Polens neuer Außenminister hat sich gleich zu Beginn seiner Amtszeit gewaltig in die Nesseln gesetzt. Witold Waszczykowski von der nationalkonservativen Partei Recht und Gerechtigkeit (Pis) hat die syrischen Flüchtlinge in Europa zum Kampfeinsatz in ihrer Heimat aufgefordert und hat ihnen Hilfe dabei angeboten, eine Armee aufzubauen. So könnten sie gut ausgebildet zurückkehren, um ihr Land zu befreien, und müssten das nicht anderen überlassen. Es gehe schließlich nicht an, „dass wir unsere Soldaten in den Kampf nach Syrien schicken, während Hunderttausende Syrer Unter den Linden ihren Kaffee trinken", sagte Waszczykowski.
Nun hat noch niemand hunderttausende junger Syrer beim Kaffeetrinken im „Einstein“ beobachtet oder von der polnischen Armee einen Auslandseinsatz in Syrien gefordert. Doch abgesehen davon hat das Argument einiges für sich.
In Deutschland sind die Äußerungen von Waszczykowski als wirres Gequassel wahrgenommen worden – sofern sie überhaupt jemand zur Kenntnis genommen hat. Warum eigentlich? Weil wir so friedfertig sind, gern auch stellvertretend? Weil wir den Kampf um Syrien lieber selbst aufnehmen wollen? Weil wir darauf warten, dass die Amerikaner die Dinge regeln? Oder weil wir in jedem Ankömmling, auch wenn es ein kraftstrotzender Jüngling ist, ein armes Opfer sehen, zu dem man sich helfend herabbeugt?
Das allerdings wäre eine Unterschätzung, die geradezu beleidigend ist.
Oder weil wir, was Asyl und Schutz betrifft, einem Missverständnis aufsitzen? Die Debatte in Deutschland über das, was angesichts der massenhaften Einwanderung zu tun ist, nimmt manchmal seltsame Züge an. Obzwar wir noch immer nicht wissen, wer kommt und wieviele und wer sich bereits zu Hunderttausenden unerkannt im Land aufhält, wird vor allem darüber geredet, wie die in großer Zahl Ankommenden zu „integrieren“ seien. Allen, nicht nur den Migranten, scheint unbekannt zu sein, dass jene, die einen Anspruch auf Asyl oder subsidiären Schutz erhalten, damit keineswegs schon „Neubürger“ sind. Asyl und Schutz werden vorübergehend gewährt – solange, bis die Situation im Herkunftsland als sicher eingestuft werden kann. Etwas, worauf man, wenn man es schon kaum glauben mag, doch wenigstens hoffen kann. (Und wozu eine syrische Exilarmee ihren Beitrag leisten könnte.)
Wir unterliegen hierzulande der normativen Kraft des Faktischen: aus der Tatsache, dass die Bundesländer in der Vergangenheit ihrer Verpflichtung zur Ausweisung nur in seltenen Fällen nachgekommen sind (weil es hässliche Bilder produziert), wird auf dauerhaftes Bleiberecht geschlossen, werden Asylsuchende und Schutzbedürftige also wie Einwanderer behandelt. Doch der Unterschied zu klassischen Einwanderungsländern ist signifikant: Deutschland hat sich nicht ausgesucht, wer ins Land einwandert.
Wohl deshalb wird der Nebelwerfer angeworfen und jeder zweite Syrer zum wunderbaren Geschenk des Himmels und hochqualifizierten Arzt erklärt. Selbst wenn das stimmte: würde der nicht weit dringender gebraucht, wenn es darum geht, das zerrüttete Land wieder in eine Heimat zu verwandeln, in der man ohne Gefahr leben kann?
So beschönigt man also entweder die Lage: viele der Ankommenden (Genaues weiß man ja nicht) haben keine Ausbildung, die ihnen hierzulande Arbeit verschafft, die hohe Zahl von Analphabeten unter ihnen verschafft höchstens Sprachlehrern im Staatsdienst Arbeit. Oder man verhält sich blind egoistisch: doch wie verträgt sich das mit unserer Empathie, einer leidenden Bevölkerung ausgerechnet die Hochqualifizierten abzuwerben?
Waszczykowskis Vorschlag hingegen lautet: Hilfe zur Selbsthilfe. Muss man, um ihn zu verstehen, die polnische Geschichte kennen? Vielleicht. Nachdem Stalin und Hitler sich Polen 1939 einverleibt hatten, wurde bereits im November in der Bretagne eine polnische Exilarmee aufgestellt. 1940 gingen die polnischen Truppen nach England, wo bereits viele Polen in der Navy und in der Royal Air Force dienten. Polnische Piloten kämpften unter hohen Verlusten im Luftkrieg gegen das Deutsche Reich. Auch der polnische Beitrag beim Knacken der mit der „Enigma“ verschlüsselten deutschen Funksprüche war erheblich.
Können die Syrer das nicht? Es wäre dringend nötig, denn eine Befriedung Syriens wird nie mit ausländischen Truppen gelingen, dort können nur Syrer siegen.
Doch auch für Deutschland selbst wäre der Aufbau einer syrischen Exilarmee ein Ausweg aus einem Dilemma. Nach allem, was wir wissen, ist noch immer die Mehrzahl der Einreisenden jung und männlich. Sie bringen nicht nur sexuellen Frust und heimische Konflikte mit, die sich schon mal in Schlägereien im Lager entladen, sie sind auch in der Masse das, was noch jede Gesellschaft in der Vergangenheit gefürchtet hat (und wovon nur wir in unserer friedlich alternden Gesellschaft keine Vorstellung mehr haben). Im mittelalterlichen Europa bedeutete die Vielzahl junger Männer, die weder ein Erbe antreten noch heiraten oder zum Klerus gehen konnten, die also bindungs- und hoffnungslos waren, einen ständigen Unruheherd. Ihre Selbstdisziplinierung in Turnierkämpfen und Ritterheeren war eine Kulturleistung, die der europäischen Gesellschaft Luft verschaffte.
Doch man muss gar nicht so weit zurückgehen: auch in den USA war die Armee viele Jahre lang eine Chance für Männer und Frauen, die im Zivilleben keine Aufstiegsmöglichkeiten hatten. Die Armee bot Lohn und Ausbildung und, nicht zuletzt, Kanalisierung überschüssiger Energie und Aggression.
Es gibt besseres zu tun für junge Syrer als das Leben im Lager zu fristen, mit unklaren Aussichten auf eine Existenz in einer fremden Kultur.
Eine Frage bleibt bei alledem allerdings offen: wogegen soll eine syrische Exilarmee kämpfen? Gegen Assad? Gegen den IS? Gegen all die anderen Terroristen?
Und was ist mit all den anderen jungen Männer: den Afghanen, etwa?
Fragen wir Witold Waszczykowski. Er wird uns noch mindestens eine Legislaturperiode erhalten bleiben.
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Äußerst vernünftiger Artikel. Es ist bemerkenswert, daß gerade dasjenige, was ich an vielen Polen schätze, in Deutschland als 'wirr' oder sonstwie ungehörig wahrgenommen wird: gesunder Menschenverstand ohne Ideologie-Befrachtung.
AntwortenLöschenDer Vorschlag, aus Geflüchteten eine Armee zu machen, verkennt, dass diese Menschen fliehen, weil sie nicht kämpfen wollen.
AntwortenLöschenEs gibt genügend bewaffnete Fraktionen in Syrien, denen sie sich anschließen könnten, wenn sie mitkämpfen wollten.
Welchen Erfolg eine vom "Westen" ausgebildete Kampfeinheit in diesem Krieg haben kann, zeigt das Beispiel der von den USA ausgebildeten Rebellen. Von denen waren nach kurzer Zeit nur noch fünf übrig. Wer auch nur ansatzweise eine Vorstellung davon hat, was Krieg bedeutet, kann den Vorschlag des polnischen Ministers nur als Zynismus bezeichnen.
Artikel zum Schicksal der US-ausgebildeten Rebellen: http://www.spiegel.de/politik/ausland/islamischer-staat-usa-haben-nur-noch-eine-handvoll-syrischer-kaempfer-a-1053355.html
Lieber Anonym,
Löschendass jemand nicht kämpfen will, kann man verstehen, der polnische Außenminister fragt aber zu Recht, wieso Soldaten anderer Nationen dieses Geschäft erledigen sollen? Und der Hinweis ist ebenfalls wichtig, dass nur ein von den Syrien erkämpfter Status haltbar sein dürfte.