Mittwoch, 13. März 2013

Am Gängelband

"Die glücklichen Sklaven sind die erbittertsten Feinde der Freiheit." (Marie von Ebner-Eschenbach)

Er meint es gut. Und deshalb fällt es so schwer, etwas gegen ihn einzuwenden. Er will doch nur unser Bestes! Und das nimmt er sich gegebenenfalls auch, unser Vater Staat: Die Freiheit.
Der Wolf trägt einen blütenweißen Schafspelz. Die Zeit der unterdrückenden Staatsmacht ist lange vorbei. Wir haben es heute statt dessen mit einem Rundumsorglos-Paket zu tun, mit dem sich der Ammenstaat empfiehlt: Von der Wiege bis zur Bahre gegen alle Fährnisse des Lebens versichert. Vorausgesetzt, wir gehen kein Risiko ein, meiden jedes Abenteuer, rauchen nicht, trinken keinen Alkohol, haben keinen Sex mit dem Falschen, essen das aktuell als Richtige erkannte und auch das nur in Maßen – kurz: mäßigen uns, bis in die Weltanschauungen hinein. Ein selbstbestimmtes Leben? Mit der Freiheit, das Falsche zu tun und das Maßlose zu denken? Nichts da. Hauptsache gesund, bevor wir sterben!
Es ist schwer, Menschen und Institutionen mit guten Absichten zu widersprechen. Wer wollte ernstlich bezweifeln, dass der moderne Staat westlicher Prägung ein Segen ist? Gewaltmonopol, Gewaltenteilung, Rechtsstaatlichkeit – alles Errungenschaften, die private Willkür eindämmen. Gleiches gilt für den Sozialstaat. Er verhindert, dass Hilfsbedürftige von der womöglich unzuverlässigen Großzügigkeit der anderen abhängig werden.
Doch mittlerweile wirkt der Sozialstaat wie eine Agentur für Brot und Spiele – und wir wie glückliche Sklaven, die ihre Freiheit nicht vermissen, solange da einer ist, der sich „kümmert“.
Deutschland, so liest und hört man, ist ein Land mit einer gut ausgebildeten, kreativen, fleißigen Bevölkerung, innovativ und vorwärtsstrebend. Alles keine Egoisten und Solidaritätsverweigerer, sie spenden viel und gern und zahlen Steuern auch für Dinge, die man für Geldverschwendung halten könnte. Womit also haben sie es verdient, dass sie von Politikern wie Meinungsmachern wie eine Versammlung von hilfsbedürftigen Kreaturen behandelt werden, die nur dann das Richtige tun, wenn man sie moralisch erpresst? Und die man, falls das nicht reicht, maßregelt, per Gesetz? Sind sie alle kleine Häwelmanns, die man mit milden Gaben ruhigstellen muss, damit sie nicht andauernd „Mehr! Mehr!“ rufen?
Und die so bedürftig aus der Wäsche schauen, dass Politiker sich tröstend über sie beugen müssen, um mit heiligem Ernst zu verkünden, „die Menschen“ „an die Hand“ oder „in die Mitte“ oder gar „in den Arm“ nehmen zu wollen, um sie „abzuholen, wo sie stehen“?
Ja, der Staat hat seine Menschen lieb. Möchte sie mit sozialer Wärme überfluten. Will ihnen helfen. Fördert, statt zu fordern. Egal, ob sie das brauchen. Egal, ob sie sich hilfsbedürftig fühlen. Denn sind sie nicht alle irgendwie notleidend/behindert/diskriminiert/unterdrückt, wenn schon nicht direkt, dann doch wenigstens potentiell? Also auch: potentielles Objekt der Fürsorge? Irgendwas findet sich doch immer!
Ach, Demokratie ist großartig. Sie hat nur ein paar kleine Nachteile. Politiker, die sich in einer Demokratie Wahlen stellen müssen, lieben Objekte der Fürsorge. Denn nur an ihnen können sie beweisen, wie unentbehrlich sie sind. Und so versprechen sie vor jeder Wahl – und wann steht schon mal gerade keine an? – Wohltaten aller Art. Das Ergebnis ist ein ausufernder Sozialstaat, der nur noch am Rande tut, was er soll: den Hilfsbedürftigen helfen. Vor allem unterhält er eine stetig wachsende Hilfsindustrie. Das Helfen ist ein boomender Erwerbszweig. Und wie das so ist, wenn ein Modell erfolgreich ist: es muss wachsen. Schon deshalb wird die Art der Notlagen immer bunter und die Zahl Hilfsbedürftigen beständig größer. Auch das vermeintlich einfach nur Gute hat seine Lobby.
Der Kollateralschaden, den der Rundumsorglosstaat anrichtet, ist nicht zu unterschätzen. Seine Fürsorge löst Lähmung aus. Manch einer schafft es gerade noch zum empörten Aufschrei oder zur deprimierten Klage, aber nicht mehr zur Selbsthilfe. Das Leben wirkt wie weichgespült von all den Wärmewellen, die Politiker in Sonderheit zu Wahlkampfzeiten durch das Land schicken.
Gewiss, Hilfe und Fürsorge tun hier und da not, auch in einem so wohlhabenden Land wie Deutschland. Der Ammenstaat aber gebiert Respektlosigkeit. Denn wem geholfen werden muss, der ist nicht auf Augenhöhe. Der ist abhängig. Egal, wie lieb man ihn in den Arm nimmt. Der umarmungsfreudigen Kuschelkultur fehlt es an Respekt, den zivilisierter Kontakt braucht.
Gewiss ist es respektlos, ältere Menschen übersehen. Noch respektlos ist womöglich, sie zu unterschätzen. Man ist ja nicht qua Lebensalter hilfsbedürftig. Doch viele Debatten um die allgemein gestiegene Lebenserwartung kreisen nicht um die Chancen, die sich daraus ergeben, sondern beklagen die Risiken. Ja, gewiss, die Wahrscheinlichkeit ist groß, sagen jedenfalls die Gesundheitsstatistiker, dass etwa ein Drittel der Menschen über 80 pflegebedürftig wird. Aber was ist mit den restlichen zwei Dritteln? Die weder Rollator noch Seniorenpass benötigen?
Ähnlich die Diskussion ums „Prekariat“ oder die Generation Praktikum. Kann man Studenten ernsthaft zu den Armen im Lande zähen? Sind junge Menschen bemitleidenswert, nur weil sie nicht direkt nach der Ausbildung das Glück einer Festanstellung bis zur Bahre genießen? Gibt es keine anderen Träume als die aus der Angestelltenwelt? Könnte es nicht entschieden reizvoller sein, das Risiko der Selbständigkeit oder gar des Unternehmertums einzugehen? Der Ammenstaat, unterstützt von der Medienlust an den schlechten Nachrichten, fördert Ängstlichkeit, Muckertum und Anspruchsdenken. Er macht hilflos.
Das sind die schuftigen Seiten der Hilfsbereitschaft. Auf Dauer Hilfsbedürftige sind nämlich viel bequemer als alle, die sich aus der Abhängigkeit lösen und sich womöglich anschicken, aufzuschließen, ja zu überholen. Helfen, mit Geld und liebevoller Zuwendung, ist einfacher, als Konkurrenz zu ertragen. Und deshalb zieht auch der helfende Staat es vor, wenn seine „Klientel“ immer genau das bleibt. Klienten und Patienten. Im gut gepolsterten Handschuh der Fürsorglichkeit lauert die Entmündigung.
Nein, das ist kein Plädoyer gegen Hilfsbereitschaft oder gar für. Aber wahres Mitgefühl ist keine gefühlstriefende Betroffenheit, die jede Distanz vermissen lässt. Respekt heißt auch, niemanden, im Guten wie im Bösen, zu unterschätzen.



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