Humor ist, wenn man trotzdem lacht. Was das betrifft, kann sich manch einer von den angeblich notorisch humorfreien Deutschen eine Scheibe abschneiden. Wir lachen, auch wenn’s richtig weh tut, nicht nur, wenn jemand einen Scherz macht. Wer mit Grimms Märchen sozialisiert wurde, ist hart im Nehmen.
Was könnte also deutscher sein als Schilda? Man kennt die Geschichte: deren Bewohner hatten sich einst ein neues Rathaus gegönnt, das allerdings, da man auf den Einbau von Fenstern und Türen verzichtete, seiner Zweckbestimmung nicht zugeführt werden konnte. So etwas ähnliches nimmt in Brandenburg viel Platz weg und will einmal Flughafen werden. BER wird und wird nicht flügge, vielleicht sogar nie, verfuttert aber um die 17 Millionen Euro im Monat – nicht gerechnet entgangene Einnahmen von schätzungsweise 14 Millionen. Was sind dagegen die paar von Ulli Hoeneß hinterzogenen Millionen? Peanuts. Sie reichen noch nicht einmal für einen ganzen Monat Unterhalt des Flughafentorsos. Ein Steuersünder ist ein armes Würstchen gegen organisierte Steuerverschwendung. Verzeihen wir ihm also.
Aus Schilda stammt auch die Idee mit der sogenannten Energiewende: Unzählige lustig rotierende Windräder und viele blitzblanke Solarpaneele verschönern die Landschaft und produzieren Strom im Überfluss. Dummerweise entsteht der nicht dort und dann, wo und wenn er gebraucht wird, da es keine Speicherkapazitäten und keine Überlandstromleitungen dafür gibt. Also muss man die Nachbarn, etwa die Polen, dafür bezahlen, dass sie uns den teuer subventionierten Strom abnehmen, wenn wir zu viel davon haben, und ihnen noch mehr zahlen, wenn wir in kalten Wintern wiederum weit mehr brauchen, als wir dann produzieren. Die Gewinner im Spiel sind die Betreiber ältlicher französischer Atomkraftwerke in Grenznähe zu Deutschland, Eigenheimbesitzer mit chinesisch subventionierten Solarpaneelen und die Verpächter saurer Äcker. Der Rest des Landes zahlt und lächelt: weil Wind und Sonne keine Rechnungen schreiben. Nur die Stromversorger.
Dieser Schildbürgerstreich datiert auf das Jahr 2000, wie Alexander Wendt in seinem Buch „Der grüne Blackout: Warum die Energiewende nicht funktionieren kann“ schreibt, geht auf ganze vier rührige Erfinder zurück und hat sich bereits jetzt zur größten Umverteilungsmaschinerie der deutschen Geschichte entwickelt. Dass mit „Blackout“ auch das Aussetzen des Verstandes gemeint sein könnte, glauben nicht wenige ausländische Beobachter Deutschlands. Denn es sieht ganz so aus, als ob die drittgrößte Industriemacht der Welt sich mit ihrer wetterwendisch-launenhaften Energiepolitik selbst vor die Wand fährt.
Wir Deutsche lächeln das weg. Die „Wende“ ist uns Rotor gewordener Ausdruck unserer poetischen Natur. Denn nichts als konkrete Poesie konnte es gewesen sein, als Kanzlerin Merkel im Jahr 2011 einem Tsunami in Japan den prompten Ausstieg aus der Atomenergie in Deutschland folgen ließ, wo man Tsunamis nur aus dem Fernsehen kennt. Und wenn demnächst ein Windrad auch hinter der Loreley aufragt, jenem sagenumwobenen Felsen über dem Rhein, den Romantiker so lieben, werden die Deutschlandbesucher ein neues Lied kennenlernen.
„Die Wahrheit ist, dass die Energiewende kurz vorm Scheitern steht. Die Wahrheit ist, dass wir auf allen Feldern die Komplexität der Energiewende unterschätzt haben“, sagte jüngst Energieminister Sigmar Gabriel. Ein weiteres Zitat des Ministers ist nicht autorisiert, entspricht aber der Wahrheit: „Für die meisten anderen Länder in Europa sind wir sowieso Bekloppte”.
Uns ist das egal: Deutsch sein heißt, eine Sache um ihrer Selbst willen tun.
Aber vielleicht hat der Wahnsinn ja Methode? Die Rente mit 63, zum Beispiel. Es hat sich längst herumgesprochen, dass das Rentensystem im Umlageverfahren an zwei Faktoren scheitert: am zunehmenden Lebensalter und der damit längeren Zeit, in der Menschen Rente beziehen, und an der abnehmenden Zahl der Erwerbstätigen in Relation zu den Rentenbeziehern. Diese Relation ändert sich nur, wenn sich die Zahl der Erwerbstätigen erhöht und die der Rentenbezieher verkleinert. In Ermangelung hoher Geburtenraten und vermehrter Sterbewilligkeit liegt die Lösung auf der Hand: die Verlängerung der Lebensarbeitszeit durch Erhöhung des Renteneintrittsalters, eine angesichts der Tatsache, dass die Älteren heute gesünder und gebildeter sind als jemals zuvor, logische Schlussfolgerung.
Aber warum Logik, wenn es auch „gerecht“ sein darf? Andrea Nahles hat es nicht mit kalten Zahlen, ihr spricht die soziale Wärme ja geradezu aus dem Gesicht, schließlich kennt sie ihre Eifel. Gerecht ist, was gut tut! Die Zeche für solch gute Taten wird sowieso erst später gezahlt, von denen, die heute noch jung sind. Die werden sich wundern.
Aber wahrscheinlich ist ihnen das Wundern bis dahin längst vergangen. Die deutsche Staatsverschuldung lässt sich schon heute wegen der vielen Nullen kaum noch ausschreiben, selbst wenn man künftige Fälligkeiten nicht einrechnet, die uns die Eurokrise noch bescheren könnte. Es mag die Weisheit unserer Führungspersönlichkeiten sein, dafür zu sorgen, dass dem Land jene wirtschaftliche Stärke möglichst schnell wieder abhanden kommt, die bei unseren Nachbarn Ansprüche und Wünsche geweckt hat. Schaut her, rufen unser Politiker, wir können ja noch nicht einmal mehr die Löcher in unseren Straßen stopfen! Einem nackten Mann kann man nicht in die Tasche greifen, also: jetzt die Kohle raushauen und nach uns die Sintflut.
Kann sein, dass manch ein deutscher Steuerbürger lacht, weil er nicht weinen will. Aber Wutbürger will niemand mehr sein, seit in der Zeitung gestanden hat, dass das alles gutbetuchte Rentner sind, die nichts besseres zu tun haben als dem Fortschritt im Wege zu stehen. Lieber zahlt man klaglos Steuern und Sozialabgaben und ist froh, wenn man darüber hinaus nicht behelligt wird.
Sicher, es gibt Probleme, die man nicht hätte, wenn sie nicht von einem Politiker auf der Suche nach seinem Alleinstellungsmerkmal erfunden worden wären, mag sich manch einer denken, die Grillkohle zurechtlegen und das Bier kalt stellen.
Was soll der Geiz: Es wird Sommer. Und Humor ist, wenn man trotzdem lacht.
In: Die Welt, 15. Mai 2014
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