Donnerstag, 28. Januar 2021

Stimme der Provinz, Kolumne 4: Die Provinz schlägt zurück


Nein, üblicherweise schießen meine Nachbarn hier nicht mit dem Vorderlader die Äpfel vom Baum.* Das schließt nicht aus, dass in der einen oder anderen Scheune ein Schießprügel in der Ecke steht, das kann auch ein so antikes Gerät wie der Vorderlader sein, man ist hier traditionsbewusst und ehrt die Vorfahren. Jedenfalls ist der Landmensch wehrhaft und mitnichten so nett wie die lieben Mutterkühe mit ihren süßen Kälbchen, die das im übrigen auch nicht sind .

Die Provinz kann zurückschlagen, wenn sie den Einheimischen krumm kommen, die Invasoren aus den Städten. Und niemals waren die Gelegenheiten dafür so günstig wie heute. Die Furcht, dass Städter üble Sitten und Gebräuche mitbringen, mit denen sie die unschuldigen rotbackigen Landkinder verderben, hat sich zwar längst erledigt, nichts kann das Landvolk mehr verderben, was es nicht schon lange via Internet erlebt und erlitten hat. Doch jetzt kommt Covid-19 ff. ins Spiel, und schon ist der Wunsch wieder da, sich abzuschotten vom Sündenpfuhl Großstadt, wo ein virusaffines Gedränge herrscht, das wir, verdammt noch eins, hier nicht haben und auch nicht brauchen. Virusschleudern mögen uns vom Leibe bleiben! Insofern ist jetzt nicht die günstigste Zeit, sich um einen Zweitwohnsitz auf dem Land zu bewerben. 

Wie man hört, ist die Stimmung mancherorts schon ein bisschen so wie im zweiten Weltkrieg, als die ausgemergelten Städter in Trupps aufs Land zogen, um etwas Nahrhaftes zu ergattern oder zu erbetteln oder gar zu stehlen. Oder so wie nach dem Krieg, als Flüchtlinge, Vertriebene und andere Unbehauste auf den Bauernhöfen einquartiert werden wollten. Damals hatte die ländliche Bevölkerung die eindeutig besseren Karten und ließ das die Fremden hier und da durchaus spüren. Zur Strafe durfte sie sich als fremdenfeindlich und verhockt beschimpfen lassen. Nun – jetzt ist die Zeit der Rache gekommen.

Ein Schwein schlachten oder jagen gehen

Der Vorzug der Städte ist in Krisenzeiten ihre Achillesferse: Stadtluft macht nur solange frei, wie der Nachschub stimmt – solange man die Abhängigkeit nicht spürt von all denen, die produzieren, was man essen will. Autarkie ist nazi, wir haben schließlich den Weltmarkt? Solange wir ihn haben. Im ersten Weltkrieg etwa gelang es den Briten, Deutschland weitgehend vom Welthandel abzuschneiden. Was wurde da gehungert. In den Städten. Auf dem Land konnte und kann man immer noch den Garten bestellen, ein Schwein schlachten oder jagen gehen, es gibt auch tauglichere Waffen als einen Vorderlader. 

Noch sind wir global und lassen die Heidelbeeren im Winter aus Peru einfliegen. Die Panikpandemie allerdings hat ihren Schatten über die sonst gepriesene Weltoffenheit geworfen. Selbst Frau Kanzler denkt nun laut darüber nach, die Grenzen zu schließen. Gegen ein Virus. Hat sie nicht 2015 davon gesprochen, dass man Grenzen (gegen weit größere Entitäten wie etwa Menschen) nicht schließen könne? Hat sie sich nicht jüngst wieder entschieden gegen kleinlichen Impfnationalismus verwahrt? Sind wir doch alle gemeinsam Europa, solidarisch selbst im Versagen. Und jetzt soll der Schlagbaum wieder heruntergehen?

Mag sein, dass hier der Mantel der Geschichte eingegriffen hat. Niemand von denen da oben hat einen Grund gesehen, 150 Jahre Deutsches Reich zu feiern. So ärgerlich widerspenstige Landesfürsten für die Kanzlerin auch sein mögen – immerhin ist seine Kleinstaaterei den Deutschen und allen anderen weit besser bekommen. Was lehrt uns das? Small is beautiful. Mecklenburg-Vorpommern hat es begriffen. 

So kann sie aussehen, die Rache der Provinz

Man erinnere sich: Bereits im Frühjahr des vergangenen Jahres wollte man die Schriftstellerin Monika Maron expedieren, die in Berlin den Haupt- und in einem Kaff an der Grenze zu Polen einen Zweitwohnsitz hat. Die potenzielle Virusträgerin möge in ihren Sündenpfuhl zurückkehren, dekretierte man. In diesem Sinne sind auch jetzt die offenbar unausgelasteten Behörden des Landkreises Vorpommern-Greifswalds wieder tätig geworden. Angeordnet ist hiermit: Auch in tiefster Einöde darf man zwischen 21 und 6 Uhr sein Grundstück nicht verlassen, solange sich die sogenannte Inzidenz nicht irgendwie Richtung ZeroCovid bewegt. Und schon gar nicht darf man einfach so seine Zweitbehausung ansteuern, das sei, steht in der achtseitigen Fleißarbeit, kein triftiger Grund

Vorbildlich – sofern nicht wieder irgendein Verwaltungsgericht dem Landkreis in die Quere kommt. So kann sie aussehen, die Rache der Provinz: Wenn ihr starker Arm es will, stehen alle Zweitwohnungsbesitzer still. Auch das ist Frieden schaffen ganz ohne Waffen. Nicht nur die Bundesregierung versteht es, aus so einer Panikpandemie alles herauszuholen. Ob sie den Besen irgendwann wieder in den Schrank kriegt?

* Die Autorin dankt allen Lesern der vorangegangenen Kolumne für ihr Verständnis dafür, dass sie als gelernte Städterin einen Frontlader mit einer antiken Waffe verwechselt hat.  


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