Sonntag, 19. Mai 2019

0,002 Prozent...



Seit in der Politik die menschliche Wärme dominieren soll und Zahlen und Fakten als kalt gelten, scheint es aus der Mode gekommen zu sein, mal nachzurechnen, wenn es um politische Großtaten geht. Ist ja auch egal, solange die Steuerquellen „sprudeln“ – den brav seine Steuern zahlenden Bürger scheint es übrigens nicht weiter zu irritieren, als kalte und unmenschliche „Quelle“ zu figurieren.
Doch nun seien die „fetten Jahre“ vorbei, heißt es derzeit, seit die Zeichen darauf hindeuten, dass der jahrelange Aufschwung Geschichte ist. Darauf müssen sich auch die Schätzer des Steueraufkommens einlassen, mit dem der Staat bislang waltete und gestaltete. Bis 2023 dürften 124,3 Milliarden Euro weniger fließen – doch gemach: Bund, Länder und Kommunen können weiterhin auf 908 Milliarden hoffen. Also weniger ausgeben. So schwer kann das doch nicht sein!
Naja. Nicht, wenn der Anteil der Sozialausgaben am Bundeshaushalt von 2013 bis 2020 von 52,7 auf 57,3 Prozent steigen soll. Denn eines geht in unserem Land der Wunder nicht: die Staatsausgaben an die Einnahmen anpassen. Es gibt schließlich Herzensangelegenheiten, bei denen man nicht kleinlich sein und nachrechnen sollte. Etwa, was es kostet, in deutschen Verwaltungen die gendergerechte Sprache einzuführen, den Vermerk „divers“ in Formulare und Dokumente aufzunehmen oder Toiletten für all die anderen Geschlechter neben Mann und Frau zu bauen. Kaltherzig, die Zahl derjenigen, die Wert darauf legen, weder das eine noch das andere zu sein, anzuführen! Sie dürfte im Promillebereich liegen: bei schätzungsweise 0,002 Prozent, wie ein Kollege von der „Zeit“ jüngst ermittelte.
Egal: Das ist uns wichtig. Steuerentlastungen darf es also nicht geben. Noch nicht einmal an die Steuerprogression will man rühren, jene ungerechtfertigte Bereicherung, die abzuschaffen Angela Merkel 2005 versprochen hatte. Was der Staat einmal hat, gibt er nicht wieder her, das gilt für die Sektsteuer wie für den Soli. Also muss eine neue Steuer her. Und wir wissen auch schon, wie sie heißen wird: die CO2-Steuer. Denn, wie die Kanzlerin jüngst sagte: wir müssen den Planeten retten. Dafür kann kein Opfer zuviel sein. Und, wie gesagt: die Steuerquellen sprudeln ja. Noch.
Nun, es gibt viele Weisen, sprudelnde Quellen auszutrocknen. Vor allem, indem man den Wirtschaftsstandort Deutschland lahmlegt. Man kann die Produktion durch Energiekosten verteuern. Man kann durch bürokratische Hürden Innovation verhindern. Man kann populistisch Technikfeindschaft schüren.
It’s the economy, stupid, hat einst Bill Clinton gerufen. Genau. Es geht um die Wirtschaft.
Dass Deutschland ein reiches Land sei, ist ein Märchen. Bislang aber war es ein leistungsfähiges Land, vor allem dank seines innovativen Mittelstands, lange Zeit in vielen technischen Nischen Weltmarktführer. Längst aber gibt es eine beträchtliche Abwanderung jener Fachkräfte, auf deren Qualitäten die Produktivität beruht. Sie finden woanders mehr Wertschätzung und dürfen von ihrem Brutto mehr Netto behalten. Des weiteren: Die Energiekosten hierzulande sind die höchsten Europas und die zweithöchsten weltweit. Vor allem aber ist die Versorgungssicherheit dank der unzuverlässigen Einspeisung des „Zappelstroms“ aus Wind und Sonne schon längst nicht mehr gegeben.
Doch wenn es ums magische CO2 geht, ist Vernunft nicht mehr gefragt. Die Attacke auf die Autoindustrie, von der rund jeder 7. Arbeitsplatz abhängt, wird beinahe klaglos hingenommen. Obzwar Dieselfahrzeuge weniger Co2-schädlich sind, wird Elektromobilität angepriesen, die weder ausgereift noch angesichts der längst gescheiterten Energiewende realistisch ist. Aus der Entwicklung der C02-freien Atomenergie hat sich Deutschland verabschiedet, über die Entsorgungskosten der hochgiftigen Rückstände von keineswegs CO2sparend produzierten Windkraftrotorblättern und Solarpanelen aber wird noch nicht einmal nachgedacht.
Aber was tut’s? Man muss sich einfach nur Großes vornehmen, wenn man im Kleinen scheitert. Retten wir also die Welt, indem wir uns zum Verschwinden bringen. Das ist der neueste Schrei: einfach keine Kinder mehr kriegen. Na dann: Frohes Aussterben.

Zuerst, leicht gekürzt: Die Meinung, NDR Info, 12. Mai 2019


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