Sonntag, 12. Januar 2020

Kill me today...

Es ist das Jahr 2019. Der Diplomat Dr. Christian Zoet, einst Chef der größten (und teuersten) Mission der OSZE im Kosovo, ist Gast in der Sendung „Wolffsohns Historische Leckerbissen“. Im Hintergrund räkelt sich ein Bikinimädchen, im Vordergrund grillt der satt lächelnde Zoet Fisch und Gambas. Der Moderator Professor Michael Wolffsohn schmeichelt seinem Gast mit den Worten: „Im Gegensatz zu vielen anderen Diplomaten, die an der Champagnerfront ihren Mann stehen, kennen Sie menschliches Leid aus erster Hand.“ Darauf Zoet: „Und wir können gleich schon mal einen ersten Happen probieren.“
So geht Diplomatie, wie sie im Buche steht. Und das ist noch steigerungsfähig! Als der Moderator sich nach Zoets Zeit im Kosovo erkundigt und nach Verbindungen zu dessen Präsidenten, der seinen Weg zur Macht mit Drogen- und Waffenschmuggel, Frauen- und Organhandel finanzierte, antwortet der große Diplomat: „Mir ging es immer nur um die Menschen und darum, einen Raum für Vertrauen zu schaffen. Zum Fisch Chablis oder Pinot Noir?“ So kennt man es, das folgenlose Menscheln.
Natürlich ist die Szene fiktiv, auch wenn die Protagonisten vertraut sind. Im Film „Kill me today, tomorrow I’m sick“ spielt der Anwalt Joachim Steinhöfel den aasigen Chefdiplomaten. Michael Wolffsohn hat in real life leider noch keine eigene Talkshow. Die Szene steht am Schluss eines Films, der einen lachen und weinen lässt, meistens zugleich.
Er spielt in einer Region, die heute aus dem Blickfeld verschwunden zu sein scheint: im Kosovo, für das die Bundesregierung mit ihrem grünen Außenminister im Frühjahr 1999 den deutschen Pazifismus verabschiedete, um die Serben als eine Art neue Nazis am Massakrieren und Vertreiben der Kosovo-Albaner zu hindern. Seither sind die Fronten klar: Serben sind böse, alle anderen arme Opfer. Doch so einfach ist das in keinem Krieg. Die anderen sind auch nicht ohne. Das ahnt die junge Journalistin noch nicht einmal, die im Sommer 1999 am Flughafen Priština eintrifft, um ein „Netz freier Medien“ aufzubauen und dabei zu helfen, das Kosovo zu einer multiethnischen Vorzeigedemokratie zu machen.

Als „Serbenfotze“ beinahe gelyncht

Zur Freude des Zuschauers wird sie von einem bosniakischen Schlitzohr namens Plaka abgeholt („Ich bin intelligent, sehe gut aus und habe Humor“), der, nachdem er sein eigenes Auto den albanischen Paramilitärs von der UÇK hat spenden müssen, als Chauffeur bei der OSZE angeheuert hat. Anna trifft im Hauptquartier der OSZE auf eine skurrile Versammlung von Glücksrittern, verlorenen Seelen, versoffenen Zynikern und naiven Weltverbesserern. Sie registriert mit Erstaunen, dass nicht nur die Serben andere Ethnien hassen. In der Stadt sind alle serbischsprachigen Schilder durchgestrichen oder übermalt, und in Annas von Serben verlassener Wohnung wurden die Bilder aus den Rahmen geschnitten.
(Später stellt sich heraus, dass es die serbische Familie mitnichten bis nach Belgrad geschafft hat.) Alltäglich auch die Autobombe, quittiert mit dem Spruch „SFOR, KFOR, what for“. Als Anna beim Kauf einer Kerze in einem Tante-Emma-Laden drei Finger hochhält, um zu signalisieren, dass sie 3 Dollar zahlen möchte, wird sie von den anwesenden Frauen als „Serbenfotze“ beinahe gelyncht. Sie hat unwissentlich das serbische Siegeszeichen gemacht. So unschuldig reist man also in ein Krisengebiet!
Während Anna staunt, ist Plaka, ihr Chauffeur und erfindungsreicher Übersetzer, Realist, mithin im Eigeninteresse tätig. Mit seinem einst bei Mercedes in Deutschland angestellten albanischen Kumpel aus alten Zeiten organisiert er einen florierenden Schwarzhandel mit Waren, die er, via Müllabfuhr, aus dem englischen PX stehlen lässt.
Plaka und Burim sind wie die Rabenvögel, die seit je den Heeren hinterherziehen und vom Irrsinn des Krieges profitieren, Kriegsgewinnler, hier in ihrer sympathischsten Form. Ein prima Leben, wäre da nicht der Oberschurke der UÇK, Gazmend, rechte Hand (und Gehirn) des „Commanders“ Rhaci, der die beiden erpresst. Bei der OSZE aber legt man Wert auf gute Beziehungen zu dem dubiosen Commander, man braucht ihn, der Stabilität wegen: „unbedachte Maßnahmen“ zerstören Vertrauen, salbadert Zoet – da drückt man schon ein Auge zu, wenn Rhaci und seine Leute sich mit Drogen-, Waffen- und Organhandel finanzieren.

Hinreißende Verarsche der „Internationals“

Ebenso ungerührt lassen die friedensstiftenden Kräfte zu, dass ein junger Mann aus einer serbischen Enklave, der weder albanisch noch englisch spricht, ohne Begleitung in den Herrschaftsbereich der UÇK fährt. Obwohl doch jeder, der slawisch spricht, des Todes ist. Sdrjan weiß, dass er sich in Gefahr begibt, aber was soll’s: „Kill me today, tomorrow I’m sick“. Das ist furchtbar anzuschauen, wie sich dieser Junge ergeben darin fügt, dass er keine Zukunft hat. Im Film, der Tragödie und Komödie vereint, ist das Mitleid nicht nur für eine Seite reserviert. Selbst die absurdesten Szenen sind im Grunde nichts als todtraurig.
Das allerabsurdeste Projekt aber stammt von Anna, ein Projekt, das mitten ins fette Gewölk der hehren Reden und guten Vorsätze sticht. Sie überredet Plaka, ein multiethnisches Radioprogramm zu moderieren – Technik und Sender versteckt hinter den vielen Kisten mit gestohlener Ware. Alle unterdrückten Minderheiten sollen vorkommen: die Frauen und die Tiere, die Roma und die Schwulen. Das Ergebnis ist eine hinreißende Verarsche des Traums der „Internationals“ vom multiethnisch durchgegenderten Paradies unterdrückter Minderheiten. Dardana ruft im Beisein des erschütterten Gatten Burim zur Emanzipation von den Männern auf und empfiehlt Masturbation statt Sex, assistiert von einer schwulen Diva. Dino, der Sohn Plakas, kämpft für Tiere und Veganismus. Im Schlachthaus der UÇK, in dem menschliche Organe entnommen werden, rettet er das Schaf, nicht den Menschen.
Die skurrile Show provoziert natürlich alle, alte militante Serben ebenso wie die UÇK – und vor allem Gazmend, den albanisch-amerikanischen Psychopathen, den Plaka bei aufgezogenem Mikrofon entlarvt hat. So kommt es schließlich zum Showdown mit höchstens einem Achtel Happy End.

Die „richtige“ Seite gibt es nicht

Der Film von Joachim Schröder und Tobias Streck ist extrem unterhaltsam und dazu noch, ja! – pädagogisch wertvoll: Es empfiehlt sich tiefes Misstrauen in alle internationalen Hilfsprojekte. Die wenigsten der „Internationals“ kennen die Gegebenheiten vor Ort, die Sitten und Gebräuche, die Eigenheiten und Idiosynkrasien. Zugleich lehrt der Film Misstrauen in die Moralisierung des Krieges. Die säuberliche Einteilung in Täter und Opfer, Gut und Böse ignoriert die Grauzonen und Randbereiche, von denen es gerade im ehemaligen Jugoslawien reichlich gibt. Selten ist man auf der sicheren, der „richtigen“ Seite, das glaubt nur der Sieger der Geschichte, und oft genug gibt es den noch nicht einmal.
Der Film ist von einer wahren Geschichte inspiriert. Schroeders Schwester Henriette hat in der Abteilung „Media Affairs“ der OSZE im Kosovo erlebt, was hier bis zur Kenntlichkeit karikiert wird. Glaubwürdig sind jedenfalls die Darsteller – multiethnisch, Laien und Profis, Frauen und Tiere. Mein Favorit ist Carlo Lubjek als Schlitzohr mit Herz, auf dem Fuße gefolgt von Karin Hanczewski, bekannt als Tatortkommissarin und sonst nicht mein Typ. Großartig, wie sie als naives Mädel anfängt, bald das Theater der Friedensstifter durchschaut und dann deren gute Absichten auf den Punkt bringt: Leute, so funktioniert das nicht. Eure guten Absichten laufen auf Mord und Totschlag hinaus.
Furchtbar schön ist Tommy Sowards als Gazmend, der durchgeknallte albano-amerikanische Killer, und mit Boris Milivojevic als Commander Rhaci ist den Filmemachern einer der populärsten Schauspieler der Region ins Netz gegangen. Ansehnliche Nebenrollen spielen Sigi und David Zimmerschied, Henryk Broder und Joachim Steinhöfel, Nikola Rakocevic und Eray Egilmez. Bei dieser Produktion jedenfalls scheint der multiethnische Traum funktioniert zu haben. Insgesamt acht Jahre hat es gedauert, bis aus der Idee ein Film wurde, der nun in die deutschen Kinos kommt. Zeit, sich wieder zu erinnern an eine Region, die uns so nah und so fremd ist wie der Balkan. Im Übrigen: Man kann bei Mord und Totschlag echt Spaß haben. Geht bei Tarantino schließlich auch.

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