Montag, 25. Februar 2019

Die Hohlraumfigur im Kanzleramt


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Was werden ihre treuen Anhänger nur machen, wenn Mutti Merkel nicht mehr ist, jedenfalls nicht mehr Kanzlerin? Bernd Ulrich,Vizechefredakteuer der „Zeit“, prophezeit, dass wir uns alle ganz schnell nach ihr zurücksehnen werden, denn es gebe „keine liberale Alternative“ zur Methode Merkel und der „Weltneuheit“ ihrer „genuin weiblichen Politik“, zu einer Kanzlerin, die den Deutschen „einen Rosengarten“ nicht nur versprochen, sondern sogar „gepflanzt“ habe.Jana Hensel, ebenfalls „Zeit“-Autorin, gesteht, ihr Deutschland-Gefühl sei „in Wahrheit ein Angela Merkel-Gefühl“, die also eigentlich irgendwie für „Heimat“ steht.
Was auf den ersten Blick sonderlich wirkt – löst sich diese Heimat in Luft auf, wenn Merkel abtritt? –, offenbart auf den zweiten Blick einen bestrickenden Zauber: Merkel ist die „Hohlraumfigur“ (Ferdinand Knauß), also Weihnachtsmann oder Osterhase, in die man alle Wünsche hineinpacken kann, die ein sehnsüchtiger Mensch so haben mag. Die Wohlfühlkanzlerin, in die man sich hineinschmiegen kann wie in eine zweite Haut, Objekt der Sehnsucht, Endpunkt der Suche, Erlöserin von der Geschichte.
Vorsorglich betont Jana Hensel, das habe nichts mit Patriotismus zu tun, das sei männlich („Vater“land?) und dafür habe sich Angela Merkel „nie geeignet“. Das stimmt wohl, denn wenn man der Kanzlerin so zuhört, dann scheint sie mit Kleinigkeiten wie Deutschland wenig am Hut zu haben. Sie steht für die Rettung des Planeten oder wenigstens des Weltklimas, denkt weit über die Grenzen Europas hinaus, praktiziert „no nation, no borders“, kennt statt Staatsbürgern oder Deutschen nur Menschen, die schon länger und andere, die noch nicht ganz so lange „hier“ leben, und gibt sich als Vertreterin einer universellen Moral – anstelle bloß national-egoistischer Interessen. Kurz: sie verkörpert die weltumspannende Liebe aller zu allen.
Angela Merkel steht für das „Ende der Geschichte“ und damit für das Ende von Politik, die sich in private Moral aufgelöst habe, analysiert der Publizist Ferdinand Knauß. Merkelanhänger leben in der Vorstellung von einer wohlhabenden Welt, „bevölkert von postnationalen Individuen, die nur noch Menschen und Wirtschaftssubjekte“ sind. Eine Illusion, genährt von einer „Taktik forcierter Realitätsverschleierung durch Gefühle als Politikersatz“.
Das sieht sogar Bernd Ulrich so ähnlich: „Wenn Merkel demnächst geht, steht nichts mehr zwischen den Deutschen und der Wirklichkeit. Und darauf sind sie nicht vorbereitet.“ Naja - jedenfalls nicht jene, die der „Methode Merkel“ seit Jahren ergeben folgen und realitätstüchtigere Beobachter gern als moral- und gefühlsvergessene Unmenschen abtun.
Doch die Methode Merkel passt schon länger nicht mehr in unsere Zeit, nicht erst seit 2010 mit der „Eurorettung“ (fast) am Parlament vorbei oder seit 2011, mit dem Ausstieg aus der Atomenergie, den sie „einfach durchgezogen (hat), auch okay“ (Jana Hensel). Nicht das „Ende der Geschichte“ (Francis Fukuyama) hat sich 1989 vollzogen, sondern der von Samuel Huntingtonprophezeite „Kampf der Kulturen“, der noch längst nicht seinen Höhepunkt erreicht hat. Spätestens 2015 war klar, dass die Migrationskrise keine verwaltungstechnische Frage des Managements sein würde, garniert mit hoher Moral und guten Gefühlen, sondern Interessenskonflikte auslöst, also genuin politisch ist. Nicht der moralische Imperativ ist angesagt, sondern die politische Debatte mit dem Ziel, die eigenen nationalen Interessen zu definieren, und sie nicht mit den Interessen Europas oder der Menschheit zu verwechseln. „Eine Gesellschaft muss sich Merkelismus leisten können“, meint Knauß. Aber mit diesem Luxus ist es in Deutschland längst vorbei.
Allein Merkels Behauptung, dieses oder jenes sei nicht Gegenstand politischen Aushandelns, sondern „alternativlos“, weist darauf hin, dass sie sich als Exekutorin eines unabänderlichen Schicksals begreift – klar, Schicksal kann man nicht aushandeln, da endet Politik. Wo Politik sein soll, ist bei Angela Merkel folgerichtig eine Leerstelle.
Präzise präpariert der Feuilletonchef des „Cicero“, Alexander Kissler, dieses Nichts aus den Nullsätzen der Kanzlerin heraus. Er analysiert die „Methode Merkel“ am Beispiel ihrer Sprechakte – und wer sein jüngstes Buch liest, in dem er ihre Sätze seziert, fragt sich, ob eigentlich niemand in der politischen und medialen Elite der Kanzlerin jemals zugehört hat. Anderenfalls wüsste er, dass die Kaiserin keine Kleider trägt.
„Aber richtig ist, dass wir eine Situation haben, keine Politik, sondern eine Situation“, hat sie im Betstuhl von Anne Will im Oktober 2015 gesagt und „es hat ja keinen Sinn, so zu tun, als hätten wir das in der Hand, wie viele Flüchtlinge morgen kommen.“ Aha, interpretiert Alexander Kissler, der Machtmensch „redet sich klein zum Objekt der Sachzwänge.“ Grenzen könne man nicht schließen, nun sind sie eben da – bei Merkel gibt es keine Alternative zum „Einladeland Deutschland“.
Deshalb ihr Mantra, mitten in der Migrationskrise: „Wir schaffen das“ – eigentlich ein „autoritärer Verzweiflungsruf“, ein „Fahnenappell vor ausgedünnter Kompanie“, meint Kissler. Wen dieser Appell nicht überzeugt, der muss mit dem Verweis auf Höheres erpresst werden: es gehe „um unser Ansehen“ in Europa und der Welt und nicht zuletzt darum, „Humanität zu zeigen“. Von Mal zu Mal steigern sich die Letztbegründungen Merkels für ihr Tun und Unterlassen, bis ihr der deutsche Sonderweg in der Migrationspolitik zur „historischen Bewährungsprobe“ gerät: die „Wiedergutwerdung Deutschlands“.
Reicht nicht? Dann noch einen drauf, weshalb dem „Wir“ nicht nur Europa, sondern gleich der ganze Globus zuaddiert wird – „was zumindest“, ergänzt Kissler spitz, „mit der Etathoheit des deutschen Bundestags kollidiert.“ Aber mit der ist bereits in den Jahren zuvor mehr als der eine oder andere Eisberg zusammengestoßen.
Tatsächlich ist das Reden der Angela Merkel gar nicht dunkel, sondern oft genug entlarvend durchsichtig, so etwa, wenn sie bei der sommerlichen Bundespressekonferenz am 20. Juli 2018 deklariert: „Für die Bundesregierung kann ich sagen, dass wir Recht und Gesetz einhalten wollen werden und da, wo immer das notwendig ist, auch tun.“
Vielleicht war das einfach nur ein Versprecher, der Ermüdung nach eineinhalb Stunden Fragen und Antworten geschuldet. Vielleicht ist das aber auch „der natürliche Aggregatzustand der Reden Merkels, der sprachliche Kokon um eine Redeverweigerung, der verbale Guss auf einem strategischen Schweigen.“ Vielleicht aber zeigt sich hier die Selbstermächtigung einer Frau, die Recht und Gesetz nur dann für notwendig hält, wenn es ihr nützt. Und die im übrigen Deutschland nur kennt, wenn es um sein Steueraufkommen geht.
Kisslers Analyse, so elegant sie ist, tut weh. Man muss sich das am Stück antun, dieses Gestotter und Gestammel, die Wortblähungen, das nichtende Nichts. Wir werden von jemandem regiert, der sein Tun oder Nichttun nicht begründen kann und es deshalb zum unabwendbaren Schicksal erklärt. Gotteskönigin Merkel.
Kissler versteht sich auf das Kunststück, dem Nichts Haken und Ösen einzuziehen, um es aufhängen zu können. Und natürlich ist Angela Merkel nicht die einzige, die Wortblasen und -hülsen emittiert. Ihres ursprünglichen Sinns beraubt, sind „Solidarität“ oder „Haltung“ oder „Respekt“ Wieselworte im politelitären Geschwätz geworden, mit denen man seine bauschaumfeste Moral signalisiert. Kuriosität am Rande: „Haltung zeigen“ ist schon länger unterwegs – als ultrarechte Parole, oder, im DDR-Liedgut „Sag mir, wo du stehst“, als Appell von Parteisoldaten.
„Die bewährte Phrase beendet jenen Dialog, für den sie wirbt. Und hat im Zentrum eine allgemeine Leere ... In der Politik sorgen Phrasen dafür, dass verlautbart und monologisiert und applaudiert werden kann, ohne das Risiko der Widerrede einzugehen.“ „Deutschland, das sind wir alle!“ (Angela Merkel nach ihrer Wiederwahl am 21. März 2018). Widerspruch ist zwecklos.

Über: Alexander Kissler, Widerworte. Warum mit Phrasen Schluss sein muss, Gütersloh 2019; Ferdinand Knauss, Merkel am Ende, München 2018







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