und „ich fühle“ sind die vergifteten Pfeile aus dem Hinterhalt, die den Gegner erledigen, bevor er auch nur Gehör gefunden hat. Was muss ich auch wissen, was der andere denkt und sagt, wenn ich ihn eh nicht leiden kann? Der Umgang mit Thilo Sarrazin etwa ist ein Schaustück avancierter Streit“kultur“. Noch bevor sein jüngstes Buch zur Eurokrise erschienen ist und gelesen werden konnte, bekundeten Kritiker in Qualitätszeitungen, es gar nicht erst zur Kenntnis nehmen zu wollen, man wisse ja eh, dass Sarrazin drin sei, wo Sarrazin draufsteht. Also „Schwachsinn“ (Robbe), „Unsinn“ (Künast) und „himmelschreiender Blödsinn“ (Schäuble), dem man keine Plattform bieten, ja den man am besten nicht zur Kenntnis nehmen dürfe. Schließlich wolle er mit seinen „Provokationen“ ja bloß Geld verdienen. Und das geht ja schon mal gar nicht. Warum solche wie ihn nicht gleich verbieten? Andernorts ist man da weiter. Wer Menschen, die Zweifel an der These von der Klimaerwärmung äußern und gar die Ursache von Klimawandel – Täter Mensch – in Frage stellen, „Klimaleugner“ nennt, zieht Parallelen zu „Holocaustleugnern“, denen man das Maul verbieten darf. Warum nicht auch den „Klimaleugnern“ – obwohl die gar nicht das Klima leugnen, sondern lediglich die wissenschaftliche Grundlage weitreichender politischer Forderungen? Und wie wär’s mit dem Verbot von „Islamophobie“? Ein solches Verbot eröffnete weite Spielräume. Ist bereits islamophob, wer meint, dass hierzulande das Grundgesetz und nicht die Scharia gelten sollte? Ist schon ein Hetzer, wer es beängstigend findet, dass Karikaturen des Propheten ein Todesurteil nach sich ziehen können, während man Jesus oder den Papst oder alle Christen frisch und frei beleidigen darf? Überhaupt, Phobie: ist vielleicht krank, wer nicht erkennt, dass Islam Frieden ist, auch wenn dessen lautstark beleidigte Vertreter dauernd das Gegenteil bezeugen? Verblüffend, wie viele der Vokabeln, mit denen heute die Meinungsschlachten geschlagen werden, an Ketzerverfolgung und Religionskrieg erinnern, so etwa, wenn es über Kritiker des Kulturstaates heißt, sie „versündigten“ sich an ihm. Besonders interessant ist, was die Vorkämpfer für mehr Menschlichkeit ins Spiel bringen. Die „nackte Logik der Zahlen“ sei „ohne Menschlichkeit“, verkündete jüngst ein Autor der „Zeit“. Klar, wen er meint: Thilo Sarrazin, den wiederum Mely Kiyak in der „Frankfurter Rundschau“ als „lispelnde, stotternde, zuckende Menschenkarikatur“ bezeichnet hat. Der Artikel wurde erst online bereinigt, mittlerweile ist er ganz entfernt, eine halbherzige Entschuldigung der Autorin nachgereicht. Ist da doch jemandem aufgefallen, dass man so etwas nicht sagt? Die Entmenschlichung des Gegners ist ein gutes Indiz für die Tödlichkeit des Konflikts. Denn wer den anderen zum Unmenschen oder Barbaren erklärt, trifft damit ja kein objektives Charakterurteil, sondern verkündet vor allem, wie er selbst mit solchen Kreaturen umzugehen gedenkt: barbarisch, eben. Damit ist die niedrigste Stufe des menschlichen Umgangs erreicht und die höchste Stufe des Konflikts. Das ist dann kein Streit mehr. Das drückt Vernichtungswillen aus. Es unterstellt, der Gegner habe weder das Recht noch ein Argument auf seiner Seite. Er hat den falschen Glauben und selbst konvertieren hilft ihm nicht mehr. „Wir würden viel weniger Streit in der Welt haben, nähme man die Worte für das, was sie sind - lediglich die Zeichen unserer Ideen und nicht die Dinge selbst“, schrieb einst John Locke. Schön wär’s, dann könnte man abrüsten. Denn wichtiger als die Frage, ob Sarrazin ein menschlich kalter Zahlenfetischist ist, wäre doch, ob nicht auch der Schurke ein richtiges Argument haben könnte. Das meinte einst Voltaire, als er versprach, sich für die Meinungsfreiheit auch des ärgsten Feindes einzusetzen. Das, in der Tat, wäre Streitkultur. Die Welt, 29. Mai 2012

2 Kommentare:

  1. Vielen Dank Frau Stephan,

    für diese so ausgezeichnet zusammengefasste Aufzählung der heutzutage üblichen Argumentationskeulen.

    So langsam gehen einem ja die irgendwie noch vernünftigen Argumente gegen einen Wust von unsachlichen Veröffentlichungen aus - ich werde müde !
    Immer, wenn sich belesene und vernunftbegabte Menschen zu Wort melden, hagelt es nur Plattitüden. Es ist einfach nur unfassbar traurig.

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  2. Dieser Puff ist kein Rechtsstaat, es gibt keine Meinungsfreiheit, keine Gleichberechtigung. Und der hohle Graus IST erstunken und erlogen!
    www.vho.org

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