Sonntag, 12. Januar 2020

Die Krone

The Crown

Die Krone ist keine Kopfbedeckung, sondern ein Mühlstein, den man um den Hals trägt. Und „The Crown“ ist ein Lehrstück, darüber, wie eine junge, unerfahrene Frau lernt, unter der jahrhunderteschweren Last zu gehen und zu stehen. Es ist die Geschichte einer Zurichtung – und selbst wer, wie ich, sich für „The Royals“ im wahren Leben nie sonderlich erwärmen konnte, dürfte nach der dritten Staffel der Netflixserie zwischen Mitleid und Respekt hin- und hergerissen sein.
Peter Morgan, der Kopf hinter der Serie, ist nicht gerade ein eingeschriebener Anhänger der Royals, dennoch scheint mir seine Serie das Beste zu sein, was der seit Jahren auf schmalem Grat balancierenden britischen Königsfamilie passieren konnte. Allein schon die Lehrstunden in europäischer Nachkriegsgeschichte machen die Serie sehenswert. Bis auf einige Interpretationen, die man ihm vorwerfen könnte – etwa die einer angeblichen Konkurrenz der Queen mit Jackie Kennedy – hatte ich nicht das Gefühl, einer Propagandaschau, einer rührseligen Sissi-Geschichte oder einem indezenten Schlüssellochdramolett beizuwohnen. Es fehlen Hohn und Spott mitsamt ironischer Distanzierung, wie es in Deutschland wohl unvermeidlich wäre. Was wir sehen, ist ein im besten und schlimmsten Sinn analytisches Stück darüber, was es heißt, als Mensch eine Institution sein zu müssen. Das verdankt sich vor allem den durchweg großartigen Schauspielern.
Was ist das Geheimnis der Royals? Die Queen, sonst nichts. Elizabeth II., die ihr Amt seit nunmehr 67 Jahren mit gleichbleibender Disziplin und stoischer Gelassenheit ausfüllt – als Repräsentantin einer Epoche. Keine andere Monarchin kommt ihr gleich. Geradezu heroisch hält sie seit Jahrzehnten den Laden aufrecht. Sie ist vor allem anderen The Sovereign – niemandem verantwortlich als Gott allein.
Das aber, Institution zu sein, nicht Person, hat sie, wenn man dem Film folgt, mühevoll lernen müssen. Ohne den frühen Tod ihres Vaters und die Flucht des Onkels vor der Verantwortung hätte Elizabeth, von der ihre Mutter im Film herzlos sagt, sie sei nicht nur unerfahren, sondern im Grunde auch unfähig, nicht 1952 bereits den Thron besteigen müssen. Sie bringt ein Opfer, das andere verweigerten. Ihr Onkel Edward VIII. hielt es kein Jahr unter der Krone aus, er zog die Liebe zu einer zweimal geschiedenen Frau dem Leben auf dem Thron vor. Doch auch Elizabeth liebte – und wäre gern vor allem Ehefrau und Mutter (und vielleicht Pferdezüchterin) geblieben. (Wer das für ein Luxusproblem hält, trete bitte kurz zur Seite. Auch die Geburt ins britische Königshaus kann unschöne Folgen haben.)

Eine gute Portion Selbstekel

Doch Liebe und andere private Vorlieben dürfen den von ungeschriebenen Traditionen, der Kirche, der Verfassung diktierten Regeln nicht im Wege stehen. Elizabeth lernt, unter Schmerzen, grausam zu sein. Sie hat als erstes ihren widerspenstigen Gatten zu demütigen: Sie müssen in den von beiden gehassten Buckingham Palace ziehen, der gemeinsame Nachname wird Windsor, nicht etwa Mountbatten, bei der Krönung hat Philip vor ihr zu knien, und selbstredend darf er nicht König an ihrer Seite sein. Immerhin setzt sie durch, dass er die Krönungsfeierlichkeiten organisieren darf: Dank Philip wird das Ritual zum ersten Mal im Fernsehen übertragen.
Philip rebelliert auf männliche Art, mit anderen Männern und wahrscheinlich auch anderen Frauen. Doch eine Scheidung kommt nicht in Frage – also bleibt nur so etwas wie Bestechung. Oder Schmerzensgeld? Eine der beklemmendsten Szenen zeigt, wie die Queen ihn, den nicht Ebenbürtigen, kostümieren lässt, damit er endlich, zum Prinzen erhoben, neben ihr sitzen darf. Im Gesicht von Matt Smith, der den jungen Philip gibt, liest man wenig Genugtuung, sondern vor allem eine gute Portion Selbstekel.
Philip ist nicht das einzige Opfer der Etikette, mindestens so furchtbar ist das Martyrium der Schwester Margaret, die sich für die bessere Wahl als Königin hält. Ein Irrtum – sonst hätte sie begriffen, warum Elizabeth ihr die Heirat mit dem geschiedenen Peter Townsend verweigern muss. Die Queen entsagt unter sichtbaren Schmerzen dem, was den anderen Familienmitgliedern wichtiger zu sein scheint: dem Gefühl, der Individualität, den Ansprüchen der Liebe.

Zu einer Geste des Mitgefühls außerstande

Es scheint, als hätten alle anderen Familienmitglieder nicht verstanden, was eine konstitutionelle Monarchie dem Leben abverlangt: immer freundlich sein, niemals die Contenance verlieren und stets neutral bleiben. Und – keine Gefühle zeigen, auch nicht angesichts einer Katastrophe. Am 21. Oktober 1966 rutscht nach drei Wochen stetigen Regens die Abraumhalde einer walisischen Kohlenzeche auf das Dorf Aberfan herab und verschüttet eine Grundschule, in der fünf Lehrer und 109 Kinder sterben. Elizabeth fühlt sich zu einer Geste des Mitgefühls außerstande.
Leider lässt das Drehbuch sie nun darüber klagen, dass sie nie etwas fühle – womöglich im Vorgriff auf die Kritik an ihr, als sie es nach dem Tod von Princess Diana Jahre später an Betroffenheit fehlen ließ. Unnötig – denn die ganze Serie macht deutlich, warum sie dafür nicht steht. (Ganz abgesehen davon, dass die kümmerlichen Betroffenheitsrituale heutiger Politiker auch nicht warm machen.)
Das Private und das Öffentliche sind derart geschickt verwoben, dass die Serie auch als Politdrama über das einst große Britannien durchgeht. Das Empire löst sich auf, das Vereinigte Königreich gleitet in eine tiefe ökonomische Krise, die Nachfolger des so charismatischen wie eitlen Churchills sind schwache Figuren. Als Harold Wilson von der nicht gerade monarchistisch gesonnenen Labourparty Premierminister wird, fürchtet die Queen zunächst, es mit einem Spion der Sowjetunion zu tun zu haben. Dass sich zwischen den beiden dann eine beinahe intime Partnerschaft entwickelt, ist ein wenig irritierend, die enge Beziehung zu dem charismatischen Churchill war glaubhafter. Doch vielleicht weiß das Drehbuch mehr, als unsereins auch nur ahnt. Ein Seitenhieb jedenfalls geht zugunsten von Wilson aus: Als er über die drohende Abwertung des Pfunds spricht, denkt die Queen an ihre Reise zu den Pferdeställen der Welt.

Eingebunden und uninspiriert wie die Queen

Die dritte Staffel der Serie schraubt das Drama um Gefühl und Pflicht noch ein wenig höher. Ich hätte mir nicht träumen lassen, dass ich einmal Mitleid mit den Mitgliedern des britischen Königshauses empfinden würde. Da ist Philip, der nach dem Sinn des Lebens sucht, nach Größe, nach Abenteuer, nach Action. Er ist privilegiert genug für eine Privataudienz mit der Besatzung von Apollo 11: Armstrong, Aldrin und Collins hätten sicherlich erreicht, was ihm nie gelungen sei? Die drei Mondfahrer, schwer erkältet, husten jedoch auf die Größe ihres Erlebnisses – sie hätten sich an Protokoll und Ablauf halten und Listen abhaken müssen und seien vor allem müde gewesen. Sogar die Männer der Tat erweisen sich als ebenso eingebunden und uninspiriert wie die Queen. Ein tief deprimierter Philip findet Erleichterung in einem „Konzentrationslager für geistig Geschädigte“, dem Gesprächskreis eines Priesters. (Schon gut, ihr Zyniker: die drei Apollopiloten hatten eben keine Zeit für Depressionen.)
Am Ende aber rührt mich der junge Charles beinahe zu Tränen. Erst muss er aufs Internat, dann wird er nach Wales verbannt. Zu sagen hat er nichts, und als er endlich Trost bei Camilla Shand findet, heiratet die einen anderen. Camilla wäre ja eh nicht standesgemäß gewesen.
Die Liebe, die in der britischen Monarchie eigentlich keinen Platz haben darf, spielt bei allen Mitgliedern der Royal Family eine geradezu niederschmetternde Rolle: Die Liebe, die nicht sein darf. Und die Liebe, die ins Unheil führt: vor allem bei Princess Margaret. (Hoffentlich nicht auch bei Prince Harry.) Und da noch weitere drei Staffeln in Planung sind: Wir dürfen uns aufs Schlimmste gefasst machen.
Was wird sein, wenn sie das Zeitliche segnet, die Queen? Außer, vielleicht, William, wirkt keiner der Royals, als ob er für die Bürde der Krone geeignet wäre. Also weg mit dem teuren Gerümpel? Nun, die Royal Family kostet den Staat nichts, heißt es, im Gegenteil: sie spüle Geld in die Kassen. Doch vielleicht ist ein King wie die Queen aus einem anderen Grund heute wertvoller denn je: als die Verkörperung eines Ethos, demzufolge die Pflicht über persönlichen Interessen steht. Womöglich braucht das brave Volk das, wenn es Politik nur noch als Wahlkampf erlebt, in dem es um keine höheren Ziele geht als um den Machterhalt.

Aktuelle Version eines Beitrags, der zuerst in der „Weltwoche“ No. 50, 2019 erschienen ist.
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