Dienstag, 17. Juli 2012
Fragen einer zeitunglesenden Steuerzahlerin
Sehr geehrte Frau Bundeskanzler, liebe Angela Merkel,
Ihre Gegner respektieren Sie. Ihre Parteifreunde fürchten Sie. Ihre Wähler bewundern Sie. Und auch ich gestehe: Ich wäre gern wieder Ihr Fan.
Doch während der Wille da ist, erweist sich der Verstand als renitent. Ja, es ist bewundernswert, wie zäh Sie verhandeln, auch wenn zwischendrin nur ein, zwei Stunden Schlaf abfallen. Wie Sie Haltung bewahren, sich nicht aus der Ruhe bringen lassen. Wie bescheiden Sie sich geben, während italienische oder französische Gockel sich brüsten, über Sie gesiegt zu haben. Und dann dieses wunderbare „Nicht, solange ich lebe!“ – mit dem Sie jegliche gesamtschuldnerische Haftung in Europa zurückgewiesen haben. Fast wie einst Margaret Thatcher, die britische Madame No.
Klar, das war nicht ganz ernst gemeint. Denn Sie stehen für die schlichte, wenn auch ein wenig desillusionierende Erkenntnis, die da lautet: Politik ist, wofür sich eine Mehrheit findet. Was sich durchsetzen lässt, im ewigen Ringen um den Kompromiss. Da bleibt oft nicht viel übrig von jenen Zielen, mit denen man in die Manege gestiegen ist. In der Politik gilt: Der Weg ist das Ziel. Und das ewige Ringen mit den Wegelagerern, die zum Kuhhandel zwingen, rückt das Ziel täglich ferner, bis es nicht mehr zu erkennen ist. Ich jedenfalls sehe nichts mehr.
Nein, ich möchte keine Vision. Aber ich bitte um den Verzicht auf Nebelkerzen. Der Bundespräsident hat Sie gebeten, Ihren Wählern, Ihren Anhängern und der Bevölkerung „detailliert zu beschreiben“, was in und um Deutschland derzeit vonstattengeht und was das alles für die Zukunft bedeutet. Eine gute Idee! Erlauben Sie mir, schon mal ein paar Fragen zu stellen, vielleicht hilft das beim Antworten.
Um ganz klein anzufangen: Es geht um Solidarität mit Griechenland, heißt es immer. Das kommt bei den Deutschen gut an, die helfen gern. Aber wäre es da nicht besser, man entließe die Griechen aus der Zwangsjacke Euro? Bislang hat Ihre Hinhaltetaktik dort nur den Reichen und der korrupten Nomenklatura genützt. Wir Hilfsbereiten aber hätten gern, dass das Geld auch da ankommt, wo es „den Menschen“ nützt, wie es im Politjargon heißt. Könnte das längst pleitegegangene Griechenland abwerten, wäre es als Niedriglohnland wieder konkurrenzfähig, als Reiseland wieder attraktiv und wir wären dabei. Oder?
„Scheitert der Euro, scheitert Europa“, sagen Sie und deswegen muss gerettet werden, um jeden Preis, auch das, was nicht mehr gerettet werden kann. Aber haben wir nicht bereits ohne Euro gut miteinander gelebt? Und hat nicht erst der Euro wieder jene Zwietracht hervorgebracht, die wir überwunden glaubten? Glauben Sie wirklich, der Zwang zur gemeinsamen Währung könnte die Völker Europas dazu bringen, nach einem einzigen Rezept selig zu werden? Deutschland hat einst profitiert von seiner Kleinstaaterei, die für den Handel hinderlich gewesen sein mochte, aber durch Konkurrenz das Geschäft belebte. Wäre das nicht auch das Richtige für Europa?
Wir brauchen Europa, weil wir ein starkes Gegengewicht zu den USA oder China brauchen, heißt es immer wieder. Das verstehe ich. Doch Europa ist durch den Euro nicht stärker geworden, sondern schwächer. Niemanden beeindruckt ein Zusammenschluss von Fußkranken.
Überhaupt: was genau verstehen Sie unter Europa? Nur charmante Südländer, die es als Angriff auf ihre Lebenskultur ansehen, wenn man ihnen mit ausgeglichenem Haushalt, Steuerehrlichkeit und Rechtssicherheit kommt? Was ist mit Großbritannien und den skandinavischen Ländern, die man nicht erst groß umerziehen muss, was ordentliches Wirtschaften betrifft und die sich offenbar genau deshalb vom Europrojekt fernhalten? Was mit Polen, dem Erfolgsland in Osteuropa, unserem in vieler Hinsicht nächsten Nachbarn? Die deutsch-französische Freundschaft mag ein historischer Gewinn gewesen sein. Mittlerweile aber überlagert sie die weit existentiellere Bindung an die USA und die angelsächsische Welt mitsamt ihrer Liberalität und ihrem Pragmatismus. Das schadet uns, finde ich.
Kommen wir zur materiellen Seite. Deutschland profitiert am meisten vom Euro, deshalb, sagen Sie, habe es auch die größte Verantwortung. In Zahlen ausgedrückt, ist der deutsche Profit nicht recht festzustellen: der Export deutscher Güter innerhalb des Euroraums hat ab-, nicht zugenommen. Aber wir wollen nicht knauserig sein. Nehmen wir also die Verantwortung an. Doch worin besteht sie? Im bedingungslosen Geldspenden? Oder im Oktroy eines strengen Reglements?
Peinlicherweise sind gerade wir nicht unbedingt ein strahlendes Beispiel für erfolgreiche Reformpolitik. Es war Deutschland, 2003 unter Rotgrün, das als erstes Land gegen die Maastricht-Kriterien verstieß. Und ausgerechnet bei uns tut man so, als ob es immer so weiter gehen könnte mit dem fröhlichen Geldausgeben. Beispiel: das Betreuungsgeld, ein Milliardenprojekt, das nicht nötig wäre, wenn man Eltern selbst überlassen würde, wofür sie ihr Einkommen ausgeben, statt es ihnen wegzusteuern, um ihnen damit Geschenke zu machen.
Vorletzte Frage: wir brauchen eine Politische Union in Europa, sagen Sie. Dafür müsse jeder halt ein bisschen Souveränitätsverzicht üben. Die Deutschen würden das womöglich mitmachen, aus lauter Angst vor sich selbst, auch wenn ihnen niemand sagen kann, wie ein solches Gebilde aussehen und wie es funktionieren soll. Doch all die anderen, die ein besseres Verhältnis zu ihrem Nationalstaat und der eigenen Kultur haben, denken nicht daran, ihre Eigenständigkeit aufzugeben. Mit wem also soll sie zustandekommen, die Politische Union?
Im übrigen habe ich meines Wissens den Abgeordneten des Bundestags keinen Auftrag erteilt, deutsche Selbstbestimmung abzutreten, womöglich zugunsten eines Gremiums, das durch nichts legitimiert ist als durch irgendein „Expertentum“ hochbezahlter Beamter. Träume vom Regiment geistiger „Eliten“ geisterten ja bereits durch die Klimadebatte. Beruhigend ist das nicht: wenn von staatlichem Notstand die Rede ist, der es erzwinge, geltendes Recht und vergangene Beschlüsse fahren zu lassen und dem Wahlvolk kein Votum mehr lässt, wird es Zeit, den Anfängen zu wehren.
Können Sie, sehr geehrte Frau Bundeskanzler, den Verdacht entkräften, dass mit dem ESM-Vertrag der Weg zu einer Finanzdiktatur frei wird, womöglich unter der Ägide von Herrn Schäuble, und unter dem Applaus all jener, denen weder ihre Kultur noch ihre Freiheit etwas wert ist?
Aufgeschrieben von Cora Stephan, Autorin von „Angela Merkel. Ein Irrtum“. Mit aktuellem Vorwort erschienen im Juni 2012
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