Ach, das sieht nur von aussen so aus.
Bloss, weil Ralph Giordano und Günter Grass nichts mehr zur Lage der Zeit sagen
können, schweigen «die Intellektuellen» ganz und gar nicht. Sie äussern sich
nur überwiegend woanders als in den hergebrachten Medien, nämlich auf Blogs,
die bekanntesten dürften die«Achse des Guten» oder «Tichys Einblick» sein. Immerhin
haben in der letzten Zeit wenigstens Maxim Biller (in der «Zeit») und Wolfgang Streeck (in der «FAZ») die Stimme erhoben, der eine kein Linker, der
andere kein Dummer. Beide beklagen, dass an die Stelle der nüchternen
Betrachtung der Lage und des Abwägens der Optionen Moralisieren und Tabuieren
getreten ist.
Die Krise infolge der Massenmigration
stellt alles infrage, worauf man sich in den letzten Jahrzehnten verlassen hat.
Das Schengen-Abkommen, auf dem die Reisefreiheit innerhalb der EU gründet?
Rasiert, wie nicht wenige andere Regeln und Verträge. Souveränität in dem Sinn,
dass ein Staat darüber bestimmen können sollte, wer dazugehört? Hat sich
erledigt. Noch heute weiss niemand genau, wer warum gekommen und wo er
abgeblieben ist. Er: denn es sind nicht vor allem Frauen und Kinder mit Bedarf
an Plüschtieren und Spielzeug gekommen, sondern oft weder Syrer noch mit Qualifikationen ausgestattet, die zu einem Hochindustrieland wie Deutschland passen.
Ganz zu schweigen von kulturellen Differenzen,
womit nicht nur ein anderes Verhältnis zu Gewalt oder zu Frauen gemeint ist,
sondern auch zu Arbeitsdisziplin und Rechtsstaatlichkeit. Mittlerweile macht
sich die Befürchtung breit, dass die Versorgung der Migranten über die nächsten
Jahrzehnte hinweg bis zu 400 oder sogar 900 Milliarden Euro kosten könnte, wie der Steuerexperte Bernd Raffelhüschen ausgerechnet hat. Immer vorausgesetzt, dass die Eingereisten auch bleiben, obwohl Asyl und Schutz
eigentlich nur vorübergehend gewährt werden.
Immerhin darf mittlerweile darüber geredet
werden, dass offene Grenzen auch Menschen anlocken, die den Islam als
Aufforderung zu Terror verstehen. Hätte man das nicht ahnen können? Natürlich.
Doch diejenigen, die schon im Herbst der Euphorie gewagt haben, Wasser in den
Wein zu giessen, dürfen nicht darauf hoffen, im Nachhinein für ihre Weitsicht
gewürdigt zu werden. Kritische Stimmen wurden von vornherein dahin gestellt, wo
es in Deutschland kein Entrinnen gibt: in die rechte Ecke.
Eine aktuelle Studie der Hamburg MediaSchool, in der 34 000 Pressebeiträge aus den Jahren 2009 bis 2015 über
Flüchtlingspolitik ausgewertet wurden, kommt zum Schluss, dass insgesamt 82
Prozent aller Beiträge zum Thema positiv gewesen seien; nur sechs Prozent
hätten die Flüchtlingspolitik problematisiert. Die tonangebenden Medien hätten
«übersehen», dass die Aufnahme von Migranten «in grosser Zahl und die Politik
der offenen Grenzen die Gesellschaft vor neue Probleme stellen würden». Sie haben sich, um es mit Wolfgang Streeck zu
sagen, «als Cheerleader einer karitativen Begeisterungswelle» aufgeführt.
Warum? Hat, wie Maxim Biller meint, ein
Kollektiv aus 68ern und ihren 70er-Nachfolgern hier seinen «totalitären,
undemokratischen Idealismus» ausgetobt? Wer sich noch an die 70er Jahre und die
Zeit der kommunistischen Sekten in Deutschland erinnert, der kennt ihn noch,
den gnadenlos ausgefochtenen Kampf gegen jede Abweichung von der richtigen
Linie. Oberste Priorität: niemals den «Beifall von der falschen Seite»
provozieren!
Das gilt heute wieder verschärft: Wer etwas sagt, das auch der AfD
gefallen könnte, ist schon ein Klassenfeind, egal, ob sein Argument triftig
ist.
Denn als Hauptlosung ist hierzulande der
«Kampf gegen Rechts» ausgegeben, eine etwas unklare Zielrichtung, die
jedenfalls eher weisse deutsche Männer und Frauen einschliesst als Flüchtlinge.
Dass insbesondere Menschen aus dem arabischen Raum zu fanatischem Judenhass
neigen, wird als eine Art «kulturelle Eigenart» ignoriert. Die Vorliebe deutscher Linker
für die «Palästinenser» und ihr Ressentiment gegen die «Zionisten» hat ja Tradition.
Der «Kampf gegen Rechts» treibt seltsame
Blüten. Eine der schillerndsten ist die Amadeu-Antonio-Stiftung, finanziert
unter anderem vom deutschen Familienministerium. Dort wird mit staatlichem Geld
und regierungsamtlicher Billigung gegen alles vorgegangen, das nicht auf Linie
ist. «Melden» ist die oberste Bürgerpflicht. Wer die unappetitliche Broschüre der Stiftung liest, wird mit Erstaunen feststellen: Schon ein Gespräch unter
Frauen über Kinder und Sexualität kann ein Anwerbeversuch von rechts sein. Auch
der Gebrauch bestimmter Vokabeln wie «Wirtschaftsflüchtlinge» oder die Rede von
«wir und sie» entlarve das Gegenüber als «rechts» und gebietet Meldung. Ein
ganz besonders untrügliches Kennzeichen rechter Gesinnung: Satire.
Damit ist
die Stiftung durchaus auf Regierungslinie.
Das Bundesinnenministerium assistiert auf Twitter: «Wir sprechen uns
gegen Hatespeech aus, egal ob strafbar oder nicht. Jeder darf seine Meinung
äussern, aber sachlich & ohne Angriffe.»
Satiriker, packt eure spitze Feder ein! Der Arm der Volkspädagogen
reicht weit. Nieder mit Karl Kraus!
Der Kampf gegen Rechts beschränkt sich
schon längst nicht mehr auf jene altbekannten stiernackigen Neonazis in ihren
Springerstiefeln, die in deutschen Provinzen vermutet werden, vor allem
natürlich in Sachsen, dem Landstrich, der notorisch unter «Generalverdacht»
steht. Sie bieten nicht genug Stoff. Denn wenn man sämtliche Propagandadelikte
abzieht – Hakenkreuzschmierereien oder ähnliches – ist der Rechtsextremismus in Deutschland seit einiger Zeit nicht auffälliger und gewalttätiger als der Linksextremismus. Den
aber finden viele prima und sagen «Danke, liebe Antifa», wenn sich autonome
Gewalt gegen die «Richtigen» entlädt: «Denn wäre die Antifa nicht da, gäbe es viel mehr Nazis in meinem Leben.»
Das alles, das «Entlarven», «Überführen»,
«Stellen» begünstigt nicht gerade den freien Austausch der Meinungen. Woher
kommt das? Wohin führt das?
Ich schwanke noch zwischen den sich jeweils
anbietenden Verschwörungstheorien. Eines scheint mir naheliegend: in
Deutschland führt der Vorwurf, rechts oder rechtsradikal zu sein, zum
gesellschaftlichen Ausschluss. Den politischen Gegner wie etwa die AfD als
rechts zu denunzieren (wobei die Partei selbst ja durchaus mithilft) ist daher auf jeden Fall empfehlenswert, die
beiden ehemaligen Volksparteien CDU und SPD fürchten sich zu Recht vor der
neuen Konkurrenz.
Was die Linke betrifft, die Maxim Biller so
bissig karikiert: für das linke juste Milieu mag der «Flüchtling» Ersatz für
das längst fahnenflüchtig gewordene Proletariat geworden sein. Oder sagen wir
besser: für jene Unterklasse, die von Politikern gern als Pöbel oder Pack
bezeichnet wird. Es ist eben kein Privileg mehr, sich öffentlich zu äussern, jeder
kann im Netz die Klappe aufreissen, auch die weniger gut Gescheitelten.
Auch auf der Spur des Geldes wird man
fündig. Für die Hilfsindustrie, eine der Wachstumsbranchen des Landes, ist der
Migrantenstrom ein wahrer Segen. Ja, die Einwandernden schaffen neue
Arbeitsplätze, bei Sozialarbeitern und Dolmetschern, Sprachlehrern und
Betreuern, Psychologen und Sicherheitsdiensten. Allein die Betreuung
unbegleiteter minderjähriger Einreisender, 42 000 waren es letztes Jahr, in
Kleingruppen oder Heimen kostet zwischen 40 000 und 60 000 Euro im Jahr pro
Nase, wobei etwa 40 Prozent gar nicht minderjährig seien, schätzt die Münchner Sozialreferentin Brigitte Meier. Die
großzügigen Angebote des Sozialstaats locken eben.
Niemand soll geschmäht werden, der Verdienstvolles
tut. Doch es hiesse die Klarsicht der Regierenden zu unterschätzen, wenn sie
nicht mit der Loyalität all derer rechneten, die ihren Arbeitsplatz dem Staat
verdanken.
Und wer soll das bezahlen? Die
Steuereinnahmen «sprudeln», heisst es gern, als ob das Geld aus einem Brunnen
käme, dabei stammt es von denen, die Arbeit haben und Steuern zahlen. Will man
sie nicht wieder einmal zur Kasse bitten,, bietet sich in Zeiten billiger
Kredite das Schuldenmachen an. Darin gehört Deutschland schon seit langem zur
Weltspitze. Doch auch dieser Krug geht nur solange zu Wasser, bis er bricht.
Wachstum auf Pump schafft sozialen Unfrieden.
In der Gesamtschau schaukelt sich das alles
zu einer einzigen grossen Überforderung hoch, die an die Textur des
Gemeinwesens geht. Warum gelingt das einfachste nicht – «nachdenken und
diskutieren und dann ein bisschen etwas
falsch und ein bisschen etwas richtig machen» (Maxim Biller)?
Das alles geht nicht nur Deutschland an.
Und deshalb sollten wir «im Interesse guter Nachbarschaft an einer nachhaltigen
Erweiterung des thematischen und argumentativen Spektrums der deutschen
politischen Öffentlichkeit (...) arbeiten, unter entschiedener Missachtung der
von den Hoflieferanten der Milch der frommen Denkungsart verhängten Denkverbote
und der zu ihrer Verteidigung eingesetzten Diffamierung. Das Risiko, das man
sich damit einhandelt (...), muss uns Europa wert sein.» So Wolfgang Streeck,
ein eher linker Geist, der das Denken nicht eingestellt hat. Es schweigen,
gottlob, nicht alle Intellektuellen.
Ergänzte Fassung eines zuerst in der NZZ am 20. August erschienenen Essays
Hallo Frau Stephan,
AntwortenLöschenhaben Sie keine Lust, mal in einer der einschlägigen Talkshows - z.B. Anne Will - zu erscheinen? Dort sind die Intellektuellen oft nur durch sehr Leichtfüßige vertreten.
Gruß
DK
Um Himmelswillen! Nein, da will ich nicht hin.
AntwortenLöschenBeileibe nicht.